Anrede Wenn man die Ehre hat, eine solche Veranstaltung zu eröffnen, dann wird gewöhnlich erwartet, dass man eine Art Orientierung zu geben versucht, vielleicht so ein bisschen einen roten Faden für die Tagung. Das ist angesichts der turbulenten Zeiten, in denen wir leben, sicherlich eine Herausforderung, aber ich will versuchen, ihr gerecht zu werden. Mit den turbulenten Zeiten meine ich jetzt weniger den Bundestagswahlkampf, sondern eher die Sackgasse des industriellen Entwicklungswegs klassischer Prägung, die immer deutlicher wird. 1971 kam die mittlerweile schon historische Studie eines Intellektuellenzirkels, genannt Club of Rome, heraus, mit der Überschrift »Die Grenzen des Wachstums«. Es war in der damaligen Zeit, als hohes Wirtschaftswachstum in den alten Industrieländern Europas, Nordamerikas und Japans noch stattfand, fast schon Ketzerei, und als 1973 die erste Ölkrise stattfand, stellte sich diese Frage plötzlich – schneller als erwartet - durchaus auch ganz realpolitisch. Aber sie geriet auch genausoschnell wieder in Vergessenheit, und obwohl die Mega-Wachstumsraten nie wieder kehrten, der Glaube an die üppig vorhandenen Ressourcen kehrte schnell zurück. Ganz im Hinterkopf konnte zwar niemand wirklich bestreiten, dass die Grenzen des Wechstums damit nicht vom Tisch waren, sondern sie lediglich deutlich später eintreten würden als der Club of Rome sich das gedacht hatte, aber so ist das nun mal mit den Prognosen. Und obwohl es eigentlich logisch ist, dass Wachstum nicht unendlich sein kann, sträubt sich die Menschheit doch – keineswegs nur Regierungen und Konzernführungen sondern letztlich wir alle - mit Haut und Haaren gegen die Erkenntnis, dass es auf einem endlichen Planeten nun mal kein unendliches Wachstum geben kann, sondern nur Kreisläufe. Wie absurd wirkt vor diesem Hintergrund der gegenwärtige Bundestagswahlkampf. Mehr Wachstum, mehr Arbeit wird uns da suggeriert, als ob es möglich wäre auch nur einen nennenswerten Anteil von 5 Mio Arbeitslosen durch »mehr Wachstum« mit Jobs zu versorgen. Aber solche Wachstumsgläubigkeit gibt es ja nicht nur bei uns. In diesen Tagen findet in New York wieder einer der berühmten Gipfeltreffen statt, 170 Staatschefs beschwören wortreich und manche auch weniger wortreich die Milenniums-Entwicklungsziele, auch MDGs genannt. Verabschiedet vor 5 Jahren, sind diese für viele Menschen auf diesem Planeten die Grundlage für die blosse Existenz – Halbierung des Hungers, der Kindersterblichkeit, der Müttersterblichkeit, Kampf gegen Epidemien wie AIDS und Malaria, elementare Grundbildung usw. Schon jetzt ist absehbar, dass sie weitgehend verfehlt werden, nicht überall, aber in der globalen Gesamtschau. Aber fast noch erschreckender als diese Tatsache ist die Ratlosigkeit, wie das eigentlich geschehen sollte. Das Rezept, das dabei meist hervorgeholt wird, ist wirtschaftliche Entwicklung nach dem klassischen Muster. Und so wird inzwischen – wieder, muss man sagen – wieder die Höhe der Entwicklungshilfe zum fast schon alleinigen Massstab erkoren. Aber was für eine Entwicklung wird denn da versucht voranzubringen? Wenn wir uns anschauen, wass etwa die Weltbank unter Entwicklung versteht und was sie finanziert, dann kommen genau die alten Konzepte zum Vorschein, im Grunde wird ein Industriesystem Europas oder Nordamerikas zum Vorbild genommen und versucht zu kopieren. Integration in die Weltwirtschaft, nicht nachhaltige Ausbeutung der Rohstoffe, selektiver Aufbau von Produktionsstandorten, Öffnung der Märkte – Sie kennen das. Das alles findet vor dem Hintergrund fast schon atemberaubender Preissteigerungen bei fast allen wesentlichen Rohstoffen statt, Erdöl allen voran, aber auch Erdgas, Kohle, Eisenerz, Stahl, Aluminium, Kupfer, Nickel, usw. Hauptgrund dafür ist die erfolgreiche Entwicklungsdynamik im Grunde von nur zwei Ländern, China und Indien. Die enorme Dynamik, die dort in Gang gekommen ist, hat ganz andere Auswirkungen als das bei den Vorbildern Taiwan, Südkorea, Hongkong, Singapur der Fall war. Diese vier »asiatischen Tigerstaaten« sind von ihrer reinen Masse her für das heutige Industriesystem ohne weiteres noch integrierbar, so gross sind die zusammen nicht. Bei China und Indien ist das anders. Und so werden die Grenzen des Wachstums von einer theoretischen Grösse, über die sich trefflich akademisch diskutieren liess, zu einer politischen Realität. Plötzlich übersteigt die Nachfrage nach allen wesentlichen Rohstoffen für die herkömmliche Form industrieller Entwicklung das, was der Planet hergibt, mit rasch steigender Tendenz. Ich rede dabei nicht über den theoretischen Bedarf, sondern rein über die auf dem Markt wirksam werdende kaufkräftige Nachfrage. Für die alten Industrienationen wird das brutale Folgen haben. Zum ersten Mal reicht unser Reichtum nicht mehr aus, alle die Rohstoffe einzukaufen, die wir brauchen, um auch nur das bisherige ökonomische Niveau zu halten. Für einen global agierenden multinationalen Konzern ist das kein Drama, dann wird eben in China produziert, und zunehmend auch dort verkauft. Für Nationen, deren Sozialsysteme auf diesen ungebrochenen Ressourcenzufluss angewiesen sind, sieht das leider anders aus. Nirgendwo wird dies deutlicher als beim Erdöl. Alles Kampfgeschrei der Autolobby, jede Mineralölsteuersenkung oder Ökosteuerabschaffung kann die simple Tatsache nicht aus der Welt schaffen, dass es inzwischen auf der Welt – und zwar durchaus auch in sogenannten Entwicklungsländern – immer mehr Leute gibt, die eine höhere Kaufkraft haben als beispielsweise eine deutsche Hartz 4 Empfängerin oder ein britischer Arbeitsloser. Erfolgreiche Entwicklung nennt man das. Und nun? 12 Mio Autos in China sind immer noch weit weniger als die 40 Mio in Deutschland. Bei einer erfolgreichen Entwicklung Chinas auf das deutsche Niveau würden dort allerdings 600 Mio Autos herumfahren oder im Stau stehen, soviel wie heute auf der ganzen Welt. Und wer wollte China das Recht auf genausoviele Autos pro Kopf wie Deutschland absprechen ? Was machen wir nun mit dieser Erkenntnis? Man kann sich am Status Quo festklammern und sagen, wenn wir unseren Lebensstandard in der bisher bekannten resourcenintensiven Form nicht mehr halten können, dann machen wir das eben nur noch für einen Teil der Gesellschaft. 90%, 80% oder auch noch weniger – darüber streiten sich derzeit die Politiker. Manche sagen auch noch immer, es müssen aber weiterhin 100% sein, aber dazu fehlt wohl inzwischen die ökonomische Basis. Oder wir müssen uns von unseren unrealistischen Wachstumsphantasien verabschieden und den Umbau der Industriegesellschaft auf eine ökologisch nachhaltige Basis ernsthaft angehen. Früher oder später müssen wir das sowieso, und je früher wir anfangen, desto eher kann das noch halbwegs sozial gerecht ablaufen. Geredet wird darüber schon lange und viel, oft genug auch viel Schwammiges und Unkonkretes, vieles was theoretisch ganz nett klingt aber leider mit den Lebensrealitäten wenig zu tun hat. Was wurden nicht als für philosophische Traktate über Nachhaltigkeit und die Dreiecke, Vierecke oder Kreise ihrer Dimensionen veröffentlicht, und zumindest ich war nach der Lektüre meist nicht viel schlauer als vorher. Aber seien wir doch ehrlich, eigentlich ist doch klar was damit gemeint ist. Es ist doch nicht so, dass Energiewende, Agrarwende, Verkehrswende, Recyclingwirtschaft, eine Ökologisierung des Steuer- und Finanzsystems, eine Regionalisierung der Wirtschaftskreisläufe usw völlig unbekannte Dinge wären, wo wir noch nicht mal wüssten, in welche Richtung es gehen soll. Das ist alles bekannt, es wird millionenfach in unserem Land und woanders praktiziert, es gibt Millionen Menschen, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Und wenn wir den Einfluss der Bremser, die überall sitzen, reduzieren könnten, dann würde in diese Richtung schon heute noch viel mehr passieren. Oft genug machen wir, die Umweltbewegung, die globalisierungskritische Szene, uns das Leben selber schwerer als nötig, wenn wir so tun, als müssten wir erst das Rad neu erfinden bevor alles besser werden kann. Diese Woche meldete der Bundesverband Erneuerbare Energien, dass im ersten Halbjahr 2005 zum erstenmal die Erneuerbaren Energien einen höheren Anteil am deutschen Endenergieverbrauch hatten als die Atomenergie, und das obwohl die AKWs nach wie vor auf Hochtouren produzieren. Über 150000 Menschen verdienen ihren Lebensunterhalt in der Branche der erneuerbaren Energien, zukunftssichere Jobs in einer der wenigen Boombranchen in diesem Land, wenn sie nicht bestimmte politische Kräfte demnächst abzuwürgen versuchen. Diese Woche stand in der Süddeutschen Zeitung, der rasant steigende Spritpreis entwickele sich zielstrebig zu einem Wettbewerbsvorteil für diejenigen in der Lebensmittelbranche, die noch einigermassen regional produzieren und verkaufen, mit anderen Worten: diejenigen, die den Just-in-time-Wahn noch nicht völlig verinnerlicht haben. Die absurden Long-Distance-Transporte, Kartoffeln zum Waschen nach Polen, Joghurt zum Abfüllen auf den Peloponnes usw. rentieren sich bald nicht mehr. Alles das verbessert die Produktionsbedingungen und Marktchancen für regional wirtschaftende Bauern und Verarbeiter, ob öko oder nicht öko, und es ist gut für regionale Wertschöpfung. Die Krise und das absehbare Ende der Autogesellschaft öffnet Chancen für lokale und regionale Mobilitätsdienstleister, auch wenn sich die deutsche Politik mit Händen und Füssen dagegen sträubt. Aber: Glauben Sie denn im Ernst, wenn in 10 Jahren jedes 2. Auto in China produziert wird und der Automobilproduktionsstandort Deutschland für allenfalls noch für schmale Luxussegmente interessant sein wird, dass dann VW und BMW noch soviel politische Macht haben wie heute? Ich nicht. Heute sagen die, jeder 7. Arbeitsplatz in Deutschland hängt am Auto, und dann brauchen wir bereits nicht mehr weiterzudiskutieren. Wie lange noch? Die auf Arbeitsplätzen aufgebaute Massenbasis der fossilen Energiewirtschaft, sei es in der Kohle, sei es im Automobilbau, sei es in anderen Branchen, erodiert, und zwar nicht weil das irgendjemand politisch will, sondern obwohl politisch versucht wird, das zu verhindern. Wenn Branchen wie die erneuerbaren Energien immer neue Arbeitsplätze schaffen, gewinnen sie auch an politischem Einfluss. Ich sage das nicht, um hier einfach mal Optimismus zu verbreiten, weil mir das deutsche Gejammer auf den Wecker geht, sondern um zu verdeutlichen, dass wir vor einschneidenden Strukturbrüchen stehen, und wie immer gibt es dabei Gewinner und Verlierer. Wer so tut, als könne das ohne Verlierer über die Bühne gehen, macht sich und anderen etwas vor. Auch wir dürfen diesen Fehler nicht machen. Aber ich halte es für entscheidend wichtig, dass wir es schaffen, dass durchsetzungsfähige Bündnisse derjenigen entstehen, die einen Strukturwandel hin zur Nachhaltigkeit – ich nehme bewusst diesen schwammigen Begriff, weil mir ein besserer nicht einfällt – wollen, und die von ihm auch ganz materiell profitieren und damit Arbeitsplätze schaffen. Die Gesellschaft in diesem Land hat Angst vor der Zukunft, sie akzeptiert widerstrebend dass es so nicht mehr weitergeht, und das Ergebnis dieser Suche nach neuen Wegen ist durchaus offen. Wer die besseren Konzepte, die überzeugenderen Visionen in die Debatte einbringt und mit materiellen Interessenlagen verbinden kann, der wird sich durchsetzen. Wir werden die neoliberale Ellenbogengesellschaft, die für kurzfristige Profitsteigerung signifikante Teile der Gesellschaft ins soziale Abseits geraten lässt und die Umwelt ruiniert, nur dann verhindern wenn wir den Menschen nicht nur Idealismus, sondern auch materielle Perspektiven aufzeigen können. Und das können wir. Dafür muss man keine politische Partei sein, die Parteien re-agieren heute weit mehr auf gesellschaftliche Strömungen als dass sie sie selbst initiieren. Und ich finde, die Umweltbewegung, die globalisierungskritische Bewegung hat hier weitaus mehr Potenzial als das, was sie bisher daraus gemacht hat. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
© Copyright 2024 ExpyDoc