„Wir verkaufen nicht, wir verteilen“

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Christian Hunziker
Prora
WOCHENENDE 25./26./27. SEPTEMBER 2015, NR. 185
HISTORIE
SEEBAD DER 20 000
Seebad Prora:
Viereinhalb Kilometer
lang ist der Gebäudekomplex auf Rügen.
Planung Prora wurde in den
1930er-Jahren als Seebad für
die NS-Organisation Kraft
durch Freude (KdF) geplant.
In der kilometerlangen Anlage
an der Prorer Wiek sollten
20 000 Menschen gleichzeitig
Urlaub machen können. Entworfen wurde der Komplex
vom Architekten Clemens
Klotz, der sich dabei an Prinzipien von Le Corbusier orientierte.
N
Ulrich Busch:
Immobilienunternehmer
mit einigem Weitblick
und viel Optimismus.
d-foto/Jens Koehler
Entstehung Der Grundstein
wurde am 2. Mai 1936 gelegt.
Mit Kriegsbeginn endeten die
Bauarbeiten, so dass Prora nie
als Urlaubsort genutzt wurde.
In der DDR-Zeit war in Teilen
der Anlage die Nationale
Volksarmee (NVA) stationiert,
so dass das Gebiet für die Öffentlichkeit unzugänglich war.
„Wir verkaufen nicht, wir verteilen“
Die Nazis bauten Prora als klotziges Seebad fürs Volk. Nun zahlen Investoren für Ferienwohnungen hohe Preise.
prora“ entstehen jetzt statt bescheidener Zweitbettzimmer, die einst
die Verantwortlichen der NS-Organisation Kraft durch Freude (KdF)
vorsahen, gehoben ausgestattete
Ferien- und Eigentumswohnungen
für kapitalkräftige Käufer.
Die Preise haben es in sich:
Zwischen 3 000 und 6 500 Euro pro
Quadratmeter werden in der Regel
– abhängig von Lage und Ausstattung – verlangt. Bei einzelnen besonders exklusiven Wohnungen in
Block zwei schweben Busch, der
mittlerweile als freier Projektentwickler Investoren berät, sogar
Preise von 10 000 bis
14 000 Euro pro Quadratmeter vor.
„Bei solchen Beträgen
bin ich sehr kritisch“, sagt
Kathrin Lange, Büroleiterin des Maklerunternehmens Engel
& Völkers auf Rügen. Preise von
5 000 bis 6 000
Euro pro Quadratmeter hält sie hingegen für „vertretbar“. Zum
Vergleich:
In
Binz
kosten
Wohnungen in
der ersten Reihe
laut Lange zwischen 6 500 und
8 000 Euro pro
Quadratmeter. Anders
als Binz ist Prora aller-
dings kein etablierter Urlaubsort.
Und auch die vorhandene Bausubstanz zwingt zu Kompromissen; so
beträgt die Raumhöhe lediglich etwa 2,40 Meter. Immerhin stimmten
die Denkmalschützer dem Anbau
von Balkonen zu. Und die Lage ist
unbestreitbar attraktiv: Nur ein
schmaler Kiefernwald trennt den
Komplex von der Ostsee, die trotz
der Bäume gut zu erkennen ist.
„Für diese Lage in erster Reihe auf
einem großen Grundstück ist der
Preis absolut angemessen“, argumentiert denn auch Gerd Grochowiak, der derzeit mit seiner Berliner Firma Irisgerd im Block eins
insgesamt 161 Eigentumswohnungen und 114 Hotelapartments errichtet. Außerdem profitierten die
Erwerber von den Vorteilen der
Denkmal-AfA, betont Grochowiak.
Nach Angaben der unterschiedlichen Projektentwickler können
die Käufer etwa 70 bis 85 Prozent
des Kaufpreises steuerlich geltend
machen.
Ohne Berücksichtigung der
Denkmal-AfA beziffern die in Prora
tätigen Akteure die Rendite für diejenigen Erwerber, die ihre Immobilie nicht selbst nutzen und sie stattdessen dauerhaft vermieten wollen, auf rund drei Prozent.
Grundlage dafür ist die Annahme,
die Wohnung für zehn Euro pro
Quadratmeter vermieten zu können. Das sei durchaus realistisch,
sagt Karsten Schneider, der Bürger-
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meister von Binz. Denn im Ostseebad selbst sei der Wohnungsmarkt
„sehr angespannt“, weshalb viele
Beschäftigte der lokalen Restaurants und Hotels in anderen Orten
der Insel wohnen müssten.
Bei den Ferienwohnungen stellen die Verkäufer eine Ausschüttung von etwa drei bis vier Prozent
bei einer Auslastung von 180 Tagen
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im Jahr in Aussicht. Das ist allerdings eine optimistische Annahme.
Auf ganz Rügen sind gewerblich bewirtschaftete Ferienbetten nach
Angaben des Statistischen Landesamtes von Mecklenburg-Vorpommern im Durchschnitt an 104 Tagen im Jahr belegt. Auch wenn der
Wert im Umfeld des attraktiven Ostseebades Binz höher ist, rät Maklerin Lange zur Vorsicht: „Ich würde
eher von 150 Tagen ausgehen.“
Frei entscheiden, ob sie ihre Wohnungen dauerhaft vermieten oder
als Ferienwohnungen vermarkten,
dürfen die Käufer übrigens nicht –
welche Bereiche für die touristische Vermietung und welche für
die dauerhafte Wohnnutzung vorgesehen sind, gibt die Gemeinde
Binz vor. Bei den Ferienwohnungen kommen dabei unterschiedliche Modelle zum Tragen: Während
die Prora Solitaire GmbH in Block
zwei auf eine zentrale Vermarktung
über den Ferienhausvermittler Novasol setzt, plant Irisgerd im südlichen Block eins ein richtiges Hotel,
dessen Zimmer aber ebenfalls an
private Kapitalanleger verkauft
werden. Obwohl der Betreiber
noch nicht feststeht, sind bereits
80 Prozent dieser Hotelapartments
veräußert.
Nicht eben förderlich für den anfänglichen Vermietungserfolg dürfte allerdings sein, dass Urlauber in
Prora derzeit noch mit einer überschaubaren Infrastruktur – einer
Bäckerei, einem Café, einem italienischen Restaurant – vorliebnehmen müssen. Dabei darf es nicht
bleiben, ist Bürgermeister Schneider überzeugt: „In Prora entsteht
ein Ort, der genauso groß ist wie
Binz“, gibt er zu bedenken. „Das
bedeutet, dass auch eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut
werden muss.“ Grundsätzlich sei er
froh, dass es jetzt losgehe, „nachdem wir 20 Jahre lang Probleme
mit der Immobilie hatten. Aber ob
die Entwicklung von Prora wirklich
erfolgreich ist, kann man erst in einigen Jahren beurteilen“.
Das gilt auch für die Kapitalanleger. „Wie sich die Preise in zehn Jahren darstellen werden, weiß man
Christian Hunziker
och sind große Teile
von Prora eine Baustelle. Doch davon lässt
sich Ulrich Busch nicht
beirren: Über den staubigen Vorplatz, durch die künftige
Lobby und dann hinauf übers fast
80 Jahre alte Treppenhaus führt der
Immobilienunternehmer Besucher
und Kaufinteressenten in die Musterwohnung. Schlafzimmer mit begehbarem Kleiderschrank, Wohnzimmer mit Parkettboden, schickes
Designbad – und vor allem ein Balkon mit Blick auf die nahe Ostsee.
„Der Andrang der Interessenten“,
freut sich Busch, „ist gewaltig.“
Und das ist keineswegs übertrieben. Obwohl die Hochsaison längst
vorbei ist, lockt Prora die Menschen in Scharen an. Rentner in
Wanderschuhen, Familien auf Rädern, junge Paare, sonnenbebrillte
Herren im offenen Cabrio – sie alle
bestaunen die Baukräne, die sich in
Prora drehen. Zwar wollen viele der
Neugierigen nur sehen, was aus
Prora wird, diesem 4,5 Kilometer
langen Gebäudekomplex auf Rügen, der in der NS-Zeit als Ferienanlage geplant wurde, zur DDR-Zeit
von der Nationalen Volksarmee genutzt wurde und nach der Wende
dem Verfall preisgegeben schien.
Nicht wenige der Besucher aber
sind tatsächlich ernsthafte Kaufinteressenten. „Eigentlich“, sagt Busch,
„verkaufen wir die Wohnungen
nicht, sondern verteilen sie.“
Der in den Niederlanden wohnhafte Busch hat entscheidenden
Anteil am Immobilienboom an der
idyllischen Prorer Wiek. Vor neun
Jahren erwarb der Sohn des berühmten Schauspielers und Arbeitersängers Ernst Busch vom Bund
zwei der fünf erhaltenen Blöcke
von Prora, die wenige Kilometer
vom traditionsreichen Ostseebad
Binz entfernt liegen. Damals glaubten nur unverbesserliche Optimisten, dass sich für den gigantischen
Gebäudekomplex mit seiner problematischen Geschichte jemals
wieder eine Nutzung finden würde.
Doch Busch erkannte das Potenzial
des Ortes, einigte sich mit der Gemeinde Binz auf einen Bebauungsplan und verkaufte die beiden Blöcke, aufgeteilt in größere und kleinere Abschnitte, an andere
Investoren weiter.
Diese realisieren jetzt die Feriennutzung, die einst der Zweite
Weltkrieg verhinderte: In allen
fünf Blöcken des denkmalgeschützten Ensembles zusammen sind mehrere Hundert Eigentumswohnungen und 3 000
Ferienbetten geplant
(inklusive der bereits
2011 eröffneten Jugendherberge). In
diesen Bauabschnitten namens „Prora
Solitaire“, „Neues
Prora“ oder „Binz-
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In Prora entsteht ein
Ort, der so groß ist
wie Binz.
Daher muss auch
die entsprechende
Infrastruktur
aufgebaut werden.
Karsten Schneider
Bürgermeister von Binz
Nach der Wende Seit dem
Abzug der NVA stand Prora
weitgehend leer. 1997 schlug
eine Studie eine hauptsächlich
touristische Nutzung vor. Ab
2004 verkaufte der Bund die
Anlage an mehrere Investoren. 2011 wurde am nördlichen
Ende eine Jugendherberge eröffnet. Außerdem gibt es auf
dem Areal diverse Museen.
Teurer Traum
vom Eigenheim
Für die eigene Wohnung sparen die Deutschen sogar am Auto.
Julia Löffelholz
Frankfurt
A
m liebsten wohnen die Deutschen in ihren eigenen vier
Wänden. Drei Viertel der Mieter wünschen sich ein Eigenheim.
Unter den 18- bis 39-Jährigen sind es
sogar 90 Prozent. Das ist das Ergebnis einer Studie des Baugeldvermittlers Interhyp. Als Grund nannten
die meisten Befragten, dass sich in
der eigenen Immobilie ein „schönes
Zuhause“ am besten verwirklichen
lasse. Und das, so die Studie, ist den
Deutschen fast so wichtig wie die
Gesundheit.
Doch die eigenen vier Wände
bleiben teuer, wie der aktuelle
Wohnpreisspiegel des Immobilienverbands Deutschland (IVD) zeigt.
Eigentumswohnungen kosten heute im Schnitt 4,5 bis 5,8 Prozent
mehr als noch vor einem Jahr. Das
gilt nicht nur für Metropolen. Auch
in Kleinstädten mit weniger als
30 000 Einwohnern stiegen die
Preise um 4,3 Prozent. Zwischen
2013 und 2014 lag dort das Plus nur
bei 2,5 Prozent. Dennoch fallen die
Preissteigerungen auf dem Land
noch immer deutlich geringer aus
als in den Großstädten. „Generell
behält die Faustregel Gültigkeit: Je
größer die Stadt, desto höher der
Preiszuwachs“, sagt IVD-Präsident
Jürgen Michael Schick.
Die Käufer scheinen die hohen
Kosten nicht sonderlich zu belasten. Darauf zumindest lässt eine gemeinsame Umfrage des Onlineportals Immobilienscout24 mit Interhyp schließen. Etwa 60 Prozent der
Kaufinteressenten glauben demnach nicht, sich wegen eines Immo-
5,8 %
betrug das Preisplus bei
Eigentumswohnungen
in Deutschland
im vergangenen Jahr.
Quelle: IVD
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nicht“, sagt Maklerin Lange mit
Blick auf einen späteren Wiederverkauf der Wohnungen. Nach ihrer
Einschätzung sind es vor allem risikobereite Käufer, die sich für Prora
begeistern.
„Viele haben noch zehn bis 15
Jahre zu arbeiten und planen, in
Prora ihren Alterswohnsitz zu nehmen“, berichtet hingegen Jochen
Bekemeier, Bauleiter in dem von
zwei Berliner Unternehmern entwickelten Abschnitt namens Binzprora. Selbst die zum Landesinneren
hin ausgerichteten Wohnungen verkaufen sich, glaubt man den Vermarktern, wie geschnitten Brot.
Diese Wohnungen haben zwar keinen Wasserblick, dafür aber klangvolle Namen wie Sonnenapartments oder Garten-Suites.
Ist es also die „unwiederbringliche Lage“, von der Ulrich Busch
schwärmt, die Prora zum Hotspot
der Immobilienwelt macht? Oder
vielleicht doch eher die DenkmalAfA und der allgemeine Trend zum
Betongold? „Es ist erstaunlich, wie
viel Geld in Deutschland unterwegs
ist“, wundert sich ein Verkäufer in
einer der Musterwohnungen.
Jedenfalls
treibt
der
Vermarktungserfolg die Preise weiter nach oben. So hat die Prora Solitaire GmbH die Verkaufspreise allein in den vergangenen zwölf Monaten um 15 bis 20 Prozent
angehoben. Und in Binzprora, wo
noch vor zwei Jahren Wohnungen
für 2 300 Euro pro Quadratmeter
zu haben waren, werden mittlerweile gegen 4 000 Euro verlangt.
Eine Wohnung kostet so gut und
gerne eine halbe Million Euro.
So viel investierte 2006 auch
Ulrich Busch: Für 455 000 Euro
kaufte er dem Bund gleich zwei
ganze Wohnblöcke ab.
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bilienkaufs in ihrem täglichen Konsum einschränken zu müssen.
Dabei sind die Kapitalanleger deutlich optimistischer als die, die eine
Immobilie kaufen, um selbst darin
zu wohnen. Von den Kapitalanlegern glauben mehr als drei Viertel,
ihren bisherigen Lebensstandard
beibehalten zu können. Unter den
Selbstnutzern ist es nur etwa jeder
Zweite. „Zu dieser Einschätzung
trägt sicherlich bei, dass die Baugeldzinsen extrem niedrig sind und
Hauskäufer so ihre monatliche Kreditbelastung auf Jahrzehnte extrem
niedrig halten können“, sagt Michiel Goris, Vorstandsvorsitzender
von Interhyp.
Wer für das eigene Haus dann
doch kürzer treten muss, der verzichtet am ehesten auf ein neues
Auto. Fast jeder Zweite gab der Umfrage zufolge an, für den Immobilienkauf am Auto zu sparen. Etwa
genauso viele machen Abstriche bei
Urlaubsreisen, um den Traum von
den eigenen vier Wänden doch
noch verwirklichen zu können.
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