? t r e i n n o b a n o h Sc lleton I KULTUR · KRITIK · KONTROVERSEN I FEBRUAR · NR. 49 · 6.2. – 4.3.2016 · 3,00 EURO · www.muenchner-feuilleton.de SPOT SEITEN 2–3 © Gerstmeir Inić Architekten DESIGN SEITEN 4–7 Markante Zeichen und RecyclingEleganz Zwei vielfältig bestückte Großevents zeitgenössischer und zukunftsweisender Gestaltung machen staunen: die Munich Creative Business Week und die Schmuck 2016. Folgen Sie unseren Hinweisen auf das Dutch Design und außergewöhnliche Schmuckkünstler. LITERATUR SEITEN 11–15 Lesen, lümmeln, lachen Die Münchner Bücherschau junior feiert ihr zehntes Jubiläum mit Lesungen, Workshops und vielen, vielen Büchern. LEITKULTUR PFLICHT Grafik: Sylvie Bohnet Es ginge auch anders Die Flüchtlingskrise erhöht den Druck auf das Bauwesen: Jetzt muss schnell, effektiv und erfinderisch gebaut werden, damit auch in Zukunft alle gut behaust sind. D E M O K R ATI E Aber bitte für alle! AUGENWEIDE SEITE 16 Hans Wijninga Die Galerie arToxin zeigt Fotos des niederländischen Fotografen – Landschaften mit fremdartigem Tiefgang. BÜHNE SEITEN 17–22 Western und Eastern In den Kammerspielen langweilen Cowboys sich und uns mit romantischen Kunstblasen. Im Volkstheater wütet wild und spannend der Krieger Odysseus im östlichen Mittelmeer. MUSIK SEITEN 23–27 Begehbare Geschichte Im Theatermuseum kann man derzeit die Historie des Gärtnerplatztheaters im wahrsten Sinne des Wortes erwandern. FILM SEITEN 28–31 Berlinale bavaroise Auf Deutschlands wichtigstem Filmfestival herrscht einmal mehr Premierenfieber. Auch zahlreiche bayerische und Münchner Filmemacher sind dieses Jahr vertreten – die wichtigsten stellen wir vor. IMPRESSUM SEITE 10 MÜNCHNER FEUILLETON Breisacher Straße 4, 81667 München Brauchen wir eine verordnete »Leitkultur«? Wie sie die CSU per Bürgerbefragung durchsetzen will? Seit Jahren wird immer wieder der Ruf nach diesem schemenhaften Ordnungsbegriff laut. Jetzt wollen die Christsozialen dafür die Bayerische Verfassung ändern. CHRISTIANE PFAU In unserem Grundgesetz steht es längst, fest verankert, an vorderster Stelle: »Die Würde des Menschen ist unantastbar« – unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe und Religionszugehörigkeit. Dieser Satz enthält alles, was man für ein friedliches Zusammenleben braucht. Und ich habe gelernt: Meine Freiheit hört da auf, wo die meines Nächsten anfängt. Das geht bei ganz banalen Verhaltensregeln los (ich spucke meinem Tischnachbarn nicht in die Suppe, ich halte mir zumindest in der Öffentlichkeit die Hand vor den Mund, wenn ich gähne, damit mir niemand in die Innereien schauen muss, ich sage Bitte und Danke und mache den Platz frei, wenn im Bus ältere Menschen oder Schwangere einsteigen) und reicht bis hin zu Anstandsgeboten, wenn ich mich im Ausland aufhalte. Wenn ich in anderen Ländern bin, beobachte ich, wie sich die Menschen, die dort leben, verhalten. Und passe mich an. In muslimischen Ländern gehe ich nicht im Minirock spazieren, und wenn es angebracht ist, lege ich ein Kopftuch um. Das alles weiß ich auch ohne Integrationskurs, einfach, weil es die Höflichkeit gebietet. Ich weiß, dass ich ein Gastrecht genieße, das mir den ein oder anderen Faux Pas nachsieht. Ich weiß aber auch, dass ich als Gast Pflichten habe. Ich weiß, dass ich mich nicht wie zu Hause benehmen kann, weil ich eben nicht zu Hause bin. So einfach ist das. Dasselbe erwarte ich von meinen Gästen, und in dem seltenen Fall, dass sie sich absichtlich daneben benehmen, lade ich sie nicht mehr ein oder bitte sie zu gehen. Die Gleichberechtigung der Frau gehört zu den Grundfesten unserer Gesellschaft. Dass diese unterwandert werden könnte, ist völlig indiskutabel und darf nicht geduldet werden. Seit Silvester geht es in den Debatten unserer Republik kreuz und quer durcheinander: Emotionale Zustände galoppieren wild in alle Richtungen, vermeintlich linksliberal gesinnte Menschen in unserem Umfeld sagen Dinge, die konservativ bis rechts anmuten. Das befremdet und verwirrt, man ist über sich selbst erstaunt, weil man plötzlich nicht mehr weiß, was man sagen darf und kann oder soll, ohne dass man in falschem Licht dasteht. Kein Wunder, denn die gesamte demokratische Selbstverständlichkeit scheint auf den Kopf gestellt. Der Ruf nach »Leitkultur« erscheint da fast schon komisch. Wenn überhaupt, müsste sie nämlich erstmal hier, bei uns, auf den Prüfstand: Manieren sind schon lange nicht mehr jedermanns Sache. Jetzt spitzt sich die Lage zu. Bei der CSU-Definition von »Leitkultur« geht es im Kern um die Festlegung der Grundwerte, um das Bekenntnis zur deutschen Sprache und die Pflicht, sie zu erlernen, Akzeptanz von Tradition und eine Definition der Toleranz. Bei wie vielen deutschen Mitbürgern und Mitbürgerinnen sind diese Grundwerte tatsächlich verankert? Wollen wir ernsthaft annehmen, dass die deutsche Mehrheit diese Leitkultur verinnerlicht hat? Die Vertreter der deutschen Leitkultur treffen sich an Montagabenden und sorgen für akustische und optische Umweltverschmutzung. Sie rempeln und pöbeln, physisch ebenso wie verbal. Der braune Mob breitet sich in Städten und auf dem Land aus und verkauft Dummheit als Kultur. Wenn diejenigen, die so laut nach der »christlich-jüdisch-abendländischen Kultur« rufen, sich als erste nach den Werten richten würden, die sie proklamieren, dann gäbe es keine AfD. Die Annahme liegt also nahe, dass die Forderung nach Achtung einer Leitkultur nichts anderes ist als die Umlenkung eines inneren Problems – Verfall der Sitten und soziale Verwahrlosung durch alle Gesellschaftsschichten –, das schon viel zu lange in unserer Republik gärt. Man muss Herrn Seehofer, Herrn Scheuer und Herrn Blume die Frage stellen dürfen: Warum wird daran nicht gearbeitet? Ist das die Definition von Toleranz? Der Weg über eine Leitkulturpflicht ist der falsche, weil er in die falsche Richtung geht: nämlich nach rechts. Die CSU wird um die AfD reicher und die Demokratie um ihre Freiheit ärmer. || Im Netz: www.muenchner-feuilleton.de
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