Im Ferienbad der Nazis entstehen Luxuswohnungen

Prora: Im Ferienbad der Nazis entstehen Luxuswohnungen - DIE WE...
http://m.welt.de/geschichte/article151433504/Im-Ferienbad-der-Nazis-...
GESCHICHTE KDF-BAD PRORA
Im Ferienbad der Nazis entstehen Luxuswohnungen
VON MARTINA RATHKE
vor 1 Tag
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Das "Kraft durch Freude"-Seebad Prora sollte während der Zeit des Nationalsozialismus als gigantische Erholungsanlage dienen. Dafür
wurde ein 4,5 Kilometer langer Beton-Riegel geplant.
picture alliance / ZB/dpa-Zentralbild
Das NS-Regime baute in Prora ein Kraft-durch-Freude-Zentrum für 20.000 Menschen, die
DDR verwandelte es in eine Kaserne. Jetzt entstehen Ferienwohnungen – die Museen am
Ort bangen um ihre Zukunft.
"Grund und Boden können nichts dafür, was hier geplant wurde", sagt Iris Hegerich, Mitinhaberin
der Berliner Immobilienfirma Irisgerd. "Ich finde es entsetzlich, dass Prora aus der Geschichte
herausgenommen wird. Es ist ein Armutszeugnis, dass der politische Wille nicht da ist, den Ort
vor einer Entgeschichtlichung zu retten", meint Susanna Misgajski, Leiterin des Prora-Zentrums.
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27.01.2016 08:33
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Prora, das ist die gigantische, von den Nationalsozialisten als "KdF-Seebad" geplante uniforme
Häuserfront auf der Insel Rügen, ein großer Militärstandort zu DDR-Zeiten mit den größten
Bausoldatentrupps Ende der 80er-Jahre. Prora, das ist nach dem Verkauf von vier der fünf Blöcke
an Privatinvestoren derzeit eine gigantische Baustelle für mehr als 1000 Ferien- und
Eigentumswohnungen und Hotels.
Misgajski, die Museumschefin, und Hegerich, die Investorin, arbeiten beide an diesem Ort – und
dennoch trennen sie Welten.
Es ist kalt, grau und nass. Nur wenige Spaziergänger verirren sich im Winter an die Ostseebucht
nördlich von Binz. Der Lärm von Presslufthämmern dringt aus Block 1. Die Berliner
Immobilienfirma Irisgerd, der das 450 Meter lange Gebäude gehört, macht Druck. Nach den
Plänen des Investors soll der Block mit 280 Ferien- und Eigentumswohnungen im Frühjahr 2017
saniert sein.
"Immobilien sind alternativlos in Zeiten des niedrigen Zinses", sagt Iris Hegerich (l.) von der Berliner Immobilienfirma
Irisgerd. Rechts ihr Partner Gerd Grochowiak
Foto: dpa
Der Verkauf der Wohnungen in Strandnähe läuft hervorragend, auch wenn das bis auf die Mauern
entkernte Haus derzeit nicht den Eindruck von Wohlfühlurlaubsstimmung vermittelt. 235
Wohnungen mit Quadratmeterpreisen zwischen 3250 und 6500 Euro sind nach Angaben des
Eigentümers bereits verkauft. "Immobilien sind alternativlos in Zeiten des niedrigen Zinses",
begründet Hegerich das enorme Interesse an den Wohnungen.
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Susanna Misgajski, Leiterin des Prora-Zentrums, stapft am Ende der kilometerlangen Betonfront
durch den Schnee zum Block 5. Er ist das einzige Gebäude, der nach dem Verkauf der Anlage
durch den Bund noch in öffentlicher Hand ist. Der Kreis Rügen kaufte den Bau einst für einen
symbolischen Euro, ließ ein Drittel des Baus mit Fördergeldern sanieren. Dort betreibt das
Deutsche Jugendherbergswerk seit 2011 eine Jugendherberge. Im Mittelteil des Blockes – der
sogenannten Liegehalle – zeigte das Ausstellungszentrum bislang im Sommer seine
Dokumentation zu Bausoldaten. 20.000 Besucher kamen 2015. Das ist nun vorbei. "Der Putz fällt
von der Fassade, wir dürfen in das Gebäude nicht mehr hinein", sagt die Museumsleiterin.
"8000 Tonnen Geschichte entsorgt"
Das 2001 gegründete Prora-Zentrum, das vor allem die DDR-Geschichte der Anlage
dokumentiert, lebt von Projektgeldern. "Uns fehlt eine stetige Finanzierung, um langfristig planen
und investieren zu können", beklagt Misgajski. Mit schmaler Unterstützung aus dem Land hangelt
sich die Einrichtung, die sich in eine Baracke – dem ehemaligen Kontroll- und Arresttrakt – vor
dem Block eingemietet hat, von Jahr zu Jahr. Die Ausstellungstafeln in dem Flachbau zur
Geschichte Proras wellen sich, das Mobiliar ist ebenso verschlissen wie das Linoleum auf dem
Boden.
Ortswechsel zu Block 1, der mit rund 2000 herausgebrochenen Fenstern, dem nackten Beton und
Ziegeln noch wie ein seelenloses Skelett wirkt. "Wir haben das Gebäude auf den Rohbau des
Jahres 1939 zurückgeführt", erläutert Hegerich den Baustand. Zusammen mit ihrem
Geschäftspartner Gerd Grochowiak hat sie 2012 den Block für 2,75 Millionen Euro vom Bund
gekauft. "In dem Haus wurden in den vergangenen Monaten 8000 Tonnen Geschichte entsorgt."
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Die Fotomontage zeigt den Entwurf eines Hochhauses in Prora. In dem 27-etagigen Gebäude sollen 100 Wohnungen
entstehen. Im Vordergrund die historischen Blöcke des KdF-Bades
Foto: dpa
Dem maroden Mittelteil des Blockes rückten Abrissbagger zu Leibe. Er soll nach alten Plänen
wieder aufgebaut werden. Innen wird alles neu – mit Luxusbädern und Küchen in sachlichem
Bauhaus-Stil, viel Licht in den Zimmern und Balkonen. So versprechen es die Prospekte, die im
"Showroom", einem Container an der Baustelle, ausliegen. 84 Millionen Euro investiert das
Unternehmen in die Sanierung.
Zu DDR-Zeiten erholten sich in dem Haus Armeeoffiziere und deren Familien. Überhaupt ließ die
NVA Prora zu einem gigantischen Kasernenkomplex ausbauen. Als Nazi-Ferienanlage für 20.000
Menschen – wie 1936 von NSDAP-Reichsleiter Robert Ley geplant – ging das Gebäude nie in
Betrieb. Als 1939 Deutschland den Zweiten Weltkrieg begann, wurden die Bauarbeiten eingestellt.
Auf mehr als zwei Kilometer Länge drehen sich nun – 77 Jahre später – die Baukräne. Zehn
Jahre, nachdem sich der Bund von den ersten Blöcken der NS-Hinterlassenschaft trennte und an
Privatinvestoren verkaufte, wird in Block 1, 2 und 4 kräftig gebaut. Auch im Block 3 beginnen in
Kürze die Arbeiten. Deutlich mehr als 1000 Ferien- und Eigentumswohnungen mit
angeschlossenem Hotelbetrieb entstehen hier in den kommenden Jahren.
"Hier entsteht ein neues Seebad"
Die Prora Solitaire GmbH hat 285 ihrer 370 Wohnungen im Block 2 verkauft, dessen neue weiß
strahlende Fassaden sich vom schmutzigen wintergrauen Himmel abheben. Das Unternehmen
wirbt mit Denkmalabschreibung und Renditen von drei Prozent. Mitte Februar will das
Unternehmen um Projektentwickler Ulrich Busch die "Ferienwohnungen mit hotelähnlichem
Betrieb" eröffnen. "Die hohe Nachfrage nach unseren Wohnungen bestätigt uns auf dem Weg, in
Prora ganz unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Bedürfnissen zusammenzubringen.
Hier entsteht ein neues Seebad", zeigt sich Busch überzeugt.
All die Investoren, die zig Millionen Euro für das Entkernen, Sanieren und Neubauen verbauen,
richten den Blick naturgemäß in die Zukunft statt in die Vergangenheit. "Wenn man Prora nur auf
das reduziert, was einmal war, macht das wenig Sinn. Grund und Boden können nichts dafür, was
hier geplant wurde", sagt Investorin Hegerich. Prora sei vor allem eines: eine Immobilie in
einzigartiger Lage direkt am Meer. "Und diese Lagen sind endlich."
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"Das Gebäude verliert seine Geschichte", sagt die Leiterin des Prora-Zentrums, Susanna Misgajski
Foto: dpa
Die Chefin des Prora-Zentrums, Misgajski, beobachtet die Entwicklung des geschichtsträchtigen
Ortes, der 1994 unter Denkmalschutz gestellt wurde, fassungslos. Vor allem die glatten Fassaden
mit den neuen gläsernen Balkonen nähmen der Häuserfront ihre bedrückende Gleichförmigkeit,
beklagt sie. Die Idee der Nazis, die Massen in dem Erlebnis eines preiswerten Urlaubs
gleichzuschalten, sei in der Architektur nicht mehr nachzuvollziehen. "Das Gebäude verliert seine
Geschichte."
Nicht nur sie, auch das Dokumentationszentrum Prora, das im Block 3 die Ausstellung
"MachtUrlaub" zeigt, ist beunruhigt. "Geschichte taugt bei den Investoren, wenn überhaupt, nur
als Verkaufsargument. Problematisiert wird sie nicht mehr", sagt deren Leiterin Katja Lucke.
Wie es mit dem Dokumentationszentrum nach der Sanierung des Blockes 3 weitergeht, sei
ebenfalls ungewiss. "Wir sollen als kulturelle Einrichtung erhalten bleiben." Doch ob das
Dokumentationszentrum später in dem sanierten Haus die Mieten zahlen könne, weiß Lucke
nicht. Auch über einen Umzug in Block 5, um dort gemeinsam mit dem Prora-Zentrum in einem
Informations- und Bildungszentrum zu arbeiten, denke man nach.
Doch ob dies klappt, ist unsicherer denn je. Aus Geldnot sucht der Landkreis Vorpommern-Rügen
nun sogar einen Investor für diesen letzten in öffentlicher Hand befindlichen Block 5. "Unser
Anliegen ist es, dass der Rest des Blockes in einen vernünftigen Zustand kommt", begründet
Kreissprecher Olaf Manzke das Vorhaben.
"Es ist ein Armutszeugnis"
Die Finanzierung des rund fünf Millionen Euro teuren geplanten Ausbaus des Mittelteils des
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Blockes zu einem Informations- und Bildungszentrum sei bislang gescheitert, weil keine
Förderung durch Land, Bund oder EU zustande kam. Der Kreis unterliege mit seinem
Haushaltssicherungskonzept einem harten Spardiktat. "Die fünf Millionen Euro für den Ausbau
haben wir nicht", sagt Manzke.
Misgajski ist erschüttert, sollte sich der Kreis tatsächlich von der Immobilie trennen. Wer, wenn
nicht Bund, Land oder Kreis, seien für das Erinnern an die Geschichte verantwortlich? "Ich finde
es entsetzlich, dass Prora aus der Geschichte herausgenommen wird. Es ist ein Armutszeugnis,
dass der politische Wille nicht da ist, den Ort vor einer Entgeschichtlichung zu retten." Die
Bausoldaten-Ausstellung will das Prora-Zentrum in diesem Sommer in dem Flachbau vor Block 5
zeigen, wo der Verein seinen Sitz hat. Dazu sei das Gebäude nun komplett angemietet worden.
Um die Nebenkosten zu finanzieren, will der Verein erstmals Eintrittsgelder erheben.
dpa/bas
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