Süddeutsche Zeitung 31. Juli 2015, 20:34 Uhr
NS-Protzbau Prora auf Rügen
Brauner Koloss mit Masterbad
"Exklusive
Eigentumswohnungen
mit Blick auf die
Ostsee": So wirbt der
Investor für sein
Großprojekt am
Ostseestrand. Die Nazis
träumten einst davon,
dass sich in Prora der
deutsche Volkskörper
stärkt.
(Foto: Prora Solitaire)
Die einstmals größte Nazi-Ruine des Landes wird gentrifiziert. In der riesigen
Anlage an der Ostsee entstehen schicke Ferienwohnungen. Kein Scherz.
Von Anne Backhaus, Rügen
Eigentlich ist es wirklich schön in Prora. Kilometerweit streckt sich der Strand zwischen
Ostsee und Kiefernwäldern. Das Meer liegt ruhig, und gleich ums Eck verstecken sich
die berühmten Kreidefelsen von Rügen. "Und der Sand ist so weiß", sagt Sven ScharfHettig. Der Sprecher der Firma Irisgerd aus Berlin, die hier unter dem Slogan "Neues
Prora" baut, blickt verzückt um sich. Er wird bei dieser Führung über die Baustelle nicht
müde, die Lage des Objekts zu preisen, in dem bis Ende des Jahres 2016 mehr als
hundert Eigentumswohnungen und ein Apartment-Hotel mit "modernem
Wohnkomfort" entstehen sollen.
"Es hat seinen Grund, dass die Leute vor 80 Jahren dieses Fleckchen Erde zur Erholung
ausgesucht haben", sagt Scharf-Hettig und macht ein Handyfoto vom Strand. Mit "die
Leute" meint er das NS-Regime. Denn in seinem Rücken steht der "Koloss von Rügen".
Über 4,5 Kilometer zieht sich die größte Bauanlage der Nazis. (Foto: Stefan Sauer/dpa)
Die Ferienwohnungen der Nazis waren so groß wie Gefängniszellen
Der Bau war lange die größte Nazi-Ruine der Republik, jetzt aber soll das gigantische
Gebäude bald stilvoll und schön aussehen. Den Anfang machte 2011 eine
Jugendherberge, nun folgen in allen Blocks Apartments, Hotels und
Eigentumswohnungen. In Block 1 etwa, der heute besichtigt wird, sind 75 Prozent schon
verkauft und das bei Quadratmeterpreisen von bis zu 6500 Euro. Die "SonnenWohnungen" haben ein "Masterbad" mit "Dschungelbrause" und sind in den
Prospekten musterhaft hell eingerichtet. Der Glastisch neben der "Liegewiese" fehlt
genauso wenig wie die offene Küche mit Familientresen. Das alles in einem
Gebäudekomplex, den Historiker "Demagogie in Stein" nennen.
In der "Kraft durch Freude"-Anlage sollten 20 000 Deutsche Platz finden, um nach
einer Woche Erholung fit für den Krieg sein. Eine Urlaubsfabrik für Arbeiter und ihre
Familien, die sich den Aufenthalt in Badeorten wie dem benachbarten Binz nicht leisten
konnten. Adolf Hitler hatte die Idee für das knapp fünf Kilometer lange und sechs
Stockwerke hohe, architektonische Monstrum. Nach der Grundsteinlegung im Jahr
1936 bauten die Nazis acht Häuserblöcke in Prora. Die Wohnungen maßen 2,5 mal 4,75
Meter und glichen eher Gefängniszellen, aber die Gäste sollten schließlich gemeinsam
draußen an der frischen Luft sein. Die Anlage diente zugleich dem Ausdruck wie der
Stärkung des arischen Volkskörpers.
Die Musterwohnungen sollen Besserverdiener anlocken. (Foto: Prora Solitaire)
Mit dem Kriegsbeginn endeten Hitlers
Baupläne
Doch aus dem Nazi-Urlaubsidyll wurde nichts. Als 1939 die Wehrmacht in Polen
einmarschierte, kam der Bau zum Erliegen. Nach dem Krieg sprengten die Sowjets
einen Block, später zog die Nationale Volksarmee ein. 25 Jahre nach der
Wiedervereinigung stehen noch fünf Blöcke.
Hunderte Handwerker arbeiten heute an dem Klotz mit der gelb-braunen Fassade, in
einem Trakt wohnen bereits die ersten Eigentümer. Ein Mann mittleren Alters steht in
Badehose auf dem Balkon und preist gegen den Baulärm den Komfort seines
Apartments. "Es ist hell und großzügig", ruft er. "Und das so nah am Strand."
Eine Handvoll Investoren realisiert heute also das, was die Nazis nie vollenden konnten:
Sie schaffen in Prora ein Tourismus-Paradies, wenn auch für Besserverdiener. "Nichts
ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist", zitiert ein Werbeprospekt den
Romantiker Victor Hugo. Mit Vergangenheitsbewältigung hat die Renovierung eher
nichts zu tun. "Genau genommen steht hier eine Immobilie als ungenutztes Denkmal.
Und genau das soll sich jetzt ändern!" steht in einer Infobroschüre von "Neues Prora".
In einem grauen Container vor Block 1 bejubelt ein Showroom die Immobilie.
"Weltbekanntes Baudenkmal wird zur Wohlfühl-Oase", heißt es da. Vor dem
"Gesamtkonzept aus einem Guss" sammeln sich Touristen in Trekkingsandalen und
staunen über das geplante Wellness-Resort.
"Der Denkmalschutz macht uns zum Glück wenig Probleme"
Der beschwingte Umgang mit dem Denkmal kommt beim Urlaubspublikum gut an. Die
größte architektonische Hinterlassenschaft des NS-Regimes wird nicht nur
bautechnisch entkernt, sondern völlig aus dem historischen Kontext gelöst. "Der
Denkmalschutz macht uns zum Glück wenig Probleme", freut sich Firmensprecher
Scharf-Hettig. Er begleitet eine Touristengruppe in die 107 Quadratmeter große
Musterwohnung im 3. Stock. "Die Geschichte interessiert hier eh keinen. Von tausend
Besuchern fragt vielleicht einer nach der Nazi-Vergangenheit."
Ostsee – 4,5 Kilometer Vergangenheit
Die Firma Irisgerd ersteigerte im Jahr 2012 den Block 1 und das 215 000 Quadratmeter
große Gesamtgrundstück für 2,7 Millionen Euro von einem Investor, der es wiederum
2004 für einen Bruchteil dieser Summe vom Bund gekauft hatte. Mehr als 70 Millionen
Euro sollen in den Umbau investiert werden. "Unter den Käufern sind viele Ärzte und
Politiker aus dem Bundesministerium", sagt Scharf-Hettig im Flur der Fünf-ZimmerWohnung zu391 000 Euro. Er führt durch das Masterbad mit eigener Sauna, das
angrenzende Schlafzimmer mit bodenlangen Fenstern und breitem, weißem Bett sowie
die Wohnlandschaft mit weißem Sofa. Die Wände sind ganz in Eierschale, der Boden ist
mit geöltem Edelholzparkett ausgelegt -Standard-Ausstattung.
Von den etwa zwanzig Interessenten bei der Besichtigung spricht keiner die Geschichte
des Gebäudes an. Fragen nach dem Meerblick sind wichtiger, denn die Ostsee lässt sich
durch den Kiefernwald nur erahnen. Am Ende sind sich aber alle einig: was für ein
Luxus! "Könnte ich mir das leisten, würde ich hier Urlaub machen", sagt eine Frau, die
nebenan auf dem Campingplatz wohnt. "Die Idee des Baus war ja auch eine gute Idee",
sagt Scharf-Hettig. "Hier ging es früher nur um Tourismus." Alle nicken. Prora wird
inzwischen als "Mallorca des Nordens" bezeichnet.
Der Neubau "bekräftigt die nationalsozialistische Ideologie", sagt die Kritikerin
"Es ist nicht verwerflich, in Prora zu wohnen, aber harmlose Gebäude sind das trotzdem
nicht", sagt Katja Lucke. "Auf Mallorca sieht es vielleicht auch so aus, das ist aber auf
keinen Fall dasselbe." Die Leiterin des Dokumentationszentrums Prora führt durch die
Dauerausstellung "MACHTUrlaub", in der das Bauprojekt und seine Verklärung durch
die NS-Propaganda beleuchtet werden. Ein Foto zeigt Hitler vor dem Modell des
Monuments. "Die Fertigstellung dieser großen Ferienwohnungsmaschine verharmlost
und bekräftigt die nationalsozialistische Ideologie", sagt Lucke. Sie und andere Kritiker
hätten das Gebäude lieber nicht in den Händen privater Investoren gesehen. "Einen
Trakt als Flüchtlingsheim zu nutzen wäre auch eine gute Idee gewesen", sagt sie. Aber
die Forderungen, den "Koloss von Rügen" zu einem Ort sozialer und kultureller
Begegnung umzufunktionieren, verliefen alle im Sand, der hier besonders fein ist.