Versicherungswirtschaft 1/2016

MANAGEMENT & WISSEN
Integration nach Plan: In Zeiten höheren Wettbewerbs unterstützt ein differenziertes Benchmarking.
Foto: dpa
Miss es oder vergiss es
Mit potenzialorientiertem Benchmarking erfolgreich im Bankenvertrieb
Sebastian Greif, Sebastian Tiedemann
S
owohl Banken wie auch Versicherer sind
stark vom anhaltenden Niedrigzinsniveau betroffen. Die Versicherungsakteure stehen zusätzlich unter Druck, ihren Vertrieb
auf das Lebensversicherungsreformgesetz
(LVRG) anzupassen, was für viele eine Entwicklung von hohen Abschlussprovisionen
hin zu laufender Provision bedeutet.
Bei den Banken treten schrumpfende Erträge durch den Wegfall der Fristentransformation auf. Betrachtet man das Provisionsergebnis isoliert, ist hier ein positiver Trend zu
erkennen, wobei vor allem Provisionen aus
dem Versicherungsgeschäft dazu beitragen,
die negativen Effekte aus dem Zinsergebnis
zu schmälern. Der Vertriebsweg Bancassurance ist schon lange als Erfolgsmodell etabliert, kann aber in Zeiten von niedrigen Zinsen und LVRG weiter profitieren. Nahezu jeder Bankkunde wurde von seinem Bankbe-
50
rater neben dem klassischen Bankgeschäft
auch schon auf Versicherungen angesprochen. Viele haben schon Policen über den
Bankschalter abgeschlossen.
Strategischer Austausch
Betrachtet man den Vertriebsweg Bancassurance detaillierter, lassen sich vier Vertriebsansätze voneinander abgrenzen. Beim
Spezialisten-Ansatz etwa leitet der Bankberater jeden potenziellen Versicherungskunden an einen Versicherungsspezialisten weiter. Der Versicherer hat durch den vor Ort anwesenden Versicherungsspezialisten einen
sehr hohen Aufwand, die Provisionen, die
der Versicherer an seinen Bankpartner zahlt,
sind in diesem Modell aber geschmälert. Darüber hinaus müssen die Versicherungsspezialisten in die Marktbearbeitungsprozesse
der Banken integriert werden. Dies verur-
sacht nicht nur einen hohen operativen Aufwand, sondern auch den Wegfall des Ansatzes „Beratung aus einer Hand“, mit erhöhter
Absprunggefahr des Kunden. Der Push-Ansatz findet sich vielfach bei Banken mit hauseigenem Versicherer, der gegebenenfalls sogar den Markennamen der Bank trägt. Dieser
Exklusivvertrieb zeichnet sich durch hohen
Vertriebsdruck aus, da der Versicherungsvertrieb der Bank häufig direkt durch das
Top Management gesteuert wird. Zudem ist
der Integrationsgrad in den Bankvertriebsprozess sehr hoch.
Der Ventillösungs-Ansatz wird häufig von
Versicherungsunternehmen genutzt, die sich
auf Nischenprodukte fokussieren. Da für einzelne Produkte eine aufwändige Vertriebsintegration aufgrund von geringeren Mengengerüsten zu kostspielig wäre, setzen diese
Versicherer eher auf hohe Provisionen, um
Versicherungswirtschaft Nr. 1 · Januar 2016
Vertrieb
ihre Produkte zu platzieren. Beim SupportAnsatz entwickeln Versicherer und Bankpartner gemeinsame und ganzheitliche Beratungsansätze. Hier werden gemeinsam Produktgruppen, Kundensegmente und deren
Bedürfnisstrukturen in den Fokus gestellt.
Versicherer liefern die operative Unterstützung in Form von Fach- und Vertriebsschulungen. Gleichzeitig findet ein strategischer
Austausch zwischen den Führungskräften
von Bank- und Versicherungsplayer statt.
Differenzierter Produktmix wichtig
Aus den Vertriebsmodellen im Bereich Bancassurance lassen sich Optimierungsfelder ableiten, welche im Folgenden kurz bewertet
werden: Die Prozess- und Systemintegration
ist neben der operativen Unterstützung von
entscheidender Bedeutung für erfolgreiche
Vertriebsprozesse. Eines der obersten Ziele ist
aktuell die Multikanal-Interaktion zwischen
Kunden, Bank und Versicherer. Weitere Themen in der fortschreitenden Digitalisierung
sind z.B. Integration des Schriftverkehrs des
Versicherers in das elektronische Postfach
der Bank, Videoberatung und Digitalisierung aller (Vertriebs-)Prozesse. Vorteile genießen die hauseigenen Bancassurance-Versicherer mit einer besonders engen Bindung
bzw. Systemintegration.
Das Produktportfolio, welches ein Versicherungspartner dem Bankpartner zur Verfügung stellt, sollte aus wenigen Produkten, mit wenigen Tarifierungsoptionen und
technisch hinterlegten Angebotsprozessen
bestehen, um die Komplexität im Vertrieb
zu reduzieren. Da dies die Grundvoraussetzung ist, um den Vertriebskanal Bancassurance nutzen zu können, ist ein entsprechend hoher Umsetzungsstand vorhanden.
Die unterstützenden Einheiten des Versicherers müssen die Geschäftsabläufe des Bankpartners zudem im Detail kennen und dessen „Sprache“ sprechen, um eine effiziente
Vertriebsunterstützung zu sein. Dies gilt sowohl für eine direkte Vertriebsunterstützung
vor Ort, als auch für Supportfunktionen des
Versicherers.
Gerade in Zeiten des Niedrigzinsumfeldes und von LVRG rechnen sich die Bancassurance-Kooperationen nur durch einen
differenzierten Produktmix, der aus Provisionssicht für den Bankpartner und aus Ertragssicht für den Versicherer interessant ist.
Hier sind intelligente Steuerungssysteme beziehungsweise Vergütungsmodelle notwendig. Ein Trade-off durch unterschiedliche
Interessenlagen zwischen Bank und Versicherer, wie z.B. zwischen Banken, die im
LV-Vertrieb deutlich erfolgreicher sind und
Versicherern, deren Produktmarge tendenziell in der Sachversicherung höher ist, soll
Versicherungswirtschaft Nr. 1 · Januar 2016
hierdurch vermieden werden. Die Anpassung
der Vergütungsmodelle aufgrund des LVRG
bietet beiden Partnern die Chance, den bestehenden Produktmix und dessen Vergütungsstruktur gemeinsam zu überprüfen
und eine für beide Partner lohnenswerte
Kernproduktpalette zu erarbeiten.
Das Handwerkszeug zum Verkauf von
Versicherungsprodukten ist der Mehrzahl
der Bankberater in den letzten Jahren durch
Schulungen zu Produkten, Vertriebsthemen
etc. zur Verfügung gestellt worden. Aufgrund
der in jüngster Vergangenheit zunehmenden
Fokussierung der Banken auf notwendige
Provisionserträge aus dem Versicherungsgeschäft und der noch immer großen Kundenpotenziale, ist die Unterstützung innerhalb der Marktbereiche der Banken weiterhin erfolgversprechend. Die strategische Integration wird künftig eine der großen Herausforderungen für die Versicherer sein, um
die Zusammenarbeit mit Banken für beide
Seiten ertragreich zu gestalten. Strategische
Integration bedeutet, die Vorteile aus beiden
Welten zusammenzufassen, Schnittstellen zu
implementieren, Synergien zu heben und gemeinsam mehr Erfolg zu haben. Grundlage
hierfür ist ein regelmäßiger Austausch auf
allen Ebenen. Gemeinsame Entwicklung einer Strategie für das Versicherungsgeschäft,
konkrete Wachstumsziele, Weiterentwicklung von IT-Schnittstellen, Analysen zur Geschäftsentwicklung, gemeinsame Vertriebsschwerpunkte und die Identifikation von Ertragspotenzialen in bestimmten Kundensegmenten und/oder Produktgruppen sind die
wichtigsten Grundlagen.
Beim potenzialorientierten Benchmarking-Ansatz als strategischem Instrument
indes werden vertriebsrelevante Kennzahlen
einer Peer Group miteinander verglichen, um
Potenziale in bestimmten Produkt- und/oder
Kundensegmenten zu erkennen. Als Peer
Group bieten sich die verschiedenen Bankpartner des Versicherers an. Alternativ ist
auch ein Vergleich innerhalb der Vertriebsstruktur des Bankpartners, z.B. auf Filialebene, denkbar. Die neue-leben-Lebensversicherung führt ihre Benchmarking-Studie seit
2010 mit einer stetig steigenden Teilnehmerzahl durch. 2015 nahmen 33 Sparkassen teil.
Aus der langjährigen Erfahrung mit dieser
Studie lassen sich auch übergreifende Aussagen über den Erfolg der Bankpartner im
Versicherungsgeschäft treffen. Es lässt sich
etwa feststellen, dass die Provisionen aus
dem Vorsorgegeschäft in Relation zur Bilanzsumme seit 2010 um neun Prozent p.a.
gestiegen sind.
Der Benchmarking-Ansatz kann als Drehund Angelpunkt der Steuerung der strategischen Integration eingesetzt und in der Mehr-
jahresplanung zur Ableitung der Ziele auf
Basis der übergeordneten Kennzahlen des
Benchmarkings genutzt werden. Die Kennzahl „Provisionen aus Vorsorgegeschäft in
Relation zur Bilanzsumme“ etwa ist nur geringen Schwankungen unterworfen, sodass
sie sich für eine mittel- bzw. langfristige Zielvereinbarung und damit als „Ankerpunkt“
eignet. Um das strategische Ziel (z.B. 0,09%,
Benchmark 2015) zu erreichen, müssen Jahresziele vereinbart werden, die weiter in die
verschiedenen Kunden- und Produktsegmente heruntergebrochen werden.
Eine Fokussierung auf das Segment Retailkunden mit den Produkten Restschuld,
Berufsunfähigkeit (BU), Unfall und Private
Rentenversicherungen bietet den größten
Hebel, um das Versicherungsgeschäft einer
Beispiel-Sparkasse zu erhöhen. Auf diese Fokussierung müsste nun eine gemeinsam von
beiden Partnern definierte Maßnahmenplanung gelegt werden, welche diesen Zielpfad
unterstützt. Beispielhaft ist hier für die Produkte Restschuld, BU und ggfs. Unfall eine
Integration in die bestehenden Kreditprozesse der privaten Baufinanzierung dieser
Sparkasse denkbar, um die Kreditsumme
gegen unvorhersehbare Ereignisse abzusichern. Um entscheidende Absatzsteigerungen im Bereich der privaten Rentenversicherung zu generieren, wäre die Durchführung
von gemeinsamen Multikanalkampagnen
zum Thema Altersvorsorge aussichtsreich.
Bedarf an Bancassurance steigt
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass
aktuelle Herausforderungen wie das Niedrigzinsumfeld und das LVRG die Notwendigkeit
eines funktionierenden Bancassurance-Modells auf beiden Seiten erhöhen. Eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Bankpartner und Versicherer kann künftig den entscheidenden Vorsprung liefern. Nur im gemeinsamen Dialog und durch gemeinsame
strategische Anstrengungen können Bankpartner und Versicherer die Potenziale im
Versicherungsgeschäft realisieren und damit
eine Win-win-Situation schaffen. Dabei zeigt
sich das vorgestellte Benchmarking als idealer Ausgangspunkt für die Identifikation der
Potenziale und die Initialisierung von Maßnahmen.
Sebastian Greif (l.), Vorstandsmitglied,
und Dr. Sebastian Tiedemann (r.), Vertriebsmanager, neue leben Versicherungen,
Hamburg.
51