Markus 14,17-26 - Weigle-Haus

Liebe Gemeinde,
es ist völlig egal, was heute Abend passiert:
Ob die Präsentation ausfällt und wir keine Texte mehr an die Wand projizieren
können,
ob jemand den seinen Traubensaft quer über den ganzen Tisch ausgießt
oder ob ich gleich mittendrin vergesse, was ich eigentlich sagen wollte.
Eins steht von vorneherein fest:
Es kann nicht schlimmer werden als das letzte Abendmahl, das Jesus mit seinen
Jüngern gefeiert hat!
Die Einsetzung unseres christlichen Abendmahls muss stimmungsmäßig ein
Desaster gewesen sein!
Die Feier begann mit ein paar handfesten Vorwürfen.
Sie endete abrupt mit dem Ausstieg des Gastgebers.
Aber um die Form zu wahren, sangen die Beteiligten am Ende die üblichen
Loblieder.
Im Prinzip berichtet uns der Evangelist Markus in seinem 14. Kapitel von einer total
misslungenen Feier:
(Mk 14,17).
Zum Auftakt verdächtigt Jesus einen seiner Jünger
– aber ohne, dass er sagt, welchen genau er meint.
Wir wissen da mehr.
Aber wie betreten müssen sich die Jünger damals gefühlt haben:
Bin ich es etwa?
Jesus hatte Recht:
Judas hatte den Hohepriestern versprochen, dass er ihnen Jesus ausliefern würde.
Es heißt, er habe von da an auf eine günstige Gelegenheit gewartet.
Ob Judas dabei an das Passah-Fest gedacht hat?
Ob er diese Massenveranstaltung für eine günstige Gelegenheit hielt?
Wir wissen ja auch wenig über Judas’ Motive:
Ging es ihm das Geld, das die Hohenpriester versprochen hatten?
Oder wollte er um jeden Preis eine Entscheidung herbeiführen, nötigenfalls auch mit
Gewalt? Darüber können wir lange spekulieren.
Darauf kommt es aber nicht an.
Fest steht, dass ohne Judas alles anders gelaufen wäre.
Womöglich wäre Jesus nicht gefasst worden.
Ihm wäre vielleicht nicht in aller Eile der Prozess gemacht worden – mitten in der
Passah-Woche!
Es musste damals ja alles so schnell gehen.
Am Ende hätte er möglicherweise nicht am Kreuz gehangen, und unsere ganze
christliche Heilsgeschichte wäre im Eimer.
Ohne Judas gäbe es keine christliche Kirche, kein Weigle-Haus und wir hätten als
Heiden keinen Zugang zum Heil.
Judas hat Jesus verraten.
Auch im Deutschen ist das Wort doppeldeutig:
Man kann jemanden verraten in Sinne von „verraten und verkaufen“.
Eine Freundschaft zum Beispiel kann man verraten, und dann stellt sich heraus,
dass sie nicht echt war.
Das ist gemein.
Man kann aber auch ein Geheimnis verraten.
Darüber freut sich zumindest derjenige, der das Geheimnis erfährt.
Oft ist es sogar notwendig, dass jemand Geheimnisse offen legt, für Transparenz
sorgt.
Das griechische Wort für „verraten“ hat noch mehr Bedeutungen.
Es bezeichnet auch ein „Ausliefern“ oder „Weitergeben“.
Judas hat Jesus ausgeliefert, weitergegeben.
Und davon leben wir alle!
Der Evangelist Lukas erklärt zu Beginn seines Buches, dass er aufgeschrieben habe,
was ihm andere WEITERGEGEBEN haben.
Er verwendet das selbe Wort wie bei Judas.
Oder, wenn Ihr so wollt:
VERRATEN haben.
Wenn es nicht Menschen gegeben hätte, die Jesus, die frohe Botschaft, das
Evangelium, weitergaben, dann hätten wir vom Heil in Christus nie erfahren!
Uns hat Judas einen Dienst erwiesen.
Aber trotzdem steht da diese schreckliche Drohung Jesu:
Es wäre besser für ihn gewesen, wenn er nie geboren worden wäre.
Und es stimmt, damit hat sich Judas ins Unglück und in Verzweiflung gestürzt.
Die anderen Evangelisten berichten, dass er sich am Ende selbst getötet habe.
Der Bericht des Markus schweigt darüber.
Judas hat Jesus ausgeliefert.
Und das geht immer weiter:
In jedem Gottesdienst wird Jesus an die Menschheit ausgeliefert.
Besonders deutlich wird das, wenn wir miteinander Abendmahl feiern:
In Brot und Wein liefert sich Christus uns aus.
Wir nehmen ihn in uns auf.
So hat Jesus das Passah-Mahl für uns umgedeutet.
Er hat sich hingegeben – für viele.
Hingegeben für alle, die davon essen – also auch für Judas.
Judas war einer von denen, die mit ihm zusammen ihren Bissen in die Schüssel
eintauchten.
Eintauchen – das griechische Wort für Taufe übrigens.
Eintauchen – im Passah-Mahl werden unterschiedliche Bissen in verschiedene
Schüsseln eingetaucht.
Ungesäuertes Brot in eine süße Fruchtmischung zum Beispiel.
Aber auch bittere Kräuter in Salzwasser, um an die Tränen der Sklaverei in Ägypten
zu erinnern.
Judas und Jesus tauchen ihren Bissen in die gleiche Schüssel.
Judas hat die Tränen Jesu geteilt.
Er war verzweifelt, als ihm klar wurde, was er tat.
Ist uns gleichermaßen klar, was wir tun, wenn wir Jesus verkündigen?
Wenn wir ihn ausliefern, weitergeben an die Menschen in unserer Umgebung?
„Wehe ihm, es wäre besser für ihn, wenn er nie geboren worden wäre!“ hat Jesus
gesagt.
Das zeigt, was es bedeutet, wenn Gott uns sein Wertvollstes ausliefert.
Wer die Geschichte von Judas vor Augen hat, der weiß, welches Drama hier
passiert.
Wir gehen mit dem Göttlichen um, das in unsere Hand gegeben ist.
Wir stehen damit in großer Verantwortung.
Aber das soll uns keine Angst machen.
Gott will ja, dass Jesus ausgeliefert – weitergegeben – wird.
Jesus hat nicht verhindert, dass ihn die Söldner gefangen nahmen.
Im Garten Gethsemane sind keine himmlischen Heerscharen erschienen, ihn zu
schützen.
So muss die Schrift erfüllt werden, erklärt Jesus.
Gott will uns sein Liebstes überantworten.
Eingangs sagte ich, dass der Gastgeber das Fest vorzeitig beendet hat.
Mittendrin im Mahl erklärt er:
Nehmt ihr den Kelch, ich werde erst im Reich Gottes wieder von der Frucht des
Weinstocks trinken.
Gemäß den Einsetzungsworten des Abendmahls war es der „Kelch nach dem Mahl“,
den Jesus genommen hat.
Nach der Ordnung des Passah-Mals also der dritte Kelch.
Es gibt noch einen vierten und fünften.
Der dritte Kelch leitet die zweite Hälfte des Festes ein.
Jedes Glas Wein hat in der Festordnung seine besondere Bedeutung.
Sie alle weisen auf die Erlösung hin.
Passah, das ist das Fest der Erlösung aus der Sklaverei.
Der dritte Kelch ist der Kelch der inneren Erlösung und Befreiung.
Die innere Freiheit bewahrt den Menschen davor, jemals wieder versklavt zu werden.
Diesen Kelch der Erlösung nimmt Jesus nicht selber, sondern er gibt ihn seinen
Jüngern.
Für sich nimmt er einen anderen Kelch, den Leidenskelch, wie er ihn später, im
Garten Gethsemane nennen wird.
Jesus gibt sich hin.
Für alle, die an seinem Mahl Anteil haben.
Er gibt sich auch hin für Judas, der Jesus ausgeliefert hat.
Er gibt sich auch hin für uns, die wir ihn immer wieder ausliefern, ja, ausliefern
müssen.
Es muss eine abgründig missratene Feier gewesen sein, dieses erste Abendmahl.
So schlecht können wir es als Gemeinde heute kaum feiern.
Aber am Ende sangen sie dennoch das Gotteslob, das große Hallel.
Es mündet ein in den Psalm 118.
Da singt der Psalmbeter:
ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werke verkündigen.
Dieses abgründig missratene Fest war nur ein Anfang.
Jesus wird es vollenden in seinem Festmahl in der Herrschaft Gottes.
Darauf leben wir hin.
Dieses kommende Fest haben wir vor Augen, wenn wir heute unser Liebesmahl
feiern.