Wirtschaft SE IT E 20 · F R E I TAG , 3 1 . J U L I 2 0 1 5 · N R . 1 7 5 F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G Griechenland verursacht nur kleine Kratzer Trotz Krise in Athen geht die Erholung des Euroraums weiter. Die expansive Geldpolitik schiebt. Der monatliche Konjunkturbericht der F.A.Z. Von Johannes Pennekamp FRANKFURT, 30. Juli. Nimmt man die öffentliche Erregung und die Frequenz der Gipfeltreffen als Gradmesser, dann hat Griechenland das Zeug dazu, Europa aus den Angeln zu heben. Schaut man hingegen auf die Zahlen der Konjunkturforscher, dann wird deutlich: Die Realwirtschaft im Euroraum hat von der Krise in Griechenland nur einen kleinen Kratzer bekommen. Stimmungsindikatoren wie die Einkaufsmanagerindizes oder der IfoIndex gaben zwar zwischenzeitlich etwas nach, „aber jetzt haben wir wieder das Niveau des Trendwachstums erreicht“, sagt Holger Schmieding von der Berenberg Bank. 2015 dürfte das Bruttoinlandsprodukt im Euroraum um 1,3 Prozent zulegen, prognostiziert er und liegt damit knapp unterhalb der meisten anderen Schätzungen von Konjunkturfachleuten. In Griechenland hält Schmieding zwar ein Schrumpfen der Wirtschaft um 5 Prozent in diesem Jahr für möglich. „Das kostet den Euroraum dann aber nur 0,1 Prozent Wachstum“, rechnet er vor. Für den zwar nur moderaten, aber dennoch robusten Erholungsprozess im Euroraum gibt es mehrere Faktoren, allen voran den tiefen Ölpreis sowie die Abwertung des Euros zum Dollar und anderen Währungen. „Diese Großfaktoren schieben einfach an“, sagt Tim Oliver Berg, Konjunkturforscher am Ifo-Institut. Dass der Ölpreis nach einer leichten Belebung zuletzt wohl auch wegen der politischen Annäherung mit Iran wieder gefallen ist, werde der Konjunktur weiter helfen. „Das günstige Öl sorgt in der EU in diesem Jahr für 0,3 Prozentpunkte mehr Wachstum“, hat Berg errechnet. Der niedrige Ölpreis dürfte zudem die Inflationsrate in der Währungsunion nahe null halten – und die Europäische Zentralbank (EZB) motivieren, mit ihrer ultralockeren Geldpolitik nicht nachzulassen. Schmieding ist überzeugt, dass ein nicht zu unterschätzender Anteil des Aufwärtstrends auf das Konto der Notenbank geht. „Die Geldpolitik ist jetzt hinreichend aggressiv“, sagt Schmieding, der sich schon länger für eine ultralockere Geldpolitik im Euroraum ausspricht. Niedrige Zinsen und verbesserte Finanzierungsbedingungen zeigten nun Wirkung. So hat die Zentralbank mitgeteilt, dass die zuvor stagnierende Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalte nun etwa zulegt. Die breit gefasste Geldmenge M3 wuchs im Mai um 5 Prozent, die Geldmenge M1 legte sogar um 11,8 Prozent zu – was auf eine stärkere Konjunktur hinweist. Allerdings verläuft der Prozess im Euroraum nicht gleichmäßig. „In Ländern mit guter Bonität wie Deutschland wächst die Kreditmenge recht dynamisch, in Spanien und Portugal schrumpft sie noch“, sagt Ifo-Forscher Berg. Allerdings habe sich in den Peripherieländern der Schrumpfungsprozess verlangsamt. Prozent1) 2) Bruttoinlandsprodukt +1,0 0 –1,0 Industrieproduktion/-vertrauen Punkte2) 110 Binnennachfrage Vertrauen 105 – 10 100 – 20 Produktion –40 –50 85 01 03 05 07 09 11 13 15 Eurostaaten +8 +6 +4 +2 0 –2 –4 –6 –8 –10 –30 3) 90 –3,0 Preise 0 95 –2,0 Prozent Euroraum Volkswirte trauen den Iberern mehr als 3 Prozent Zuwachs in diesem Jahr zu. Im zweiten Quartal wuchs Spaniens Wirtschaft um 0,9 Prozent zum Vorquartal. „Jetzt sehen wir endlich Licht am Ende des Tunnels“, sagte Wirtschaftsminister Luis de Guindos am Donnerstag. Auch der Sachverständigenrat attestierte den früheren Krisenländern in dem in dieser Woche veröffentlichten Sondergutachten echte Fortschritte. Sorgenkinder im Euroraum sind heute zwei andere Staaten. „In Italien und Frankreich überdecken das günstige Öl und die niedrigen Zinsen strukturelle Probleme“, sagt Ifo-Forscher Berg. Er habe nicht das Gefühl, dass „Reformen dort ausreichend in Angriff genommen werden“. Erzeugerpreise5) 20,0 Erwerbstätige 152 18,0 149 16,0 146 14,0 143 140 12,0 10,0 03 05 Mai 15 07 09 11 13 15 Arbeitslose 137 März 15 April 15 Preise Verbraucherpreise Industrie-Erzeugerpreise5) HWWI-Rohstoffpreisindex13) Rohölpreis14) Euro je Barrel Mai 15 Juni 15 % zum Vj.monat –3 –4 –3 –5 –3 –6 Branchenentwicklung2) 8) % zum Vormonat Produktion Verarb. Gewerbe –0,4 Produktion Baugewerbe +0,6 –0,1 Einzelhandelsumsatz9) 0,0 –0,2 +1,0 –0,4 +0,3 +0,3 % Millionen 11,2 11,1 11,1 17,902 17,761 17,726 Finanzkennziffern Index Euro Stoxx 5010) Dreimonatsgeld (Euribor)10) Zins Langfristige Staatsanleihen10) 11) Zins % zum Vj.monat Buchkredite2) 12) 3655 0,03 0,26 +0,1 3734 3618 0,0 –0,01 0,61 0,42 0,0 –3 –6 Außenhandel Ausfuhr Einfuhr –0,1 –2,3 +2,1 52,4 0,0 –2,1 –1,0 57,2 +0,3 –2,0 +0,2 % zum Vj.monat +11,1 +7,8 +8,7 +2,9 Wirtschaftliche Quartalsdaten % 3.Vj.14 4.Vj.14 1.Vj.15 2.Vj.15 Bruttoinlandsprodukt1) 2) zum Vorquart. +0,2 +0,4 +0,4 zum Vorquart. +0,5 +0,4 Privater Konsum1) 2) +0,5 Bruttoanlageinvestitionen1)2) zum Vorquart. +0,1 +0,4 +0,8 % des BIP Außenbeitrag2) 0,0 +0,2 Kapazitätsauslastung2) 7) % 80 80,5 81,0 81,1 Millionen Erwerbstätige2) 149,9 150,1 150,3 2,2 Arbeitskosten/Stunde15) zum Vj.quartal +1,4 +1,2 Arbeitsproduktivität16) zum Vj.quartal +0,1 0,2 0,0 1) Real, zum Vorquartal. 2) Saisonbereinigt. 3) Verarbeitendes Gewerbe, Originalwerte und Dreimonats-Durchschnitt, 2010 =100. 4) Harmonisierter Verbraucherpreisindex. Zum Vorjahresmonat. 5) Ohne Baugewerbe. 6) Saisonbereinigt, in Prozent der Erwerbspersonen. 7) Verarbeitendes Gewerbe. 8) Real. 9) Arbeitstäglich bereinigt. 10) Monatsdurchschnitt. 11) Laufzeit zehn Jahre, Stand Monatsende. 12) Kredite von monetären Finanzinstituten an Unternehmen und Privatpersonen. Bereinigt um Verkäufe und Verbriefungen. 13) Ohne Energie; Euroraum auf Eurobasis. 14) Durchschnitt Dubai, Brent, WTI. 15) Gesamtwirtschaft, nicht saisonbereinigt. 16) Wertschöpfung je Erwerbstätigen. Quellen: F.A.Z.-Archiv; Eurostat; EU-Kommission; Statistisches Bundesamt; Bundesagentur für Arbeit; Europäische Zentralbank; HWWI-Institut / F.A.Z.-Grafik fbr. / heu./ jpen. Die Währungsunion braucht politische Integration / Von Peter Bofinger Haftung und Kontrolle fordern, aber gleichzeitig für die nächsten Jahre auf die „Rückversicherung durch die EZB“ setzen? Die Bereitschaft der EZB, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen zu erwerben, ist mit diesem Grundprinzip unvereinbar. Es war richtig, dass sich die EZB in der Krisenphase über dieses Prinzip hinweggesetzt hat, aber das darf nicht zur Dauerlösung werden. Deshalb haben jene Ökonomen recht, die schon immer auf die Ergänzung der Währungsunion durch eine stärkere politische Union gedrängt haben. Ohne eine Übertragung fiskalpolitischer Kompetenzen auf die europäische Ebene hat die Währungsunion keine Zukunft. Ein für die Überwachung der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zuständiger „Europäischer Finanzminister“ wäre eine bessere institutionelle Lösung als ein Klub von Wirtschafts- und Finanzministern, die sich wechselseitig disziplinieren sollen. Die Kompetenz eines solchen Ministers, einem Land notfalls eine temporäre Steuererhöhung zu verordnen, wäre zielführender als das im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehene maximale Bußgeld in Höhe von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die demokratische Legitimation eines solchen Ministers durch das Europäische Parlament würde ihm die Möglichkeit geben, Verhandlungen mit Krisenländern zu führen, ohne dass von diesen ein Demokratiedefizit reklamiert werden kann. Wenn es gelingt, eine wirksame fiskalische Kontrolle auf der europäische Ebene zu etablieren, wäre es nach dem Prinzip von Haftung und Kontrolle vertretbar, eine zumindest begrenzte gemeinschaftliche Haftung für Staatsanleihen einzuführen. Der Sachverständigenrat hat hierfür im Jahr 2011 das Modell eines Schuldentilgungspakts entwickelt, mit der expliziten Zielsetzung, der EZB die ordnungspolitisch fragwürdige Rolle des Krisenmanagers zu ersparen. Die Politik steht heute vor einer fundamentalen Richtungsentscheidung, die sich mit dem Bild eines Tunnels verdeutlichen lässt. Am Eingang stehen nationale Währungen und nationale Fiskalpolitiken. Am Tunnelende gibt es eine einheitliche Geldpolitik und ein Mindestmaß an politischer Integration. Derzeit stecken wir mit dem Euro und 19 nationalen Fiskalpolitiken in der Tunnelmitte fest. Die Mehrheit des Rates bemüht sich, das Tunnelleben zu verbessern. Wäre es nicht sinnvoller, den Weg zum Ausgang zu nehmen, auch wenn dieser erst noch in schwierigen politischen Prozessen gestaltet werden muss? Peter Bofinger ist Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Das salzige Vogelparadies auf dem Balkan Umweltschützer in Montenegro fürchten Neubaupläne für Hotelanlagen ULCINJ, 30. Juli. Flamingos, Dutzende! Und das in Osteuropa! Darko Saveljić dreht an seinem Fernglas, starrt über die Wasserfläche und studiert die großen Vögel genauer. Trotz des beeindruckenden Anblicks ist der Ornithologe nicht zufrieden. „Es müssten viel mehr sein“, murrt er. „Sie sollten auch nicht dahinten im Süßwasser stehen, sondern hier in der Saline, wo sie Nahrung finden.“ Saveljić schiebt die Schirmmütze zur Seite und wischt sich den Schweiß ab. Die Sonne brennt so stark, dass die Luft über dem Wasser flimmert, aus der Entfernung wirken die rosafarbenen Tiere deshalb grau. „Aber natürlich kommen die Flamingos nicht zurück, solange das Salzwasser fehlt“, sagt der kräftige Mann in Shorts und Badesandalen. Vom Fahrdamm, der den See von der Saline trennt, springt er in eines der ausgetrockneten Verdunstungsbecken. Der Boden ist aufgebrochen, aus den Rissen sprießen korallenförmige Pflanzen, Queller oder Salicornia genannt. Saveljić bückt sich, pflückt die rotgrünen Stengel und bietet sie zum Kauen an. Der Geschmack ist salzig, „eignet sich gut als Beimischung zum Salat“, meint der Biologe. Saveljić leitet die Vogelschutzorganisation CZIP in Montenegro. Eines ihrer wichtigsten Projekte ist ausgerechnet die Rettung eines Wirtschaftsunternehmens: der Salzgewinnung in der Nähe der Adriastadt Ulcinj im Südosten des Landes; nur ein Kilometer hinter dem 1450 Hektar großen Gelände verläuft die Grenze zu Albanien. Vor 80 Jahren begann hier die Salzgewinnung, begünstigt durch das heiße Klima, die geringe Luftfeuchtigkeit und den leichten Wind, die die Verdunstung beschleunigen. Den Erfolg des Betriebs konnte selbst das schwere Erdbeben von 1979, das Ulcinj und andere Teile des Landes verwüstete, nur kurzzeitig aufhalten. Von der Katastrophe zeugt das alte Verwaltungsgebäude mit dem eingefallenen Dach, der vernagelten Eingangstür und den geborstenen Scheiben. Die Ruine wurde als Mahnmal erhalten. Davor stehen moderne Hinweistafeln und Landkarten in vier Sprachen, die die Anlage erklären und auf die Artenvielfalt hinweisen. Im Schatten rotblühender Bäume duckt sich eine Andenkenbude. Doch sie ist verschlossen wie das ganze Areal, Souvenirs werden hier schon lange nicht mehr verkauft und auch kein Salz mehr gewonnen. Der Betrieb steht komplett still, das Unternehmen hat Insolvenz angemeldet. Misslich ist das nicht nur für die Mitarbeiter und für die Stadt Ulcinj, wo es außer Tourismus nur wenige Gewerbe gibt. Der Konkurs gefährdet zudem eines der bedeutendsten Vogelgebiete auf dem Balkan. Denn die Pumpen fluten nicht nur die Bassins, sondern bringen aus dem Meer auch viele Fische und Kleinstlebewesen mit. In dem seichten, mineralhalti- gen Wasser sind sie leichte Beute für unzählige Vögel. „Das ist wie ein gedeckter Tisch voll mit Spezialitäten“, sagt Saveljić. Außergewöhnlich ist an dem Tierparadies, dass es eher zufällig entstanden ist. Erst durch den Eingriff in die Natur hat der Mensch es erschaffen, weitgehend unbewusst und ungewollt. „Wenn wir uns jetzt wieder zurückziehen, weil die Saline pleite ist, bricht hier ein intaktes Ökosystem zusammen“, warnt der Vogelkundler. Erste Vorboten dafür gibt es bereits. Im Morgengrauen waren Saveljić und seine Leute ausgerückt, um Bodenbrüter und andere Vögel zu zählen: Es waren viel weniger als in früheren Jahren. Das Feuchtgebiet ist bei heimischen Arten ebenso beliebt wie bei Zugvögeln. Von hier aus brechen sie zu ihrem langen Flug über die Adria und nach Nordafrika auf. „Für Millionen Vögel ist das die letzte Tankstelle vor Italien“, sagt der CZIPChef. 251 von 533 in Europa vorhandenen Vogelarten hat seine Organisation in der Saline nachweisen können. „Das können wir doch nicht aufgeben, nur weil die Pumpen nicht arbeiten!“ Trockengebiete Foto Christian Geinitz tag. KARLSRUHE, 30. Juli. Die Energie Baden-Württemberg AG, der drittgrößte Energieversorger Deutschlands, kann nach dem ersten Halbjahr unterm Strich eine Milliarde Euro Gewinn verbuchen. Maßgeblich für die Trendwende – im Vorjahr waren 735 Millionen Euro Verlust angefallen – ist jedoch nicht das operative Geschäft, sondern Einmaleffekte: 2014 musste der landeseigene Konzern den Wert seiner Kraftwerke abschreiben. Im ersten Halbjahr 2015 fiel diese Belastung weg, zudem verkauft ENBW in größerem Stil Wertpapiere. Operativ stagnierte der Gewinn bei 1,28 Milliarden Euro. Dem witterungsbedingt höheren Gasabsatz und gestiegen Vertriebserlösen aus Windenergie stehen rückläufige Gewinne in der konventionellen Energieerzeugung und in der Netzdurchleitung gegenüber. Hier machten dem Konzern die gesunkenen Großhandelspreise für Strom zu schaffen. Die gescheiterte Übernahme des insolventen Windparkbetreibers Prokon bezeichnete Finanzvorstand Thomas Kusterer als „bedauerlich, aber kein Rückschlag“. ENBW werde die Windenergie aus eigener Kraft ausbauen. 01 03 05 07 09 11 13 15 Juni 15 2) Arbeitsmarkt Arbeitslosenquote2) 6) Arbeitslose2) Millionen2) Arbeitsmarkt (Quartalswerte) März 15 April 15 Umfragen Unternehmervertrauen7) Verbrauchervertrauen Prozent4) Verbraucherpreise 01 01 03 05 07 09 11 13 15 Anteil am BIP Wirtschafts- Inflations- Arbeitslosenwachstum1)2) rate4) quote2)6) des Euroraums 1.Vj. 2015 Mai 2015 Juni 2015 2014 0,3 Deutschland 28,7 0,1 4,7 0,6 0,3 10,3 Frankreich 21,1 0,3 12,4 16,0 0,2 Italien 0,9 22,5 10,5 0,0 Spanien 0,6 6,9 0,5 Niederlande 6,6 0,3 4,0 0,9 8,6 Belgien 0,1 1,0 6,0 Österreich 3,3 –1,1 (März 15) 25,6 Griechenland 1,8 –0,2 1,8 9,8 Irland k.A. 0,4 2,0 –0,2 9,4 0,1 Finnland 1,7 13,2 0,8 Portugal 0,4 0,7 –0,1 11,8 Slowakei 0,8 5,7 0,5 Luxemburg 0,5 0,7 9,2 –0,9 Slowenien 0,4 0,8 1,1 0,1 5,6 Malta 0,6 0,2 –0,3 0,3 (April 15) 6,7 Estland 1,5 –2,1 0,2 16,0 Zypern 0,2 0,3 0,7 (April 15) 9,9 Lettland 0,4 –0,6 –0,2 8,2 Litauen 0,4 0,2 11,1 Euroraum 100,0 Ohne ordnungspolitischen Kompass tischer Integration überleben kann. Die Mehrheit des Sachverständigenrates sieht das anders. Mit dem Konzept „Maastricht 2.0“, das sie jetzt abermals in die Diskussion gebracht hat, setzt sie anstelle weiterer Integrationsschritte vor allem auf eine staatliche Insolvenzordnung und eine wirksamere Bankenaufsicht. Damit werde die Nichtbeistandsklausel wieder glaubwürdig, und die Märkte würden eine disziplinierende Wirkung auf die einzelnen Mitgliedstaaten ausüben, indem sie höhere Risikoprämien für laxe Haushaltspolitik einfordern. Aber wie lässt sich dieses Vertrauen in die unsichtbare Hand der Finanzmärkte rechtfertigen? Waren es nicht genau dieselben Marktakteure, die mit ihren Fehlentscheidungen die Finanzkrise verursacht hatten und dann von Staaten wie Spanien und Irland gerettet werden mussten? Und hätte die Währungsunion die Marktpanik vom Sommer 2012 ohne die „Rückversicherung“ durch EZB-Präsident Mario Draghi überlebt? Im Gutachten findet man jedenfalls keine empirischen Belege für die stabilisierenden Wirkungen der Finanzmärkte. Mit einer Insolvenzordnung für die Mitgliedstaaten, wie sie jetzt von der Mehrheit gefordert wird, würde die Instabilität des Status quo aller Voraussicht nach sogar noch zunehmen. Die Finanzmärkte müssten dann damit rechnen, dass es mehr oder weniger automatisch zu einer Restrukturierung von Staatsschulden kommt, sobald ein Staat auf den Finanzmärkten unter Druck gerät. Aus einer konjunkturbedingten Verschlechterung der Haushaltslage könnte sich dann rasch ein finanzieller Tsunami entwickeln. Dies wird übrigens auch von der Mehrheit des Rates so gesehen, die einräumt, dass „allein die Ankündigung des Insolvenzregimes auf den Finanzmärkten zu erheblichen Turbulenzen führe“. Daher sei ein solches Verfahren zum jetzigen Zeitpunkt nicht praktikabel. Für die nächsten Jahre läuft die Position der Mehrheit damit auf ein Plädoyer für den institutionellen Status quo hinaus. Dieser steht und fällt jedoch mit der EZB als „Krisenmanagerin“. Zu Recht stellt die Mehrheit fest, dass es sich hier um einen „Graubereich zwischen Geldund Fiskalpolitik“ handle mit problematischen Anreizwirkungen für Politik und Finanzmärkte. Insgesamt drängt sich dem Leser der Eindruck auf, dass der ordnungspolitische Kompass der Mehrheit versagt hat. Wie kann man als Grundprinzip für eine stabile Währungsunion die Einheit von zeugt. Weniger glimpflich könne es ausgehen, wenn die Turbulenzen stärker auf die Finanzmärkte in den Vereinigten Staaten und Europa übergreifen und Unternehmen wegen der Unsicherheit Investitionen aufschieben. Die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios hält Schmieding aber für gering. Auch andere Schwellenländer wie Russland und Brasilien sind weiter die Sorgenkinder der Weltwirtschaft. Die Vereinigten Staaten von Amerika bleiben zwar eine starke Triebkraft, der Internationale Währungsfonds hat seine Wachstumsprognose für das Land für 2015 aber im Juni etwas reduziert, auf nun 2,5 Prozent. Im Euroraum ist Spanien derzeit neben Deutschland die Wachstumslokomotive. F.A.Z.-Konjunkturbericht Euroraum Bruttoinlandsprodukt STANDPUNK T ie meisten Ökonomen sind sich eiD nig, dass eine Währungsunion auf Dauer nicht ohne ein Mindestmaß an poli- Nachdem der Konflikt mit Griechenland entschärft scheint, rücken die Probleme in China in den Vordergrund. Können die Kursverluste an den Aktienmärkten im Euroraum ernstere Probleme verursachen? Wenn sich die Turbulenzen weiterhin auf die Aktienmärkte konzentrierten, die für die Finanzierung chinesischer Unternehmen nur eine untergeordnete Rolle spielen, und das chinesische Wachstum nur leicht geschwächt werde, dann werden die Folgen wohl überschaubar bleiben. In diesem Fall sei die Exportnation Deutschland zwar etwas stärker betroffen als andere Länder, den gesamten Euroraum koste eine solche Entwicklung aber nur 0,1 Prozentpunkte Wirtschaftswachstum, ist Schmieding über- Wind und Wetter halten ENBW auf Kurs Ganz so einfach ist die Sache wohl nicht. Die Bewässerung kostet Geld, das der Insolvenzverwalter nicht hat oder nicht bewilligen will. Immerhin lässt er die Becken hin und wieder fluten, obgleich das Unternehmen schon seit Jahren kein Salz mehr produziert und keine Einnahmen mehr erzielt. „Wir stecken in großen finanziellen Schwierigkeiten, die Mittel reichen nicht einmal für die Wartung der Maschinen“, sagt Vojislav Delić, der Technische Leiter des Restbetriebs. Vier Personen arbeiten hier heute noch, früher waren es 450. Bis zu 30 000 Tonnen Salz haben sie jedes Jahr mit Schaufeln auf riesige Förderbänder geschippt, die quer über die Becken verliefen. Heute ist die Anlage völlig verrottet, rostige Transportwaggons, die wie Loren aus dem Bergbau aussehen, sind von den Schienen gekippt. In einer Halle lagert ein haushoher Berg Rohsalz, 4000 Tonnen. „Die Preise sind viel zu niedrig, dafür bekämen wir nur 40 Euro je Tonne“, sagt Delić, „das lohnt sich vorne und hinten nicht.“ Die Umweltschützer, aber auch die Stadtverwaltung und ausländische Diplomaten glauben indes, dass diese wirtschaftlichen Gründe vorgeschützt sind. In Wirklichkeit wolle der private Eigentümer, ein Investmentfonds aus der Hauptstadt Podgorica, auf dem idyllischen Areal eine Freizeitanlage mit Hotels, Gastronomie und einem Golfplatz anlegen. Deshalb sei auch der Kaufpreis für das schrottreife Areal mit rund 160 Millionen Euro viel zu hoch angesetzt worden. Zumal der wertvolle Grund und Boden nicht dazuzählt, sondern dem Staat gehört und unverkäuflich ist. „Es darf nicht sein, dass die Saline und das Naturparadies bewusst vor die Wand gefahren werden, um noch mehr Tourismus hierher zu locken“, kritisiert Zenepa Lika, die stellvertretende Bürgermeisterin von Ulcinj. „Die Küste ist sowieso schon zubetoniert.“ Sie glaubt daran, die Salzgewinnung wiederzubeleben und mit dem Besuch von Tagesgästen kombinieren zu können. Vorbild ist der Naturpark Sečovlje Salina in Slowenien, der zahlende Besucher zu Wander- und Radtouren oder zur Vogelbeobachtung einlädt und zugleich hochpreisige Spezialitätensalze verkauft. „Da zahlt man 12,90 Euro für 200 Gramm in einem Keramikdöschen“, sagt Lika, „mit solchen Preisen könnten wir auch unsere Saline sanieren.“ Vojislav Delić als Vertreter des Insolvenzverwalters verwahrt sich gegen die Unterstellungen. „Niemand will hier Hotels errichten“, versichert er. Das montenegrinische Parlament habe beschlossen, dass auf dem Gelände gar nicht gebaut werden dürfe. Vermutlich besteht die letzte Hoffnung für die Flamingos also darin, dass sich ein Geldgeber findet, der die Saline weiterbetreibt und so dafür sorgt, dass der Vogeltisch so reichhaltig gedeckt bleibt wie bisher. CHRISTIAN GEINITZ Nordex meldet einen Gewinnsprung cag. HAMBURG, 30 Juli. Der Windturbinenbauer Nordex hat seine Prognose für das laufende Jahr deutlich angehoben. Nachdem das Unternehmen im zweiten Quartal 2015 kräftig gewachsen ist und über volle Auftragsbücher verfügt, erwartet der seit Juni amtierende Vorstandschef Lars Bondo Krogsgaard einen Umsatz von 2 bis 2,2 Milliarden Euro. Bislang war Nordex von 1,9 bis 2,1 Milliarden Euro ausgegangen. Zudem teilte das Unternehmen mit, dass es jetzt mit einem Auftragseingang von 2,1 bis 2,3 Milliarden Euro rechnet – das sind 300 Millionen Euro mehr als bislang erwartet worden waren. Bei der operativen Marge hält Nordex an dem Ziel von 5 bis 6 Prozent fest. Im zweiten Quartal stieg der Umsatz stark um 54 Prozent auf 603,8 Millionen Euro. Der operative Gewinn legte wegen geringerer Kosten sogar um 130 Prozent auf 36,7 Millionen Euro zu. Im ersten Halbjahr gingen Aufträge für 1,35 Milliarden Euro ein – 50 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Rückschlag für Maschinenbauer umx. FRANKFURT, 30. Juli. Schlechtere Geschäfte außerhalb der Eurozone haben die Bilanz der deutschen Maschinenbauer im Juni getrübt. Wie der Branchenverband VDMA mitteilte, lag der Auftragseingang um 4 Prozent unter Vorjahresniveau. Das Inlandsgeschäft stieg zwar um 7 Prozent, dafür verlor das Auslandsgeschäft 9 Prozent. Ursache seien rückläufige Bestellungen aus den Nicht-Euro-Ländern um 15 Prozent. Im ersten Halbjahr 2015 lag der gesamte Auftragseingang mit minus 1 Prozent knapp unter Vorjahresniveau, bei den Nicht-EuroLändern lag das Minus bei 4 Prozent. Der Auftragseingang der Werkzeugmaschinenindustrie ist im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorjahr um 10 Prozent gestiegen, so der Verband VDW. Nach dem rückläufigen ersten Quartal ist die Halbjahresbilanz ausgeglichen, die Gesamtprognose (3 Prozent plus) aber wohl zu ambitioniert. Anwalt darf Gegnern nicht direkt schreiben jja. BERLIN, 30. Juli. Rechtsanwälte dürfen den Gegner in einem Rechtsstreit nicht direkt anschreiben, wenn dieser ebenfalls einen Anwalt hat, sondern müssen sich an diesen wenden. Der Bundesgerichtshof hat jetzt entschieden, dass dies selbst dann gilt, wenn der Anwalt, der Forderungen erhebt, in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter tätig wird. Das sogenannte Umgehungsverbot ziele vor allem auf den Schutz des gegnerischen Mandanten vor „Überrumpelung“, heißt es in dem noch unveröffentlichten Urteil. Habe dieser selbst einen Anwalt hinzugezogen, solle er durch die Regelung in der Berufsordnung für Rechtsanwälte davor geschützt werden, „bei direkter Kontaktaufnahme durch den Rechtsanwalt der Gegenseite wegen fehlender Rechtskenntnisse und mangels rechtlicher Beratung übervorteilt zu werden“. Nach Ansicht der Karlsruher Richter muss sich ein Anwalt auch dann an dieses Verbot halten, wenn er als Insolvenzverwalter tätig wird – in einem Beruf also, der keinen juristischen Berufsabschluss voraussetzt. Denn aus Sicht des Schuldners unterscheide sich dessen Schreiben nicht von einem normalen Anwaltsbrief. In dem Streitfall wehrte sich ein Anwalt vergeblich dagegen, dass ihn die Münchner Anwaltskammer gerüffelt hatte. Er hatte auf dem Briefpapier seiner Kanzlei vom Vorstand einer pleitegegangenen Aktiengesellschaft Geld zurückverlangt (Az.: Anwz [Brfg] 24/14).
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