Exposé „Fotographie im KZ und Zuchthaus Sonnenburg“ von Christoph Gollasch Im deutschen Erinnerungsdiskurs ist das ehemalige Konzentrationslager (KZ) und Zuchthaus Sonnenburg kaum bekannt. Anders als für das Gros der ehemaligen Orte des nationalsozialistischen Terrors mit vergleichbarer Größe und Bedeutung ist es weitestgehend unerforscht geblieben.1 Bis heute kann Przemysław Mnichowskis Geschichte des Lagers als einzige existierende Monographie angesehen werden.2 Sie entstand im Rahmen von Mnichowskis Arbeit als Staatsanwalt in Zielona Góra, wo er seit 1963 mit der Erforschung der NS-Verbrechen beauftragt war. Dabei ist das Lager Sonnenburg aus mehreren Gründen bedeutsam. Erstens gehörte es mit geschätzt bis zu 2.000 Inhaftierten – darunter auch prominente Persönlichkeiten wie Carl von Ossietzky, Erich Mühsam und Hans Litten – zu den größten „frühen Konzentrationslager“ des Nationalsozialismus. Aufgrund der geographischen Nähe zu Berlin kam ihm entscheidende Bedeutung für die Ausschaltung insbesondere des kommunistischen, sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Widerstands zu. Zweitens ist seine internationale Bedeutung hervorzuheben, da nach dem sogenannten Nacht-und-Nebel-Erlass vom 7. Dezember 1941 etliche Menschen aus Norwegen, Dänemark, den Niederlanden, Belgien, Frankreich und Luxemburg in Sonnenburg interniert wurden. Und drittens stellt das Massaker im Zuge der Räumung des Zuchthauses in der Nacht vom 30. auf den 31. Januar 1945 mit mehr als 800 Ermordeten eines der schlimmsten „Endphasenverbrechen“3 dar.4 Organisiert von der Berliner Vereinigung für die Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) unternahm im Jahr 2013 ein Arbeitskreis – sich zusammensetzend aus HistorikerInnen, Angehörigen und Interessierten aus Deutschland, Polen, Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Norwegen – den erneuten Versuch, die Geschichte des Lagers Sonnenburg aufzuarbeiten. Anschließend an die Vorarbeiten des „Arbeitskreises ehemaliges KZ Sonnenburg“5, konnte so ein Sammelband erstellt werden, der den aktuellen Forschungsstand widerspiegelt.6 Zudem konzipierte der Arbeitskreis die neue Hauptausstellung in der Gedenkstätte in Słońsk, die am 30. Januar 2015 zum 70. Jahrestag der „Räumung“ des Zuchthauses eingeweiht werden konnte. 1 vgl. Nürnberg, Kaspar (2002): „Außenstelle des Berliner Polizeipräsidiums: Das ‚staatliche Konzentrationslager‘ Sonnenburg bei Küstrin“, in: Benz, Wolfgang; Distel Barbara (Hrsg.): Herrschaft und Gewalt. Frühe Konzentrationslager 1933-1939, Berlin, S. 83-100. 2 vgl. Mnichowski, Przemyslaw (1982): Obóz koncentracyjny i więzienie w Sonnenburgu (Słońsku) 19331945, Warszawa. 3 vgl. Paul, Gerhard (2000): „Diese Erschießungen haben mich innerlich gar nicht berührt.“ Die Kriegsendphasenverbrechen der Gestapo 1944/45, in: Mallmann, Klaus-Michael; Paul, Gerhard (Hrsg.): Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg. »Heimatfront« und besetztes Europa, Darmstadt. 4 vgl. Hohengarten, André (1979): Das Massaker im Zuchthaus Sonnenburg vom 30./31. Januar 1945, Luxemburg. 5 Gerlinghoff, Peter; Schultz, Violet (1987-1992): Materialen Nr. 1 – Nr. 3, Berlin 6 Coppi, Hans; Majchrzak, Kamil (2015): Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg, Berlin. Fotographie im KZ und Zuchthaus Sonnenburg Sowohl im KZ als auch im Zuchthaus Sonnenburg wurden Fotos angefertigt. Am bedeutendsten sind jene Aufnahmen, die die Rote Armee anfertigte, nachdem sie am 2. Februar 1945 das Zuchthaus befreit und dabei 819 ermordete Häftlinge vorgefunden hatte. Die Fotound Videoaufnahmen aus dem Lager Sonnenburg, die im Zuge der Sicherung der Spuren des Verbrechens entstanden, fanden Eingang in die sowjetische Kriegsberichterstattung. Aufgrund ihrer Wirkmacht und ihrer Verarbeitung (z. B. im DEFA-Dokumentarfilm „Du und mancher Kamerad“ von Andrew und Annelie Thorndike aus dem Jahr 1956) wurden sie schließlich für die west- und osteuropäische Erinnerungskultur im Allgemeinen relevant. Doch auch im „frühen KZ“ Sonnenburg entstanden Fotographien von hoher Bedeutung. Diese wurden in erster Linie von inhaftierten Kommunisten angefertigt, die sie auf unterschiedliche Weise aus dem Lager schmuggelten. Ihr Ziel war es, die – insbesondere auch internationale – Öffentlichkeit über die Barbarei der neuen faschistischen Machthaber zu informieren. Daher wurden die angefertigten Fotos beispielsweise in der, nun im Exil in Prag produzierten, „Arbeiter Illustrierte Zeitung“ publiziert. Aus Überlieferungen und Erinnerungsberichten wird jedoch auch deutlich, dass Kontrolle und Überwachung im KZ Sonnenburg noch nicht jene Form annahmen, welche die KZs ab 1936 kennzeichneten. So existieren beispielsweise auch Gruppenfotos mit Aufsehern, die eher die Vorstellung eines Ausflugs evozieren als die menschenunwürdige Realität eines KZ abzubilden. Abstract Tanja Kinzel Fotografien aus dem Getto Lodz/Litzmannstadt. Die Perspektiven der Fotografierenden. Das Getto Lodz hatte als eines der größten Gettos durch die Propagierung von Arbeit als lebensrettend eine besondere Stellung inne, die zur Entstehung umfangreicher fotografischer Bestände beigetragen hat. Polizisten, SS-‐Angehörige und zivile Funktionäre waren an der fotografischen Herausstellung ihrer Arbeitsleistung ebenso interessiert wie der Judenrat, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Gründen. Zudem haben jüdische Fotografen heimlich all das dokumentiert, was sie für die Nachwelt für überlieferungswürdig hielten. Zu den bekanntesten visuellen Repräsentationen der Gettos gehören Fotografien verarmter, älterer Männer mit Hut, Bart und Mantel, die das bereits im Kaiserreich verbreitete Stereotyp der „Ostjuden“ überspitzen und universalisieren. Die Entstehungsgeschichte dieser Bilder, die meist von Fotografen der Propagandakompanien oder Wehrmachtssoldaten stammen, wird immer noch selten thematisiert. Auch zivile NS Funktionäre haben sich an diesen fotografischen (Vor-‐) Bildern orientiert und zugleich all das fotografiert, was das Bild eines funktionalen von den deutschen Besatzern kontrollierten Arbeitsgettos stützen konnte. Eine andere Perspektive reflektieren Fotografien von jüdischen Fotografen/innen. Trotz eingeschränkter Handlungsmöglichkeiten begann schon bald eine Reorganisation des täglichen Lebens im Getto: So wurden Suppenküchen eingerichtet, Schulen und Untergrundbüchereien sowie Theater und Konzerte organisiert. Viele dieser Aktivitäten sind fotografisch erfasst. Dokumentieren, um ein Zeugnis zu hinterlassen – so wird die Arbeit der beiden bekanntesten jüdischen Fotografen aus dem Getto Litzmannstadt, Mendel Grosman und Henryk Ross, von anderen oder ihnen selbst beschrieben. Ihre Perspektiven sind allerdings nicht identisch: Sie waren in unterschiedliche Freundschafts-‐ und Familienbeziehungen eingebunden, besaßen unterschiedliche ästhetische Vorlieben und fotografische Stile, unterschiedliche Ausbildungen, Techniken und Unterstützerinnen. Das hat ihren fotografischen Blick auf die Menschen im Getto und die Konstruktion ihrer Aufnahmen wesentlich beeinflusst. Im Zentrum meiner Untersuchung steht eine historische Kontextualisierung der fotografischen Bestände des Getto Lodz und eine Differenzierung der unterschiedlichen Perspektiven der Fotografierenden. Um die Fotografien zu analysieren, verwende ich eine qualitative Bildanalyse, die eine Kontextualisierung der Entstehungszusammenhänge, eine Analyse des Bildinhaltes, eine Untersuchung der materiellen Beschaffenheit des Bildträgers und einen Vergleich der Bestände umfasst. Meine These ist, dass entsprechend der jeweiligen Perspektive der Fotografierenden Konstruktion, Fokussierung und Ästhetik der Fotografien unterschiedlich sind. Ein derartiger Fokus erlaubt es, sowohl den Begriff der Täterschaft als auch den der Opfer zu differenzieren und letztere als dynamische Akteure in der Lebenswelt des Gettos zu begreifen. In meinem Kurzvortrag zeige ich auf, inwiefern sich spezifische Interessen der Fotografierenden (zivile oder militärische Funktionäre des NS oder Verfolgte) in der Auswahl der Motive, des Bildausschnitts und des Blickwinkels artikulieren und somit in die Konstruktion der Fotografien eingeflossen sind. Die systematischen Differenzen und unterschiedliche Interpretationsangebote werden anhand ausgewählter Beispiele vorgestellt. Kirsten Mieves – Ahlbecker Straße 18 – 10437 Berlin – 0177-6238070 – [email protected] Auschwitz in Fotografien – Zeitschaft statt Ortschaft? Der Lagerkomplex von Auschwitz in der Nähe der polnischen Stadt Oświęcim war das größte nationalsozialistische Konzentrations- und Vernichtungslager. Heute befindet sich auf dem Gebiet der ehemaligen Lagerteile Auschwitz I und Birkenau das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau, das pro Jahr von mehreren Hunderttausend Menschen aus aller Welt besucht wird. ‚Auschwitz‘ ist heute zudem Symbol für die von Nazi-Deutschland begangenen Verbrechen, für den fabrikartigen Massenmord an den Jüdinnen und Juden, für Verfolgung, Ausbeutung und Mord von Millionen Menschen verschiedenster Nationen und Völker, für das Böse schlechthin. Darüber hinaus ist Auschwitz als Ort – mit Aleida Assmann gesprochen – ein Gedächtnis- bzw. traumatischer Ort, der von unterschiedlichen Erinnerungen und Deutungen belegt ist und mit unterschiedlichen Erwartungen und Absichten besucht wird. Überlebende begehen den Ort mit anderen Erfahrungen, Gefühlen und Erwartungen als Besucher des Museums, die das Lager Auschwitz nicht erlebt haben. Und Letztere besuchen den Ort häufig, um dem näher zu kommen, was sich damals in den Lagern ereignete. Dabei spielt die vermeintliche Authentizität des historischen Schauplatzes eine große Rolle. Aleida Assmann verweist jedoch darauf, dass diese mit Vorsicht betrachtet werden muss. Denn aufgrund der Funktion des Ortes als Museum und Gedenkstätte wird dieser stetig konserviert und damit auch verändert und ersetzt. Hiermit wird die Authentizität des Ortes zu einer inszenierten, was letztendlich zu einem Verlust von Authentizität führt. 1 So stellt sich die Frage, inwieweit das musealisierte Auschwitz dem Besucher heute tatsächlich etwas von den Geschehnissen des historischen Auschwitz vermitteln kann. Ruth Klüger, selbst Auschwitz-Überlebende, spricht dem „KZ als Ort“2 diese Fähigkeit ab. Das heutige Auschwitz sei vielmehr ein „Ort für Geländebewahrer“3. Sie spricht von einer „Zeitschaft“, die an die Stelle der „Ortschaft“ treten solle, um zu vermitteln, „was ein Ort in der Zeit ist, zu einer gewissen Zeit, weder vorher noch nachher.“4 Ausgehend von diesen Überlegungen werden in der vorliegenden Arbeit die Möglichkeiten des Mediums Fotografie untersucht, Auschwitz als „Ort in der Zeit, die nicht mehr ist“ 5 zugänglich zu machen. 6 Der dabei zugrunde gelegte Fotografie-Begriff betrachtet Rosalind Krauss und Roland Barthes folgend die Fotografie als eine Art Index oder Spur des abgebildeten Objektes7 und damit als Zeugin und Bewahrerin eines „vergangenen Wirklichen“8. Für dessen Interpretation werden Konnotationsverfahren wie z. B. der Zusatz von Text oder die Bildung einer Syntax mit Hilfe mehrerer Fotografien eingesetzt und auch benötigt.9 Denn nach Roland Barthes ist die Fotografie an sich nicht interpretierbar, sie sagt nichts, „teilt mir nichts mit. Vgl. Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. München 2006, S. 221ff. Klüger, Ruth: weiter leben. Eine Jugend. Ungekürzte Ausgabe. 10. Auflage. München 2001, S. 78. 3 Ebd., S. 139. 4 Ebd., S. 78. 5 Ebd., S. 79. 6 In der ursprünglichen Arbeit werden im Vergleich zur Fotografie die Möglichkeiten autobiografischer Literatur zum Thema untersucht. Aufgrund des Themas der Sommeruniversität ist dieser Teil hier jedoch ausgeklammert. 7 Vgl. Krauss, Rosalind: Das Photographische. Eine Theorie der Abstände. München 1998, S. 145. 8 Barthes, Roland: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie. Übersetzt von Dietrich Luebe. Frankfurt a. M., S. 99. Originalausgabe: La cambre claire. Note sur la photographie. Paris 1980. 9 Vgl. Barthes, Roland: Die Fotografie als Botschaft (1961), S. 15. In: Barthes, Roland: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Aus dem Französischen von Dieter Hornig. Frankfurt/Main 1990, S. 11-27. Originalausgabe: L‘obvie et lobtus. Essais Critiques III. Paris 1982. 1 2 1 [A]uch wenn ich mich noch so sehr mühe, alles, was ich feststellen kann, ist, daß es so gewesen ist“10. Gegenstand der Untersuchung sind zwei Bildbände, die das Lager Auschwitz mit Hilfe von Fotografien abbilden: Auschwitz – Residenz des Todes11 und Auschwitz – A History in Photographs12. An ihnen wird beispielhaft untersucht, auf welche Weise mit Hilfe von Fotografien und entsprechenden Konnotationsverfahren dem Betrachter der Ort Auschwitz damals und die Ereignisse des Lagers nahegebracht werden und auf welche Bereiche des Komplexes Auschwitz hierbei der Blick schwerpunktmäßig gelenkt wird. Der Aufbau der Untersuchung gliedert sich dabei in drei Teile: Der erste Teil widmet sich der Betrachtung der Topographie, welche in den Bildbänden über die Fotografien der Orte und Ansichten des Lagers gegeben wird, Teil zwei betrachtet die gezeigten Bilder der Menschen in Auschwitz, und Teil drei untersucht, wie die verschiedenen Fotografien zusammengefügt, durch weitere (Bild-)Elemente ergänzt und zu einer Erzählung des damals Geschehenen verdichtet werden. Es zeigt sich dabei, dass durch die Fotografien und die ihnen beigefügten Konnotationsverfahren eine Art Spurensicherung der in Auschwitz verübten Verbrechen und eine Rekonstruktion der Taten möglich ist: Über die Ortsfotografien wird der Blick des Betrachters auf bestimmte Tatorte und deren Gebäude und Objekte gelenkt, diese werden als solche identifiziert sowie interpretiert, und die Orte und Objekte selbst verweisen als Spuren, Relikte, Indizien und Beweise der Tat auf diese. Zum anderen verweisen auch die Bilder der Menschen auf die Taten in Auschwitz, wenn sie die Spuren der Taten an den Körpern zeigen oder die Menschen auf dem Weg zu ihrer Ermordung. Durch die Kombination dieser Bilder und die Ergänzung durch weitere Bild- wie auch Text-Elemente, die die Aussage der Fotografien verstärken und verdichten, erfolgt eine Rekonstruktion der Taten. Die Fotografien werden konnotiert und mit einer Interpretationsmaske versehen, welche die einzelnen Fotografien zu einer bildlichen Erzählung verdichtet. Angeordnet ist diese innerhalb eines ‚Raums‘ von Auschwitz, der über die Ortsfotografien geschaffen und dem Betrachter dargeboten wird. Dieser bleibt dabei stets außenstehend. Denn die fotografische Darstellung führt ihn zwar an den Ort von Auschwitz, dieser liegt jedoch immer in der fotografisch konservierten Vergangenheit, da die Fotografie „örtlich unmittelbar und zeitlich vorübergehend“13 ist. Die Frage, ob es gelingt, mithilfe der Fotografien eine Zeitschaft im Sinne Ruth Klügers zu erschaffen, muss daher verneint werden. Da es sich bei dem auf den Fotos Festgehaltenen immer um etwas vergangenes Wirkliches handelt, kann der Betrachter zwar nah an die Zeit und die Taten des Lagers Auschwitz herangeführt werden, ein Zugang zum Ort von damals im Sinne einer Zeitschaft bleibt ihm darüber aber verwehrt. Barthes, Kammer, S. 117. Rosalind Krauss nennt dies die „grundlegende Stummheit des indexikalischen Zeichens“ (Krauss, Das Photographische, S. 15). 11 Świebocki, Teresa und Henryk (Hrsg.): Auschwitz. Residenz des Todes. Kraków/ Oświęcim 2003. 12 Świebocki, Teresa (Hrsg.): Auschwitz. A History in Photographs. English edition prepared by Jonathan Webber and Connie Wilsack. 9. Auflage. Oświęcim [u.a.] 2005. Originalausgabe: Auschwitz. Zbrodnia przeciwko ludzkości. Oświęcim 1990. 13 Barthes, Roland: Rhetorik des Bildes (1964), S. 39. In: Barthes, Roland: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Aus dem Französischen von Dieter Hornig. Frankfurt/Main 1990, S. 28-46. Originalausgabe: L‘obvie et lobtus. Essais Critiques III. Paris 1982. 10 2 Sophie-Charlotte Schippmann Exposé zur Bewerbung für die Forschungsbörse der 10. Europäischen Sommeruniversität Ravensbrück Thema: Jenseits der blonden Bestie - Die Darstellung von KZ-Aufseherinnen im Spielfilm der Nachkriegszeit unter dem Aspekt geschlechterspezifischer Rollenerwartungen Auch wenn der Holocaust von Männern instigiert und dominiert war, beteiligten sich ebenfalls viele Frauen an den damit verbundenen Verbrechen. Oft wird diese Tatsache als schockierend empfunden, da Frauen als friedliebender, sanfter und fürsorglicher gelten als Männer. KZ-Aufseherinnen überschreiten mit ihrem Verhalten also nicht nur die Normen der Rechtsordnung, sondern auch die Normen der Geschlechterordnung. Dass diese Frauen trotzdem eine starke Faszination ausüben, zeigt sich auch daran, dass bisher drei Spielfilme entstanden sind, in denen die Figur der KZ-Aufseherin in den Mittelpunkt gestellt wird: Die Passagierin (Polen, 1963), Gegen Ende der Nacht (Deutschland, 1998) und Der Vorleser (USA/Deutschland, 2008). Die Passagierin von Andrzej Munk schildert in Rückblenden die sich wandelnden Erinnerungen einer ehemaligen KZ-Aufseherin an ihre Zeit in Auschwitz. Der Fernsehfilm Gegen Ende der Nacht von Oliver Storz erzählt die Liebesgeschichte zwischen der mutmaßlichen KZ-Aufseherin Karin Katte und dem amerikanischen Besatzungsoffizier Dave Gladbaker im Sommer 1945. Der Vorleser von Stephen Daldry schildert die Beziehung zwischen der ehemaligen KZ-Aufseherin Hanna Schmitz und dem wesentlich jüngeren Michael Berg im Westdeutschland der 50er Jahre sowie während des Prozesses gegen Hanna einige Jahre später und ihrer sich anschließenden Haft. In meiner Arbeit untersuche ich, inwiefern die fiktiven filmischen Darstellungen dieser drei KZ-Aufseherinnen von geschlechterspezifischen Rollenerwartungen beeinflusst sind und inwieweit die Weiblichkeit der Frauen als Erklärung für ihr Verhalten herangezogen wird. Zur Beantwortung dieser Forschungsfrage wurden die Filme vor allem auf die Darstellung der Schuld und der Weiblichkeit der KZAufseherinnen sowie auf die für diese Frauen evozierte Empathie hin untersucht. Bei der Untersuchung der Schuld geht es zunächst darum, zu klären, was die Frauen getan haben und ob sie mit ihren Taten die Geschlechterrollenerwartungen enttäuscht haben. Die Untersuchung der evozierten Empathie liefert Erkenntnisse über das Ausmaß, in dem die Filme über die Taten der Frauen und deren damit verbundenes Abweichen von Geschlechterrollen urteilen. In der Analyse der Darstellung der Weiblichkeit wird untersucht, ob die Filme den Bruch mit der Geschlechterrollenerwartung in einem Bereich mit einer generell devianten Weiblichkeit der Protagonistinnen in Verbindung setzen oder ob sie es zulassen, dass „typisch“ weibliche Attribute neben „untypischen“ stehen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alle drei Filme um eine differenzierte Darstellung der Frauen bemüht sind. Die Filme haben sich – vor allem im Kontrast zu Darstellungen von KZ-Aufseherinnen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit – von Geschlechterrollenerwartungen gelöst, sind ihnen dann aber doch in gewissen Punkten noch verhaftet. Hier ist vor allem die Assoziation von KZ-Aufseherinnen mit einer abweichenden und zum Teil als gefährlich konnotierten Sexualität in Gegen Ende der Nacht sowie in Der Vorleser zu nennen. Zudem tut sich Gegen Ende der Nacht schwer damit, Schuld und Handlungsoptionen seiner Protagonistin klar herauszustellen. Ihr Abweichen von der Geschlechterrollenerwartung bleibt daher im Vagen bzw. wird zurückgenommen. Pia Schlechter Exposé Masterarbeit „Urlaubsselfies in KZ-Gedenkstätten“ Pia Schlechter B.A. Kunst und Medien, Philosophie, Materielle Kultur: Textil Studentin MA Kulturanalysen, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg 14.7.2015 Exposé zur laufenden Masterarbeit im MA Kulturanalysen Thema: #yolocaust Urlaubsselfies und Erinnerungskultur in KZ-Gedenkstätten In meiner Masterarbeit im Rahmen des Masterstudiengangs Kulturanalysen an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg möchte ich mich mit dem Thema Urlaubsselfies in KZGedenkstätten beschäftigen. Wahrscheinlich am Beispiel des Bildernetzwerkes Instagram und des meistbesuchten und –fotografierten ehemaligen KZs Auschwitz-Birkenau. Als Forschungsmethode habe ich geplant, dass ich in soziologischethnografischer Tradition Feldforschungen in Auschwitz machen, wie auch Interviews mit fotografierenden Tourist_innen im Rahmen eines anstehenden Auslandssemesters in Polen führen, Bilder bei Instagram und Online-Artikel darüber sammeln und all dies mithilfe der Grounded Theory auswerten werde. Der Titel, #yolocaust, eine Zusammensetzung: 1. Das Jugendwort yolo, Abkürzung von engl. ‚you only live once‘, eine „Aufforderung Internet-Meme eine Chance zu nutzen“1; 2. dem Begriff ‚Holocaust‘; Und der Hashtag ‚#‘, eine Raute, welche in sozialen Netzwerken im Web 2.0 wie Instagram oder Facebook zur Verschlagwortung von Inhalten verwendet wird. Spaßige Jugendkultur, neue Medien und Vernetzung treffen die (fotografische) Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. #yolocaust wird bei Instagram von Jugendlichen, der ‚dritten (Nachkriegs-)Generation‘, zum Zeigen von Urlaubsfotos benutzt. Diese wurden beispielsweise in der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau mit Smartphones aufgenommen. Geschichte, über die als zu trocken im Geschichtsunterricht geklagt wird, wird zum fröhlichen und Must-See-Reiseerlebnis.2 3 Doch geben nicht alle ‚Thumbs up‘ für Auschwitz (vgl. Bild rechts): z.B. Im populären Lifestyle-Magazin Vice beklagt sich der Journalist Brehl darüber, dass “man die Würde dieser Orte […] mit belanglosen Hashtags besudelt [und] vor Orten des Schreckens […] in die Kamera grinst“4 und fordert Ehrfurcht anstelle von Geschichtsvergessenheit ein. Instagram-Urlaubsfoto 1 Langenscheidt: Jugendwort des Jahres, http://www.jugendwort.de/jugendwort.cfm (abgerufen am 23.6.2015). „Unbeschreiblich. Kann ich jedem nur empfehlen. So viel Grausamkeit an einem Ort, dafür gibt es keine Worte...“ schreibt Internet-Userin Antje Schicklang als Reisebewertung bei Google über Auschwitz.Google Suche: „Museum Auschwitz Birkenau“. https://www.google.de/search?biw=1280&bih=585&q=staatliches+museum+auschwitz-birkenau&stick (abgerufen am 23.6.2015). 3 Das Zeigen von Fotos in Auschwitz ist sehr beliebt: über 100.000 Fotos sind beispielsweise im Juni2015 bei Instagram unter #Auschwitz zu finden. 4 Brehl, Hektor: „Hashtags, die du für dein Holocaust-Gedenkstätten-Selfie nicht verwenden solltest“, vom 20.11.2013, Vice online, http://www.vice.com/de/read/25-hashtags-die-du-an-holocaust-gedenksttten-nicht-verwenden-solltest (abgerufen am 23.6.2015). 2 Pia Schlechter Exposé Masterarbeit „Urlaubsselfies in KZ-Gedenkstätten“ Ich gehe in Tradition poststrukturalistischer Fotografietheorie davn aus, dass Fotografien als neutrale Beweise scheinen, diese wie Motive und Lesweise allerdings historisch konstruiert sind, genauso wie damit einhergehend repräsentierte Geschichte. Fotoaufnahmen, wie Urlaubsselfies in Auschwitz, sind von einem Bildergedächtnis, wie durch Fernsehdokumentationen, Kinoblockbustern oder Bebilderung in Geschichtsbüchern vorgeprägt. Deshalb möchte ich untersuchen, woher die (Vor-)Bilder von #yolocaust kommen und was sie transportieren. Auffällig ist hier beispielsweise ebenso, dass die glücklichen Urlaubsfoto-Posen ähnlich denen vorm Eiffelturm oder dem Big Ben sind, Sehenswürdigkeiten, die für ein hegemoniales, fortschrittliches Europa stehen. Warum ebensolches Fotografieren an einem Ort schrecklicher, nicht stolzer Geschichte? Wird aufgrund der Zirkulation der Bilder, einer Entleerung der Bedeutung, Geschichtsvergessenheit und Distanz gefördert? Die Respektlosigkeit kann allerdings auch als produktive Praxis der Aneignung und Umdeutung gelesen werden. Beispielsweise ist eine Reaktion auf ein Internet-Video, in welchem die Familie eines Holocaust-Überlebenden in Auschwitz tanzen: „Dieses Video triumphiert respektlos und fröhlich gegen Hitlers Hoffnung, alles jüdische Leben auf Erden für immer auszulöschen“5. Deswegen lautet die Fragestellung meiner Arbeit neben dem Bezug auf das kulturelle Bildergedächtnis: Foto-Spaß im ehemaligen KZ – ‚Besudelung‘ von Geschichte oder produktive Umdeutung? Friedman, Michel zitiert in: Vehlewald, H.-J.; Merhol, A.: „Darf man so ein Video drehen? Holocaust-Überlebender tanzt mit Familie vor KZ Auschwitz“, bild.de vom 13.7.2010, http://www.bild.de/news/2010/umstrittenes-auschwitz-video-iminternet-13292774.bild.html (abgerufen am 10.07.2015). 5 Humboldt Universität zu Berlin M.A. Kulturwissenschaft Linda Winkler [email protected] Exposé zur Masterarbeit Arbeitstitel: Bild und Lesbarkeit der Geschichte. Bildbefragung durch Montage in Harun Farockis Aufschub (2007) 1. Problemstellung und Erkenntnisinteresse Welche Bilder prägen unsere Erinnerung an die nationalsozialistischen Konzentrationslager? Im Kontext der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik sind trotz wiederholter Fotografierverbote unzählige Fotografien aus verschiedenen sehr verschiedenen Situationen und Perspektiven heraus entstanden. Es handelt sich um Amateuraufnahmen von Wehrmachtssoldaten, um offizielle Fotografien für Propagandazwecke, um Aufnahmen alliierter Kameramänner oder aber um Gesten des Widerstandes, wie sie Georges Didi-Huberman bezüglich der vier Fotografien des Sonderkommandos in Auschwitz-Birkenau beschreibt. 1 Der Großteil dieser Bilder wird kaum je gezeigt, einige wenige haben ikonischen Status erlangt und werden bis heute immer wieder in Dokumentationen über den Holocaust als Symbole des Grauens aufgerufen. Vielfach geht dabei ihr Entstehungszusammenhang verloren. Der „kurze Film über Hitler und die Verbrechen unter dem Nationalsozialismus“2 unterscheidet nicht zwischen dokumentarischen3 Aufnahmen, nachgestellten Szenen oder Selbst- und Fremdinszenierungen von Opfern und Tätern. Die gängigen Praktiken der Retusche, Beschneidung und Montage rauben den Bildern die Spuren ihrer spezifischen Phänomenologie und damit ihren Zeugnis- und Ereignischarakter. Durch die Wiederholung in Auswahl und Anordnung der Bilder in Reportagen, Bildbänden und Dokumentatrfilmem sind sie in das kollektive Gedächtnis eingegangen und dienen als „signposts, directing people who remember to preferred meaning by the fastest route“ 4. Sie leisten einem erstarrten Gedächtnis an die Shoah Vorschub. Der ikonische Gebrauch der Bilder führt zu einer Vereindeutigung und Simplifizierung der Geschichte und verliert den Blick für ihre Komplexität und Singularitäten, 1 Vgl. Didi-Huberman, 2007 2 Harun Farocki: Wie Opfer zeigen?, in: Elisabeth Wagner, Burkhardt Wolf (Hg.): VerWertungen von Vergangenheit, Berlin 2009, S. 52-81, S. 62 3 Der Begriff des Dokumentarischen wird zu problematisieren sein. 4 Barbie Zelizer: Remembering to Forget. Holocaust Memory through the camera's eye, Chicago 1998, S. 7 1 die sie zu möglichst einfachen Schlagwörtern reduziert. 5 Ausgehend von diesen Beobachtungen will ich im Rahmen meiner Masterarbeit alternative Formen der Bildbefragung untersuchen, die ein solches erstarrtes oder „übersättigtes“ 6 Gedächtnis unterlaufen und dem Betrachter zu einer eigenständigen Lektüre der Bilder jenseits von automatisierten Zuschreibungen verhilft. Von besonderem Interesse soll hier der Umgang mit Bildsorten sein, die in Gewaltkontexten entstanden sind, der Selbstrepräsentation der Täter dienten oder das Leiden ihrer Opfer ausstellen. In welchen Verwertungs- und Verwendungszusammenhängen stehen sie und welche Funktion erfüllen sie in der Erinnerungskultur? Welchen Wert können sie für ein Wissen von den Lagern haben? Welche Authentizitäts- oder Beweiskraft wird ihnen jeweils zu- oder abgesprochen? Was rechtfertig ihre weitere Verwendung und wie können sie zitiert werden, ohne die Botschaft der Täter zu wiederholen oder eine Aneignung zu riskieren? Bleibt den Bildern ihr verletzender Kontext eingeschrieben oder können sie affirmative Bedeutung gewinnen? Unter welchen Bedingungen können sie testimoniale Effekte entwickeln? Es geht im Kern um eine ethische Frage nach der Resignifizierbarkeit von Gewaltbildern. 2. Untersuchungsgegenstand Gegenstand meiner Untersuchung ist der Film „Aufschub“ (2007) des Filmemachers und Medienkünstlers Harun Farocki. Der als Gegenfilm zu den konventionellen Kompilationsfilmen konzipierte Essay widmet sich Filmaufnahmen, die im Frühjahr 1944 im „Polizeilichen Durchgangslager Westerbork“ von dem jüdischen Insassen Rudolf Breslauer im Auftrag des SSLagerleiters Albert Gemmecker angefertigt wurden. Das bisher aufgefundene Rohmaterial des nie fertiggestellten Films zeigt Insassen beim Sport, im Theater und vor allem bei der Arbeit in den Lagerbetrieben. Der Film sollte den Lageralltag abbilden, die Produktivität des Lagers und den reibungslosen Ablauf der Deportationen zur Schau stellen. Das irritierende Moment der Bilder besteht zum einen in der ambivalenten Aufnahmesituation, die zwischen der Perspektive des SS-Kommandanten und der des jüdischen Insassen oszilliert. Zum anderen wirken die friedliche Atmosphäre und die teilweise fast fröhlichen Affekte der abgebildeten Subjekte irritierend auf unsere Sehgewohnheiten. Diese Bilder werden kaum gezeigt. Bekannt ist der Filmkorpus aus Westerbork vor allem für die Szene eines abfahrenden Deportationszuges, die in zahlreichen TV-Dokumentationen über den Holocaust reproduziert wird, wenn es gilt, die 5 Vgl. Georges Didi-Huberman: Das Öffnen der Lager und das Schließen der Augen, in: Ludger Schwarte (Hg.): Auszug aus dem Lager. Zur Überwindung des modernen Raumparadigmas in der kritischen Philosophie, Bielefeld 2007, S. 10-45, S. 13 6 Siehe: Annette Wieviorka: Auschwitz, 60 ans après, Paris 2005 2 Deportation der europäischen Juden im Allgemeinen zu illustrieren. Diese Sequenz enthält zudem die Nahaufnahme eines Mädchens, das aus der Tür eines Viehwaggons schaut. Ein Bild, das vor allem in den Niederlanden zu einer Ikone des Holocaust geworden ist. In meiner Arbeit sollen die filmischen Verfahren untersucht werden, durch die Farocki den Blick auf die allzu familiären Bilder des Holocaust fremdstellt, ihre historische Referentialität wiederherstellt und ihre spezifischen Entstehungsbedingungen sichtbar macht. Dabei geht es ihm auch um die Frage, wie wir visuelle Spuren der Shoah lesen können und sollten. Ziel ist das Training einer kulturellen Praxis des Bilderlesens, die über den „bloßen“ Erwerb historischen Wissens hinausgeht. 3
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