Europa tüftelt an der Wirtschaftsförderung

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Das Anlagemagazin der B˛rsen-Zeitung
September 2015 | Seite 18
REGULIERUNG
Europa tˇftelt an der
Wirtschaftsf˛rderung
Die geplante Kapitalmarktunion soll die Märkte des Alten Kontinents einen.
Von Michael Marray, Detlef Fechtner und Grit Beecken
,,Kapitalmarktunion‘‘ hat gute Chancen, im laufenden Jahr
das in der Finanzwelt am häufigsten gebrauchte Wort zu
werden. Kaum eine Keynote, Rede oder Präsentation
kommt derzeit ohne den Begriff aus. Das hat zwei Grˇnde:
Er ist inhaltlich noch äußerst vage und lässt sich daher in
vielen Kontexten verwenden. Und er gilt als das wichtigste
Wirtschaftsf˛rderungsprogramm Europas.
Die Kapitalmarktunion ist dabei in zweierlei Hinsicht Hoffnungsträger: Zum einen wartet der Alte Kontinent sehnlich
auf ein Ende der konjunkturellen Flaute. Zum anderen hat
EU-Kommissar Jonathan Hill signalisiert, dass regulatorische Hˇrden beseitigt werden, wenn sie die Wirtschaft
nachweislich belasten.
Zum Beispiel im Versicherungswesen: Dort will Hill Anreize
schaffen, mehr langfristige Investitionen einzugehen. ,,Lebensversicherungen und Pensionsfonds sind die natˇrlichen
Kandidaten fˇr Langfristinvestitionen in Infrastruktur, Wagnis- und Eigenkapital‘‘, erklärte der Brite vor einigen Monaten anlässlich einer Anh˛rung ˇber die geplante EU-Kapitalmarktunion.
Leider hätten sich diese institutionellen Investoren in den
Vorjahren zurˇckgezogen – allem Anschein nach getrieben
durch den regulatorischen Rahmen. Zwar habe die Kommission bereits einige Anreize fˇr langfristige Anlagen geschaffen. ,,Aber wir k˛nnen mehr machen, um sicherzustellen,
dass Versicherer ihr Geld in Infrastruktur stecken k˛nnen‘‘,
unterstrich Hill.
Was genau das sein kann, ist derzeit noch offen – genau wie
der Rest der Kapitalmarktunion. Hill hatte im Frˇhjahr zunächst eine Konsultation ˇber m˛gliche Bestandteile der geplanten Union gestartet. Konkret ging es dabei erst einmal
um eine Überarbeitung der Prospektrichtlinie und um einen
Rechtsrahmen fˇr qualitativ hochwertige Verbriefungen.
Darˇber hinaus bat die Kommission schlicht um Ideen fˇr
die Weiterentwicklung der europäischen Finanzmärkte.
700 Stellungnahmen
In Brˇssel sind rund 700 Stellungnahmen eingegangen.
Viele davon haben Hill zufolge angeregt, ˇber Wege nachzudenken, wie die EU die private Vorsorge fˇrs Alter stimulieren k˛nne – etwa ˇber ein standardisiertes VorsorgeproID: 2015167823
dukt. Noch ist offen, wie die Kommission auf solche Vorschläge reagieren wird. Ob sie Berˇcksichtigung finden,
wird sich wohl frˇhestens im Herbst zeigen, heißt es in Brˇssel.
Klar ist aber: Die Kommission ist so weit zufrieden mit dem
Projekt. Dem ersten Eindruck nach bestätige die Konsultation die EU-Kommission bei der Auswahl der Themen und
bei ihrer Entscheidung, einen schrittweisen Ansatz zu wählen, sagte Hill. Er setze auf einen ,,pragmatischen Ansatz‘‘,
anstatt die Kräfte in zähen Kämpfen ˇber Steuer- oder Insolvenzregeln zu verschleißen.
Auch wenn die Finanzmärkte gestärkt werden sollen, will
Hill, dass Bankkredite ,,selbstverständlich zentral fˇr Europas Wirtschaft bleiben sollen‘‘. Um andere Finanzierungsformen wie Venture Capital oder Crowdfunding zu stärken,
will die EU-Kommission allerdings die europäischen Regeln
fˇr Wagniskapital ˇberprˇfen und ausloten, wie Hindernisse fˇr den grenzˇberschreitenden Kapitalverkehr beseitigt werden k˛nnen.
Bei Europas Aufsehern st˛ßt die Kapitalmarktunion auf Gegenliebe. ,,Das ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige
Richtung‘‘, sagte Elisabeth Roegele, Exekutivdirektorin der
Wertpapieraufsicht bei der Bundesanstalt fˇr Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) kˇrzlich auf dem Eurob˛rsentag
der B˛rsen-Zeitung. Sie betont den umfassenden Charakter
des Vorhabens: ,,Wenn wir Kapitalmarktunion sagen, mˇssen wir europäisch denken.‘‘ Sie bezeichnet die Kapitalmarktunion als ein Wirtschaftsf˛rderungsprogramm und
kein Regulierungsvorhaben. Das sei gut, weil Europa derzeit
etliche andere Regelwerke implementiere und es wichtig
sei, erst deren Auswirkungen zu untersuchen, bevor neue
Gesetze geschrieben werden.
Einfache Finanzprodukte
Die BaFin stellt zudem die Bedeutung einfacher Finanzprodukte heraus. Schließlich soll die Kapitalmarktunion Finanzmittel von Privatinvestoren mobilisieren. In diesem Zusammenhang seien Standardisierung und Transparenz
wichtige Themen, sagt Roegele Zum Beispiel ben˛tigen Anleger ihrer Ansicht nach eine einheitliche Darstellung der
Kreditwˇrdigkeit eines Unternehmens. Darˇber hinaus sei
die Wiederherstellung des Anlegervertrauens ein wichtiger
Faktor fˇr den Erfolg der Kapitalmarktunion. Dabei k˛nnen
ihrer Ansicht nach die neuen Anlegerschutzregeln der ˇberarbeiteten Finanzmarktrichtlinie Mifid II helfen.
Steven Maijoor, Chef der European Securities and Markets
Authority (ESMA), steht ebenfalls hinter den Plänen. Die
Geldpolitik sei allein nicht ausreichend, um Europas Probleme zu l˛sen, sagte er im Mai in Luxemburg. ,,Ein wichtiger
Bestandteil der Strukturreformen sollte es sein, die Rolle
und Performance der Kapitalmärkte auszubauen.‘‘ Dafˇr
mˇssen die politischen Maßnahmen seiner Ansicht nach
m˛glichst konkret und praktikabel sein – und die ganze Europäische Union einschließen. ,,In dieser Hinsicht ist die
Entwicklung der Kapitalmarktunion strategisch wichtig‘‘,
so der ESMA-Chef weiter.
Europas Banken begrˇßen die Brˇsseler Pläne grundsätzlich auch. ,,Fˇr die Banken bedeutet die geplante Kapitalmarktunion eine große M˛glichkeit, ihre Finanzierungstätigkeit auszuweiten‘‘, sagte Paul Achleitner, Aufsichtsratschef der Deutschen Bank, im Frˇhjahr auf einer Podiumsmdiskussion, auf der er unter anderem mit EU-Kommissar Hill
ˇber die Union sprach. Es gelte ,,hier in Europa den Kapitalmarkt als integralen Bestandteil des Finanzwesens weiter
auszubauen‘‘.
Die Genossenschaftsbanken sind etwas zurˇckhaltender.
Gerhard Hofmann, Mitglied des Vorstandes des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken
(BVR), hält die Kapitalmarktunion grundsätzlich fˇr eine
,,valide, nachvollziehbare Idee‘‘, die aber die richtige Umsetzung brauche. ,,Wir wissen noch nicht, was das konkret bedeutet‘‘, so Hofmann.
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Er sagt, das gesamte Projekt mˇsse aus der Sicht des Mittelstandes gedacht werden. ,,Die meisten Mittelständler sind
wahrscheinlich zu klein, um in den Genuss der Kapitalmarktunion zu kommen.‘‘ Hofmann geht davon aus, dass
allenfalls bis zu 5 % aller Unternehmen in Europa von ihr
profitieren werden. Brˇssel solle daher zwar ˇber eine Mittelstandsoffensive nachdenken, in der der Kapitalmarkt eine
Rolle spielen kann. ,,Aber wir mˇssen auch an den Rest denken‘‘, regte der BVR-Vorstand an.
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Die europäische
Kapitalmarktunion
Im Zentrum der Pläne fˇr eine Kapitalmarktunion steht die
Frage, wie die EU dazu beitragen kann, Hindernisse abzubauen, die den Marktzugang vor allem mittelständischer
Unternehmen erschweren. Das k˛nnte geschehen, indem
Anleger mehr Informationen ˇber die Bonität von Kleinund Mittelunternehmen bekommen, oder indem die Vorgaben fˇr Privatplatzierungen angepasst werden. Zudem wird
erwogen, mittelfristig zusätzliche M˛glichkeiten fˇr die Bereitstellung von Risikokapital zu unterstˇtzen. Konkret will
die EU-Kommission zwei Themen angehen: Einen Rechtsrahmen fˇr hochwertige Verbriefungen und eine Revision
der EU-Prospekt-Richtlinie.
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