Der haftungssichere Rechtsberater für Profis in der Pflege § ➫ Sozialrecht Pflegestärkungsgesetz II: Mehr als nur ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff Bereits in der Oktober-Ausgabe hatten wir über das neue Pflegestärkungsgesetz II (PSG II) berichtet. Dabei ging es vor allem um den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und um die neuen Pflegegrade. Das mittlerweile am 13.11.2015 verabschiedete Gesetz hat aber noch viel mehr zu bieten. So wurde das Leistungsrecht des Sozialgesetzbuchs XI (SGB XI) ganz gehörig aufgefrischt. Das ist zum einen eine Folge des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, zum anderen aber auch gänzlich unabhängig davon. Hier bekommen Sie den Überblick über die Neuerungen. Informations- und Beratungsleistungen Die gesetzlichen Regelungen zur Information und Beratung werden neu strukturiert und ausgeweitet. Sie gelten bereits seit Anfang dieses Jahres. Dadurch soll die Beratung qualitativ verbessert werden. § 7 SGB XI regelt nunmehr alleine die Auskunft. Diese kann auch von nicht qualifizierten Mitarbeitern der Pflegekassen erbracht werden. Neu ist, dass die zuständige Pflegekasse im Rahmen dieser Auskunft die Versicherten unverzüglich nach Eingang eines Antrags insbesondere über den Anspruch auf die unentgeltliche Pflegeberatung, den nächstgelegenen Pflegestützpunkt sowie die Leistungs- und Preisvergleichslisten informieren muss. Diese Listen müssen zukünftig grds. im Internet veröffentlicht werden. Auf der Internetseite sind ebenfalls die Ergebnisse der Qualitätsprüfungen zu berücksichtigen. Die Informationen müssen zukünftig auch konkrete Informationen zu Angebot, Kosten und regionaler Verfügbarkeit der Pflegeeinrichtungen sowie für niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote (s.u.) enthalten. www.rechtssicher-pflegen.com | Die Pflegeberatung wird nunmehr alleine in § 7a SGB XI geregelt. Mit dem PSG II werden die Pflegekassen verpflichtet, noch vor der ersten Beratung schnell, unbürokratisch und unverzüglich feste Ansprechpartner für eine individuelle Beratung zu benennen. Es wird darüber hinaus klargestellt, dass Versicherte ihre Leistungsanträge nicht unbedingt bei den Kassen, sondern zukünftig auch gegenüber dem zuständigen Pflegeberater stellen können. Gänzlich neu ist, dass Pflegeberatung nun auch pflegenden Angehörigen und weiteren Personen gegenüber erbracht werden muss (sofern der Anspruchsberechtigte dies wünscht). Bei den Beratungsgutscheinen (§ 7b SGB XI) ändert sich alleine, dass nicht nur bei Erst-, sondern auch bei späteren Anträgen innerhalb von vierzehn Tagen eine Beratung stattfinden oder ein Beratungsgutschein ausgestellt werden muss (der innerhalb von vierzehn Tagen einzulösen ist). Erfasst sind davon zukünftig bspw. also auch Neueinstufungsanträge oder Wechsel von Geld- zu Sachleistungen. Leistungen für Pflegegrad 1 Sämtliche Leistungen der sozialen Pflegeversicherung werden in Zukunft grds. nur Pflegebedürftigen mit Pflegegrad 2 zugutekommen. Aber auch Versicherte mit Pflegegrad 1 gehen nicht leer aus. Sämtliche Ansprüche sind in dem neu eingefügten § 28a Abs. 1 SGB XI aufgelistet. Erwähnt sind z. B. die Pflegeberatung, die Versorgung mit Hilfsmitteln sowie der Entlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro (s. u.). Den gleichen Betrag erhalten Pflegebedürftige des Pflegegrades 1, wenn sie die – meist an sich noch nicht notwendige – vollstationäre Pflege wählen. Login: pflegerecht | Leistungen bei ambulanter Pflege Bei den neuen Pflegesachleistungen (§ 36 SGB XI, Leistungen der ambulanten Pflegedienste) schlägt der neue Pflegedürftigkeitsbegriffs mit seiner Gleichbehandlung von somatisch, kognitiv und psychisch beeinträchtigten Pflegebedürftigen voll durch. Die Neudefinition der häuslichen Pflegehilfe beseitigt die bisherige Beschränkung auf bestimmte, körperbezogene Verrichtungen. Die Stärkung der Selbstständigkeit steht im Vordergrund. Auch die pflegefachliche Anleitung von Pflegebedürftigen und Betreuungspersonen gehört nun zur häuslichen Pflegehilfe. Präzisiert wurde, dass zu pflegerischen Betreuungsmaßnahmen auch solche Unterstützungsleistungen gehören, die der Bewältigung und Gestaltung des alltäglichen Lebens im häuslichen Umfeld dienen. Insbesondere werden genannt: u Leistungen bei der Bewältigung psychosozialer Problemlagen oder von Gefährdungen u bei der Orientierung, bei der Tagesstrukturierung, bei der Kommunikation, bei der Aufrechterhaltung sozialer Kontakte und bei bedürfnisgerechten Beschäftigungen im Alltag u Maßnahmen zur kognitiven Aktivierung Beim Pflegegeld nach § 37 SGB XI gibt es, bis auf die Neuberechnung nach Pflegegraden, keine wesentlichen Neuerungen. Außerdem: Pflegebedürftige mit Pflegegrad 2 und 3 haben halbjährlich einmal, Pflegebedürftige mit Pflegegrad 4 und 5 vierteljährlich einmal einen Beratungseinsatz abzurufen. Pflegebedürftige mit Pflegegrad 1 sind dazu nicht verpflichtet, können eine Beratung aber auf Kosten der Pflege- Passwort: pflegegrad 3 Rechtssicher ell pflegen & führen aktu ➫ Sozialrecht kasse abrufen (einmal halbjährlich). Für Pflegeunternehmen gibt es ein mageres Zuckerl: Die Pauschale für den Beratungseinsatz steigt ab 2017 auf 23 Euro (bei Pflegegrad 1, 2 und 3) bzw. 33 Euro (bei Pflegegrad 4 und 5). Für zusätzliche Leistungen in ambulant betreuten Wohngruppen gibt es in § 38a SGB XI zukünftig die Möglichkeit zur Kombination mit Leistungen der Tages- oder Nachtpflege. Das geht jedoch nur dann, wenn nachgewiesen ist (MDK!), dass die Pflege in der ambulant betreuten Wohngruppe ohne teilstationäre Pflege nicht in ausreichendem Umfang sichergestellt ist. Außerdem wird begrifflich klargestellt, dass solche Wohngruppen nicht anerkannt werden, die ausschließlich von einem externen Anbieter, also nicht von den Bewohnern und ihren Angehörigen selbst organisiert werden. Damit soll vollstationäre Pflege „im Kleide“ einer ambulant betreuten Wohngruppe von Leistungen ausgeschlossen bleiben. (Pflege-)Hilfsmittel Bei den Pflegehilfsmitteln gibt es eine interessante Neuregelung. Danach muss der MDK in seinem Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit konkrete Empfehlungen zur Hilfsmittel- und Pflegehilfsmittelversorgung abgeben. Die Empfehlungen gelten jeweils als Antrag auf Leistungsgewährung, sofern der Versicherte zustimmt. Die Erforderlichkeit bzw. die Notwendigkeit der Versorgung wird für etliche (Pflege-) Hilfsmittel vermutet. Außerdem muss die Pflegekasse dem Antragsteller unverzüglich, jedoch spätestens mit der Übersendung des Bescheids über die Feststellung der Pflegebedürftigkeit, auch die Entscheidung über die empfohlenen Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel mitteilen. Das ist eine weitere Regelung zur Entbürokratisierung. 4 Tages- und Kurzzeitpflege, vollstationäre Pflege Die Leistungen der Tages- und Nachtpflege sowie für Kurzzeitpflege werden ausschließlich für Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 eröffnet. Gleiches gilt für die vollstationäre Pflege. Neu eingefügt wird der Anspruch von Pflegebedürftigen in stationären Einrichtungen auf zusätzliche Betreuung und Aktivierung (§ 43b SGB XI). Hier werden alle Pflegebedürftigen erfasst, also auch solche mit Pflegegrad 1. Bislang war die zusätzliche Betreuung und Aktivierung in stationären Pflegeeinrichtungen lediglich als vergütungsrechtliche Regelung ausgestaltet (§ 87b SGB XI). Die Pflegebedürftigen hatten keinen Individualanspruch. Das ist nun anders. Inhaltlich hat sich jedoch nichts geändert. Niederschwellige Betreuungsangebote Bestens bekannt sind noch die Leistungen für Pflegebedürftige mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf (§§ 45a ff. SGB XI). Diese Leistungen werden durch den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff nunmehr über andere Leistungsansprüche erfasst und entfallen. Ein Teil bleibt jedoch erhalten. So z. B. die nun in § 45a SGB XI geregelten Angebote zur Unterstützung im Alltag. Gemeint sind damit die „alten“ niedrigschwelligen Betreuungs- und Entlastungsangebote. Nicht erfasst sind solche Angebote, die sich primär an die Pflegebedürftigen richten und indirekt auch die Pflegepersonen entlasten (z. B. Betreuungsangebote). Die Voraussetzungen für bestimmte Angebotsarten sowie einheitliche Kriterien dürfen auch zukünftig – wie bisher schon – die Bundesländer festlegen. Gesetzlich konkretisiert ist jetzt, dass eine zielgruppen- und tätigkeitsgerechte Qua- § lifikation der eingesetzten Helfenden gefordert wird. So wird beispielsweise jemand, der ein Angebot für haushaltsnahe Dienstleistungen vorhält, auch entsprechende Qualifikationen im Bereich der Hauswirtschaft sowie der weiteren haushaltsnahen Tätigkeiten, nachweisen müssen. Außerdem ist es notwendig, dass die Mitarbeiter ein angemessenes Grundund Notfallwissens im Umgang mit Pflegebedürftigen haben. Dies gilt selbst bei einem Einsatz im rein hauswirtschaftlichen Bereich. Etwas gänzlich Neues ist der sogenannte Umwandlungsanspruch. Danach können Pflegebedürftige (mit Pflegegrad 2 bis 5) ihren Sachleistungsanspruch bis zu einem Anteil von 40 Prozent des Maximalbetrags in einen solchen für die Angebote zur Unterstützung im Alltag umwandeln. Allerdings sind die Vergütungen für ambulante Pflegesachleistungen vorrangig abzurechnen. Wird eine Kombinationsleistung nach § 38 SGB XI in Anspruch genommen, dann zählt die Erstattung der Aufwendungen als Sachleistung. Die Anspruchsberechtigten erhalten die Kostenerstattung nur auf Antrag. Der bisherige Anspruch auf „Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen“ wird nun als Entlastungsbetrag bezeichnet (§ 45b SGB XI). Pflegebedürftige in häuslicher Pflege haben darauf in Höhe von bis zu 125 Euro monatlich einen Anspruch. Eine Unterscheidung zwischen Grundbetrag und erhöhtem Betrag wird es zukünftig nicht mehr geben. Wichtig: Wer den Entlastungsbetrag beansprucht, der kann auch den Umwandlungsanspruch geltend machen. Die beiden zuletzt genannten Ansprüche sind also völlig unabhängig voneinander. Außerdem ist es nicht hinderlich, wenn zur Finanzierung der genannten Leistungen nicht nur der Entlastungsbetrag, sondern auch die Leistungen der Verhinderungspflege eingesetzt werden. v
© Copyright 2024 ExpyDoc