Sauerstoff für den Winter

Nenad kocht51
sonntagszeitung.ch | 7. Juni 2015
Sauerstoff für den Winter
Rhabarber eignet sich ausgezeichnet zum säuerlich Einmachen. Kenner essen das Gemüse deshalb
nicht jetzt als Dessert – sondern später zum Fisch, schreibt Sternekoch Nenad Mlinarevic
Wenn die Rhabarbersaison irgendwann im Frühling beginnt, kommt
das Gemüse immer zuerst aus den
Niederlanden. Dieser Rhabarber
kommt uns nicht ins Haus. Wir
warten ein paar Wochen länger,
bis Schweizer Rhabarber erhältlich
ist. Meist kommt der dann aus der
Romandie und hat eine verhältnismässig kurze Anfahrt im Vergleich
zum Hollandgemüse.
Wenn man, wie wir, regional
und saisonal kocht, ist das Einmachen eine wichtige Technik, um
die Vielfalt in der Zeit zu erhöhen,
die naturgemäss nicht so viel hergibt. Schon unsere Grossmütter
wussten, dass man mit Konfitüren,
süss eingelegtem Obst oder sauer
eingelegtem Gemüse etwas Sonne
in kargere Wintermenüs bringt.
Beim Einmachen geht es nicht
nur darum, ein Produkt länger aufbewahren zu können. Viele Dinge gewinnen durch die Konservierung mit natürlichen Methoden
auch an Geschmack. Macht man
etwa Salzzitronen in Weckgläsern
ein und öffnet das eine Glas nach
drei Monaten und das zweite erst
nach sechs, wird man beim zweiten feststellen, dass der Geschmack
der Zitronen deutlich intensiver
geworden ist. Man kann fast alles
einmachen, bei einigen Dingen
verändert sich höchstens die Farbe in eine Richtung, die einem vielleicht nicht mehr so gefällt. Weniger gut schmeckt es deswegen aber
nicht.
Trichter im kochenden Wasser
mehrere Minuten lang von allen
Keimen befreit werden. Schliesslich will man am Ende nichts im
Glas haben, womit das Geschmacksvergnügen vorzeitig beendet werden könnte.
Der Einmachfond – egal, ob mit
oder ohne Gewürze – muss immer
direkt vor dem Abfüllen aufgekocht werden. Der Rhabarber
selbst wird nicht vorgegart, sondern nur gewaschen und geschält.
Später wird er dann im Glas noch
kurz gegart. Der heisse Fond und
auch der hohe Anteil an Essig lösen schon zuvor einen Garprozess
aus.
Dasselbe Prinzip funktioniert
beim Einsalzen von Kapern oder
bei den beliebten peruanischen Ceviche, wo Fisch mit Limettensaft
mariniert wird und dadurch ebenfalls leicht gart.
Zurück zum Rhabarber: Nach
vier Monaten im Einmachglas ist
er immer noch knackig, während
sich der Geschmack sowohl im
­Gemüse selbst als auch im Fond
konzentriert hat. Den Einmachfond kann man ebenfalls weiterverwenden und beispielsweise eine
Salatsauce damit machen. So ist
man bestens für den Winter vorbereitet.
Nenad Mlinarevic ist Küchenchef
des Restaurants Focus
im Parkhotel Vitznau LU
(2 «Michelin»-Sterne,
17 «Gault Millau»-Punkte). In der
SonntagsZeitung schreibt er
monatlich über das Kochen
mit Schweizer Produkten
Gepickelter Rhabarber
1 kg Rhabarber schälen und auf
die Grösse des Einmachglases zuschneiden. Schale aufbewahren.
Rhabarberschale
500 g Zucker
125 g Salz
1 l Himbeeressig
500 g Zucker
125 g Salz
Sternanins, Lorbeer und Pfeffer
bringen die Würze
Rhabarber wird erstaunlicher­weise
fast ausschliesslich süss in Desserts
eingesetzt, dabei kann er viel mehr.
Wir machen die Stangen süss-sauer ein, um sie im Herbst beispielsweise mit Fisch oder auch mit Randen zu kombinieren. Dann bringt
der Rhabarber eine schöne Säure
und leichte Süsse in ein Gericht.
Beim Einmachen weiss ich noch
nicht genau, was ich ­damit machen
möchte. So weit kann ich nicht vorausschauen. Vielleicht gibt es Saibling mit eingelegtem Rhabarber,
und vielleicht kombiniere ich das
mit einer Holundervinaigrette –
falls ich daran gedacht habe, im
Frühsommer Holunder einzumachen. Der blüht zurzeit ja an jedem
Wald- und Wegrand.
Um etwas zu konservieren,
braucht es meist einen Essig. Man
kann jedoch auch mit Milchprodukten einmachen oder durch Fermentation, dann aber wird es
schnell kompliziert bis wissenschaftlich. Auch Chutneys, ein
­Tomatenketchup oder die erwähnten Konfitüren sind klassische Methoden, um etwas haltbar zu machen, was im Sommer am besten
schmeckt und bis zum Winter so
bleiben soll.
Rhabarber mache ich ganz
schlicht und ohne Gewürze ein.
Mit dem Grundrezept (s. Kasten),
ergänzt um einige Gewürze wie
Sternanis, Pfeffer und Lorbeer,
­lassen sich auch geschälte kleine
Tomaten konservieren.
Nicht nur der Essig oder die Gewürze sind wichtig, wir achten im
Restaurant – natürlich – auch sehr
auf die Hygiene. Meine Empfehlung: am besten neue Gummihandschuhe tragen und alles vor
dem Abfüllen sterilisieren. Wer
einen Steamer hat, kann den zum
Abkochen verwenden (10 Minuten bei 100 Grad Dampf ), ansonsten sollten Gläser, Verschlüsse,
Gummidichtungen und allenfalls
Alles zusammen aufkochen, eine
Stunde ziehen lassen, dann durch
ein Sieb passieren.
Rhabarber in sterilisierte Gläser
­füllen. Pickelfond heiss über den
Rhabarber giessen, Gläser verschliessen.
Einmachgläser im Steamer bei 90
Grad 20 Minuten dämpfen, herausnehmen und auf den Kopf stellen,
um ein Vakuum zu erzeugen; oder
die Gläser in ein mit Wasser gefülltes, ofenfestes Gefäss stellen und
bei 100 Grad 20 Minuten im Ofen
ziehen lassen; im Kühlschrank aufbewahren.
Das perfekte Einmachglas
Nenad Mlinarevic mit Schweizer Rhabarber: «Viele Produkte gewinnen durch Konservierung an Geschmack»
Foto: Nico Schärer
Weckgläser sind sowohl in der Profiküche als auch zu Hause das perfekte Gefäss zum Einmachen von
Obst und Gemüse. Die Gläser in
unterschiedlichsten Formen und
Massen gibt es im Küchengeschäft, im Warenhaus oder bei
der Landi. Wer ein Kammervakuumgerät hat, kann damit auch frische Kräuter länger haltbar machen. Die Kräuter in ein Weckglas
geben, Gummidichtung und Deckel auflegen und vakuumieren.