1 Zur Eröffnung der Ausstellung Martin Luther und das Judentum

Zur Eröffnung der Ausstellung
Martin Luther und das Judentum - Rückblick und Aufbruch
am 15.10.2015
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es gilt das gesprochene Wort
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Dr. Christian Stäblein, Propst der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische
Oberlausitz
Sehr geehrte Frau Rektorin Nachama, sehr geehrter Herr Professor von der Osten-Sacken,
sehr geehrte Damen und Herren,
diese Ausstellung ist – erlauben Sie mir das am Anfang so zu sagen – diese Ausstellung ist ein
Glücksfall, ja, wenn Sie so wollen, sogar ein Segen. Ich gebe zu, ich sage das so nur zögerlich. Zögerlich, weil: erstens ist das nicht die Sprache der Ausstellungsmacher. Sie sprechen
nicht vollmundig oder pathetisch auf den Ausstellungstafeln, sondern im besten Sinne nüchtern, sachlich, beschreibend, fragend. Martin Luther und das Judentum – Rückblick und Aufbruch, das ist eine in Über- und Unterschrift nüchterne, sachlich umreißene Beschreibung
dessen, was zu sehen ist. Man hätte die Ausstellung auch Luthers Judenfeindschaft und ihre
verheerende Wirkung nennen können. Aber die Macher der Ausstellung wählen bewusst einen anderen Tonfall. Das ist gut und im Blick auf den Inhalt, um den es geht, besonders sprechend. Und ich sage diese Ausstellung ist ein Glücksfall nur zögernd, weil das, was ich, was
wir in der Ausstellung über Martin Luther und seine Einstellung gegenüber den Jüdinnen und
Juden – in seiner Zeit, aber auch theologisch grundsätzlich – lesen, hören, an vielen Stellen
ein Unglück ist. Und auch mit dem Wort Unglück bin ich zögerlich, ja bin ich nicht eins, denn
es klingt, als könne der, der beschrieben wird, nichts dafür, als sei da etwas Unverfügbares
aufgezogen. Das ist aber nicht der Fall: Luthers ablehnende Worte, die wir in den Spätschriften seines Werkes in aller erschreckenden Deutlichkeit lesen und über die wir zu diskutieren
haben, wie sie mit seinen früheren Schriften zusammen passt, die einen anderen Blick kennen
– Kontinuität und Diskontinuität, Durchgehendes und Verändertes, Bruchloses und Gebrochenes ist die Frage, die an das Gesamtwerk zu stellen ist – nun, Luthers judenfeindliche Äußerungen, wie sie uns an vielen Stellen in seinem Werk begegnen, ist alles andere als etwas
Unverfügbares, das mit Unglück richtig umrissen wäre. Judenfeindschaft ist etwas schrecklich
Gemachtes, für das Menschen sich verantworten müssen – zu allen Zeiten, und wogegen wir
angehen, wogegen wir ohne jedes Zögern kämpfen müssen – gerade heute! Auch das wird mit
dieser Ausstellung deutlich und deshalb sage ich – wenn auch mit dem beschriebenen Zögern
– diese Ausstellung ist ein Glücksfall, ja – wenn Sie so wollen, ein Segen.
In vierfacher Weise will ich das näher ausführen. Erstens: ein herzlicher Dank, ein herzlicher
Dank im Namen der Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesisches Oberlausitz an die
Ausstellungsmacherinnen und –macher, ein herzlicher Dank an Sie, Frau Rektorin Nachama,
die Sie die Initiative ergriffen haben, ein herzlicher Dank an Sie und das Touro-College. Sodann ein herzlicher Dank an Sie, Professor von der Osten-Sacken. Ich scheue mich, Sie nur
ein paar hundert Meter entfernt vom Institut Kirche und Judentum vorzustellen, Sie sind der
zu unserem Glück unermüdliche Erneuerer christlich-jüdischer Verständigung, christlicher
Selbstaufklärung und neuer christlicher Wahrnehmung des Judentums. Ein herzlicher Dank an
Dr. Gideon Botsch, Prof. Dr. Peter Klein, Pfr. i.R. Helmut Ruppel, Ingrid Schmidt, Pfrn. Dr.
Christina-Maria Bammel, Pfr. Dr. Bernd Krebs, Pfr. Dr. Lorenz Wilkens und an die Grafikerin Bettina Kubanek, ein herzlicher Dank schließlich an den Pfarrer Clemens Bethge für die
wichtigen, zeitraubenden Recherchearbeiten. Dank an Sie und an die finanziellen Unterstützer
– ohne die Axel-Springer-Stiftung, die ich namentlich nennen möchte, wäre die Ausstellung
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so kaum möglich geworden. Sie alle haben eine Ausstellung erstellt, die etwas wagt, was im
Grunde in Frage steht: das und, das uns in der Überschrift begegnet. Luther und das Judentum
– dieses und wird in den Jahrhunderten der Geschichte der Kirchen vielfach zu einem ohne,
wird vor allem auch in der Wirkung von Luthers Worten zu einem gegen, zu einem anti. Dass
dennoch in der Erstellung dieser Ausstellung ein vorsichtiges, suchendes und möglich ist,
dass die EKBO gemeinsam mit dem Touro-College und mit Ihnen, verehrte Frau Nachama,
diese Ausstellung erstellen und verantworten darf, das macht mich zuallererst dankbar.
Zweitens: die Ausstellung, die wir heute eröffnen dürfen, ist ein Glücksfall, weil sie sachlich
aufklärend redet. Und gerade in diesem Duktus verstört, ja aufstören muss. Das ist gut so, das
ist ihre Aufgabe. Sie muss verstören, etwa diejenigen, die meinen, Luthers Ausfälle gegenüber dem Judentum seien nur Randaspekte, die nicht auch Rückfragen an die theologischen
Gründe und Wurzeln stellten. Gerade weil sich bei Martin Luther beides findet, zunächst
höchste Wertschätzung des Judentums und dann vielfach schreckliche Ablehnung der jüdischen Geschwister, gerade weil sich bei ihm beides findet und weil die Wahrnehmung des
Judentums als jenem Gegenüber, auf das christlicher Glaube stets und immer bezogen ist, ja
christlicher Glaube kann sich ja nicht ausdrücken, ohne Bezug auf jüdische Vorstellungswelt
zu nehmen -, weil also diese Wahrnehmung zur Hermeneutik eigenen christlichen Selbstverstehens gehört, deshalb ist die Frage, wie sich Martin Luther auf das Judentum bezieht, theologisch bedeutsam. Dass sich hier beides findet, dass sich hier in der Frühschrift „Dass Jesus
Christus ein geborener Jude sei“ Sätze und theologische Überzeugungen finden, die wir –
auch für Luthers Zeit – kaum hoch genug schätzen können, macht die Ausstellung deutlich,
ebenso die Herausgabe von allein drei antijüdischen Schriften Luthers im Jahr 1543 beschreibt, am bekanntesten jene schon im Titel antijüdische Schrift: „Von den Juden und ihren
Lügen“. Aufklärend, verstörend – im guten Sinne aufstörend, im wichtigen Sinne bedrückend
können wir durch die Ausstellung wahrnehmen, wie diese Aussagen Luthers wirken, wie sie
später herausgepickt und benutzt werden, wie sie ihre Nachahmer und Abschreiber finden.
Vor allem aber stellt die Ausstellung aufklärend, im guten Sinne verstörend und drängend die
Frage des Warum? Es ist jene Tafel 6 der Ausstellung, die mich in besonderer Weise gefangen hält: Luthers Judenfeindschaft – warum? steht über der Tafel. Es ist nicht eine, es sind
mehrere Antworten, die die Ausstellungsmacherinnen und –macher geben, und sie machen
damit in jedem Fall deutlich: es geht um theologische Grundfragen, um Grundfragen der
Hermeneutik. Es geht um einen bestimmten, in seiner Wirkung gewalttätigen Absolutismus.
Das zu erinnern, darüber aufzuklären, in aller Aufstörung, ist das große Verdienst dieser Tafeln.
Drittens: Die Ausstellung bleibt bei dieser Aufstörung nicht stehen. Sie ist gerade deshalb
beziehungsreich und wegweisend. Sie ist ein Aufbruch, denn sie bricht die eine und einseitige
Perspektive auf und ermöglicht eine doppelte. Das ist das besondere an der Ausstellung: Auf
den Tafeln ist die Geschichte stets einmal aus christlicher und einmal aus jüdischer Sicht erzählt. So wird Beziehung hergestellt und zugleich Eigenwert und Eigensinn jenseits der Beziehung ermöglicht. Gerade jüdisches Lebens wird so auf den Tafeln eben nicht mehr – wie
so oft und so lange in der christlichen Tradition – nur in Beziehung auf das Christentum
wahrgenommen. Jenseits von egozentrischer Weltwahrnehmung bekommt jüdische Sicht ihre
Würde und ihre Freiheit. Gestatten Sie mir, wenn ich als lutherischer Theologe, der ich für
eine Kirche spreche, die überzeugt in lutherischer Tradition steht, es einmal so formuliere:
Die Ausstellung realisiert hier durch die konsequente Darstellung von zwei eigenen Perspektiven, was jenseits von gewaltvollen Absolutismen lutherische Freiheit heißen könnte, ja sollte
und das von Anfang an.
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Aber ja – dieses Dritte an der Ausstellung ist wegweisend – wegweisend im doppelten Sinne.
Es weist in der Wahrnehmung zweier verschiedener Blicke weg von einer christlichen Tradition, die Judentum oft nur als dunkle Folie zur eigenen Identitätsbildung in Abgrenzung instrumentalisiert und damit letztlich in seiner Würde und Lebendigkeit negiert hat. Die Ausstellung weist durch ihre Art davon weg und sie weist den Weg des Dialogs in der Gestalt
ihrer Machart. Wegweisend Weg weisend.
Damit hat die Ausstellung – viertens und letztens – ihren rechten Ausstellungsort, ihren, gerne
möchte ich sagen, Startpunkt hier in der Sophienkirche ganz treffend gefunden. Hier kann sie
gut beheimatet sein, hier wo so viele Wege verschränkt sind, wo man sich die Straße einst
teilte – jüdische Schule, katholisches Krankenhaus, evangelische Kirche –, wo errungene Toleranz und nachbarschaftliches Miteinander ihr zu Hause hatten, hier, wo sich dann die Geschichte durch die Nationalsozialisten in ihr Gegenteil verkehrte, hier, wo Moses Mendelssohn einst lief und nun vor den Türen dieser Kirche die Orte des Schreckens ins erinnern sind,
hier, wo nach dem Krieg und in den letzten Jahrzehnten durch engagierte Gemeindeglieder
neue Wege beschritten worden sind, hier fragt nun eine Ausstellung in der Kirche nach der
Tradition der Judenfeindschaft im christlichen Glauben und in der Theologie. Sie tut das so,
dass Raum für eigene Antworten bleibt. Sie macht aus Luther, der kein Heiliger ist, keinen
Dämon, sie erzählt und dringt so tief in uns. Hier hat die Ausstellung ihren Ort. Aber, bei aller
Heimat kann und darf sie nicht nur hier bleiben. Sie muss wandern, das wünsche ich der Ausstellung, dass sie auch in andere Gemeinden und Orte kommt. Damit sie es in diesen Jahren
des Reformationsjubiläums und darüber hinaus möglich macht, ehrlich zu erinnern. Jubiläum,
Luther 2017, das geht nur, wenn das Dunkle nicht verdrängt wird. Jubiläum, Luther 2017. Wir
haben etwas zu feiern und wir wollen das feiern. Luthers Überzeugung, Luthers Theologie,
seine Wiederentdeckung der Freiheit, die Gott uns schenkt, gehören zu den den Grundfesten
„meiner“ Theologie und Glaubensüberzeugung. Sie zu feiern wird nicht gemindert durch die
Erinnerung der dunklen Seiten, im Gegenteil: die Feier wird so erst möglich. Die Ausstellung,
hier gut beheimatet, soll wandern, bleiben, erinnern, mahnen, fragen – auch nach einer Theologie, die die Suche nach neuen Wegen fortsetzt. Eine Suche, die nun schon ein paar Jahrzehnte anhält, die schon viel bewegt hat – lebendige, neue Wahrnehmung, Wege jenseits gewalttätiger Absolutismen. Diese anderen Wege gab es damals, sie gibt es heute, wir wollen
und müssen sie stärken.
Sehr geehrte Damen und Herren, so bin ich wieder am Anfang, beim Dank – Ihnen, die Sie
die Ausstellung gemacht haben. Sie brechen mit vielem in dieser Ausstellung: mit einseitigen
Perspektiven, mit einfachen Antworten, mit liebgewonnen Darstellungen wie auf manchen
Bildern Cranachs. Im Bruch steckt auch Segen. Die Ausstellung – ich sage das mit Zögern,
aber nun hoffentlich verständlich – bricht mit vielem und ist gerade darin im guten Sinne ein
Glücksfall, hoffentlich ein Segen. Vielen Dank dafür – und ganz viele Besucher hierher!
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