Jürgen Maier

Anrede
Wenn man die Ehre hat, eine solche Veranstaltung zu eröffnen, dann wird
gewöhnlich erwartet, dass man eine Art Orientierung zu geben versucht, vielleicht
so ein bisschen einen roten Faden für die Tagung. Das ist angesichts der
turbulenten Zeiten, in denen wir leben, sicherlich eine Herausforderung, aber ich
will versuchen, ihr gerecht zu werden.
Mit den turbulenten Zeiten meine ich jetzt weniger den Bundestagswahlkampf,
sondern eher die Sackgasse des industriellen Entwicklungswegs klassischer
Prägung, die immer deutlicher wird.
1971 kam die mittlerweile schon historische Studie eines Intellektuellenzirkels,
genannt Club of Rome, heraus, mit der Überschrift »Die Grenzen des Wachstums«.
Es war in der damaligen Zeit, als hohes Wirtschaftswachstum in den alten
Industrieländern Europas, Nordamerikas und Japans noch stattfand, fast schon
Ketzerei, und als 1973 die erste Ölkrise stattfand, stellte sich diese Frage plötzlich –
schneller als erwartet - durchaus auch ganz realpolitisch. Aber sie geriet auch
genausoschnell wieder in Vergessenheit, und obwohl die Mega-Wachstumsraten nie
wieder kehrten, der Glaube an die üppig vorhandenen Ressourcen kehrte schnell
zurück. Ganz im Hinterkopf konnte zwar niemand wirklich bestreiten, dass die
Grenzen des Wechstums damit nicht vom Tisch waren, sondern sie lediglich deutlich
später eintreten würden als der Club of Rome sich das gedacht hatte, aber so ist das
nun mal mit den Prognosen.
Und obwohl es eigentlich logisch ist, dass Wachstum nicht unendlich sein kann,
sträubt sich die Menschheit doch – keineswegs nur Regierungen und
Konzernführungen sondern letztlich wir alle - mit Haut und Haaren gegen die
Erkenntnis, dass es auf einem endlichen Planeten nun mal kein unendliches
Wachstum geben kann, sondern nur Kreisläufe.
Wie absurd wirkt vor diesem Hintergrund der gegenwärtige Bundestagswahlkampf.
Mehr Wachstum, mehr Arbeit wird uns da suggeriert, als ob es möglich wäre auch
nur einen nennenswerten Anteil von 5 Mio Arbeitslosen durch »mehr Wachstum«
mit Jobs zu versorgen. Aber solche Wachstumsgläubigkeit gibt es ja nicht nur bei
uns.
In diesen Tagen findet in New York wieder einer der berühmten Gipfeltreffen statt,
170 Staatschefs beschwören wortreich und manche auch weniger wortreich die
Milenniums-Entwicklungsziele, auch MDGs genannt. Verabschiedet vor 5 Jahren,
sind diese für viele Menschen auf diesem Planeten die Grundlage für die blosse
Existenz – Halbierung des Hungers, der Kindersterblichkeit, der Müttersterblichkeit,
Kampf gegen Epidemien wie AIDS und Malaria, elementare Grundbildung usw.
Schon jetzt ist absehbar, dass sie weitgehend verfehlt werden, nicht überall, aber in
der globalen Gesamtschau. Aber fast noch erschreckender als diese Tatsache ist
die Ratlosigkeit, wie das eigentlich geschehen sollte. Das Rezept, das dabei meist
hervorgeholt wird, ist wirtschaftliche Entwicklung nach dem klassischen Muster.
Und so wird inzwischen – wieder, muss man sagen – wieder die Höhe der
Entwicklungshilfe zum fast schon alleinigen Massstab erkoren. Aber was für eine
Entwicklung wird denn da versucht voranzubringen?
Wenn wir uns anschauen, wass etwa die Weltbank unter Entwicklung versteht und
was sie finanziert, dann kommen genau die alten Konzepte zum Vorschein, im
Grunde wird ein Industriesystem Europas oder Nordamerikas zum Vorbild
genommen und versucht zu kopieren. Integration in die Weltwirtschaft, nicht
nachhaltige Ausbeutung der Rohstoffe, selektiver Aufbau von Produktionsstandorten,
Öffnung der Märkte – Sie kennen das.
Das alles findet vor dem Hintergrund fast schon atemberaubender
Preissteigerungen bei fast allen wesentlichen Rohstoffen statt, Erdöl allen voran,
aber auch Erdgas, Kohle, Eisenerz, Stahl, Aluminium, Kupfer, Nickel, usw.
Hauptgrund dafür ist die erfolgreiche Entwicklungsdynamik im Grunde von nur zwei
Ländern, China und Indien. Die enorme Dynamik, die dort in Gang gekommen ist,
hat ganz andere Auswirkungen als das bei den Vorbildern Taiwan, Südkorea,
Hongkong, Singapur der Fall war. Diese vier »asiatischen Tigerstaaten« sind von
ihrer reinen Masse her für das heutige Industriesystem ohne weiteres noch
integrierbar, so gross sind die zusammen nicht. Bei China und Indien ist das anders.
Und so werden die Grenzen des Wachstums von einer theoretischen Grösse, über
die sich trefflich akademisch diskutieren liess, zu einer politischen Realität. Plötzlich
übersteigt die Nachfrage nach allen wesentlichen Rohstoffen für die herkömmliche
Form industrieller Entwicklung das, was der Planet hergibt, mit rasch steigender
Tendenz. Ich rede dabei nicht über den theoretischen Bedarf, sondern rein über die
auf dem Markt wirksam werdende kaufkräftige Nachfrage.
Für die alten Industrienationen wird das brutale Folgen haben. Zum ersten Mal reicht
unser Reichtum nicht mehr aus, alle die Rohstoffe einzukaufen, die wir brauchen,
um auch nur das bisherige ökonomische Niveau zu halten. Für einen global
agierenden multinationalen Konzern ist das kein Drama, dann wird eben in China
produziert, und zunehmend auch dort verkauft. Für Nationen, deren Sozialsysteme
auf diesen ungebrochenen Ressourcenzufluss angewiesen sind, sieht das leider
anders aus.
Nirgendwo wird dies deutlicher als beim Erdöl. Alles Kampfgeschrei der Autolobby,
jede Mineralölsteuersenkung oder Ökosteuerabschaffung kann die simple
Tatsache nicht aus der Welt schaffen, dass es inzwischen auf der Welt – und zwar
durchaus auch in sogenannten Entwicklungsländern – immer mehr Leute gibt, die
eine höhere Kaufkraft haben als beispielsweise eine deutsche Hartz 4 Empfängerin
oder ein britischer Arbeitsloser. Erfolgreiche Entwicklung nennt man das. Und
nun? 12 Mio Autos in China sind immer noch weit weniger als die 40 Mio in
Deutschland. Bei einer erfolgreichen Entwicklung Chinas auf das deutsche Niveau
würden dort allerdings 600 Mio Autos herumfahren oder im Stau stehen, soviel wie
heute auf der ganzen Welt. Und wer wollte China das Recht auf genausoviele Autos
pro Kopf wie Deutschland absprechen ?
Was machen wir nun mit dieser Erkenntnis? Man kann sich am Status Quo
festklammern und sagen, wenn wir unseren Lebensstandard in der bisher
bekannten resourcenintensiven Form nicht mehr halten können, dann machen wir
das eben nur noch für einen Teil der Gesellschaft. 90%, 80% oder auch noch
weniger – darüber streiten sich derzeit die Politiker. Manche sagen auch noch immer,
es müssen aber weiterhin 100% sein, aber dazu fehlt wohl inzwischen die
ökonomische Basis. Oder wir müssen uns von unseren unrealistischen
Wachstumsphantasien verabschieden und den Umbau der Industriegesellschaft auf
eine ökologisch nachhaltige Basis ernsthaft angehen. Früher oder später müssen
wir das sowieso, und je früher wir anfangen, desto eher kann das noch halbwegs
sozial gerecht ablaufen.
Geredet wird darüber schon lange und viel, oft genug auch viel Schwammiges und
Unkonkretes, vieles was theoretisch ganz nett klingt aber leider mit den
Lebensrealitäten wenig zu tun hat. Was wurden nicht als für philosophische
Traktate über Nachhaltigkeit und die Dreiecke, Vierecke oder Kreise ihrer
Dimensionen veröffentlicht, und zumindest ich war nach der Lektüre meist nicht viel
schlauer als vorher. Aber seien wir doch ehrlich, eigentlich ist doch klar was damit
gemeint ist. Es ist doch nicht so, dass Energiewende, Agrarwende,
Verkehrswende, Recyclingwirtschaft, eine Ökologisierung des Steuer- und
Finanzsystems, eine Regionalisierung der Wirtschaftskreisläufe usw völlig
unbekannte Dinge wären, wo wir noch nicht mal wüssten, in welche Richtung es
gehen soll. Das ist alles bekannt, es wird millionenfach in unserem Land und
woanders praktiziert, es gibt Millionen Menschen, die damit ihren Lebensunterhalt
verdienen. Und wenn wir den Einfluss der Bremser, die überall sitzen, reduzieren
könnten, dann würde in diese Richtung schon heute noch viel mehr passieren. Oft
genug machen wir, die Umweltbewegung, die globalisierungskritische Szene, uns
das Leben selber schwerer als nötig, wenn wir so tun, als müssten wir erst das Rad
neu erfinden bevor alles besser werden kann.
Diese Woche meldete der Bundesverband Erneuerbare Energien, dass im ersten
Halbjahr 2005 zum erstenmal die Erneuerbaren Energien einen höheren Anteil am
deutschen Endenergieverbrauch hatten als die Atomenergie, und das obwohl die
AKWs nach wie vor auf Hochtouren produzieren. Über 150000 Menschen verdienen
ihren Lebensunterhalt in der Branche der erneuerbaren Energien, zukunftssichere
Jobs in einer der wenigen Boombranchen in diesem Land, wenn sie nicht bestimmte
politische Kräfte demnächst abzuwürgen versuchen. Diese Woche stand in der
Süddeutschen Zeitung, der rasant steigende Spritpreis entwickele sich zielstrebig zu
einem Wettbewerbsvorteil für diejenigen in der Lebensmittelbranche, die noch
einigermassen regional produzieren und verkaufen, mit anderen Worten: diejenigen,
die den Just-in-time-Wahn noch nicht völlig verinnerlicht haben. Die absurden
Long-Distance-Transporte, Kartoffeln zum Waschen nach Polen, Joghurt zum
Abfüllen auf den Peloponnes usw. rentieren sich bald nicht mehr. Alles das
verbessert die Produktionsbedingungen und Marktchancen für regional
wirtschaftende Bauern und Verarbeiter, ob öko oder nicht öko, und es ist gut für
regionale Wertschöpfung. Die Krise und das absehbare Ende der
Autogesellschaft öffnet Chancen für lokale und regionale Mobilitätsdienstleister,
auch wenn sich die deutsche Politik mit Händen und Füssen dagegen sträubt. Aber:
Glauben Sie denn im Ernst, wenn in 10 Jahren jedes 2. Auto in China produziert wird
und der Automobilproduktionsstandort Deutschland für allenfalls noch für schmale
Luxussegmente interessant sein wird, dass dann VW und BMW noch soviel
politische Macht haben wie heute? Ich nicht. Heute sagen die, jeder 7.
Arbeitsplatz in Deutschland hängt am Auto, und dann brauchen wir bereits nicht
mehr weiterzudiskutieren. Wie lange noch? Die auf Arbeitsplätzen aufgebaute
Massenbasis der fossilen Energiewirtschaft, sei es in der Kohle, sei es im
Automobilbau, sei es in anderen Branchen, erodiert, und zwar nicht weil das
irgendjemand politisch will, sondern obwohl politisch versucht wird, das zu
verhindern. Wenn Branchen wie die erneuerbaren Energien immer neue
Arbeitsplätze schaffen, gewinnen sie auch an politischem Einfluss.
Ich sage das nicht, um hier einfach mal Optimismus zu verbreiten, weil mir das
deutsche Gejammer auf den Wecker geht, sondern um zu verdeutlichen, dass wir
vor einschneidenden Strukturbrüchen stehen, und wie immer gibt es dabei
Gewinner und Verlierer. Wer so tut, als könne das ohne Verlierer über die Bühne
gehen, macht sich und anderen etwas vor. Auch wir dürfen diesen Fehler nicht
machen.
Aber ich halte es für entscheidend wichtig, dass wir es schaffen, dass
durchsetzungsfähige Bündnisse derjenigen entstehen, die einen Strukturwandel
hin zur Nachhaltigkeit – ich nehme bewusst diesen schwammigen Begriff, weil mir
ein besserer nicht einfällt – wollen, und die von ihm auch ganz materiell profitieren
und damit Arbeitsplätze schaffen. Die Gesellschaft in diesem Land hat Angst vor der
Zukunft, sie akzeptiert widerstrebend dass es so nicht mehr weitergeht, und das
Ergebnis dieser Suche nach neuen Wegen ist durchaus offen. Wer die besseren
Konzepte, die überzeugenderen Visionen in die Debatte einbringt und mit
materiellen Interessenlagen verbinden kann, der wird sich durchsetzen. Wir
werden die neoliberale Ellenbogengesellschaft, die für kurzfristige Profitsteigerung
signifikante Teile der Gesellschaft ins soziale Abseits geraten lässt und die Umwelt
ruiniert, nur dann verhindern wenn wir den Menschen nicht nur Idealismus,
sondern auch materielle Perspektiven aufzeigen können. Und das können wir.
Dafür muss man keine politische Partei sein, die Parteien re-agieren heute weit mehr
auf gesellschaftliche Strömungen als dass sie sie selbst initiieren. Und ich finde, die
Umweltbewegung, die globalisierungskritische Bewegung hat hier weitaus mehr
Potenzial als das, was sie bisher daraus gemacht hat. Ich danke Ihnen für Ihre
Aufmerksamkeit.