Lösung zur Klausur Einführung in das Recht – SS 2015 I. 1. Gründe für das Phänomen der unterschiedlichen Ebenen der Normsetzung und Wertigkeit der Rechtsnormen sind zum einen die unterschiedlichen Verfassungsräume, und die daraus resultierenden Kompetenzen und Zuständigkeiten. Ebenen der Normsetzung im deutschen Recht: Bund, Land; Verfassung, (Parlaments)Gesetz, Rechtsverordnung, autonomes Recht (Satzung) 2. Für auftretende Widersprüche werden Konkurrenzregelungen angewandt. Der Ranggrundsatz (Normenhierarchie) besagt, dass eine ranghöhere Norm Vorrang vor einer rangniedrigeren Norm hat. Ausdruck dieses Prinzips auf nationaler Ebene ist der Grundsatz aus Art. 31 GG, der besagt, dass Bundesrecht Landesrecht bricht. Auch beispielsweise die Thüringer Verfassung ist am Maßstab jedweden Bundesrechts zu messen. Das bedeutet, dass keine Regelung der Thüringer Verfassung gegen irgendwelche bundesrechtlichen Normen verstoßen darf. Auf europäischer Ebene kommt dem Gemeinschaftsrecht aus Art. 288 AEUV Anwendungsvorrang vor dem nationalen und damit auch deutschen Recht zu. Der Ordnungs- oder Ablösegrundsatz besagt, dass das jüngere Recht das ältere ablöst. Am Beispiel der Thüringer Verfassung bedeutet dies, dass eine Verfassungsänderung ab Inkrafttreten zur Folge hätte, dass die bis dahin geltende Norm abgelöst wird. Bei gleichrangigen Normen geht die speziellere der allgemeineren vor, sog. Spezialitätsgrundsatz. 3. Ob und wie die Grundrechte zwischen den Parteien zur Anwendung kommen, ist davon abhängig, ob die Grundrechte ausschließlich gegen die öffentliche Gewalt gerichtet sind oder ob sie auch im Privatrechtsverkehr zum Schutz der individuellen Freiheit vor den Gefahren und dem Missbrauch gesellschaftlicher Macht gelten (sog. Drittwirkung der Grundrechte). Ausdrücklich angeordnet ist eine solche Drittwirkung nur zur Sicherung der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG). Nach Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte nur Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Daneben sind die Grundrechte als Elemente objektiver Ordnung im Privatrechtsverhältnis nur mittelbar zur Anwendung zu bringen. Die Verfassung verlangt, dass bei der Auslegung seitens der Zivilgerichte und namentlich bei der Konkretisierung der Generalklauseln (insbesondere §§ 138, 242 BGB) die betroffenen Grundrechte berücksichtigt werden, damit ihr wertsetzender Gehalt für die Rechtsordnung auch auf der Rechtsanwendungsebene zur Geltung kommt (vgl. BVerfGE 7, 198 - Lüth). Unter dieser Prämisse müssen auch die Zivilgerichte eine Grundrechtsbeeinträchtigung in ihrer Rechtsbeurteilung berücksichtigen. Die Grundrechte finden auf ein (Miet-)Vertragsverhältnis mittelbare Anwendung, indem sie bei der Konkretisierung von einfachgesetzlichen Vorschriften, insbesondere der zivilrechtlichen Generalklauseln, zu berücksichtigen sind. Bei der Installation einer Parabolantenne auf einem Mehrfamilienhaus - und einem Konflikt zwischen Mieter und Vermieter – ist einerseits dem Grundrecht der Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1, 2. Hs GG) Rechnung zu tragen und andererseits das Grundrecht des Eigentümers aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu berücksichtigen. II. Nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz geht die Staatsgewalt vom Volke aus. Damit ist aber noch nicht entschieden, inwieweit das Volk an der Ausübung der Staatsgewalt beteiligt werden soll. Es sind dabei grundsätzlich zwei Möglichkeiten denkbar. In einer mittelbaren oder repräsentativen Demokratie entscheidet das Volk grundsätzlich nur über die Zusammensetzung der Repräsentationsorgane (insbesondere Bundestag), die dann ihrerseits die Staatsgewalt im Namen des Volkes ausüben (vgl. auch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, wonach die Abgeordneten des Deutschen Bundestages Vertreter des ganzen Volkes sind). In einer unmittelbaren oder plebiszitären Demokratie entscheidet das gesamte Staatsvolk durch Abstimmungen im Einzelfall über anstehende politische Entscheidungen, insbesondere über Gesetzesvorhaben. Überwiegend wird dabei die Volksabstimmung oder das Plebiszit als Oberbegriff angesehen für die Unterfälle der Volksbefragung, des Volksentscheids und dem Volksbegehren. Bei einer Volksbefragung wird in einem formalisierten Verfahren die Meinung des Volkes zu einer genau formulierten Frage ermittelt. Ziel der Befragung ist es, eine staatliche Maßnahme vorzubereiten. Das Ergebnis der Befragung ist für die Staatsorgane nicht bindend, weshalb die Volksbefragung auch „konsultative Volksbefragung“ genannt wird. Bei einem Volksbegehren ergreift das Volk die Initiative, um einen Volksentscheid herbeizuführen. Damit ein Volksbegehren angenommen wird, ist die Beteiligung einer bestimmten Mindestanzahl von Abstimmungsberechtigten erforderlich (sog. Quorum). Der Volksentscheid zielt dagegen auf eine unmittelbare Entscheidung des Volkes über eine staatliche Maßnahme, z. B. über ein Gesetz. Das Ergebnis des Volksentscheids ist für die Staatsorgane bindend. Dem Grundgesetz ist nach wohl h.A. das Prinzip der repräsentativen oder mittelbaren Demokratie zu entnehmen, so dass Volksabstimmungen außerhalb der ausdrücklich geregelten Fälle in Art. 29 und Art. 118 S. 2 GG unzulässig sind und gegen das Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG verstoßen. Zur Begründung wird zunächst der Wortlaut von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG herangezogen, wonach die Möglichkeit von Abstimmungen erst nach der Möglichkeit von Wahlen vorgesehen ist und außerdem angeordnet wird, dass die Staatsgewalt vom Volke durch besondere Organe der Gesetzgebung ausgeübt werden soll (und nicht direkt vom Volke). Des Weiteren wird ein Gegenschluss aus Art. 29 und Art. 118 S. 2 GG herangezogen, wo ausdrücklich in bestimmten Fällen Volksabstimmungen vorgesehen sind und damit im übrigen Fällen nicht. Außerdem werden geltend gemacht ein Widerspruch zur Weisungsfreiheit von Abgeordneten gemäß Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und die ausführliche Regelung über das Gesetzgebungsverfahren in Art. 76 f. GG, die überflüssig wären, wenn das Volk im Wesentlichen direkt beziehungsweise unmittelbar alle Gesetze anlassen könnte. Schließlich wird noch hingewiesen auf die angeblich schlechten Erfahrungen mit thematisch unbeschränkten Volksabstimmungen zur Weimarer Zeit (sog historisches Argument). Die vorgeschlagenen Volksabstimmungen sind (ohne entsprechende Grundgesetzänderung) alle samt verfassungswidrig wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der repräsentativen Demokratie, im Wesentlichen abgeleitet aus Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG. III. Anmerkung: Bei dieser Aufgabe konnte die volle Punktzahl auf zwei Wegen erreicht werden. Entweder durch eine Skizzierung der Eckpunkte des Rechtssetzungsverfahrens unter Berücksichtigung der daran beteiligten Institutionen (oberes Schaubild) oder durch die Darstellung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens nach Art. 289 i. V. m. Art. 294 AEUV. Die bloße Wiedergabe der Institutionen und ihrer (gesamten) Aufgaben war kein geeigneter Lösungsansatz!
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