Die Chance-Methode

Markt- und Sozialforschung Schweiz 2014
Die Chance-Methode
Robert Lobmaier
Samira Schneggenburger
Armin Münch
Business Unit Leiter bei SensoPLUS,
Project Managerin bei SensoPLUS,
Geschäftsführer bei tgmr TARGET
www.sensoplus.ch
www.sensoplus.ch
GROUP, www.tgmr-targetgroup.de
Eine grosse Herausforderung im Marketing sind Prognosen von Produkt-Flops und -Hits. Die Chance-Methode
bietet eine Möglichkeit, in kurzer Zeit valide Vorhersagen über den Markterfolg eines neuen Produkts zu generieren. Die Methode nutzt Vorteile qualitativer sowie quantitativer Verfahren und zeigt damit einen «dritten
Weg» in der Marktforschung auf.
Das Thema Markenwechsel entwickelt sich weltweit zu einer immer
grösseren Herausforderung des Marketings. Um heutzutage auf dem
Markt erfolgreich agieren zu können, sind Produktinnovationen
unverzichtbar, denn «Not to innovate is to die». Die aktuelle Forschung
belegt, dass bis zu 85 Prozent aller Märkte als gesättigt gelten. In
einem von diesen Voraussetzungen geprägten Umfeld werden Produkt-Flops erwartungsgemäss wahrscheinlicher und Produkt-Hits
schwieriger. In Zeiten der Globalisierung herrscht zudem eine verschärfte Konkurrenzsituation, da Wettbewerber aus anderen Ländern
auf ehemals heimische Märkte drängen. Hinsichtlich der Kundengewinnung wird gleichzeitig unterschätzt, dass Neukunden fast immer
von direkten «close-substitutes» rekrutiert werden müssen.
Die Chance-Methode als genaueres Prognoseinstrument
Die Chance-Methode bietet erstmals die Möglichkeit, zuverlässig,
kostengünstig und in kurzer Zeit valide Prognosen zu generieren, ob
eine Produktneueinführung die Chance zum Hit hat. Sie erlaubt schon
mit kleinen Stichproben zuverlässige Vorhersagen und bietet die Möglichkeit, durch hohe Feld- und Analyse-Geschwindigkeiten innerhalb
kurzer Zeit Ergebnisse zu erzielen. Die Methode basiert auf einem
theoretisch fundierten Modell der individuellen Markenwahl und ist
sowohl in frühen Phasen der Marketingplanung als auch in späteren
Entwicklungsstufen einsetzbar.
Entscheidungs- und Beurteilungsgrundlage ist der individuelle Vergleich des Testprodukts mit dem derzeit vom Konsumenten verwendeten Angebot. Es wird angenommen, dass Konsumenten eine Pro76
duktneuwahl oder einen Markenwechsel nur dann vornehmen, wenn
das neue Produkt oder die neue Marke in keinem Aspekt schlechter
angesehen und in mindestens einem Aspekt besser bewertet werden
als die bislang verwendete. Es bedarf daher eines «Gleich-gut-oderbesser», damit Kunden neu wählen oder wechseln.
Nur wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, hat ein neues Angebot bei
offensiver Vermarktung eine Chance, von einem Verbraucher gekauft
zu werden, daher auch die Bezeichnung Chance-Kriterium®. Dieses
Kriterium ist gut zu operationalisieren und somit leicht in eine Marktforschungsmethodik überführbar.
Vorgehen bei der Chance-Methode
Um verlässliche Verkaufsprognosen zu erhalten, sind insgesamt vier
Schritte zu durchlaufen:
Schritt 1: Sammlung aller subjektiv relevanten Items in einer Warenund Produktgruppe mit selektierten Verwendern der Warengruppe zur
Vorbereitung der Fragebögen in Schritt 2. Die Erfahrung zeigt, dass
hierfür meist zirka 20 bis 30 Probanden genügen, bei heterogenen
Zielgruppen können es auch deutlich mehr sein.
Schritt 2: Unter Verwendung der Items aus Schritt 1 ist eine hinreichend grosse Stichprobe zu befragen, welche sowohl die derzeit verwendete/n Marke/n als auch das neue Produkt vor und nach dem
Gebrauch bewertet.
Schritt 3: Für jede Person wird individuell geprüft, ob sie das Chance-Kriterium® erfüllt. Ein Proband erfüllt dieses Kriterium, wenn er bei
allen Fragen das neue Produkt in mindestens einer Eigenschaft besser
tenziale korrelieren mit den tatsächlich erreichten
Absatzmengen nach der Einführung. Dies zeigt auch
eine Doktorarbeit der Universität Mainz aus dem Jahr
2012, welche die Chance-Methode aus wissenschaftlicher Sicht untersuchte und bestätigte.
Optimierung der Neuentwicklung
Da bei der Chance-Methode die Antworten jedes einzelnen Testteilnehmers individuell ausgewertet werden,
können die Personen, welche das neue Produkt tatsächlich kaufen würden, genau beschrieben und mit der
Gesamtheit der Befragten verglichen werden. Somit ist
bei der Vermarktung des neuen Produktes eine gezielte
Ansprache der vielversprechenden Konsumenten möglich. Es können zudem die Personen beschrieben werden, welche das Chance-Kriterium® nur knapp nicht
erfüllen, das heisst, die das neue Produkt zum Beispiel
nur in einem Punkt schlechter finden als die bisher verwendeten. Somit ist auch ersichtlich, an welchen Produktmerkmalen Verbesserungen durchgeführt werden
sollten, sodass weitere Personen das Produkt kaufen
würden. Man kann anhand der Daten sogar genau
bestimmen, welche Anpassungen das Marktpotenzial
um wie viel Prozent erhöhen.
und den anderen Eigenschaften mindestens gleich gut bewertet hat.
Schritt 4: Prognose des Marktpotenzials: Die Personengruppe, welche
das individuelle Chance-Kriterium® erfüllt, lässt sich quantifizieren.
Die Grösse dieser Gruppe definiert das maximale Käuferpotenzial.
Interpretation der Ergebnisse
Die Ergebnisse können mittels der «Signifikanzhose» dargestellt werden. Abbildung 1 zeigt dieses Modell, wobei die hellen Kästchen Flop
oder Hit signalisieren, während die dunkel umrandeten Kästchen (die
Hose) den Unsicherheitsbereich darstellen. Jede Testperson wird in
ein Kästchen eingetragen. Ist das Chance-Kriterium® erfüllt, erfolgt
der Eintrag nach rechts. Ist es nicht erfüllt, erfolgt er nach oben. Der
helle Bereich links oben bedeutet Flop. Gehen Einträge dorthin, wird
der rechte, dunkle Bereich – mit Aussicht auf hinreichendes Potenzial
– mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr erreicht. Neben dem rechten Hosenbein beginnt der Hit-Bereich. Im mittleren hellen Bereich
kommt die Testmarke für zika 50 Prozent der Probanden infrage – sie
ist hitverdächtig.
Wichtig ist, dass zur Flop-Diagnose gegebenenfalls nur zehn Fälle ausreichen. Auch mit mehr Testpersonen wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent der Flop-Bereich nicht verlassen. Der mittlere
Bereich ist schon mit der eher geringen Zahl von etwa 30 Testpersonen erreichbar. Mit einer etwas grösseren Stichprobe (ca. 40) kann
man zuverlässig erkennen, ob das Testobjekt Verbraucherpotenzial
hat. Hier sei angemerkt, dass wegen hoher Flop-Raten das oberste
Testziel oft Flop-Vermeidung heisst.
Mit der Chance-Methode wurden schon viele bekannte Produkte aus
unterschiedlichen Branchen getestet, wie etwa neue Geschmacksrichtungen von Rittersport und Nescafé. Auch Dienstleistungen von
Versicherungen und Banken wie der Betriebskrankenkasse und der
Postbank wurden mit der Methode geprüft. Die errechneten Marktpo-
Fazit
Die hohe Floprate bei Neuprodukteinführungen muss auch für die
Marketingforschung Ansporn sein, neue Wege zu gehen. Es ist nicht
auszuschliessen, dass gerade an der Schnittstelle zwischen qualitativer und quantitativer Forschungsmethodik eine Quelle für Fehlinterpretationen von Markt- und Produktpotenzialen zu finden ist. Die vorgestellte Chance-Methode weist hier einen klaren Prognosevorteil für
die Marketingpraxis auf. In einer Reihe von national und international
tätigen Unternehmen hat sie sich als «dritter Weg» zwischen qualitativer und quantitativer Analyse etabliert, der aufgrund des theoretisch
fundierten Vorgehens sowie der sich daraus ableitenden personenindividuellen Auswertung zu sehr verlässlichen Ergebnissen führt.
Entstehung der Chance-Methode
Entwickelt wurde die Methode vom deutschen Diplom-Physiker
Armin Münch. Dieser arbeitete während mehrerer Jahren als
Brand Manager beim Konsumgüterhersteller Procter & Gamble,
wo er immer wieder die Grenzen konventioneller Marktforschungsmethoden bei der Potenzialabschätzung neuer Produkte spürte. So entschloss er sich, einen neuen Weg zu suchen,
um verlässlichere Voraussagen treffen zu können. Im Jahr 1991
gründete er die Firma tgmr TARGET GROUP Marketing Research in Frankfurt und formulierte das Chance-Kriterium®, auf
Basis dessen er im Laufe der Jahre die Chance-Methode entwickelte. Bis heute führte er über 900 Studien mit dieser Methode durch.
Seit letztem Jahr arbeitet tgmr mit SensoPLUS als Partner
zusammen. SensoPLUS ist damit exklusiver Anbieter der Chance-Methode in der Schweiz.
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