Persönliche Erklärung von Regierungsrat Philippe

Kommunikation
Kanton Bern
Staatskanzlei
Anlass
Medienkonferenz des Regierungsrates
Thema
Persönliche Erklärung von Regierungsrat Philippe Perrenoud
Datum
Dienstag, 8. September 2015
Referent
Regierungsrat Philippe Perrenoud
Sehr geehrte Damen und Herren, ich danke Ihnen, dass Sie der Einladung zu dieser Medienorientierung gefolgt sind. Es ist eine Einladung, die Ihnen aus Gründen, für die Sie Verständnis haben werden, sehr kurzfristig zugegangen ist.
Am Anfang dieses Jahres, als mein 60. Geburtstag nahte, habe ich das Bedürfnis verspürt,
mir Gedanken darüber zu machen, wie es in meinem Leben weitergehen soll.
Mir ist dabei bewusst geworden, in welchem Mass die Ausübung des Regierungsamtes mein
Leben verändert hat. Seit bald zehn Jahren beansprucht meine politische Arbeit und die damit verbundene Verantwortung so gut wie allen Freiraum.
Meine Familie hat darunter gelitten. Wir haben denn auch schwierige Momente durchgemacht und wünschen uns, zusammen bald einmal zu ruhigeren Ufern aufbrechen zu können, wo wir andere, angenehmere Lebensinhalte teilen können als die Last der Verantwortung, die ein Regierungsamt unweigerlich mit sich bringt.
Meine Nächsten und meine Freunde haben sich nicht von mir abgewendet – ganz im Gegenteil: Sie haben mich feinfühlig immer und immer wieder ermutigt, mich ihre Solidarität
spüren lassen. Aber ich selbst habe mich entfremdet – und aus Zeitnot so manches Wiedersehen und so manchen gesellschaftlichen Austausch auf irgendwann verschoben, dass daraus ein Gefühl innerer Leere erwachsen ist.
Das Gleiche gilt für die Region, aus der ich stamme und die ich liebe. Paradoxerweise bin
ich mit dem Berner Jura, dessen Bürgerinnen und Bürger mir drei Mal in Folge ihr Vertrauen
geschenkt haben, heute weniger vertraut als im Jahr 2005, als ich in eine Kandidatur als
Regierungsrat einwilligte.
Die Kantonshauptstadt ist für mich durch die Intensität der Arbeit zum Lebensmittelpunkt
geworden, während die Bewohnerinnen und Bewohner meiner engeren Heimat mich nur
noch selten zu Gesicht bekommen.
Mit 60 Jahren realisiert ein Mensch, dass seine Existenz nicht ewig dauern wird. Er bemerkt,
wie sich sein Horizont herbstlich einfärbt, die Zukunft endlich ist. Es ist, wie ein grosser fran-
Diese Mediendokumentation ist auch online: www.be.ch/medienmitteilungen
Medienkonferenz des Regierungsrates vom Dienstag, 8. September 2015
zösischer Journalist es so treffend genannt hat, der Moment, wo sich die Frage stellt nach
der «Zeit, die bleibt».
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Meine Damen, meine Herren, ich habe diese Frage beantwortet.
Ich habe diesen Morgen meinen Regierungskolleginnen und -kollegen sowie dem Präsidenten des Grossen Rates mitgeteilt, dass ich auf den 30. Juni 2016 aus dem Regierungsrat
zurücktrete.
Warum dieser Zeitplan?
Ursprünglich hatte ich beabsichtigt, meinen Entschluss zum Rücktritt Mitte der Legislaturperiode bekanntzugeben, also gegen Ende Jahr, allenfalls in der Januarsession des Grossen
Rates.
Im Verlauf des Sommers dann erfuhr ich von den Plänen meines Parteigenossen Andreas
Rickenbacher, der damit schliesslich am Mittwoch, 12. August, an die Öffentlichkeit trat. Die
Ersatzwahl wird am 28. Februar 2016 stattfinden.
Was für mich hiess: Ich muss die eigene Planung überdenken.
Um bestmögliche Voraussetzungen für eine sorgfältig vorbereitete Ersatzwahl zu schaffen,
scheint es mir angemessen, meinen Entschluss zu Beginn dieser Session des Grossen Rates mitzuteilen und mein Amt zum gleichen Zeitpunkt wie Andreas Rickenbacher zur Verfügung zu stellen.
Meine Damen und Herren, es mag vielleicht etwas naiv klingen, aber ich finde die nun eröffnete Übergangsphase bis zum Amtsantritt der neugewählten Mitglieder des Regierungskollegiums ein bisschen gar lang.
Dennoch bin ich überzeugt, dass der Kanton unbeschadet aus dieser Phase herausgehen
wird. Das Regierungsgremium funktioniert gut. Trotz unterschiedlicher Sichtweisen, wie sie
zu einer Fünf-Parteien-Regierung ganz einfach gehören, ist sein Zusammenhalt genauso ein
Faktum wie sein kohärentes Vorgehen. Daran wird sich bis zum nächsten Sommer nichts
ändern, da bin ich mir sicher.
Und in Anbetracht der richtungweisenden eidgenössischen Wahlen, die vor der Tür stehen,
ist es vielleicht sogar gut, wenn die Vorbereitungen zur doppelten Ersatzwahl schon jetzt
beginnen können, in aller Ruhe und entspannt, weil ohne gedrängte Agenda.
Selbstverständlich handelt es sich um eine sehr wichtige Weichenstellung für den Kanton,
denn es ist nicht auszuschliessen, dass in der Folge die Regierungsmehrheit wechselt. Weil
die politische Mehrheit in der Regierung zur Disposition steht, ist es nach meiner Auffassung
gut, dass sich unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger ihren Entscheid reiflich überlegen können.
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Meine Damen und Herren, ich bin bei dieser Rücktrittsankündigung mit mir vollkommen im
Reinen. Ich gehe nach zehn Jahren, mitten in einer Legislaturperiode, ohne ein weinendes
Auge. Es handelt sich um einen Entscheid, der langsam gereift ist.
Ich glaube auch nicht, dass ich mich damit von jenen abwende, die mir am 30. März 2014 ihr
Vertrauen ausgesprochen haben. Klar, ein Regierungskandidat strebt das Amt für die gesamten vier Jahre an. Aber auch Regierungsmitglieder sind zuallererst Menschen. Menschen, die manchmal auf ein eingegangenes Engagement zurückkommen müssen, ohne
deswegen gegenüber der Wählerschaft ein Versprechen zu brechen.
Es ist auch nicht so, dass ich mich zum Gehen gezwungen sähe.
Wer wie ich ein politisches Exekutivamt ausübt, muss damit umgehen können, einer vielköpfigen politischen Gegnerschaft gegenüber zu stehen, welche die Erfolge negiert und die
Misserfolge ausschlachtet. Dazu kommt, meine Damen und Herren, dass ein welscher Sozialdemokrat im Kanton Bern immer in der Minderheit ist, angefangen bei der eigenen Partei,
erst recht aber gegenüber der Macht des bürgerlichen Blocks in der deutschsprachigen
Wählerschaft. Und in Wirtschaftskreisen bleibt ein Socialiste romand, so gemässigt seine
Haltung auch sei, ein dogmatischer Linker – den sie dann wahlweise als Etatisten, als Service-public-Apostel oder als marktfeindlich betiteln.
Sie kennen mich, ich habe keine Elefantenhaut. Aber ich habe von der Psychiatrie her jedoch Übung in der Kunst, die nötige Distanz zu wahren.
Wohlan denn, mindestens eine Partei wird unter Getöse ein «uff, endlich wird ein Neustart
möglich in der GEF» von sich geben, und es werden Stimmen ertönen, wonach nun bald
schon Hoffnung auf mehr Ausgabendisziplin in der Sozialhilfe bestehe. Aber all diese Töne
sind ganz einfach Begleitmusik.
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Was für mich wirklich zählt, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, sind die Menschen, die Männer, Frauen und Kinder, die im Alltag am eigenen Leib erfahren, was die aktuell betriebene
Politik bewirkt.
Wenn ich an sie denke, dann bedauere ich es ganz besonders dass es mir nicht gelungen
ist, meine Strategie zur Armutsbekämpfung im gewünschten Umfang umzusetzen.
Im Dezember 2008 hatte ich mir zum Ziel gesetzt, die Armut im Kanton Bern innert zehn
Jahren um die Hälfte zu verringern. Wir werden das Ziel verfehlen, ich bedaure es zutiefst.
Zwischen 2001 und 2008 stiegen die Armutsrate und das Armutsrisiko stark an; nach einer
kurzen Phase der Stabilisierung nehmen sie nun, wenn auch langsamer, erneut zu.
Wir hätten mehr tun, wir hätten es besser machen müssen! Zwar hat der Grosse Rat, anlässlich der Septembersession 2013, einen Massnahmenplan zur Armutsbekämpfung abgesegnet. Ein bescheidener Plan – um dann im gleichen Atemzug eine spürbare Reduktion der
Sozialhilfekosten zu verlangen.
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Also musste eine Teilrevision des Sozialhilfegesetzes angepackt werden. Je nachdem, was
der Grosse Rat in der kommenden Januarsession entscheidet, könnte die Stellung jener, die
auf diese Form gesellschaftlicher Solidarität angewiesen sind, weiter geschwächt werden.
Ich werde mich in den anstehenden Debatten nach Kräften dafür einsetzen, dass diese Revision die sozialen Gräben nicht noch weiter aufreisst und die Würde der Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger gewahrt bleibt.
Ich muss Ihnen gestehen: Ich hatte in meiner Anfangszeit als Regierungsrat den Eintritt in
ein neues Zeitalter der Hatz auf die Armen nicht kommen sehen… als wären die Armen
selbst das Problem und nicht dieses ganze Geflecht sozialer Prozesse, welche die
Schwächsten in die Armut abgleiten lassen.
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Die Menschen stehen im Zentrum meiner Regierungsarbeit. Gegenwärtig denke ich besonders an die Psychiatriepatienten und ans Personal unserer drei kantonalen psychiatrischen
Einrichtungen.
Der Weg zur Verselbständigung der drei Institutionen ist beschwerlich. Ich bedaure es, dass
wir ihn so rasch einschlagen mussten und dass wir das von der Politik definierte Ziel in so
kurzer Zeit zurückzulegen haben.
Nicht dass ich aus Prinzip gegen die Überführung in Aktiengesellschaften wäre, denn ich
darf mich wie gesagt als welscher Sozialdemokrat zu den Gemässigten zählen…
Aber es wäre aus meiner Sicht besser gewesen, abzuwarten, bis die neuen Finanzierungsregeln, namentlich das einheitliche Tarifsystem für stationäre Behandlungen, auf Bundesebene festgelegt sind. Auf dieser soliden Grundlage hätten wir unsere Psychiatriezentren an
die neuen Gegebenheiten anpassen und sie hernach, finanziell lebensfähig gemacht, ohne
grössere Schwierigkeiten in die Selbständigkeit entlassen können.
An dieser Stelle möchte ich der Bevölkerung und ganz speziell dem betroffenen Personal
versichern: Wir sind nicht mit der Abrissbirne unterwegs. Nein, wir werden auch in Zukunft
eine qualitativ hochstehende psychiatrische Versorgung bieten können.
In dem verbleibenden Dreivierteljahr als Regierungsrat wird diese Grossbaustelle hohe Priorität haben. Ziehen alle Partner am gleichen Strick, dürfen wir zuversichtlich sein, gute Ergebnisse zu erzielen.
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Wie könnte ich meinen Rücktritt per Mitte 2016 ankündigen, ohne speziell an die bernjurassischen Mitbürgerinnen und -bürger zu denken!
Als ich in den Regierungsrat eintrat, gleichsam in Fortführung meines Engagements in der
Interjurassischen Versammlung, nahm ich mir vor, alles zu tun, um die Jurafrage auf friedlichem Weg einer demokratisch sauberen Lösung zuzuführen.
Dazu brauchte es intensive und langwierige politische Massarbeit. Mit der Absichtserklärung
vom 20. Februar 2012 haben die jurassische und die bernische Kantonsregierung ein viel-
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leicht etwas schwerfälliges, dafür aber demokratiepolitisch und rechtsstaatlich einwandfreies
Prozedere festgelegt.
In diesem Prozess steht die Schlussrunde bevor, die Abstimmungen auf Gemeindeebene,
die einer spezifischen Rechtsgrundlage bedürfen. Der Grosse Rat wird im Januar darüber
debattieren.
Ich wäre froh gewesen, erst nach Abschluss des Prozesses diskret zurücktreten zu können.
Aber die Politik hat mich Geduld gelehrt. Die Menschen in allen Belangen zu respektieren
heisst mitunter auch, ihnen Zeit zu lassen, bis die Zeit reif ist.
Wie auch immer sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger von Moutier, allenfalls auch
jene weiterer Gemeinden, sich in zwei Jahren entscheiden: Ich glaube sagen zu dürfen,
dass der Regierungsrat unter Beweis gestellt haben wird, wie sehr er die bernjurassische
Bevölkerung in ihrer Meinungsvielfalt respektiert, wie sehr er unsern guten Nachbarn, La
République et Canton du Jura, respektiert, und wie hartnäckig er die Interessen des ganzen
Kantons Bern verteidigt. Die Regierung, der ich angehöre, hat ihre Lehren aus einer
schmerzlichen Vergangenheit gezogen und das freundeidgenössische Einvernehmen gefördert.
Als Präsident der Juradelegation des Regierungsrats darf ich meine Aufgabe schon bald als
erledigt betrachten, denn die damit verbundenen Erwartungen konnten wir erfüllen.
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Bevor ich zum Schluss dieser persönlichen Erklärung komme, möchte ich einen breiten
Dank aussprechen.
Sie können mir glauben, meine Damen und Herren, dass dies nicht ein Akt der Höflichkeit
ist, sondern Ausdruck echter Dankbarkeit aus tiefem Herzen kommt.
Ich danke den Grossrätinnen und Grossräten für die Zusammenarbeit zugunsten der Interessen unseres Kantons. Ich bedanke mich auch bei jenen, die meine Amtsführung immer
wieder kritisiert haben. Denn ich habe gespürt, dass sie sich grossmehrheitlich am Staatswohl orientierten.
Ich danke meinen Regierungskolleginnen und -kollegen für die Qualität der Arbeit im Kollektiv und für die tatkräftige gegenseitige Unterstützung, ohne die eine Exekutive kein Kollegium
sein könnte.
Mein Dank geht ebenso an all jene, die in der Gesundheits- und Fürsorgedirektion ihr Bestes
geben, damit die Verwaltung wirklich Dienerin der Bevölkerung ist. Ob ich ihnen als guter
Direktor in Erinnerung bleibe, wird die Zukunft zeigen. Sie aber sollen wissen, wie gross
meine Wertschätzung für sie ist und bleiben wird.
Auch meiner Partei, der SP, möchte ich ein grosses Merci sagen. Ohne sie, ohne all den
Schweiss, den ihre Aktivistinnen und Aktivisten von den fernen Anfängen bis zum heutigen
Tag vergossen haben, wäre die Schweiz meilenweit von dem entfernt, was sie heute ist: Ein
Land, das auch die weniger Privilegierten am Wohlstand teilhaben lässt.
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Ich hoffe, dass Leitung und Basis der SP des Kantons Bern in mir einen Amtsträger hatten,
der unseren Grundwerten immer treu geblieben ist, selbst dann, wenn schwierige Entscheidungen zu treffen waren und ich pflichtgemäss dafür geradezustehen hatte.
Die PSJB, der Parti socialiste du Jura bernois, ist nur eine von vielen Komponenten der kantonalbernischen SP. Sie wird manchmal falsch verstanden, sei es wegen der Sprachbarriere
oder wegen kultureller Unterschiede. Doch die Partei ist ein Bestandteil von mir – und ich bin
stolz auf sie. Ich hoffe, meine Parteikolleginnen und -kollegen denn auch immer aufrichtig
gedient zu haben. Am heutigen Tag möchte ich jedem einzelnen PSJB-Mitglied meine tiefe
Dankbarkeit bezeugen für das entgegengebrachte Vertrauen und die Unterstützung in tausend Formen – ich bin und bleibe an eurer Seite.
Meine Partnerin, meine Kinder, meine Familie und engen Freunde wissen, wie froh ich um
ihre Begleitung war und bin, bis ans Ende dieses, sagen wir «gouvernementalen Lebensabschnitts». Bald werde ich wieder so für sie da sein können, wie sie es verdienen.
Meine Damen und Herren, das war’s vorläufig. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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