10.3 Pareto-Optimalität und vollkommene Konkurrenz

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10.3 Pareto-Optimalität und vollkommene Konkurrenz
Nachdem wir in den vorangegangenen Abschnitten Charakterisierungen von Allokationen
kennengelernt haben, die in einer Volkswirtschaft angestrebt werden sollten, werden wir
uns in diesem Abschnitt der Analyse der Allokationen zuwenden, die in einem
marktwirtschaftlichen System, das durch vollkommene Konkurrenz gekennzeichnet ist,
erwartet werden können. Wir werden dabei einen sehr engen Zusammenhang zwischen
diesen Allokationen und den Pareto-optimalen Allokationen konstatieren können.
Unter einer Situation vollkommener Konkurrenz wird hier verstanden, daß auf beiden
Marktseiten in allen Märkten genügend viele Nachfrager und Anbieter existieren, so daß
die Annahme Preis-nehmenden Verhaltens sinnvoll ist. Im Gegensatz zu der Diskussion in
Kapitel 9 ist hier gefordert, daß diese Annahme nicht nur für den einen dort betrachteten
Markt gilt, sondern für alle Märkte. Wir werden der Einfachheit halber die Märkte
thematisieren, die wir in den vorangehenden Abschnitten betrachtet haben. Wir haben
demnach zwei Faktormärkte, den für Arbeit und den für Kapital, und zwei Gütermärkte für
die beiden Produkte. In der Welt des Kapitels 9 war ein Gleichgewichtspreis dadurch
gekennzeichnet, daß Nachfrage und Angebot ausgeglichen sind. Diese
Gleichgewichtspreise konnten dort als Endergebnis von preissetzendem Verhalten
angesehen werden. Da wir hier konvexe Produktionsmengen annehmen werden - obwohl
dies streng genommen nicht notwendig ist -, können wir von Fixkosten absehen. Hier
werden wir gleichzeitig alle Gleichgewichtspreise auf allen Märkten bestimmen. Dazu
müssen wir in jedem Markt die Nachfrage und das Angebot bestimmen. Dies wird der
nächste Schritt sein.
Dabei werden wir der Einfachheit halber nur einen Konsumenten und für jedes Gut nur ein
Unternehmen betrachten. Diese Annahme scheint vor dem Hintergrund, daß wir Märkte
mit vielen Akteuren betrachten wollen, auf den ersten Blick völlig inadäquat. Sie dient
jedoch tatsächlich nur der Vereinfachung. Wir könnten ohne Probleme eine Vielzahl von
Konsumenten und Unternehmen betrachten. Dies würde an den Ergebnissen nichts ändern,
den Notationsaufwand jedoch beträchtlich erhöhen. Betrachten wir also die Märkte.
Das Unterehmen 1 produziere das Gut 1. Den Preis dieses Gutes werden wir mit p1
bezeichnen. Analoges gilt für das Unternehmen 2, das das Gut 2 produziert. Sein Preis sei
mit p2 bezeichnet. Der Preis für Arbeit wird mit w1, der Preis für Kapital mit w2 bezeichnet.
Da wir Preis-nehmendes Verhalten unterstellen, trifft das Unternehmen 1 seine
Entscheidung gemäß dem folgenden Kriterium
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max p1 f 1 ( L1 , K1 ) − w1 L1 − w2 K1 .
L1 , K1
Das zweite Unternehmen entscheidet entsprechend dem Kriterium
max p2 f 2 ( L2 , K 2 ) − w1 L2 − w2 K 2 .
L2 , K 2
Die Maximierung des Gewinns führt zu den Bedingungen erster Ordnung
p1
∂f 1
( L1 , K1 ) = w1
∂L1
p1
∂f 1
( L1 , K1 ) = w2
∂K1
für das erste Unternehmen. Diese Bedingung hatten wir schon in Abschnitt 9.5 hergeleitet.
Die beiden Gleichungen bestimmen unter den üblichen Annahmen den gewinnmaximalen
Faktoreinsatz:
L1 ( p1 , p2 , w1 , w2 ), K1 ( p1 , p2 , w1 , w2 )
Der Faktoreinsatz hängt natürlich von den relevanten Preisen ab. Wir haben hier auch den
Preis p2 aufgenommen, obwohl er in dem Gewinnmaximierungsproblem gar nicht
vorkommt, um eine einheitliche Schreibweise zu erhalten. Diese gewinnmaximierenden
Faktoreinsätze kann man als Nachfrage des ersten Unternehmens nach den beiden Faktoren
interpretieren. Völlig analog erhält man die Faktornachfrage des zweiten Unternehmens:
L2 ( p1 , p2 , w1 , w2 ), K 2 ( p1 , p2 , w1 , w2 )
Damit kennen wir die Nachfrage in den Faktormärkten. Das Angebot ist gemäß der
Modellbetrachtung exogen vorgegeben. Die Preise ( p1 , p2 , w1 , w2 ) - oder anders
ausgedrückt: das Preissystem - sind so zu bestimmen, daß u.a. in diesen Märkten die
Nachfrage dem Angebot entspricht.
L1 ( p1 , p2 , w1 , w2 ) + L2 ( p1 , p2 , w1 , w2 ) = L
K1 ( p1 , p2 , w1 , w2 ) + K 2 ( p1 , p2 , w1 , w2 ) = K
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Wenn wir die Faktornachfrage in den Ausdruck für den Gewinn des ersten Unternehmens
einsetzen
Π 1 ( p1 , p2 , w1 , w2 ) =
p1 f 1 ( L1 ( p1 , p2 , w1 , w2 ), K1 ( p1 , p2 , w1 , w2 )) − w1 L1 ( p1 , p2 , w1 , w2 ) − w2 K1 ( p1 , p2 , w1 , w2 ),
erhalten wir den bei diesem Preissystem erzielbaren Gewinn des ersten Unternehmens.
Entsprechendes gilt für den Gewinn des zweiten Unternehmens
Π 2 ( p1 , p2 , w1 , w2 ) .
Diese Größen werden wir bei der Bestimmung der Nachfrage des Konsumenten benutzen.
Wenden wir uns nun den Märkten für die beiden produzierten Güter zu. Implizit in der
Entscheidung der Unternehmen ist auch das Angebot auf diesen Märkten enthalten. Das
erste Unternehmen wird
y1 ( p1 , p2 , w1 , w2 ) = f 1 ( L1 ( p1 , p2 , w1 , w2 ), K1 ( p1 , p2 , w1 , w2 ))
anbieten. Analog wird das zweite Unternehmen
y 2 ( p1 , p2 , w1 , w2 ) = f 2 ( L2 ( p1 , p2 , w1 , w2 ), K 2 ( p1 , p2 , w1 , w2 ))
anbieten. Nachdem nun das Angebot in den beiden Gütermärkten bestimmt ist, fehlt nur
noch das Nachfrageverhalten. Entsprechend unserer Nachfragetheorie aus dem Kapitel 3
bestimmt sich die Nachfrage aus der Nutzenmaximierung. Dabei ist nun zu klären, welche
Finanzmittel dem Konsumenten zur Verfügung stehen. Dazu gehen wir naheliegenderweise
davon aus, daß dem einzigen Konsumenten sowohl die Faktorbestände als auch die
Unternehmen gehören. Sein Einkommen ist demnach
m = w1 L + w2 K + Π 1 ( p1 , p2 , w1 , w2 ) + Π 2 ( p1 , p2 , w1 , w2 ) .
Damit läßt sich nun das Nutzenmaximierungsproblem des Konsumenten wie folgt angeben
max u( x1 , x 2 ) u.d.N. p1 x1 + p2 x 2 ≤ m
x , x2
Die Nachfrage als Lösung dieses Nutzenmaximierungskalküls wird von allen Preisen
abhängen. Daher schreiben wir
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x1 ( p1 , p2 , w1 , w2 ), x 2 ( p1 , p2 , w1 , w2 ) ,
um die Nachfrage nach den beiden Gütern zu bezeichnen. Damit können wir die
Marktklärungsbedingungen für die beiden Gütermärkte wie folgt schreiben:
x1 ( p1 , p2 , w1 , w2 ) = y1 ( p1 , p2 , w1 , w2 )
x 2 ( p1 , p2 , w1 , w2 ) = y 2 ( p1 , p2 , w1 , w2 )
Ein Preissystem, das in allen (hier 4) betrachteten Märkten zum Ausgleich von
Marktnachfrage und Marktangebot führt, heißt Gleichgewichtspreissystem. Dieses
Gleichgewichtspreissystem führt über die Nachfrage- und Angebotsentscheidungen zu
einer bestimmten Allokation. Diese Allokation heißt Gleichgewichtsallokation.
Wir werden nun argumentieren, daß eine Gleichgewichtsallokation immer Pareto-optimal
ist. Dazu können wir zunächst festhalten, daß die Durchführbarkeitsbedingungen durch
eine Gleichgewichtsallokation gewährleistet sind. Wenden wir uns daher den
Marginalbedingungen zu. Aus der Gewinnmaximierung des ersten Unternehmens folgt aus
der oben angegebenen Bedingung, daß
∂f 1
( L1 , K1 )
w
∂L1
= 1
∂f 1
w2
( L1 , K1 )
∂K1
gelten muß. Völlig analog ergibt sich für das zweite Unternehmen
∂f 2
( L2 , K 2 )
w
∂L2
= 1.
∂f 2
w2
( L2 , K2 )
∂K 2
Daraus ergibt sich unmittelbar, daß die technischen Raten der Substitution der beiden
Unternehmen gleich sein müssen. Also ist der Faktoreinsatz, der in einem Marktsystem
unter vollkommener Konkurrenz zustande kommt, effizient.
Es bleibt zu überprüfen, ob auch die Grenzrate der Transformation der Grenzrate der
Substitution entspricht. Wie wir aus den Kapiteln 2 und 3 wissen, ergibt sich der
Zusammenhang zwischen der Grenzrate der Substitution und dem relativen Preis wie folgt
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∂u
( x1 , x2 )
p
∂x1
= 1.
∂u
p2
( x1 , x 2 )
∂x 2
Die Grenzrate der Transformation ergibt sich, wie wir im ersten Abschnitt des Kapitels
gesehen haben, als
∂f 2
( L2 , K 2 )
∂L2
.
∂f 1
( L1 , K1 )
∂L1
Aus den Bedingungen erster Ordnung für die Gewinnmaximierung der beiden
Unternehmen folgt, daß dieses Verhältnis dem relativen Preis des ersten Gutes entsprechen
muß
p1
.
p2
Damit müssen aber auch die Grenzrate der Substitution und die Grenzrate der
Transformation gleich sein. Damit haben wir nachgewiesen, daß die
Gleichgewichtsallokation alle Bedinungen erfüllt, die eine Pareto-optimale Allokation
erfüllen muß.
Reicht dies aus, um zu schließen, daß eine Gleichgewichtsallokation immer Pareto-optimal
ist? Im allgemeinen Nein! Man kann tatsächlich diesen Schluß ziehen, wenn alle
beteiligten Funktionen konkav sind. Die dazu notwendige Argumentation ist erstens sehr
umfangreich und benötigt zweitens mehr mathematische Kenntnisse als die, die in dem
Kurs Analysis besprochen werden. Daher soll die Richtigkeit dieser Behauptung hier nicht
nachgewiesen werden. Darüber hinaus kann man jedoch auch noch einen anderen Weg
wählen, um nachzuweisen, daß auch ohne Konkavitätsannahmen an die Funktionen eine
Gleichgewichtsallokation immer Pareto-optimal ist. Einen Nachweis findet man z.B. in
MasColell et al. in Kap. 16.B, in dem auch nicht von der Vereinfachung durch die
Annahme nur eines Konsumenten und eines Unternehmens pro Gut ausgegangen wird.
Dort wird die Gleichgewichtsallokation Walrasianische Gleichgewichtsallokation genannt.
Leon Walras war einer der ersten, die das oben skizzierte Modell des allgemeinen
Gleichgewichts (Gleichgewicht in allen Märkten) entwickelt haben. Um es von Modellen
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abzugrenzen, die nur einen Markt jeweils betrachten, werden solche Modelle partielle
Gleichgewichtsmodelle genannt.
Obwohl wir hier nicht den stringenten Nachweis der allgemeinen Aussage geführt haben,
soll das Hauptergebnis in (fast) voller Allgemeinheit angegeben werden. Die obigen
Ausführungen mögen hinreichen, um das Ergebnis plausibel zu machen.
Erster Hauptsatz der Wohlfahrtsökonomik: Wenn die Präferenzen monoton steigend
sind, dann ist jede Gleichgewichtsallokation eine Pareto-optimale Allokation.
Diese Aussage kann als eine zentrale Aussage über die Funktionsfähigkeit von
Marktwirtschaften angesehen werden. Geht man nämlich davon aus, daß die Bedingungen
für das Vorliegen vollständiger Konkurrenz vorliegen, dann werden die Marktkräfte dafür
sorgen, daß sich eine Gleichgewichtsallokation einstellt. U.a. bedeutet dies auch, daß sich
ein Gleichgewichtspreissystem einstellt. Die so bestimmten Preise liefern für die
Entscheidungsträger alle benötigten Informationen. Über die Gewinnmaximierung werden
die Faktoren in ihre effizienten Nutzungen gelenkt. Produktion und Konsum werden
optimal aufeinander abgestimmt. Es werden nur die Güter in dem Ausmaß produziert, die
den Präferenzen der Konsumenten am meisten entsprechen. Und die Verteilung der
produzierten Güter werden automatisch optimal auf die unterschiedlichen Konsumenten
verteilt. Obwohl die einzelnen Akteure nur ihrem Eigeninteresse folgen, entsteht ein
Resultat, das auch ein wohlwollender und alleswissender Planer im Sinne des ParetoKriteriums nicht besser zustandebringen kann. Mithin faßt das Modell des allgemeinen
Gleichgewichts wichtige Funktionen des marktwirtschaftlichen Systems kurz und prägnant
zusammen. Schon an dieser Stelle soll aber darauf hingewiesen werden, daß das Modell
nicht alle Marktprozesse sinnvoll abbilden kann, z.B. das Phänomen der Entdeckung neuer
Güter. Weiterhin soll auch darauf hingewiesen werden, daß bezüglich der abgebildeten
Phänomene dieses Modell das positivste Bild bzgl. der Funktionsfähigkeit von
Marktwirtschaften zeichnet. Auf die Grenzen der Aussagen werden wir noch ausführlich
eingehen.