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Kritische Analysen und Kommentare zu Wirtschaft und Politik
Europäische Kapitalmarktunion – der Weg zurück in die
längst gescheiterte Fiktion der effizienten Finanzmärkte
Heiner Flassbeck · Mittwoch den 13. Januar 2016
Nach der Europäischen Bankenunion wird von vielen eine europäische
Kapitalmarktunion als wichtiger Lösungsbeitrag für die Eurokrise angesehen. Mit der
Kapitalmarktunion verfolgt die Europäische Kommission das Ziel, die
Unternehmensfinanzierung zu erleichtern und damit die Investitionstätigkeit
anzuregen. Als eine der wichtigsten Hürden für eine stärkere Investitionstätigkeit
wird eine zu starke Abhängigkeit der Unternehmen von den Banken angesehen. Die
Kommission glaubt, eine Stärkung der Kapitalmärkte könne helfen, die Effizienz der
Finanzmärkte insgesamt zu verbessern.
Zu einer Beschreibung des Vorhabens in deutsch vgl. etwa Kapital 5 im letzten
Gutachten des Sachverständigenrates, hier, oder ein Papier aus den offiziellen
Vorbereitungsunterlagen der Kommission in englisch, hier. Eine sehr gute Kritik aus
Le Monde Diplomatique findet sich hier.
Wie die Autoren aus Le Monde Diplomatique, Frédéric Lemaire und Dominique Plihon,
schildern, ist die Verbriefung von Krediten einer der wichtigsten Punkte des Konzepts
der EU Kommission. Wir erinnern uns, Verbriefung nennt man die Zusammenführung
verschiedener Kredite zu einem Kreditpaket, das dann von den Banken am
Kapitalmarkt weiterverkauft werden kann. Vor der großen Krise der Jahre 2008/2009
waren es vor allem amerikanische Hypothekenkredite unterschiedlicher Qualität
(inklusive subprime), die zu Paketen verschnürt (und bestens von den
Ratingagenturen bewertet) in die ganze Welt verkauft wurden. Dass das jemand heute
ernsthaft als eine Maßnahme zur Belebung der Wirtschaft und zur Stimulierung der
Investitionstätigkeit verkauft, müsste man als Witz bezeichnen, wenn es nicht so
traurig wäre.
Ich habe vorgestern Abend den Film „The big short“ gesehen (der heute in die
deutschen Kinos kommt und sehr empfehlenswert ist), in dem klar und anschaulich
gezeigt wird, wie Verbriefungen (absurderweise „securitisation“ genannt) dazu
benutzt wurden, Kreditschrott, für den sich niemand verantwortlich fühlte, in die
ganze Welt zu verkaufen. Weil man die Risikoeinschätzung für die zugrundeliegenden
Hypotheken durch die Verbriefung vollständig von den Haltern der Papiere fernhielt
(die Immobilienmakler und die Banken, die im Prinzip wussten, was läuft, hielten die
Risiken ja nicht mehr) und das Risiko der Papiere (auch mit Hilfe der
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Ratingagenturen) völlig intransparent gemacht wurde, konnte man diesen „shit“ (so
die Ausdrucksweise des Films) auch dann noch in großen Massen loswerden, als die
Immobilienblase schon kurz vor dem Platzen war.
Zu glauben, man könne heute durch derartige Instrumente dafür sorgen, dass vor
allem kleine und mittlere Unternehmen mehr und leichter Kredite bekommen, ist naiv,
dumm oder von der Finanzlobby direkt in die Feder diktiert. Auch überschätzt man bei
der Vorstellung, es gebe die Möglichkeit, durch bessere und effizientere
Kapitalmärkte die Investitionstätigkeit anregen, die Bedeutung der Kapitalmärkte
grandios. In einer Welt, in der es nicht gelingt, durch Nullzinsen die Kreditvergabe
anzuregen, ist eine weitere Kapitalmarktliberalisierung und Deregulierung so unnötig
wie ein Kropf. Sie wird vor allem dazu benutzt werden, die letzten Versuche einer
neuen und besseren Regulierung der Finanzmärkte (einschließlich der
Finanztransaktionssteuer) auszuradieren. Insofern hat die Finanzlobby, selbst wenn
die ganze Kapitalmarktunion nichts anderes als der berühmte Schuss in den Ofen ist,
ihr Ziel vollständig erreicht.
Dieser Beitrag wurde publiziert am Mittwoch den 13. Januar 2016 um 04:00
in der Kategorie: Europa, Finanzmärkte, Wirtschaftspolitik.
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