Meine Dämonen - Stefan Ebertsch

Meine Dämonen
Sie haben verschiedene Namen, meine Dämonen, ich kenne immer noch nicht alle. Sie
tauchen manchmal nachts auf, rauben mir den Schlaf, und erst dachte ich, die
Schlaflosigkeit selber ist ein Dämon. Aber jetzt weiß ich, hinter der Schlaflosigkeit stecken
gleich mehrere Geister. Und diese sind auch tagsüber aktiv. Einer davon heißt „Sei nett“,
ein anderer „Machs dir bequem“ oder „Rette die Welt“. Ich erkenne die meisten daran,
dass sie ein Ausrufezeichnen haben oder mit "Du musst …" oder "Du darfst nicht …"
anfangen.
Aber sie haben alle eins gemeinsam, sie sind Diebe und Wegelagerer, sie rauben mir
Energie und Zeit.
Ich habe die Dämonen lange beobachtet und weiß inzwischen, wann sie kommen und wo
sie sich verstecken. Ein Unterschlupf heißt „Die allgemeine Ordnung“, ein anderer „Tu,
was du willst“, ein dritter „Genug ist nicht genug“. Und stell dir vor, manche Dämönen
belagern sogar Dinge und machen diese frühzeitig kaputt oder ändern ihren
Verwendungszweck.
Die Dämonen organisieren seit Urzeiten aus ihren Unterschlüpfen heraus jeden ihrer
perfiden Überfälle. Und ich weiß, sie haben eine unüberschaubare Heerschar an Helfern
und Helfershelfern, diese haben Wege und Straßen angelegt, die das ganze Land
überziehen. Und die Wege, die sie am besten pflegen, führen am nächsten an ihren
Räuberhöhlen vorbei.
Und deshalb habe ich mich bewaffnet und trage auf meinen Traumreisen einen goldenen
Bogen und Pfeile, die ich aus einem bunt bemalten Köcher ziehe, sobald ich einen Dämon
erkenne. Dann setze ich den Pfeil auf die Sehne, spanne, ziele und schieße meinem
Gegenüber mitten ins Herz. Und der Dämon fällt dann röchelnd, wie in einem schlecht
gemachten Film, zu Boden.
Dann fühle ich mich gut und ich sage zu dem am Boden Liegenden: »Ich kenne dich, du
kannst mir nichts anhaben!«, obwohl er es meist gar nicht mehr hören kann.
Jeder Tote schwächt die Dämonen, aber besiegen kann ich sie nicht, es sind zu viele.
Aber wenn mir auf meinem Weg zu viele begegnen, dann weiß ich, dass ich mich
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verlaufen habe. Dann muss ich umkehren und den richtigen Abzweig finden. Und das ist
viel Arbeit, denn es passiert, dass die letzte Weggabelung lange zurückliegt oder der Weg
inzwischen verschüttet ist.
Deshalb ist es wichtig, immer wachsam zu sein und nie nachlässig zu werden, nicht dass
ich etwa denke, ach, das ist ja gar kein Dämon, sondern nur eine nette alte Frau, die mir
den Weg weisen will.
Und schon wieder wäre ich ausgetrickst und könnte eine Nacht nicht schlafen.
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