2015 06 Grade oder Stufen - Was passiert mit der sozialen

„Grade oder Stufen - Was passiert mit der sozialen
Pflegepflichtversicherung?“
Wir schreiben das Jahr 2015, mehr als 2,6 Millionen Menschen in Deutschland sind
pflegebedürftig.
Die Anzahl pflegebedürftiger Personen wird in den nächsten Jahren weiter deutlich
ansteigen, denn die Anzahl älterer Menschen nimmt signifikant zu.
Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung wird die Zahl
der pflegebedürftigen Personen in Deutschland im Jahr 2040 bei 4,13 Millionen
Menschen liegen. Gleichzeitig nimmt die Geburtenrate - übrigens nicht nur in
Deutschland - signifikant ab, immer weniger junge Menschen kommen nach.
Die steigenden Kosten der Pflege lasten also somit auf immer weniger
Schultern. Ein damit einhergehendes Problem ist, dass es zukünftig
fatalerweise auch weniger Pflegekräfte geben wird. In Abhängigkeit
von Bundesland und Landkreis zeichnen sich mancherorts
diesbezüglich bereits katastrophale Engpässe in der Versorgung ab.
Eine Aufgabe der Politik muss somit auch die Neugewinnung von
Pflegekräften sein. Der Bund muss den Pflegeberuf attraktiver
machen, sodass sich mehr Menschen für diesen Beruf entscheiden.
Die Bundesregierung hat dies erkannt und will dieser Entwicklung
(endlich) etwas entgegensetzen und erstmals seit langer Zeit die
Pflege mehr in den Blick rücken – mit den Pflegestärkungsgesetzen.
Damit sollen nicht nur die zu Pflegenden, sondern auch die
Pflegekräfte gestärkt werden, indem der Bund Geld für zusätzlich 45.000 Betreuungskräfte in
stationären Pflegeeinrichtungen zur Verfügung stellt.
Genau genommen existieren zwei Pflegestärkungsgesetze: Das erste wurde bereits zum 1.
Januar 2015 eingeführt, das zweite wird zum 1. Januar 2017 in Kraft treten. In einem ersten
Schritt wurde zum Jahresbeginn mit dem 1. Pflegestärkungsgesetz neben
Leistungsverbesserungen und einer höheren Zahl an Pflegekräften auch ein Vorsorgefonds
eingeführt, in den jährlich rund 1,2 Milliarden Euro einfließen sollen. Dieser Vorsorgefonds dient
der nachhaltigen Entwicklung der Pflege, denn wenn ab 2035 die geburtenstarken Jahrgänge
vermehrt in die Pflegebedürftigkeit gelangen, können die wenigen jungen Menschen die Kosten
der Pflege nur schwer stemmen. Der Fonds soll dabei helfen, die Pflege der Zukunft zu
finanzieren.
Im Januar 2017 wird dann mit dem 2. Pflegestärkungsgesetz ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff und ein neues Begutachtungsschema folgen. Die bisherige Differenzierung zwischen
Pflegebedürftigen mit körperlichen Einschränkungen auf der einen Seite und mit Pflegebedürftigen mit kognitiven und psychischen Einschränkungen (insbesondere Demenzkranke) auf
der anderen Seite wird entfallen.
Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff will eine bessere Berücksichtigung der individuellen
Situation von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen sowie einen Abbau von Unterschieden im
Umgang mit körperlichen und geistigen Einschränkungen erreichen. Die daraus resultierenden
(deutlichen) Leistungsverbesserungen werden durch ein Anheben der Beiträge zur
Pflegeversicherung finanziert werden müssen.
Statt drei Pflegestufen wird es ab 2017 fünf Pflegegrade geben, die der individuellen
Pflegebedürftigkeit besser gerecht werden. Psychische und physische Faktoren der
Pflegebedürftigkeit werden gleichgesetzt. Bisher spielten im Wesentlichen körperliche
Einschränkungen für die Anerkennung der Pflegebedürftigkeit eines Menschen eine Rolle.
Ausgehend von der Selbstständigkeit einer Person wird nun das Stadium der Einschränkung in
fünf Grade eingeteilt, von geringer Beeinträchtigung der Selbstständigkeit (Pflegegrad 1) bis zur
schwersten Beeinträchtigung, die mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung
einhergeht (Grad 5). Bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit wird nicht mehr zwischen
körperlichen, geistigen und psychischen Beeinträchtigungen differenziert.
Voraussichtlich wird sich die Umwandlung der derzeitigen Pflegestufen in Pflegegrade wie folgt
darstellen:
• Pflegestufe 0 wird zu Pflegegrad 1
•
Pflegestufe 1 wird zu Pflegegrad 2
•
Pflegestufe 1 plus eingeschränkte Alltagskompetenz wird zu Pflegegrad 3
•
Pflegestufe 2 wird zu Pflegegrad 3
•
Pflegestufe 2 plus eingeschränkte Alltagskompetenz wird zu Pflegegrad 4
•
Pflegestufe 3 wird zu Pflegegrad 4
•
Pflegestufe 3 plus eingeschränkte Alltagskompetenz wird zu Pflegegrad 5
•
Härtefall wird zu Pflegegrad 5
Aus diesem System ist schon ersichtlich, dass eine eingeschränkte Alltagskompetenz zu einem
höheren Pflegegrad führt, als an sich aufgrund der rein körperlichen Beeinträchtigung gegeben
wäre. Ob jemand pflegebedürftig ist, bestimmt sich künftig ausschließlich nach dem Grad der
Selbstständigkeit. Um diesen zu messen, werden Aktivitäten in den pflegerelevanten Bereichen
untersucht.
Es wird nicht - wie nach der alten Methode - die Zeit gemessen, die zur Pflege der jeweiligen
Person benötigt wird, sondern es werden Punkte vergeben, die darstellen, inwieweit die
Selbstständigkeit einer Person eingeschränkt ist. Anhand der Ergebnisse der Prüfung wird der
Pflegebedürftige in einen der (neuen) fünf Pflegegrade eingeordnet.
Bevor der neue Begriff der Pflegebedürftigkeit 2017 eingeführt wird, muss sichergestellt sein,
dass das neue Begutachtungssystem praxistauglich ist und die Verbesserungen auch wirklich
bei den Pflegebedürftigen ankommen.
Im Neuen Begutachtungsassessment (NBA) wird auf die bisherige minutengenaue Zeiterfassung
verzichtet. Die neuen Bewertungsmethoden im Neuen Begutachtungsassessment (NBA)
erfassen den Pflegebedürftigen ganzheitlich im Bezug auf seine Selbstständigkeit. Es werden
Punkte auf einer Skala von 0 bis 100 bei der Begutachtung vergeben und anschließend eine
Einstufung in eine der fünf Pflegegrade vorgenommen.
Begutachtet werden nur Menschen, die seit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der 2. Stufe der
Pflegereform im Jahr 2017 Leistungen aus der Pflegeversicherung beantrag haben. Menschen,
bei denen bereits eine Pflegebedürftigkeit nach dem alten Recht festgestellt worden ist, müssen
sich keiner neuen Begutachtung unterziehen. Ihre festgestellte Pflegestufe wird nach einem
formalen Schema, wie oben vorgestellt, in einen neuen Pflegegrad überführt.
Gegenwärtig wird das neue Verfahren für die Ermittlung des Pflegegrades getestet.
Im Neuen Begutachtungsassessment (NBA) werden sechs Bereiche medizinisch begutachtet.
Für jeden Pflegegrad existieren innerhalb dieser sechs Bereiche Richtwerte, an denen sich die
Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MdK) bei der Bewertung des
Pflegegrades orientieren werden.
1. Hilfen bei Alltagsverrichtungen
Wie viel Zeit wird für die alltäglichen Verrichtungen benötigt?
2. Psychosoziale Unterstützung
Welcher Bedarf an Hilfe ist im Bereich psychosozialer Unterstützung erforderlich?
3. Nächtlicher Hilfebedarf
Wie viel Unterstützung benötigt der zu Pflegende in der Nacht?
4. Präsenz am Tag
Wie lange kann der Pflegebedürftige am Tag alleine gelassen werden?
5. Unterstützung beim Umgang mit krankheitsbedingten Anforderungen
Welche Unterstützung benötigt der Betroffene aufgrund seiner Erkrankung in diesem Bereich
(Beispiel: Medikamentengabe oder Verbandswechsel)?
6. Organisation der Hilfen
Wer soll die Pflege und Betreuung übernehmen? Sind Angehörige oder Bekannte vorhanden
oder muss auf einen professionellen Pflegedienst zurückgegriffen werden?
Fazit:
Die Pflegereform bringt mehr Leistungen für Pflegebedürftige.
Diese müssen finanziert werden.
Allein bis zum Jahr 2017 werden zusätzlich 4,8 Milliarden Euro an Ausgaben veranschlagt.
Danach rechnet die Bundesregierung mit jährlich 2,4 Milliarden Euro an Mehrausgaben.
Jahrzehntelang war es das Streben jeglicher Forschung, die Lebenserwartung zu erhöhen, kurz:
länger zu leben. Dabei wurde vergessen oder verdrängt, dass „längeres Leben“ auch längere
Krankheit oder längere Pflege bedeuten kann.
Jedem Einzelnen sei natürlich jedes Jahr, jeder Tag, jeder Augenblick „länger“ auf Erden
gegönnt, der uns geschenkt wird.
Am besten und unkompliziertesten allerdings bei „strahlender Gesundheit“...
Autor:
Roland A. J. Budzisch, Fachbereichsleiter Versicherungen GOING PUBLIC! Akademie für
Finanzberatung AG