Das strunk-PrinziP

Angenehm
zu lesen !
Korrekte Rechtschreibung!
Da s St ru n k- Pr i nz ip
w
Kultur – Eselsbrücke des Menschen
Heinz Strunk, das ist kein asthmatischer
Blödelbarde oder überlauter Krawallkomiker,
der Hamburger Humoroldie gleicht vielmehr
einem rotzfrechen Trüffelschwein beim
grunzenden Wühlen im Humus des kranken
Zeitgeistes. Oldies but Goldies: Wie
gewohnt ruft er die hundert Prozent
ab, macht aus jedem Fragezeichen
ein Ausrufezeichen. Seine
Technik: überlegen. Seine
Schlußfolgerungen: zwingend.
Seine Methode:
DAS STRUNK-PRINZIP.
K
ultur, ein magisches Wort, das
schon beim bloßen Hörensagen
Gänsehautfeeling pur erzeugt.
Leitkultur, Hochkultur, Kultur­
attaché, das ist die eine, legale Seite der Medaille,
die andere läßt sich anhand von Darkwords wie
Subkultur, Kulturschock und Kulturbanause
bestenfalls erahnen. In der heutigen Bussi- und
Schnorchelgesellschaft begnügt man sich im
übrigen auch gerne mal mit Kultur light. Periculum
in mora – Gefahr liegt im Verzug!
Wo beginnen? Das STRUNK-PRINZIP nähert sich
diesem hochkomplexen Thema im Spinnenverfah­
ren, d.h. scheinbar beliebig und von allen Seiten.
Ein emotional heftig aufgeladenes Einsteigerbei­
spiel, das polarisiert und ratlos macht, ist die
­Kulturtasche – Tabuthema, Dauerbrenner und
Zünglein an der Waage. Denn dieser Beutel
bestimmt, wer gerade einer Endmoräne von der
Schippe gesprungen ist oder zum Who’s who
zählt. Wer nichts zu verbergen hat, trägt seinen
Bag stets bei sich und zeigt ihn ohne Aufforderung
vor. Frisch gebürstetes Nubukleder, Applikationen
und Designerverschlüsse werfen markante Schlag­
62 lichter auf die Persönlichkeit seines Besitzers. Im
Inneren sollte in erster Linie eines herrschen: Ord­
nung. Peelingstift, Mundklammer, Warzenschere,
alles befindet sich am rechten Platz. Doch was ist
mit Hartplastikbilligtaschen, in deren verwittertem
Bauch verrostete Nagelscheren im Sediment aus
Rasierschaum und Deoschmand lagern, abge­
laufene Psychopharmaka und in Stundenhotels
­entwendete Seifenproben einen ranzigen Schulter­schluß mit Einwegpflastern, Nasenhaaren und
unhinterfragbaren Ablagerungen bilden?
Ist das STRUNK-PRINZIP ein Schockprinzip?
Nein, aber die Kulturtasche bietet wesentliche Ver­
weise auf die schleichende Entwertung der Kultur,
denn Kultur ist leider auch Kult geworden, hip, sty­
lish, witzig. Kultur: Modewort aus der Trashwelt?
Das STRUNK-PRINZIP fragt: Ist dieser Aufsatz
ein Schwanengesang, erleben wir einen
beispiellosen Danse macabre der Kultur?
Schon nach diesem ersten, in abge­
hacktem Stakkato geschriebenen
Absatz drohen unzählige Fall­
stricke und Stolpersteine, den
Diskurs vor der ersten wirklichen
Hürde zum Straucheln zu brin­
gen. Denn wer glaubt, ­Kultur
auswringen zu können wie
einen Schwamm, der muß sich
Vorwürfe gefallen lassen, die
niemand gerne hört. Kultur ist
ihrem Wesen nach ein dia­lektischer Zwitterbegriff, eine Mause­
falle ohne Speck; man kann das
Phänomen weder mit mechanistischen Zahlenkorsetten noch mit
mystifizierendem Allerlei knacken, surreale Metaphern sind ebensowenig ziel­
führend wie inkohärente Faktenhuberei. Das
STRUNK-PRINZIP geht das Thema deshalb an wie
uralte asiatische Brettspieler, die das Tableau Feld
um Feld einengen, bis schließlich alle Figuren
neben dem Brett stehen. Punkt eins: Kultur ist stets
die Summe ihrer Einzelteile, eine inkommensurable
Primzahl am Ende des Regenbogens. Verwirren wir
die Zweifler mit ­wirren Behauptungen, die jedoch
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nur scheinbar wirr sind, in Wahrheit aber ein Raster
bilden. Beginnen wir mit Klischees und Allgemein­
plätzen, die es zu verifizieren gilt: Kultur ist der
Nerzmantel des Menschen, eine Schlangenhaut, in
die er hineinschlüpft. Heißt was? Erst durch Kultur
wird der Kuhlenschläfer zum Tischsitzer, der die
Lesebrille richtig herum aufsetzt. Statt Brüllex­
zessen Tischgebet, statt Napffraß tiefer Teller, statt
Rudelbums Samenroulette – Kultur ist das Korsett,
das Luft zum Atmen läßt und trotzdem Struktur
gibt. Sapienti sat est – Weisheit ist Glück!
Bücher, Filme, Malerei: ohne Kultur Unwörter
aus den Katakomben der Barbarei, Windbeutel
ohne Sahne, Kniggefibel für Trickdiebe. In einer
primitiven Gesellschaft sind Menschen Früchte­
esser und Onkeltypen, in einer Hochkultur Sitz­
riesen mit Intuition und Herzenswärme. Etikette,
Manieren, Leibwickel machen das Leben in einer
Gemeinschaft erträglich. Beispiel Saunakultur:
­vordergründig ein Tempel der Hitze, ein diffuser
Wechsel von Heiß-Kalt-Reizen. Also schwitzen,
­fertig, aus? Was einfach klingt, ist in Wahrheit ein
für den Laien nur schwer durchschaubares Regel­
werk von musts and must-nots. Fußbad, Aufguß, Ruhezone, Eiskammer, Saunameister,
Sanduhr, Thermometer, intransparente
Begriffe einer intransparenten Welt.
Schon im schizo-klaustrophobischen
Labyrinth des Umkleidetrakts kön­
nen irreversible Fehler begangen
werden: Blackouts beim Spindbe­
trieb, ­Kleidungsfauxpas, Bück­
schwäche, um nur einige Kern­
probleme schlaglochartig anzu­
reißen. Im eigentlichen Schweiß­
raum die unausgesprochenen
Codes der Saunierenden; wer hier
keucht, stöhnt, palavert oder sich
gar mit blanken Händen auf die
gewässerte Haut schlägt, wird
schnell als kreuzdummer Neuling
enttarnt. Schwitzwasserrinnen, Kondensphobie, Wallungen aller Couleur –
wir müssen den Exkurs abbrechen, bevor
er begonnen hat.
Behandeln wir das nächste Unterthema uno actu
– in einem Akt: Subkultur! Ein krimineller Wir­
kungszusammenhang aus Ökofleisch, Mundfäule
und Versäumnissen, der die Leitkultur zersetzt. Der
Subkulturelle sitzt mit Gleichgesinnten rowdyhaft
in stillgelegten Tankstellen, läßt die Pfandflasche
kreisen und fordert die Einführung der Ochlokratie.
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Die einzige Regel dieser Gestrandeten zweifel­
hafter Provenienz: Es gibt keine Regel. Subkultur
pauschal zu stigmatisieren wäre jedoch der grund­
falsche Weg, denn sie ist auch ein notwendiges
Korrektiv, der dialektische Antipode jeder funk­
tionierenden Hochkultur, die dunkle Schwester, die
Muse als Gothic-Lolita, die noch jede Hochkultur
nötig gehabt hat.
Womit wir schon bei Kulturhistorie wären. Man
unterscheidet drei Stadien: bis 500 nach Christus
die sog. diffuse Gesellschaft. Alles war eins,
­Grenzen, wenn überhaupt, bestenfalls fließend,
Ordnungschemata werden nur von Teilen der
Gesellschaft akzeptiert, Kultur diente den Super­
reichen als Steckenpferd, sonst nix. Ab ca. 850
brach die fruchtbarste Zeit an, die Zeit der Kulturgesellschaften: Kultur stand über allem, Privat­
eigentum, Liberalismus, Ästhetik, Kunst, Handel,
all das mußte zugunsten der Kultur ins zweite Glied
rücken. Kultur, die große Illumination, die surreale
Klammer. Seit ca. den neunzehnhundertfünfziger
Jahren befinden wir uns im dritten und letzten
Stadium, der entwerteten Gesellschaft; Stichworte
Fusion, Vermengung, Trash, Globalisierung, ver­
mehrte Investition in Sachwerte. Gänzlich neue
Gravitationskräfte bestimmen auf bisher noch
ungeklärte Art den weiteren Fortgang der Mensch­
heitsgeschichte, die überkommenen Plattformen
Arbeit, Hobbys und Familie haben endgültig
­ausgedient, Kultur ist zum ausgesprochenen
Luxusgut geworden. Die Reputation der Hoch­
kultur hat zugunsten der ubiquitären Massenkultur
stark verloren. Noch ist jedoch nicht sicher, wer die
Oberhand behält. Das STRUNK-PRINZIP beweist,
was es zu beweisen gilt: Nichts ist sicher!
Ausblick: Kultur befindet sich im Wandel und bleibt
gleichzeitig, wie sie war: spannend, witzig und mit
einer Prise Augenzwinkern. Kulturmuffel haben in
der Gesellschaft von morgen ebensowenig eine
Chance wie Bringdienste, Hotlines oder Gutscheine,
sie sind Schnee von gestern, Hütchenspieler ohne
Hütchen, Zulu ohne Kaffer. Indessen müssen auch
die Apologeten der Leitkultur endlich die zer­
fetzten Segel streichen und die Überkommenheit
ihres moralinsauren Standpunktes erkennen. Kultur
ist ein Mäntelchen, das man weder in den Wind
hängt, noch an der Garderobe abgibt. Nur wer ein­
sieht, daß weniger mehr ist, Kultur weder ­statische
Benimmnomenklatura noch Magna Carta ist, wird
den Anforderungen der Zukunft gewachsen sein
und Kultur als das begreifen, was sie immer schon
war: Eselsbrücke des Menschen.
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