Nicht ganz korrekt«. - Deutsche Thomas Mann

Prof. Dr. Dr. h. c. Heinrich Detering
»Nicht ganz korrekt«. Thomas Mann und Theodor Storm als entlaufene
Bürger
Wenn Thomas Mann sich in seinen großen Dichterporträts Lieblingsautoren zuwendet, dann
entdeckt er in ihnen auch immer sich selbst – so auch in Theodor Storm. Dabei wandelt sich
sein Storm-Bild mehrfach, vom nervösen modernen Exzentriker zum bürgerlichkonservativen Meister – je nachdem, wann Thomas Mann sich mit ihm beschäftigt: in Tonio
Kröger (1903), im Gedenkblatt (1916) und den Betrachtungen eines Unpolitischen (1918), im
Essay
Theodor
Storm
(1930).
Dieser
wichtigste
Beitrag
fragt
nach
Storms
lebensgeschichtlichen »Inkorrektheiten« und ihren künstlerischen Folgen. Noch kurz vor
seinem Tod 1955 erinnert sich Thomas Mann an die Jugendliebe zum Lyriker Storm. Diese
lebenslange Beziehung kulminiert in dem Satz: »Er ist ein Meister, er bleibt.«
Als erster reklamiert Mann für Storm jene »Weltwürde der Dichtung«, die er Fontane, Keller
und Turgenjew schon selbstverständlich zugeschrieben sieht. Dabei will er Storm aus der
Vereinnahmung durch die reaktionäre »Heimatkunst«-Bewegung lösen und zu einer
ähnlichen Neubewertung kommen, wie er sie mit Der alte Fontane (1910) für Storms Freund
schon durchgesetzt hatte. So wichtig ist ihm sein Storm-Porträt, dass er es 1935 in den Band
Leiden und Größe der Meister aufnimmt, neben Essays zu Goethe, Platen, Wagner.
Durch alle wechselnden Deutungen hindurch bleibt Storm für Thomas Mann stets ein »Bürger
auf
Abwegen«:
ein
Geistesverwandter.
Im
Spannungsverhältnis
von
Kunst
und
Bürgerlichkeit, in erotischen Verwirrungen, in der Neugier auf das Phantastische in einer
vernunftbestimmten Welt, im Verhältnis zur Religion, im unausweichlich werdenden
politischen Handeln: in alldem sieht er seinen im Storm-Essay formulierten Satz bestätigt,
»Dichtertum« sei »die lebensmögliche Form der Inkorrektheit«. Und das gilt für Storm wie
für ihn selbst.