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Praxis – Schweiz
Mit User-centered Design zu besserem
E-Government
Der Verkehr mit den Behörden gilt oft als umständlich, bürokratisch und intransparent. Durch die elektronische Abwicklung von Geschäften liesse sich diese Wahrnehmung grundsätzlich verbessern. Aber nur, wenn
die künftigen Anwenderinnen und Anwender frühzeitig und konsequent in die Entwicklung elektronischer
Dienstleistungen einbezogen werden, lässt sich die Kundenfreundlichkeit nachhaltig steigern.
Philipp Murkowsky
Puzzle ITC GmbH
Head of User Experience
[email protected]
Eine effiziente und bürgernahe Verwaltung ist ein erklärtes Ziel der aktuellen E-Government-Strategie des Bundes1. Durch die
elektronische Abwicklung von Geschäften
können Hürden abgebaut und Abläufe vereinfacht werden. Allerdings genügt es nicht,
die bestehenden Abläufe einfach zu digitalisieren. Vielmehr müssen die Bedürfnisse
und Erwartungen der Kundinnen und Kunden von Anfang an in die Entwicklung von
E-Government-Dienstleistungen einbezogen
werden.
Benutzerfreundlichkeit als Schlüsselfaktor
Zu diesem Schluss kommt auch der «EU eGovernment Report
2014»2: Die öffentliche Verwaltung sei sich zwar zunehmend bewusst, dass es wichtig ist, die elektronischen Dienstleistungen
nutzerfreundlich zu gestalten. Der Fokus liege aber oft noch primär
darauf, die Dienstleistungen überhaupt online verfügbar zu machen.
Dadurch bestehe immer noch viel Potenzial in den Bereichen Benutzerfreundlichkeit, Geschwindigkeit und Transparenz. Wenn dort
keine spürbaren Verbesserungen erzielt würden, bestehe die Gefahr,
dass die Bürgerinnen und Bürger das Vertrauen in die E-Government-Dienstleistungen verlieren und auf deren Nutzung verzichten.
Eine hohe Benutzerfreundlichkeit ist also eine zentrale Anforderung an E-Government-Anwendungen. Um sie zu erfüllen, hat
sich die Methode des User-centered Design bewährt. Sie stammt
ursprünglich aus der Softwareentwicklung, lässt sich aber ohne
Weiteres auf Dienstleistungen übertragen. Wie der Name vermuten
lässt, geht es darum, die Perspektive der Kundinnen und Kunden
während der Entwicklung konsequent und systematisch zu berücksichtigen.
Der User-centered-Design-Prozess lässt sich grob in vier Phasen
einteilen. Er ähnelt den klassischen Entwicklungsmethoden, ist
aber iterativ, das heisst, die einzelnen Phasen werden mehrfach
durchlaufen, bis das gewünschte Ergebnis erreicht ist.
Anforderungen gemeinsam mit Kunden festlegen
In der Phase der Anforderungsanalyse – im Jargon User Research
genannt – wird erhoben, wer die Kunden oder Kundengruppen sind,
welche Bedürfnisse sie haben und in welchem Kontext sie sich befinden. Je nach Ausgangslage gibt es verschiedene geeignete Methoden, um diese Punkte zu ermitteln. Allerdings muss darauf
geachtet werden, dass man sich nicht auf Mutmassungen und Behauptungen verlässt, sondern diejenigen Personen involviert, welche die entsprechende Dienstleistung effektiv beanspruchen.
In dieser Phase ist es sehr hilfreich, mit Vertretern aus den jeweiligen Ämtern und Behörden zu sprechen, um herauszufinden,
welche Schwierigkeiten und Verständnisprobleme bei ihren Kunden
typischerweise auftauchen. Potenzielle Hürden können so frühzeitig identifiziert und bei der Konzeption berücksichtigt werden.
Es darf aber nicht erwartet werden, dass alle Ansprüche von
vornherein identifiziert und lückenlos dokumentiert werden können. Es ist vielmehr so, dass manche Anforderungen erst zu einem
späteren Zeitpunkt auftauchen oder sich während der Projektlaufzeit verändern. Daher ist das iterative Vorgehen ein zentrales Prinzip des User-centered-Design-Prozesses.
Konzepte früh visualisieren
Im Unterschied zu den klassischen Projektmanagementmethoden wird im User-centered Design vorwiegend visuell gearbeitet.
Anstatt lange Anforderungskataloge und Konzepte zu verfassen,
werden Prozesse, Abläufe und Screens direkt visualisiert.
Anforderungsanalyse
Konzept
Prototyp
Evaluation
Implementation
Die vier Phasen des User-centered Design
Der Hauptgrund für dieses Vorgehen liegt in der Komplexität
moderner Dienstleistungen. Für die Kundschaft ist nur ein kleiner
Teil des Ganzen sichtbar, das meiste läuft hinter den Kulissen ab.
Auch die verschiedenen Stakeholder kennen oft nur einen Ausschnitt des gesamten Prozesses. Um ein stimmiges Konzept zu entwickeln, das die Perspektive der Anwenderinnen und Anwender
mit den fachlichen, juristischen, technischen und betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen vereint, ist es unerlässlich, dass
alle involvierten Parteien ein gemeinsames Verständnis entwickeln.
Klassische Pflichtenhefte und Anforderungsspezifikationen sind
nicht nur umfangreich, sondern meistens auch abstrakt formuliert
und lassen einen grossen Interpretationsspielraum zu. Dies führt
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Praxis – Schweiz
fast unweigerlich zu Missverständnissen, Mehrkosten und Verzögerungen.
Ein Prototyp ist wesentlich anschaulicher und nachvollziehbarer als ein Pflichtenheft. Ob Businessanalystin, Anwendervertreter,
Entwickler, Projektleiter oder Auftraggeberin: Alle sehen das Gleiche, sprechen über das Gleiche und können nun effektiv prüfen, ob
das Produkt dem gewünschten Umfang entspricht. Die Projektrisiken können so wesentlich verringert werden. Erfahrungsgemäss
können auch die technische Umsetzbarkeit und allfällige Implementationsrisiken deutlich besser beurteilt werden als bei klassischen Spezifikationsdokumenten. Daher eignen sich Prototypen
auch als Vorgabe für Beschaffungs- und Ausschreibungsverfahren.
Probleme lösen, bevor sie entstehen
Ob eine Anwendung benutzerfreundlich ist oder nicht, lässt sich
am besten mit sogenannten Usability-Tests überprüfen. Dabei lösen
die User selbstständig verschiedene Aufgaben (Szenarien) am Computer und werden dabei von erfahrenen Usability-Spezialisten beobachtet. So wird sichergestellt, dass das effektive Verhalten der
User beobachtet wird und nicht bloss Meinungen über die Benutzerfreundlichkeit erhoben werden. Für aussagekräftige Ergebnisse
genügen Usability-Tests mit fünf bis acht Personen 3.
Frühe Visualisierungen erleichtern die Konzeption.
Da die Usability-Tests direkt am Prototyp durchgeführt werden,
kann man Usability-Probleme frühzeitig erkennen und beheben.
Allfällige Änderungen können somit unmittelbar ins Konzept einfliessen, was die Gesamtkosten deutlich reduziert. Werden Usability-Tests erst mit dem «fertigen» System durchgeführt, lassen sich
Änderungen oft nur noch mit hohem Aufwand oder wegen Termindruck und Budgetrestriktionen nur noch unvollständig umsetzen.
Prototypen schaffen Klarheit
Iteratives Vorgehen zahlt sich aus
Das erarbeitete Konzept wird anschliessend in einem Prototyp
umgesetzt. Im User-centered Design ist ein Prototyp normalerweise nonfunktional, das heisst, es wird nur der sichtbare Teil – das
sogenannte Front-End – umgesetzt. Das Gesamtsystem wird also
nur simuliert, und die Anbindung an die Back-End-Systeme fehlt.
Zu diesem Zeitpunkt können also noch umfangreiche, konzeptuelle Änderungen vorgenommen werden, ohne dass aufwendige Neuentwicklungen notwendig sind.
In der Regel müssen Konzept und Prototyp zwei bis drei Mal
überarbeitet und verbessert werden, bevor man mit der effektiven
Implementation beginnen kann. Auf den ersten Blick scheint dies
ein Projekt zu verteuern. Untersuchungen zeigen aber, dass sich
diese Investitionen rasch auszahlen4. Eine hohe Benutzerfreundlichkeit ist zudem eine notwendige Voraussetzung für qualitativ
gute E-Government-Dienstleistungen und für ein positives Image
der öffentlichen Verwaltung.
1http://www.egovernment.ch/egov/00833/00834/
2https://ec.europa.eu/digital-agenda/en/news/eu-egovernment-re-
port-2014-shows-usability-online-public-services-improving-not-fast
Fallbeispiele
Der Kanton Bern hat den Webauftritt der gesamten Kantonsverwaltung konsequent nach dem Prinzip des User-centered Design
konzipiert und umgesetzt. Informationsarchitektur, Design und
Inhalte wurden in mehreren Iterationen erarbeitet und in Usability-Tests auf ihre Benutzerfreundlichkeit überprüft, bevor sie
technisch umgesetzt wurden. Das Konzept bewährt sich nun schon
seit mehreren Jahren, und andere Kantonsverwaltungen haben
sich ebenfalls für dieses Vorgehen entschieden.
Auch die britische Regierung setzt bei der Entwicklung von E-Gov­
ernment-Dienstleistungen auf konsequente Nutzerorientierung.
Sie hat einen entsprechenden Servicestandard entwickelt 5 , der
von allen neu entwickelten oder überarbeiteten Services eingehalten werden muss.
3http://www.nngroup.com/articles/usability-101-introduction-to-usability/
4http://www.usability.gov/what-and-why/benefits-of-ucd.html
5https://www.gov.uk/service-manual