MONATSSPRUCH November 2015

MONATSSPRUCH
November 2015
„Erbarmt euch derer, die zweifeln“
(Brief des Judas 22)
Liebe Leserinnen und Leser,
Wenn man aus dem Neuen Testament bestimmte Passagen auswählt, könnte der Eindruck
entstehen, Glaube und Zweifel schließen einander aus; wer zweifelt oder kritisiert, wird getadelt. Es klingt dort entsprechend, als ob kritische Nachfragen nicht erlaubt wären. Und selbst
Jesus ist hier klar und sagt unmissverständlich: Der Glaube, der Berge versetzt, ist Glaube
ohne Zweifel (Markus 11,23). Geht demnach, verkürzt ausgedrückt: nur ganz oder gar nicht?
Natürlich sollten Menschen, die etwas erreichen wollen, in der eigenen Sache nicht zugleich
die größten Bedenkenträger sein. Das kann man in diesen Tagen besonders gut in allen
Diskussionen um eine geordnete und angemessene Politik im Umgang mit der Flüchtlingsfrage sehen. Es braucht Mut und Entschlusskraft, Entscheidungen auch gegen bürokratische
Hürden zu vertreten und durchaus zur Bewältigung der Aufgaben das Herz sprechen zu
lassen. Wir sehen und erleben Politikerinnen und Politiker ganz verschiedener politischer
Gruppierungen, die die Flüchtlinge und ihre Not zur Herzensangelegenheit machen und bei
denen für uns sichtbar Ausstrahlung, Handeln und Überzeugung übereinstimmen.
Der kleine Bibelvers aus dem Brief des Judas nimmt allerdings auch die Zweifler in den
Blick, die Gute Nachricht übersetzt es so „Mit denen, die im Glauben unsicher geworden
sind, habt Erbarmen und kümmert euch um sie“. Die Gemeinde, an die Judas geschrieben
hat, war nämlich in eine Krise geraten. Es gab Streit über den richtigen Glauben, über angemessenes Verhalten. Gemeindeglieder, die enge Gemeinschaft hatten, waren sich darüber fremd geworden, viele waren orientierungslos zwischen den verhärteten Fronten. Jetzt
ging es darum, die Verunsicherten und Irritierten zu verstehen und sie ernst zu nehmen. Sich
erbarmen kann heißen: sich umeinander kümmern, aneinander dran bleiben, füreinander
Interesse zeigen. Das würde einen geschwisterlich-christlichen Umgang prägen und deutlich
machen. Wer wollte selbst als Christ ehrlich von sich sagen: „Meine Überzeugungen sind
unerschütterlich, meine Taten sind stimmig, die Flut der widersprüchlichen Argumente
berührt mich nicht“. Glaube und Zweifel gehören beim Menschen zusammen, sie sind wie
Ein- und Ausatmen. Vollmundigkeit in allen Belangen ist fehl am Platz, wir können nicht nur
auf Stärke setzen, geschweige denn auf das alleinige Recht des Stärkeren.
Ein Gebet kann uns auch in Zeiten des Zweifels begleiten:
„Gott, ich möchte dir meine Fragen und Unsicherheiten nennen, dir sagen, dass sie mich an
manchen Tagen bedrücken. Ich fühle mich dann hilflos im Strudel der vielen Meinungen.
Dich bitte ich in diesen Momenten ganz besonders um dein Geleit. Damit ich deinen Weg
und mich wiederfinden kann“
Es grüßt Sie
Pfarrerin Friederike Pfaff-Gronau
Theologischer Vorstand