15 Nov Venture Capital Magazin: Industrie 4.0

Mittelstand/Buyouts
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Industrie 4.0:
Droht das digitale Mittelmaß?
Eine Revolution steht uns in Deutschland bevor. Neue Technologie-Start-ups formieren sich und fordern die etablierten Platzhirsche auf breiter Front
heraus. Der digitale Wandel ist zwar in Deutschland seit Jahren ein brennendes Thema und auch den Begriff Industrie 4.0 hat bald jeder gehört, doch
warum scheinen sich die Industrie und vor allem der industrielle Mittelstand mit dem Thema der Digitalisierung so schwerzutun?
it deutlich über 50% Anteil an der Wirtschaftsleistung
der Bundesrepublik sind kleinere und mittlere Unternehmen ein wichtiger Faktor für unser ökonomisches
Fundament. Insbesondere im Süden Deutschlands konzentrieren
sich die Hidden Champions. Ihre Ingenieurskunst ist bewundernswert, und ihre Lösungskompetenz für ein großes Spektrum von
Problemen ist beeindruckend. Eine Lösung für den derzeitigen
Wandel im Kontext der Digitalisierung stellt für sie jedoch eine
ganz neue Herausforderung dar.
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Bisher versteht der Mittelstand Digitalisierung eher evolutionär.
Das heißt, bei Innovationen konzentrieren sich die Anstrengungen im Wesentlichen auf die digitale Veredelung der jeweiligen
Produkte. Dieser Ansatz könnte für die Zeit der disruptiven
Veränderungen unpassend sein, denn es geht hier eben nicht
um die nächste inkrementelle Verbesserung von Produkten und
Prozessen, sondern um das grundlegende Überdenken bestehender Geschäftsmodelle und Fundamente von Unternehmen.
Für diese Veränderung ist die Zeit nun gekommen, da zum
ersten Mal die technologischen Voraussetzungen für eine vollumfängliche Vernetzung und Kommunikation aller Glieder in
der Wertschöpfungskette vorhanden sind. Jeder Akteur, von
Kunde bis Zulieferer, sowie alle Komponenten im Produktionsprozess und auch die Produkte und Teilprodukte selbst können
miteinander interagieren. In diesem Veränderungsimpuls besteht
Gefahr, aber auch Potenzial für den eigenen Status quo. Diese
Tragweite der disruptiven Dynamik scheint vor allem der Mittelstand vielfach zu unterschätzen.
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Heute sind deutsche Unternehmen führend bei technischen
Lösungen. Um aber auch zukünftig den Maßstab von Industrie-
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produkten zu setzen, ist die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle
mit Lebenszyklus- und Serviceorientierung notwendig, die auch
eine Veränderung der DNA von Unternehmen erfordern kann.
Der Mittelstand steht hier aber noch am Anfang. Laut einer Studie von Wieselhuber und Partner beschäftigen sich die wenigsten Unternehmen strategisch mit der systematischen Weiterentwicklung ihres Geschäftsmodells. Die Innovationen sind sehr
häufig vom Kunden getrieben und werden noch nicht vom
Anbieter initiiert. Einerseits möchte der Kunde gewisse Aufgabenbereiche nicht mehr selbst übernehmen, und andererseits
kann er es auch nicht mehr, da viele Lösungen zunehmende
Spezialisierung erfordern. Auf diese Weise entwickeln sich
Unternehmen aber auch weiter und werden von klassischen
Komponentenanbietern zu Systemanbietern. Dies ist zwar nicht
proaktiv, ist aber ein Schritt in die richtige Richtung. Denn zukünftig wird nicht allein die beste Technik oder Funktionalität
für die Entscheidung des Kunden relevant sein, sondern die
Attraktivität des gesamten Geschäftsmodells.
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Was im Bereich IT als Software as a Service schon stark verbreitet ist, kann in der Industrie schon bald als Everything as a
Service Anklang finden. Zukünftige Geschäftsmodelle werden
sich stärker an einer umfassenden Wertschaffung orientieren,
die neben höherer Effizienz durch optimierten Ressourceneinsatz und geringer Kapitalbindung auch Wert durch Risikominimierung oder Risikoteilung schaffen. In Form von Plattformen und Infrastruktur als flexibel buchbare Dienstleistung
gibt es bereits interessante Beispiele für diese Entwicklung,
dennoch werden diese bisher nur von wenigen Akteuren aufgegriffen. Ein gutes Beispiel für Geschäftsmodell-Innovationen
im Maschinen- und Anlagenbau zeigte in jüngerer Vergangenheit der Kompressoren-Hersteller Käser. Neben klassischen
11-2015 | VentureCapital Magazin
Investitionsgütern bietet das Unternehmen auch IndustrieServices an und verkauft beispielsweise Druckluft. Als Zulieferer
ist er voll in der Produktion beim Kunden integriert. Durch den
hohen Vernetzungsgrad mithilfe von intelligenter Sensorik sowie von Analyse- und Steuerungssoftware ist dieses Angebot
mehr als nur ein klassisches Betreibermodell. Käser verfügt
durch diese Art des Produktangebots über wesentlich mehr
Möglichkeiten, die Bedürfnisse des Kunden zu bedienen. Beispielsweise können die Abgabemengen flexibel und risikooptimiert
bereitgestellt werden. Durch Analyse von Produktionsdaten ist
zudem vorausschauende Wartung und eine erhöhte Versorgungssicherheit möglich. Im Bereich Mobilität demonstriert
Daimler, der zwar im Kern immer noch Automobilhersteller mit
klassischem Geschäftsmodell ist, mit Moovel einen Ansatz, der
sich die Serviceorientierung zu eigen gemacht hat. Er stellt sich
die Frage des Nutzens, die hinter seinem Kernprodukt, dem
Auto, steht. Der Kunde möchte zu einem Großteil das Bedürfnis nach Mobilität gestillt haben, und das muss nicht zwangsläufig und ausschließlich durch das Auto erreicht werden. Das
Auto ist zwar nach wie vor durch Services wie Car2Go und
MyTaxi auch bei Moovel ein Bestandteil des Angebots, doch
wird dem Mobilitätsbedürfnis umfänglicher Rechnung getragen,
indem öffentlicher Nah- und Fernverkehr oder Leih-Fahrräder
im optimierten Routenvorschlag miteinfließen.
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Sichtbar an diesen Ansätzen werden die Wertorientierung und
das Verständnis des Kunden. Beides wird ausschlaggebend
sein, um zukünftig die Bedürfnisse des Kunden zu bedienen.
Wer dies am besten versteht und sein Produkt und Leistungsangebot entsprechend aufstellt, wird seine Position am Markt
halten oder sogar ausbauen können. Technologie-Start-ups
haben hier einen entscheidenden Vorteil. Sie müssen zwangs-
läufig einen deutlich erkennbaren Mehrwert für ihre Kunden
bieten und können sich nicht auf eigene bestehende Produkte
als Umsatzbringer verlassen, da sie über diese nicht verfügen.
Dass sie dies können, zeigen sie durch ihre iterativ entstehenden Geschäftsmodelle und sogenanntes Pivoting. Die Gründerszene macht in diesem Fall vor, was der Mittelstand noch lernen
kann. Dieser kann die Herausforderung annehmen und sollte
sich weder der Realität verweigern noch reaktiven Verteidigungsstrategien hingeben. Vielleicht sollte er sich wieder seiner
eigenen Wurzeln und Anfänge bewusst werden. Die vermeintlichen zwei Lager verbindet nämlich ein wichtiger Punkt. Jeder
Unternehmer war im Ursprung auch mal Gründer eines Startups.
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Die Digitalisierung bietet zahlreiche Chancen, sich mit neuen
Geschäftsmodellen auch als Mittelständler zukünftig am Markt
teuer zu verkaufen. Mit dem richtigen Augenmaß, dem Willen
zur Innovation und einem wiederentdeckten unternehmerischen
Mut droht nicht das Szenario des digitalen Mittelmaßes, sondern die Exzellenz und Führungsrolle des deutschen Mittelstands wird fortbestehen.
Christoph Sagemann
verantwortet als Investmentmanager der
LBBW Venture die Technologie-Beteiligungen
in der Frühphase.
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