Michael Wolgast, Chefvolkswirt des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands: Dass die Fed jetzt wie allgemein erwartet einen ersten Schritt in der Anhebung der Leitzinsen gegangen ist, ist richtig und überfällig. Schon im Oktober wäre ein solcher Schritt sinnvoll gewesen. Entscheidend ist nun, dass sich die Fed von ihrem Kurs nicht abbringen lässt und auch die Kraft zu weiteren Zinsschritten findet. Nur so kann der Ausstieg aus dem Nullzinsumfeld zunächst in den USA und später auch in anderen Währungsräumen gelingen. Mit der Entscheidung der Fed ist nun der Gleichlauf der Geldpolitik weltweit beendet. Ich erwarte, dass andere Zentralbanken, etwa in Großbritannien, der Fed relativ bald folgen könnten. Gleichzeitig ist die EZB zuletzt weitere Schritte in Richtung einer Lockerung der Geldpolitik und einer Verlängerung des Niedrigzinsumfelds gegangen. Ein Auseinanderlaufen der Geldpolitik in den beiden wichtigsten Währungsräumen - den USA und dem Euroraum - ist eine Ausnahmekonstellation, auch wenn es historische Beispiele für eine abweichende Geldpolitik in einzelnen Ländern - beispielsweise Deutschland oder Japan - gibt. Perspektivisch bedeutet dies für den Euroraum nun, dass die EZB weitere Lockerungen der Geldpolitik unterlassen und in der mittleren Frist - ab 2017 - ebenfalls einen Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik anstreben könnte. Eher unwahrscheinlich ist, dass sich der Euroraum ähnlich wie zuvor Japan im weltwirtschaftlichen Kontext aus dem Zinsgeschehen völlig abkoppelt. Für ein so großes und offenes Gebiet wie den Euroraum ist dies anders als für Japan keine gute Option. Denkbar sind daher auch zunehmende Konflikte zwischen der Geldpolitik in den USA und im Euroraum, zumindest dann, wenn die USA den eigentlich richtigen Weg weiterer Zinserhöhungen konsequent gehen. Mittelfristig ist das Spiel hier offen: Die EZB könnte die Fed auch indirekt nötigen, auch in den USA von einer weiteren Normalisierung der Geldpolitik abzusehen. Oder die Fed würde mittelfristig die EZB doch aus der gegenwärtigen ultralockeren Geldpolitik herausholen. Für einige Zeit ist eine derartige asynchrone geldpolitische Entwicklung aber durchaus denkbar. Typischerweise wäre eine weitere Abwertung des Euro die Folge. Insofern dient das System flexibler Wechselkurse hier ein wenig als Ventil. Der starke Konjunkturzyklus in den USA kann sich so ein Stück weit auch auf den Euroraum übertragen und damit dann mittelbar auch zu einer Zinserhöhung der EZB beitragen. Eine Wechselkursorientierung der Geldpolitik wird zwar offiziell weltweit derzeit ausgeschlossen. Ich halte es aber durchaus für denkbar, dass die EZB neben Erleichterungen für hoch verschuldete Staaten im Euroraum durchaus auch auf diese Größe schielt. Die Geldpolitik der EZB war für mich ansonsten zuletzt kaum noch nachzuvollziehen. Umgekehrt könnte eine zu starke Aufwertung des US-Dollar die Fed auch zu einer Abkehr von weiteren geldpolitischen Straffungen nötigen. Welche Reaktionen eine wachsende Zinsdifferenz an den Kapitalmärkten hervorruft, ist schwer zu sagen. Befürchtet wird allgemein, dass der Kapitalabfluss aus den Emerging Markets, der bereits in den letzten Monaten zu beobachten war, sich weiter verstärken könnte und damit wieder mehr Kapital in die USA fließt. Bezogen auf den Euroraum sehe ich diese Gefahr nicht. Erfahrungsgemäß lassen sich die Anleger von einer Vielzahl von Größen leiten. Nicht zuletzt sorgen auch Wechselkursrisiken dafür, dass die Zinssätze in unterschiedlichen Währungsräumen auch aus Sicht der Finanzmarktakteure für einige Zeit durchaus unterschiedlich ausfallen können. Alles in allem muss durch die jetzt beginnende Divergenz der Geldpolitik zwischen den USA und dem Euroraum die Weltwirtschaft nicht zwingend einen Rückschlag erleiden. Aber die Risiken für störende Entwicklungen werden doch größer. Ulrich Kater, Chefvolkswirt Dekabank Erfahrungen über den Ausstieg aus derart extremen geldpolitischen Programmen liegen kaum vor. Wenn überhaupt, dann ist aus der Vergangenheit abzuleiten, dass die Erwartungen der Marktteilnehmer behutsam auf einen geldpolitischen Wechsel einzustellen sind. Das hat die Fed in den letzten beiden Jahren getan: Durch langfristige Ankündigungen von Maßnahmen und lange Diskussionen haben die Märkte ausreichend Zeit und Gelegenheit gehabt, ihre Erwartungen auf ein Ende dieser einzigartigen geldpolitischen Phase einzustellen. Die Fed ist darüber hinaus gut beraten, zumindest in der Anfangsphase einen extrem flachen Leitzinserhöhungspfad zu verfolgen. Allerdings führt dies in eine neue Phase der globalen Finanzmarktentwicklung. Normalerweise ist die Geldpolitik in den großen Währungsräumen USA und Europa gleichgerichtet. Das liegt am bisherigen engen Konjunkturverbund der US- Wirtschaft mit der europäischen. Nach der Finanzkrise kann allerdings von normalen Konjunkturschwankungen nicht mehr sie Rede sein. Es ist die unterschiedliche Geschwindigkeit der Krisenbewältigung zwischen den USA und Europa, die in eine größere Zinsdivergenz in den Jahren 2016/17 hineinführen wird. Im weiteren Jahresverlauf von 2016 könnten etwa mit der Bank of England weitere Zentralbanken mit Zinssteigerungen folgen, die Europäische Zentralbank ist jedoch vom gleichen Weg noch ein gutes Stück entfernt. Die Zinsdivergenz, die wir in den kommenden beiden Jahren erwarten, ist zwar bedeutsam, jedoch nicht einzigartig. Auch in der Vergangenheit waren deutliche Differenzen bei den Notenbankzinsen zwischen den großen Währungen möglich. Bei den Kapitalmarktzinsen wird die Zinsdiskrepanz sich gar nicht so weit ausprägen, denn wir rechnen vor dem Hintergrund der gedämpften Inflationserwartungen nur mit einem moderaten Anziehen der US-Renditen. Trotzdem wird diese Divergenz wird Folgen haben nicht nur für den US-Dollar allein, sondern für die Fließrichtung globaler Finanzströme. Wir erwarten weitere Abflüsse aus den Schwellenländern sowie auch Investitionen aus Europa in die US-Wirtschaft. Nach wie vor klafft eine Lücke zwischen den Zinserwartungen der Finanzmarktteilnehmer und den (höheren) Erwartungen aus makroökonomischer Sicht. Erweist sich die Fed-Politik im kommenden Jahr eher in der Nähe der makroökonomischen Analysten, so müssen Zinserwartungen nach oben korrigiert werden, was den US-Dollar nochmals aufwerten lassen sollte. Gegenüber dem Euro rechnen wir mit einer weiteren moderaten Aufwertung Richtung Parität. Für einige Schwellenländer bedeutet allerdings eine weitere Abwertung ihrer Währung gegenüber den US-Dollar eine weitere Belastung. Folker Hellmeyer, Chefanalyst Bremer Landesbank: Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich. Während die Eurozone mit unerwartet positiven Konjunkturdaten im laufenden Jahr aufwartete, mussten die Wachstumsprognosen der USA nahezu latent nach unten angepasst werden. Vor diesem Hintergrund des höchsten Wachstumspfades der Eurozone seit 2011 und dem voraussichtlich geringsten Wachstumspfad der USA seit 2013 lockert die EZB ihre Politik und die US-Zentralbank will aus dem Niedrigzinsumfeld aussteigen. Das erscheint unter sachlichen Gesichtspunkten ansatzweise absurd zu sein. Die strukturellen Schwächen sind in den USA mangels Reformpolitik erheblich und haben im Jahresverlauf erste konjunkturelle Folgen forciert. Eine Zinswende mit einem Leitzinssatz von mehr als zwei Prozent per 2017 hätte für die US-Konjunktur erhebliche Rezessionsrisiken zur Folge. Mehr noch würden die Schwellenländer von solcher Entwicklung durch USD-Stärke an den Devisenmärkten und erhöhten Zinskosten noch stärker destabilisiert, da ein Großteil der Unternehmen der Schwellenländer auf USD-Basis finanziert ist. Das Thema Rezession in der Weltwirtschaft würde hoffähig. Die bisherige Widerstandskraft der Konjunktur der Eurozone gegenüber den Dynamikverlusten in der Weltwirtschaft, die der umgesetzten Reformpolitik geschuldet ist, setzte sich in der Tendenz, aber nicht mehr in dieser Amplitude fort, da insbesondere eine schwächere Bewertung des Euros in einer Gesamtbetrachtung die Exportchancen der Eurozone positiv beeinflusste.
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