„Grade oder Stufen - Was passiert mit der sozialen Pflegepflichtversicherung?“ Wir schreiben das Jahr 2015, mehr als 2,6 Millionen Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig. Die Anzahl pflegebedürftiger Personen wird in den nächsten Jahren weiter deutlich ansteigen, denn die Anzahl älterer Menschen nimmt signifikant zu. Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung wird die Zahl der pflegebedürftigen Personen in Deutschland im Jahr 2040 bei 4,13 Millionen Menschen liegen. Gleichzeitig nimmt die Geburtenrate - übrigens nicht nur in Deutschland - signifikant ab, immer weniger junge Menschen kommen nach. Die steigenden Kosten der Pflege lasten also somit auf immer weniger Schultern. Ein damit einhergehendes Problem ist, dass es zukünftig fatalerweise auch weniger Pflegekräfte geben wird. In Abhängigkeit von Bundesland und Landkreis zeichnen sich mancherorts diesbezüglich bereits katastrophale Engpässe in der Versorgung ab. Eine Aufgabe der Politik muss somit auch die Neugewinnung von Pflegekräften sein. Der Bund muss den Pflegeberuf attraktiver machen, sodass sich mehr Menschen für diesen Beruf entscheiden. Die Bundesregierung hat dies erkannt und will dieser Entwicklung (endlich) etwas entgegensetzen und erstmals seit langer Zeit die Pflege mehr in den Blick rücken – mit den Pflegestärkungsgesetzen. Damit sollen nicht nur die zu Pflegenden, sondern auch die Pflegekräfte gestärkt werden, indem der Bund Geld für zusätzlich 45.000 Betreuungskräfte in stationären Pflegeeinrichtungen zur Verfügung stellt. Genau genommen existieren zwei Pflegestärkungsgesetze: Das erste wurde bereits zum 1. Januar 2015 eingeführt, das zweite wird zum 1. Januar 2017 in Kraft treten. In einem ersten Schritt wurde zum Jahresbeginn mit dem 1. Pflegestärkungsgesetz neben Leistungsverbesserungen und einer höheren Zahl an Pflegekräften auch ein Vorsorgefonds eingeführt, in den jährlich rund 1,2 Milliarden Euro einfließen sollen. Dieser Vorsorgefonds dient der nachhaltigen Entwicklung der Pflege, denn wenn ab 2035 die geburtenstarken Jahrgänge vermehrt in die Pflegebedürftigkeit gelangen, können die wenigen jungen Menschen die Kosten der Pflege nur schwer stemmen. Der Fonds soll dabei helfen, die Pflege der Zukunft zu finanzieren. Im Januar 2017 wird dann mit dem 2. Pflegestärkungsgesetz ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff und ein neues Begutachtungsschema folgen. Die bisherige Differenzierung zwischen Pflegebedürftigen mit körperlichen Einschränkungen auf der einen Seite und mit Pflegebedürftigen mit kognitiven und psychischen Einschränkungen (insbesondere Demenzkranke) auf der anderen Seite wird entfallen. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff will eine bessere Berücksichtigung der individuellen Situation von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen sowie einen Abbau von Unterschieden im Umgang mit körperlichen und geistigen Einschränkungen erreichen. Die daraus resultierenden (deutlichen) Leistungsverbesserungen werden durch ein Anheben der Beiträge zur Pflegeversicherung finanziert werden müssen. Statt drei Pflegestufen wird es ab 2017 fünf Pflegegrade geben, die der individuellen Pflegebedürftigkeit besser gerecht werden. Psychische und physische Faktoren der Pflegebedürftigkeit werden gleichgesetzt. Bisher spielten im Wesentlichen körperliche Einschränkungen für die Anerkennung der Pflegebedürftigkeit eines Menschen eine Rolle. Ausgehend von der Selbstständigkeit einer Person wird nun das Stadium der Einschränkung in fünf Grade eingeteilt, von geringer Beeinträchtigung der Selbstständigkeit (Pflegegrad 1) bis zur schwersten Beeinträchtigung, die mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung einhergeht (Grad 5). Bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit wird nicht mehr zwischen körperlichen, geistigen und psychischen Beeinträchtigungen differenziert. Voraussichtlich wird sich die Umwandlung der derzeitigen Pflegestufen in Pflegegrade wie folgt darstellen: • Pflegestufe 0 wird zu Pflegegrad 1 • Pflegestufe 1 wird zu Pflegegrad 2 • Pflegestufe 1 plus eingeschränkte Alltagskompetenz wird zu Pflegegrad 3 • Pflegestufe 2 wird zu Pflegegrad 3 • Pflegestufe 2 plus eingeschränkte Alltagskompetenz wird zu Pflegegrad 4 • Pflegestufe 3 wird zu Pflegegrad 4 • Pflegestufe 3 plus eingeschränkte Alltagskompetenz wird zu Pflegegrad 5 • Härtefall wird zu Pflegegrad 5 Aus diesem System ist schon ersichtlich, dass eine eingeschränkte Alltagskompetenz zu einem höheren Pflegegrad führt, als an sich aufgrund der rein körperlichen Beeinträchtigung gegeben wäre. Ob jemand pflegebedürftig ist, bestimmt sich künftig ausschließlich nach dem Grad der Selbstständigkeit. Um diesen zu messen, werden Aktivitäten in den pflegerelevanten Bereichen untersucht. Es wird nicht - wie nach der alten Methode - die Zeit gemessen, die zur Pflege der jeweiligen Person benötigt wird, sondern es werden Punkte vergeben, die darstellen, inwieweit die Selbstständigkeit einer Person eingeschränkt ist. Anhand der Ergebnisse der Prüfung wird der Pflegebedürftige in einen der (neuen) fünf Pflegegrade eingeordnet. Bevor der neue Begriff der Pflegebedürftigkeit 2017 eingeführt wird, muss sichergestellt sein, dass das neue Begutachtungssystem praxistauglich ist und die Verbesserungen auch wirklich bei den Pflegebedürftigen ankommen. Im Neuen Begutachtungsassessment (NBA) wird auf die bisherige minutengenaue Zeiterfassung verzichtet. Die neuen Bewertungsmethoden im Neuen Begutachtungsassessment (NBA) erfassen den Pflegebedürftigen ganzheitlich im Bezug auf seine Selbstständigkeit. Es werden Punkte auf einer Skala von 0 bis 100 bei der Begutachtung vergeben und anschließend eine Einstufung in eine der fünf Pflegegrade vorgenommen. Begutachtet werden nur Menschen, die seit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der 2. Stufe der Pflegereform im Jahr 2017 Leistungen aus der Pflegeversicherung beantrag haben. Menschen, bei denen bereits eine Pflegebedürftigkeit nach dem alten Recht festgestellt worden ist, müssen sich keiner neuen Begutachtung unterziehen. Ihre festgestellte Pflegestufe wird nach einem formalen Schema, wie oben vorgestellt, in einen neuen Pflegegrad überführt. Gegenwärtig wird das neue Verfahren für die Ermittlung des Pflegegrades getestet. Im Neuen Begutachtungsassessment (NBA) werden sechs Bereiche medizinisch begutachtet. Für jeden Pflegegrad existieren innerhalb dieser sechs Bereiche Richtwerte, an denen sich die Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MdK) bei der Bewertung des Pflegegrades orientieren werden. 1. Hilfen bei Alltagsverrichtungen Wie viel Zeit wird für die alltäglichen Verrichtungen benötigt? 2. Psychosoziale Unterstützung Welcher Bedarf an Hilfe ist im Bereich psychosozialer Unterstützung erforderlich? 3. Nächtlicher Hilfebedarf Wie viel Unterstützung benötigt der zu Pflegende in der Nacht? 4. Präsenz am Tag Wie lange kann der Pflegebedürftige am Tag alleine gelassen werden? 5. Unterstützung beim Umgang mit krankheitsbedingten Anforderungen Welche Unterstützung benötigt der Betroffene aufgrund seiner Erkrankung in diesem Bereich (Beispiel: Medikamentengabe oder Verbandswechsel)? 6. Organisation der Hilfen Wer soll die Pflege und Betreuung übernehmen? Sind Angehörige oder Bekannte vorhanden oder muss auf einen professionellen Pflegedienst zurückgegriffen werden? Fazit: Die Pflegereform bringt mehr Leistungen für Pflegebedürftige. Diese müssen finanziert werden. Allein bis zum Jahr 2017 werden zusätzlich 4,8 Milliarden Euro an Ausgaben veranschlagt. Danach rechnet die Bundesregierung mit jährlich 2,4 Milliarden Euro an Mehrausgaben. Jahrzehntelang war es das Streben jeglicher Forschung, die Lebenserwartung zu erhöhen, kurz: länger zu leben. Dabei wurde vergessen oder verdrängt, dass „längeres Leben“ auch längere Krankheit oder längere Pflege bedeuten kann. Jedem Einzelnen sei natürlich jedes Jahr, jeder Tag, jeder Augenblick „länger“ auf Erden gegönnt, der uns geschenkt wird. Am besten und unkompliziertesten allerdings bei „strahlender Gesundheit“... Autor: Roland A. J. Budzisch, Fachbereichsleiter Versicherungen GOING PUBLIC! Akademie für Finanzberatung AG
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