PSG II: Herausforderungen ernst nehmen

CA R E ko nk re t // 3
AUSGAB E 2 // 8.1.2016
NACHRICHTEN
Umstellung der Pflegesatzberechnung
PSG II: Herausforderungen ernst nehmen
Tagespflegen erfreuen sich großer Beliebtheit. Doch mit der Pflegereform ändern sich einige Finanzierungsparameter.
Foto: Archiv
Das Pflegestärkungsgesetz II sieht ab 1. Januar 2017 eine pauschale Überleitung der TagespflegeEinrichtungen im Bereich des Pflegesatzes vor. Sozialökonomen raten Anbietern, sich noch vor
der Umstellung mit der zu erwartenden Bewohnerstruktur, den Pflegesätzen sowie deren wirtschaftliche Auswirkungen zu befassen.
VON THOMAS HARAZIM UND ROMAN
TILLMANN
Köln // Wie wir bereits in CAREkonkret Ausgabe 44 vom 30. Oktober.2015 aufgezeigt haben, sehen
wir mit der Umstellung der Pflegesatzberechnung durch das zweite
Pflegestärkungsgesetz ernst zu nehmende Herausforderungen auf die
Betreiber von Tagespflegeeinrichtungen zukommen.
Im heutigen System existieren
unterschiedliche Ansätze in der Finanzierung der Tagespflege, in Abhängigkeit vom Bundesland. Dies gilt
sowohl für die Kostenberechnung als
auch für die Kostenübernahme. So
existieren in Nordrhein-Westfalen
(NRW) beispielsweise lediglich Orientierungswerte für die Personalbesetzung während es in Hessen feste
Personalschlüssel gibt. Diese spiegeln
sich in den sogenannten Äquivalenzziffern wider, welche für die Berechnung des Pflegesatzes herangezogen
werden. Für NRW liegt die derzeitige
Spreizung zwischen 0,95 für Pflegestufe 0 und 1,10 für Pflegestufe 3. In
Hessen wird die Pflegestufe drei beispielsweise mit 1,20 gewichtet.
Im Bereich des Pflegesatzes sieht
das Gesetz ab dem 1. Januar 2017
eine pauschale Überleitung der
Einrichtungen vor. Als Basis für die
LESERBRIEF
„Anhörung ist eine Farce“
zum Beitrag: Nicht überzeugt
(CAREkonkret 51/52 2015)
Auch ich habe am 11.12. im
Ministerium für das Nikodemus
Werk an der Anhörung teilgenommen, die schon deshalb eine
Farce gewesen ist, weil gleich zu
Beginn klargestellt wurde, dass es
nicht um das Pro und Contra der
Generalistik geht, sondern um
Anregungen zu einzelnen Paragraphen. Die Ablehnungsfront
war unüberhörbar, jedoch hat das
die Ministerialen wenig beeindruckt[...] Nun reift ein Kabinettsentwurf heran, der nach überwiegender Überzeugung der Fachwelt
die Altenpflege als eigenständigen
Beruf mittelfristig vernichtet, zu-
Überleitung wurde ein Schlüssel
entwickelt, der sich auf den Pflegegrad 2 bezieht und die Entgelte für
die weiteren Pflegegrade anhand
einer Äquivalenzziffer berechnet.
Auch wenn es durch die Gesetzesanpassung vom 13.11.2015 eine Entspannung der Relationen gab (der
ursprüngliche
Gesetzesentwurf
ging von einer höheren Spreizung
aus), sehen wir diesen Ansatz weiterhin als kritisch an:
Wie ersichtlich wird, liegt die Spreizung nun bei ca. 50% zwischen Pflegegrad 2 und 5. Nun werden einige
Anbieter sagen, dass diese Unterschiede in der Preisgestaltung auch
im heutigen System existieren.
Für Einrichtungen beispielsweise
in Nordrhein-Westfalen hingegen
bedeutet sie eine wesentliche Neuerung. Durch diese Spreizung wird
es zu starken belegungsabhängigen
Einnahmeschwankungen kommen.
Dadurch wird es zukünftig erforderlich, das Personal belegungsabhängig zu steuern, um keine Defizite zu erwirtschaften. Dies stellt
gerade im Kontext der teilstationären Versorgung eine besondere
Herausforderung dar. Anbietern in
den betroffenen Bundesländern ist
daher anzuraten, Ihre Einrichtungen
hinsichtlich der Kundenstruktur zu
Überleitungsreglung gemäß § 92e Absatz 3 SGB XI, Gewichtung
basierend auf der Berechnung des Pflegesatzes für den Pflegegrad 2
Gesetzesentwurf
September 2015
Aktueller Gesetzesentwurf
(Stand 11.11.2015)
Pflegegrad 1
0,78
0,78
Pflegegrad 2
1,00
1,00
Pflegegrad 3
1,,36
1,20
Pflegegrad 4
1,,74
1,40
Pflegegrad 5
1,91
1,50
mindest aber schwächt. Vor allem
besteht überhaupt keine Notwendigkeit, diesen eigenständigen Beruf zu
opfern, der es in den zurückliegenden
Jahrzehnten schwer genug hatte, sich
in der Pflegeszene zu etablieren. Das
ist gelungen. Warum zerschlägt man
ohne Not gewachsene und sich bewährte Strukturen? [...] Der Aufschrei
scheint noch nicht laut genug zu sein,
um dieses Gesetzesvorhaben in dieser
Form zu verhindern. [...]Möge die öffentlich verlautbarte Ablehnung der
Grünen-Ministerin Barbara Steffens,
Nordrhein-Westfalen, auf fruchtbaren
Boden [...] fallen.
Norbert Zimmering, Vorstand des
Nikodemus Werkes e.V.
Die Redaktion behält sich vor,
Leserbriefe zu kürzen. Zuschriften geben nicht unbedingt die
Meinung der Redaktion wieder.
überprüfen und ggf. frühzeitig Konzepte zu erstellen, mit denen eine
Reaktion ermöglicht wird. Weiterhin besteht durch die neue Spreizung und die Umstellungssystematik (wir hatten in dem Artikel
in CAREkonkret Ausgabe 44/2015
darauf hingewiesen, dass der Zeitpunkt der Umstellung wesentlichen
Einfluss auf die Pflegesätze nimmt)
ein wirtschaftliches Risiko für die
Betreiber, auch wenn es sich durch
die geringere Spreizung verringert
hat. So kann es durch eine unterjährige Verschiebung hin zu niedrigeren Pflegegraden zu einem kaum
ausweichlichen Defizit kommen.
Auch vor diesem Hintergrund ist
es daher zu empfehlen, dass sich die
Anbieter noch vor der Umstellung
mit der zu erwartenden Bewohnerstruktur, den Pflegesätzen sowie deren wirtschaftliche Auswirkungen
auseinander setzen. Eine Alternative zur automatischen Überleitung
kann eine Echtverhandlung darstellen. Hier wird jedoch aller Voraussicht nach nicht von den Spreizungen abgewichen werden.
Aber dennoch kann in diesem
Fall die individuelle Kostensituation
berücksichtigt werden, während die
Umsetzung der gesetzlichen Standardregelung einen künstlichen
Eingriff in die Preisbildung darstellt,
durch den die Einzelpreise in Abhängigkeit von der Belegungsstruktur insgesamt nach oben oder nach
unten korrigiert wird – losgelöst von
der tatsächlichen Kostensituation
des Trägers und der zu erwartenden
Kundenstruktur.
Eine Neuverhandlung sollte
daher im Kontext strategischer
Überlegungen nicht grundsätzlich
ausgeschlossen werden. Hier gilt es
aber schnell zu sein, da die Verhandlungen bis zum 30. September 2016
abgeschlossen sein müssen. Andernfalls erfolgt die automatische,
gesetzliche Überleitung.
 Diplom-Kaufmann Roman
Tillmann ist geschäftsführender Partner bei der rosenbaum
nagy Unternehmensberatung
GmbH in Köln, E-Mail: tillmann@
rosenbaum-nagy.de
 Der Pflege- und Gesundheitsmanager Thomas Harazim ist Berater bei rosenbaum nagy, E-Mail:
[email protected]
Sachsen bekommt Enquete-Kommission zum Thema Pflege
Auf Herausforderungen reagieren
Dresden //Sachsens Landtag hat
eine Enquete-Kommission zur Pflege auf den Weg gebracht. Das Votum fiel noch im vergangenen Jahr
Mitte Dezember einstimmig aus. In
der vorausgehenden Debatte wiesen Redner aller Fraktionen auf den
künftigen Bedarf und damit einhergehende Anforderungen hin. Gegenwärtig gibt es in Sachsen rund
150 000 Pflegebedürftige. Nach Prognosen des Verbandes der Ersatzkassen wird ihre Zahl bis 2030 auf
191 000 steigen.
Entwicklung politisch begleiten
„Die Enquete-Kommission verfolgt
das Ziel, Handlungsempfehlungen
zu erarbeiten, um auf aktuelle Veränderungen in der Pflege- und Altersstruktur aber auch gesellschaftlichen Änderungen entsprechend
reagieren zu können“, erklärte der
CDU-Politiker Patrick Schreiber.
Sachsen ist aus demografischer
Sicht schon heute eines der „ältesten“ Bundesländer. Laut Statistik
lag 1990 das Durchschnittsalter hier
noch bei 39,4 Jahren, 2013 waren es
bereits 46,6 Jahre. Die Anzahl der
über 85 Jahre alten Menschen stieg
im gleichen Zeitraum von rund 71
000 auf etwa 127 000. Der Großteil
der Betroffenen wird von Angehörigen gepflegt. Rund 60 000 Menschen sind in der Altenpflege tätig.
(dpa)
NEWSTICKER
Gericht: Kein Recht auf
tödliche Substanz für Suizid
Ein älteres Ehepaar hat nach einer Gerichtsentscheidung kein
Anrecht auf eine tödliche Medikamentendosis, um seinem
Leben ein Ende zu machen. Die
beiden 78 und 71 Jahre alten Kläger aus Gießen hatten beim Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte eine Erlaubnis
zum Kauf einer tödlichen Dosis
des Betäubungsmittels NatriumPentobarbital beantragt, wie das
Kölner Verwaltungsgericht mitteilte. Das Institut lehnte dies
ab, wogegen beide klagten. Das
Verwaltungsgericht erklärte, weder aus den Grundrechten noch
aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergebe sich ein
Recht auf eine Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Substanz.
Verfassungsbeschwerde
gegen Pflegefonds
Gegen die Finanzierung des
neuen Pflegevorsorgefonds haben 376 Familien Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die Beschwerde sei am 16. Dezember
2015 beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe übergeben
worden, teilten der Deutsche
Familienverband und der Familienbund der Katholiken mit. Beide Organisatoren unterstützen
den Vorstoß. Seit vergangenem
Jahr gehen 0,1 Prozentpunkte der
Beiträge zur Pflegeversicherung
in einen Vorsorgefonds, derzeit
etwa 1,2 Milliarden Euro pro Jahr.
Ab 2035 kann mindestens 20 Jahre lang maximal ein Zwanzigstel
des angesammelten Kapitals pro
Jahr verwendet werden, um Beitragssteigerungen zu mildern.
Die Beschwerdeführer fordern
eine Entlastung im Vergleich zu
kinderlosen Beitragszahlern. Das
Bundesverfassungsgericht hatte bereits 2001 über den Beitrag
zur Pflegeversicherung entschieden. Seit 2005 zahlen kinderlose
Versicherte deswegen einen um
0,25 Prozentpunkte höheren Beitragssatz.
Zahl der Woche
98
Prozent der Deutschen legen im Pflegefall vor allem Wert auf gut ausgebildetes Pflegepersonal. Das ergab
eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Tolunaim im Auftrag der Residenz-Gruppe Bremen. Hobbys und Beschäftigungen spielen für 96 Prozent
eine sehr (59 Prozent) oder eher (38
Prozent) wichtige Rolle. Auf ihr Haustier oder andere Tiere in der Pflegeeinrichtung legt demnach gut die Hälfte
der Befragten Wert: 32 Prozent finden
diesen Punkt sehr wichtig, 27 Prozent
eher wichtig. Befragt wurden 1000
Männer und Frauen ab 18 Jahren sowie 200 Menschen ab 45 Jahren. (ck)