Leihen Sie mir doch mal kurz Ihr Ohr Vielleicht nehmen Sie sich ja ein paar Minuten Zeit für das Folgende. Das mit dem Ohr habe ich nur gesagt, damit Sie dies hier lesen. Wissen Sie, ich glaube, dass viele Menschen heutzutage ein großes Problem haben. Ich rede jetzt nicht von den Alltagsproblemen, von Krieg, Flüchtlingen oder der fälligen Kreditzahlung. Wann haben Sie Ihren Mitmenschen, Ihrer Frau oder gar Ihren Kindern richtig zugehört? Wann haben Sie sie das letzte Mal ausreden lassen? Rainer Hill Ich stelle immer wieder fest, dass die Leute immer öfter aufeinander losgehen, verbal natürlich. Gut, erst redet man noch normal miteinander, aber sobald der Gesprächspartner, egal ob der eigene Partner oder das Kind, etwas sagt oder tut, was dem anderen nicht gefällt, verschärft sich der Ton.Jeder ist dann der Meinung, dass er Recht hat und der andere im Unrecht ist. Das führt leider oftmals dazu, dass man im Zuge des Disputs den anderen gar nicht mehr ausreden lässt. Das liegt daran, dass man dem anderen gar nicht mehr zuhören will, oder nicht mehr zuhören kann, weil man von dem anderen enttäuscht und verletzt wurde und sich auf diese Art selber zu schützen sucht. Besonders unangenehm fällt mir immer wieder auf, dass Eltern ihren Kindern nicht zuhören oder sie gar ausreden lassen. Die sind so davon überzeugt, zu wissen, was für ihr Kind das Beste ist, dass sie das Kind als vollwertigen Menschen, als eigenständiges Wesen dabei völlig übergehen. Wenn nämlich das Kind eine andere, au weia, eigene Meinung zu diesem oder jenem Thema hat, völlig egal, sie die Eltern, wissen es besser. Da wird jeder Einwand des Kindes abgeblockt. Da aber das Kind eine eigene Meinung hat, wird es versuchen, seine Sichtweise oder Argumentation anzubringen. Das leidige Ende vom Lied ist, Sie ahnen es, Vater oder Mutter fangen an zu schreien, weil sie nicht verstehen können, dass das Kind „plötzlich“ rebellisch wird. Das Ende ist oft gar furchtbar: Stubenarrest, Computerverbot, oder noch schlimmer, dem jeweiligen Elternteil rutscht die Hand aus. Ähnlich läuft es heutzutage in den Beziehungen, bevor Er oder Sie wutentbrannt die Tür hinter sich zuwirft. Beide Partner sind, obwohl sie sich lieben, doch unterschiedlich und haben selten wirklich die gleichen Gedanken oder Interessen. Das war übrigens möglicherweise genau das, warum man sich in den anderen einst verliebt hat. Wie dem auch sei. Nach einer Weile der Partnerschaft hat einer der beiden die Führungsrolle in der Beziehung übernommen, zumindest zu 55 %. Und der „Führende“ gewöhnt sich an seine Rolle. Nur, der, der nun geführt wird, fühlt mit der Zeit ein gewisses Unbehagen der Abhängigkeit. Wer dies recht früh merkt, kann da noch gegensteuern und auf eine gleichberechtigte Partnerschaft hinarbeiten. Je länger man wartet, oder je länger es dauert, bis man seine eigene Abhängigkeit bemerkt, um so schwieriger wird es, des Rückwärtsgang einzuschalten. Nun, wie gesagt, auch in einer Partnerschaft ist einer meist der Führende, und der hat es natürlich schwer zu akzeptieren, dass der Partner doch hier und da mal Recht hat oder überhaupt eine andere Meinung zu diesem oder jenem Thema hat. Der bisher „schwächere“ Part dieser Beziehung wird sich aber irgendwann zu Wort melden, und schon sind wir wieder beim Zuhören. Grundsätzlich sollte man seinen Mitmenschen sowieso immer zuhören, egal, ob es nun etwas Sinnvolles ist oder nicht. Übrigens, ob das Mitgeteilte für den Zuhörer einen Sinn ergibt, ist dabei im Grunde egal, solange es das für den Sprecher tut. Wenn Sie Ihren Gesprächspartner nicht verstehen, liegt es möglicherweise daran, dass Sie nicht richtig zugehört haben, eventuell auf Feinheiten nicht geachtet haben. Fragen Sie lieber noch einmal nach, bevor Sie das Gehörte missinterpretieren. Eine Vase ist schnell zerschlagen und ein Herz schnell gebrochen, die Vase kann man kitten, ein Herz… Das gilt auch oder sogar besonders gegenüber Kindern. Kinder sind nicht nur aus Jux und Dollerei auf der Welt, und sie sind auch keine unfertigen Menschen. Sie sind nur kleiner und verletzlicher, und sie können sich noch nicht ganz so ausdrücken mit dem, was sie meinen, aber auch sie sind Menschen und verdienen denselben Respekt, den Sie als Elternteil einfordern. Egal, ob Sie sich mit Ihrem Partner unterhalten, mit fremden Menschen oder Ihren Kindern: Zeigen Sie Ihrem Gegenüber Respekt, hören Sie genau zu – und vor allem, lassen Sie den anderen ausreden, egal, was Ihnen auf der Zunge brennt. Sie wollen doch auch ausreden und erwarten Respekt von anderen. Das verhindert Missverständnisse und schafft Frieden. Denken Sie daran: Das Leben ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Also, nehmen Sie sich Zeit und leihen dem anderen Ihr Ohr… und vielleicht ein Teil Ihres Herzens.
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