CRM & DATA _ Analytisches CRM Wenn Potenzial brach liegt Die deutschen Automobilhersteller haben das Potenzial des analytischen CRM zwar erkannt, bislang fehlen ihnen aber die Voraussetzungen, das Verhalten ihrer Kunden vorherzusagen. Dafür benötigen sie eine gute Datenbasis _ und Data-Mining- und Text-Mining-Kompetenz. Text _ Horst-Florian Jaeck Seit einigen Jahren fasziniert viele Marketing- und CRM-Verantwortliche die Aussicht, die Wünsche und das Verhalten ihrer Kunden präzise vorherzusagen. Denn mit dem Wissen, wer zu welcher Zeit welchen Bedarf hat, kann die Kundenansprache eine bislang nicht gekannte Zielgenauigkeit erreichen. In der Folge steigen nicht nur Absatz und Umsatz, sondern auch die Zufriedenheit der Kunden sowie deren Bindung zur Marke – so die hohen Erwartungen. Auch Unternehmen der Automobilindustrie haben dieses Potenzial des analytischen CRM (aCRM) – verstanden als Anwendung von Data-Mining- und Text-Mining-Verfahren auf kundenbezogene Daten – erkannt. Das zeigt eine Untersuchung, für die MHP Marketing-, Sales- und After-Sales-Verantwortliche von Automobilherstellern befragt hat. Demnach sollen datenbasierte Prognosen bei allen teilnehmenden OEM künftig eine größere Rolle spielen. Dem liegt die Einschätzung zugrunde, dass sich die Anforderungsprofile der Kunden immer weiter fragmentieren. Die AUTOR Dr. Horst-Florian Jaeck ist Manager bei MHP in Ludwigsburg und Leiter des Geschäftsfelds analytisches CRM. Die ganzheitliche Prozess- und ITBeratung gehört zu Porsche. p 46 www.mhp.com Ansprache grob skizzierter Kundensegmente funktioniert also nicht mehr. Gleichzeitig steht eine rasant wachsende Datenmenge aus unterschiedlichen Quellen zur Verfügung. Diese stellt zwar erhöhte Anforderungen an die Verarbeitung, erlaubt es jedoch, individuelle Kundenwünsche besser zu verstehen und Kundenpotenziale richtig einzuschätzen. Wunsch und Wirklichkeit Die fast schon euphorische Einstellung zum Thema analytisches CRM im Kontext von Big Data und Predictive Analytics schlägt sich bislang allerdings kaum in der Praxis nieder. Mit Blick auf die Datenintegration und die Datenanalyse haben die meisten OEM noch einiges vor sich. So verfügt nur eines der von uns befragten Unternehmen über ein CRM-System mit zentralem Data Warehouse, das auch die Daten sämtlicher Händler einschließt. Gerade die Integration der Händler-Systeme ist aber entscheidend, weil hier die meisten kundenspezifischen Informationen abgelegt sind – und nur durch eine umfassende Betrachtung ein vollständiges Bild entsteht. Daher etablieren viele OEM gegenwärtig zentrale Datenbanken. Sinnvoll ist zudem, die auf diese Weise zusammengeführten strukturierten Daten um unstrukturierte Daten aus unterschiedlichen Quellen zu ergänzen, wie zum Beispiel aus Social-Media-Plattformen. Dabei geht es nicht nur darum, Schnittstellen zu implementieren, über die der Datenaustausch reibungslos stattfinden kann. Ebenso müssen Technologien eingeführt werden, mit deren Hilfe sich die teils als Texte, Bilder oder Sprache vorliegenden Informationen für die weitere Analyse aufbereiten lassen. Nachholbedarf besteht auch bei der Fähigkeit, die gesammelten Informawww.acquisa.de 04/2015 p INFO ANWENDUNGSSZENARIO KUNDENWERTANALYSE Durch eine Kundenwertanalyse kann auf Basis geeigneter Daten abgeschätzt werden, wie wertvoll ein bestimmter Kunde für das Unternehmen ist. Grundsätzlich leisten Kunden quantitative und qualitative Wertbeiträge. Um den Kundenwert als strategische Steuerungsgröße verwenden zu können, muss dem Rechnung getragen und vor allem auch das Potenzial von Kundenbeziehungen berücksichtigt werden. Daher empfehlen wir die Differenzierung von drei Wertdimensionen. p Welchen monetären Wert ein Kunde in der Vergangenheit bis heute durch Umsätze oder Deckungsbeiträge geleistet hat, lässt sich durch eine Kundendeckungsbeitragsrechnung annähernd quantifizieren. Die Herausforderung an dieser Stelle ist die Verrechnung kundenbezogener Gemeinkosten mittels Prozesskostenrechnung. Foto: Michael Bamberger p Deutlich anspruchsvoller ist die Abbildung des monetären Potenzials einer Kun- tionen auszuwerten. Zwar erstellen die meisten OEM heute ganz selbstverständlich auf Basis von historischen Daten eine Vielzahl von Reportings. Kaum ein Hersteller ist aber aktuell in der Lage, die strukturierten und unstrukturierten Daten für Prognosen zu nutzen, die auf Data-Mining bzw. Text-Mining basieren. Denn die dabei eingesetzten Methoden sind deutlich anspruchsvoller als die herkömmlichen Herangehensweisen, weil sie neben einer umfangreichen Datenaufbereitung eine individuelle Modellentwicklung auf Basis mathematisch-statistischer Methoden voraussetzen. Beim Data-Mining wird etwa mittels verschiedener multivariater Verfahren (zum Beispiel logistische Regression oder Support Vector Machine) in den historischen Daten nach Mustern gesucht, um beispielsweise signifikante Einflussfaktoren für einen Fahrzeugkauf zu identifizieren. Die so 04/2015 www.acquisa.de denbeziehung. Hierbei lassen sich künftige Zahlungsüberschüsse oder Deckungsbeiträge über ein Markov-Migration-Modell prognostizieren. Zur Berechnung des Cus tomer Lifetime Value werden diese über den Prognosezeitraum diskontiert und aufsummiert. p Am schwierigsten ist es schließlich, die Qualität einer Kundenbeziehung zu quantifizieren. Hierfür eignet sich ein Kunden-Scoring-Modell. Dabei werden wesentliche Indikatoren der Beziehungsqualität definiert, wie zum Beispiel die Dauer der Kundenbeziehung oder die Weiterempfehlungsbereitschaft. Die Kunden werden nach diesen Indikatoren auf einer einheitlichen Skala bewertet. Die sich ergebenden Teil-Scores werden gewichtet und zu einem GesamtScore verdichtet. Auch dieses primär deterministische Verfahren kann analytisch fundiert werden, indem man beispielsweise die Gewichtungsfaktoren mittels Regressions analyse berechnet. entstehenden Modelle lassen sich dann auf aktuelle Daten anwenden, um Prognosen zu formulieren. Wenn diese regelmäßig mit der Realität abgeglichen werden, lernt der entwickelte Algorithmus stetig dazu – und die Vorhersagen werden immer genauer. Roadmap zum zufriedenen Kunden Wollen Hersteller und Händler dieses Potenzial von aCRM für sich nutzen, stellt sich für sie die Frage, wie die bestehenden Lücken am sinnvollsten zu schließen sind. Eine pauschale Antwort gibt es nicht. Beim Ausformulieren einer Roadmap kommt es vielmehr auf das jeweilige Erkenntnisinteresse an. Davon ist abhängig, welche Daten erforderlich sind und welche Analyseverfahren die gewünschten Ergebnisse liefern. Zur Orientierung und für eine exakte Definition des Analysezwecks ist es hilfreich, die Kundengruppe, über die etwas zu erfahren ist, und die Anwendungsszenarien zu unterscheiden. Grundsätzlich kann entlang des Kundenbeziehungs-Lebenszyklus zwischen potenziellen, aktiven, gefährdeten und verlorenen Kunden differenziert werden. Die Anwendungsszenarien des aCRM gliedern sich in strategische und taktische Fälle. Zur strategischen Dimension zählen wir die Kundenwertanalyse, die Kundensegmentierung und die Kundencharakterisierung. Das deshalb, weil Unternehmen die hier gewonnenen Erkenntnisse für die übergreifende Optimierung ihrer CRMund Kommunikationsstrategie nutzen können. Taktischer Art sind dagegen die Zielgruppenanalyse, die Next-BestOffer- bzw. Up/Cross-Selling-Analyse, die Abwanderungsanalyse und die Kundenrisikoanalyse. Prognosen in diesen Feldern können direkt in konkrete und personenspezifische Maßnahmen überführt werden. So ließen sich Kunden, deren Verhalten auf eine Abwanderung hindeutet, zum Beispiel durch ein persönliches Gespräch und ein attraktives Angebot wieder an die Marke binden. Unternehmen, die ernsthaft auf analytisches CRM setzten wollen, müssen aber nicht nur in den beiden unmittelbaren Bereichen Datenintegration und -analyse aktiv werden. Ebenso werden erhebliche Anstrengungen erforderlich, um die Organisation und die Prozesse an die neue Form des Kundenbeziehungsmanagements anzupassen – sowohl intern bei den OEM als auch im Verhältnis zwischen Herstellern und Händlern. •] [email protected] SUMMARY p ANALYTISCHES CRM gewinnt in der Automobilbranche an Bedeutung. Top-down werden die Hersteller die notwendigen Veränderungen allerdings nicht herbeiführen können. Es wird darauf ankommen, gemeinsam mit den Autohäusern Konzepte zu erarbeiten. 47
© Copyright 2025 ExpyDoc