Gruppe junger Anwältinnen und Anwälte (GjA) Verhandlungsführung für Anwältinnen und Anwälte 13. Oktober 2015 Dr. Lukas Wyss, LL.M. (Georgetown) Verhandlungsführung Einordnung und Abgrenzung (1) Verhandlungsführung ist ein weites und komplexes Feld – kein Anspruch auf Vollständigkeit und persönlicher Approach: kleines Verhandlungsbrevier und nicht Verhandlungsseminar Verhandlungsführung mit Ziel Vertragsabschluss Verhandlungsführung im Rahmen von aussergerichtlichen Vergleichsverhandlungen. Verhandlungsführung im Rahmen von gerichtlichen Vergleichsverhandlungen. Fokus privatrechtliche Verhältnisse, nicht öff. Recht; nicht Auktionen Verhandlungsführung für Anwältinnen und Anwälte Lukas Wyss, 13. Oktober 2015 2 Verhandlungsführung Einordnung und Abgrenzung (2) These 1: «Optionen zum Verhandeln bewahren schafft Handlungsfreiheit und Verhandlungsvorteil» Verhandeln als eine Option von mehreren («Zuckerbrot & Peitsche») Nicht verhandeln Dispute Adjudica.on Boards (DABs) Mediation (kooperativ, kein Entscheid) Schiedsgutachten (Art. 189 ZPO) Prozessführung (konfrontativ, Entscheid bindend); staatliche Gerichte, Schiedsgerichte (Art. 353 ff. ZPO, zwölftes Kapitel IPRG, d.h. Art. 176 ff. IPRG; Schiedsordnungen Swiss Rules, ICC, DIS, etc.); einstweiliger Rechtsschutz, emergency arbitrator Verhandlungsführung für Anwältinnen und Anwälte Lukas Wyss, 13. Oktober 2015 3 Grundlagen des Verhandelns (1) These 2: «Verhandeln ist mehr als «orientalischer Basar»» Verhandeln als „wechselseitiges Austauschen von begründeten Angeboten“ – Basar? Der Indifferenzpreis als zentrales Element: Grenze zwischen gutem und schlechtem Deal Wo droht der Deal zu scheitern (Drohpunkt)? (Darstellung Berz, S. 12) Verhandlungsführung für Anwältinnen und Anwälte Lukas Wyss, 13. Oktober 2015 4 Grundlagen des Verhandelns (2) Verhandeln als Versuch, den Drohpunkt zu verschieben Dies kann geschehen, indem: eine Partei Alternativen aufbaut (anderer Vertragspartner; Prozess statt Verhandlung) eine Partei Verhandlungsmacht aufbaut (z.B. Elimination von Alternativen der Gegenpartei) die Einschätzung der Position der anderen Partei beeinflusst (z.B. Überzeugung von der eigenen Rechtsposition) Die Transaktionskosten steigert (Rechtskosten, insb. Prozesskosten, Opportunitätskosten bei verzögertem Produktionsbeginn, etc.) Verhandeln, um den eigenen Anteil am Kuchen zu vergrössern („win lose“) oder den Kuchen zu vergrössern und nicht nur zu teilen („win win“). Verhandlungsführung für Anwältinnen und Anwälte Lukas Wyss, 13. Oktober 2015 5 Phasen eines Verhandlungsprozesses These 3: «Verhandlungen folgen einer Struktur» Vorbereitung und Planung Materielle Planung Bei Anwälten: Sachverhalts-, Rechtsabklärung, Chanceneinschätzung Kommunikationsplanung Organisatorische Planung Komplexität der Verhandlungen als Ausgangspunkt Allgemeine Organisation Verhandlungsregie und -ablauf Einstieg in die Verhandlungen Informationsaustausch Die eigentliche Verhandlung (vgl. nachstehend) Der Abschluss der Verhandlung: Exit oder Vertragsschluss Verhandlungsführung für Anwältinnen und Anwälte Lukas Wyss, 13. Oktober 2015 6 Welche Themen beschäftigen uns während der Verhandlungen? Auslegeordnung Wer sind die Parteien, die Verhandlungspartner? Welches sind die „Haupttreiber“ der Verhandlungen? Rechtliche Leitplanken Verhandlungsvollmachten und Abschlusskompetenzen Interessenlagen und mögliche Verhandlungsergebnisse „Must haves“ und „tradeables“ – was und warum? Mögliche Ergebnisse: „Best case“, „second best case“, minimal result Was verhindert unseren „best case“ bzw. „second best case“? Lösungen, „deal Killers“ und „worst case“ Lackmus-‐Test: Kosten und Umsetzung Daraus leiten wir ab: Verhandlungsstil, Taktik, Verhandlungsszenarien Der Abschluss der Verhandlung: Exit oder Vertragsschluss Verhandlungsführung für Anwältinnen und Anwälte Lukas Wyss, 13. Oktober 2015 7 Der allgemeine Verhandlungsprozess (1) Verhandlungsstile, Vorgehensmodelle These 4: «Das Vorgehen während Verhandlungen ist mit entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg» Harte und weiche Verhandlungsstile Kulturelle Unterschiede Beispiel „Griechenland“ / Schuldenkrise Frühjahr und Sommer 2015 Franzosen, Deutsche, Amerikaner, Chinesen, etc. Kooperative Verhandlungsstile Harvard Konzept Unstrukturierte Verhandlungen Gegenseitige Forderungen und Zugeständnisse Ultimaten („take it or leave it“ – TOLI) und „faule“ Tricks... Verhandlungsführung für Anwältinnen und Anwälte Lukas Wyss, 13. Oktober 2015 8 Der allgemeine Verhandlungsprozess (2) Das Harvard Konzept Das Harvard Konzept als bekanntestes Verhandlungskonzept Menschen und Probleme getrennt voneinander behandeln Anerkenne die Bedürfnisse des Verhandlungsgegenübers Zuerst zuhören und verstehen statt argumentieren und begründen „win win“‐Lösung anstreben Einfach und sachlich kommunizieren Nicht Positionen, sondern Interessen in den Mittelpunkt stellen Harvard Konzept Unstrukturierte Verhandlungen Interesse an Anliegen der anderen Partei zeigen, nicht deren Ansatz widerlegen Entweder – oder vermeiden Vergleichsverhandlungen vs. Vertragsverhandlungen – und Gemeinsamkeiten Verhandlungsführung für Anwältinnen und Anwälte Lukas Wyss, 13. Oktober 2015 9 Der allgemeine Verhandlungsprozess (3) Das Harvard Konzept Vor der Entscheidung verschiedene Wahlmöglichkeiten entwickeln Menschen und Probleme getrennt voneinander behandeln Es gibt meistens keine „richtige“ und „einzige“ Lösung Bei der Entwicklung von Lösungen „win-win“-Situation anstreben Lösungsansatz auch für Gegenpartei suchen Das Ergebnis auf objektiven Entscheidprinzipien aufbauen Objektive Begriffe, objektiver Massstab Achtung Denkfallen! Emotionale Fallen, vgl. Dobelli – Denkkurzschlüsse Genug Zeit fürs Überlegen nehmen! Verhandlungsführung für Anwältinnen und Anwälte Lukas Wyss, 13. Oktober 2015 10 Grundregeln der Verhandlungsführung (1) These 5: «Das Befolgen gewisser Verhandlungsregeln erhöht die Chancen eines Verhandlungserfolgs» Was Sie bei Verhandlungen beachten sollten: Entscheidungsträger verhandeln in der Regel nicht selber (stufengerechtes Verhandeln, Eskalationsmöglichkeiten) Bleiben Sie ruhig und bewahren sie einen respektvollen Ton – bzw. setzen Sie Emotionalität gezielt und spärlich ein. Berücksichtigen Sie dabei die Persönlichkeit des Verhandlungspartners. Berücksichtigen Sie dabei Grundsätze der Psychologie sowie der Kommunikation. Positive Kommunikation: nicht drohen, sondern warnen Lösungen im Konjunktiv einbringen Exit Strategie entwickeln und ggf. im Laufe der Verhandlungen anpassen Verhandlungsführung für Anwältinnen und Anwälte Lukas Wyss, 13. Oktober 2015 11 Grundregeln der Verhandlungsführung (2) Verhandlungstaktiken zur Maximierung des Verhandlungserfolgs: „Wer argumentiert, verliert – wer fragt, führt“ Zeitdruck möglichst vermeiden Zeitliche Planung von Verhandlungen kann essentiell sein „Anker werfen“ Vermeiden Sie Sackgassen Machen Sie schrumpfende Zugeständnisse Bleiben Sie flexibel und analysieren Sie regelmässig von neuem die Situation (gemäss den eingangs aufgeführten Kriterien Verhandlungsführung für Anwältinnen und Anwälte Lukas Wyss, 13. Oktober 2015 12 Grundregeln der Verhandlungsführung (3) Konfliktmanagement – wenn die andere Partei unfair verhandelt oder übermässig taktiert (a): Analysieren Sie die Ursachen (ungenügende Vorbereitung, falsche Annahmen, Missverständnisse, negative Erfahrungen in der Vergangenheit, Charakterfrage, Unfähigkeit, Probleme in der Organisation, verdeckte Mitspieler bzw. Abhängigkeiten, unausgeglichenes Angebot, kulturelle Unterschiede, etc.) Bleiben Sie ruhig und gewinnen Sie Zeit Der Harvard Konzept‐Ansatz: Menschen von Problemen trennen, Interessen in den Mittelpunkt stellen, objektive Kriterien aufstellen und kommunizieren bzw. ev. verhandeln „Anker werfen“ Vermeiden Sie Sackgassen Machen Sie schrumpfende Zugeständnisse Bleiben Sie flexibel und analysieren Sie regelmässig von neuem die Situation (gemäss den eingangs aufgeführten Kriterien) Verhandlungsführung für Anwältinnen und Anwälte Lukas Wyss, 13. Oktober 2015 13 Grundregeln der Verhandlungsführung (4) Konfliktmanagement – wenn die andere Partei unfair verhandelt oder übermässig taktiert (b): An positive frühere Verhandlungsphasen oder Zwischenergebnisse anknüpfen Konkretes Ansprechen der entsprechenden Risiken und Befürchtungen bzw. möglichen Ängste der Gegenpartei Positive Umdeutung des Problems („dumm“ stellen, der Gegenpartei positives Motiv und Verhalten unterstellen) Goldene Brücke erarbeiten (“wie bringe ich Gegenpartei zu pos. Verhalten, zu pos. Lösung?“) Unfaires Verhalten ignorieren oder ansprechen („Ich gehe nicht auf Drohungen ein.“ „Wir können keine nachgeschobenen Forderungen akzeptieren, dies hat der VR nicht abgesegnet.“) Externe Fixpunkte und Sachzwänge „setzen“ (z.B. anstehende VR-Sitzung, muss bis dann entschieden sein) Verhandlungsführer auswechseln oder Vermittler einsetzen; bzw. schriftlich werden, andere Parteien / Personen einkopieren; oder persönliches Treffen inkl. Kunden/RA Verhandlungsführung für Anwältinnen und Anwälte Lukas Wyss, 13. Oktober 2015 14 Der Abschluss von Verhandlungen (1) These 6: «Denken Sie bereits am Anfang an den Abschluss der Verhandlung («make or break»)» Erfolgreicher Abschluss der Verhandlungen Vertragsabschluss mittels Term Sheet und nachgängigem Verfassen des vollausformulierten Vertragsdokuments – Einsatz und Gefahren Vertragsdokument bzw. Vergleich (gerichtlich, aussergerichtlich) Unterschriftskompetenz Formvorschriften? (notarielle Urkunde bei Liegenschaftsgeschäften; GV-‐/VR-‐ Beschlüsse, Unterschriftserfordernisse, etc.) Einbezug Dritter – Banken, Versicherungen Schiedsentscheid „einvernehmlicher Schiedsspruch“ Urkunden gemäss Art. 349 und 350 ZPO zur erleichterten Durchsetzung Kommunikation intern und extern Verhandlungsführung für Anwältinnen und Anwälte Lukas Wyss, 13. Oktober 2015 15 Der Abschluss von Verhandlungen (2) Abbruch der Verhandlungen – Exit-‐Szenario Gründe für Verhandlungsabbruch: zu grosse Differenzen, unfaire Verhandlungsführung, neue Alternativen, etc. Formalisierung des Abbruchs Schriftliche Bestätigung an die Gegenpartei? Standesrechtliche Vorgaben betr. Verwendung der Verhandlungspositionen und ebensolcher Offerten Weiteres Vorgehen – gemeinsame Absprache wenigstens diesbezüglich möglich (Schiedsgutachten, Schiedsverfahren, etc.) Position und Interessen der Klientschaft sichern: „Race to the court“? Vorsorgliche Massnahmen Kommunikation intern und extern Verhandlungsführung für Anwältinnen und Anwälte Lukas Wyss, 13. Oktober 2015 16 Literaturliste Grafiken aus Wikipedia > Gefangenendilemma, Feiglingsspiel ROGER FISHER, WILLIAM L. URY, BRUCE PATTON, Das Harvard Konzept, Frankfurt a.M. 2014 WILLIAM L. URY, Schwierige Verhandlungen, Frankfurt a.M. 1992 BENNO HEUSSEN, GERHARD PISCHEL, Handbuch Vertragsverhandlung und Vertragsmanagement, Köln 2014 THOMAS FRITZSCHE, Souverän Verhandeln, Bern 2015 GREGOR BERZ, Spieltheoretische Verhandlungs-‐ und Auktionsstrategien, Stuttgart 2014 ROLF DOBELLI, Die Kunst des Klaren Denkens – 52 Denkfehler, München 2011 PHILIPP MAIER / JUDITH KNOBEL, Konfliktlösungsstrategien im Gerichtssaal, AJP 2015, S. 551 ff. Verhandlungsführung für Anwältinnen und Anwälte Lukas Wyss, 13. Oktober 2015 17 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Lukas Wyss Dr. iur., LL.M., Arb, Rechtsanwalt, Partner [email protected] Bratschi Wiederkehr & Buob AG Bollwerk 15 Postfach 5576 3001 Bern T +41 58 258 16 00 www.bratschi-law.ch Dieser Bericht ist ausschliesslich für den/die eingangs genannten Adressaten bestimmt. Die Verteilung, Zitierung und Vervielfältigung – auch auszugsweise – zum Zwecke der Weitergabe an Dritte ist nur mit vorheriger schriftlicher Zustimmung der Anwaltskanzlei Bratschi Wiederkehr & Buob AG gestattet. 18
© Copyright 2025 ExpyDoc