Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Urs Kindhäuser Skript zur Vorlesung Strafrecht AT § 39: Alleintäterschaft I. Unmittelbare Täterschaft/Nebentäterschaft (§ 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB): Unmittelbarer Täter ist diejenige Person, die alle Tatbestandsmerkmale eines Deliktstatbestands (inkl. Täterqualifikationsmerkmalen) in eigener Person verwirklicht („selbst begeht“). Nebentäter ist derjenige, welcher gleichzeitig mit einer anderen Person, aber unabhängig von dieser, alle Tatbestandsmerkmale eines Deliktstatbestands verwirklicht. Daneben ist nach h.M. auch derjenige Nebentäter, der die Tatbegehung eines anderen zu eigenen Zwecken ausnutzt (näher Herzberg JuS 1974, 574 [576]; Jeschek/Weigend § 62 II 2; Kindhäuser AT § 39/4). *** II. Mittelbare Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) Fall 1: Die 22jährige T lernt in einer Diskothek den vier Jahre älteren H kennen, zu dem sie im Laufe der Zeit tiefes Vertrauen fasst. Seinen Worten vertraut sie schließlich blindlings. Im Verlauf zahlreicher philosophischer Gespräche erzählt H, er sei ein Bewohner des Sternes Sirius. Er habe den Auftrag, besonders wertvolle Menschen, darunter die T, von der Erde auf den Sirius zu holen, die dort nach dem völligen Zerfall ihrer Körper mit seiner Seele weiterleben könnten. T wird auch nicht misstrauisch, als H ihr auf dem Weg zur nötigen philosophischen und geistigen Weiterentwicklung vorschlägt, bisher in ihrem Bewusstsein vorhandene Sperren durch die Vernichtung des alten und die Beschaffung eines neuen Körpers zu beseitigen. Wie von H vorgeschlagen, setzt sich T in eine Badewanne und lässt einen eingeschalteten Fön ins Wasser fallen. T stirbt. (BGHSt 32, 38: der tödliche Stromstoß blieb aus). Strafbarkeit des H: §§ 212, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB 1. oTb: Erfolg, Handlung, Kausalität (+) Obj. Zurechnung: Nicht gegeben, wenn eigenverantwortliche Selbsttötung der A vorliegt; dann nur (straflose) Teilnahme des H. Hier: Irrtum der T über die Selbsttötung, daher Fremdtötung durch H möglich. Vorliegen einer mittelbaren Täterschaft? 1. Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft: Nach § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB ist derjenige mittelbarer Täter, welcher die Tat: „durch einen anderen“ begeht: Einer Person (Hintermann) wird die (zumindest versuchte) Tatbestandsverwirklichung durch eine andere Person (Tatmittler, Werkzeug, Vordermann) als eigenes täterschaftliches Verhalten zugerechnet, wenn diese aufgrund eines Umstandes, für den der Hintermann einzustehen hat (sog. Defizit) nicht volldeliktisch handelt. Defizit kann jedes deliktskonstitutive Merkmal (im subjektiven oder objektiven Bereich, auf der Tatbestands-, Rechtswidrigkeits- oder Schuldebene) sein. Wichtig: Der Hintermann muss alle Deliktsmerkmale selbst erfüllen; daher keine mittelbare Täterschaft bei eigenhändigen Delikten und Sonderdelikten (LK-Schünemann § 25 Rn 60). Defizit in Fall 1: Keine Verwirklichung des obj. Tatbestands durch A (Tötung eines anderen Menschen; vgl. BGHSt 32, 38 ff.; Jakobs 21/77 ff.; Jescheck/Weigend § 62 II 1). Die von A selbst vorgenommen Tathandlung geschah allein in Erwartung einer Fortdauer ihrer „geistlig-seelischen 1 Existenz“; dieser Irrtum wiederum wurde durch die Täuschung des H hervorgerufen, so dass ihm die sich daraus ergebende Selbstverletzung des Werkzeugs als eigenes Handeln zuzurechnen ist. 2. sTb (+) 3./4. RW/Schuld (+) *** 2. Sonderfragen zur Tatherrschaft: Unstr. besteht eine Tatherrschaft des Hintermannes und damit ein Fall mittelbarer Täterschaft, wenn der Vordermann aufgrund eines dem Hintermann zurechenbaren Defizits nicht volldeliktisch handelt, d.h. eine Strafbarkeit hinsichtlich eines bestimmten Delikts beim Vordermann nicht besteht. Solche Defizite finden sich v.a. im Irrtumsbereich (Irrtum über Deliktsmerkmale; Rechtfertigungsmerkmale; unvermeidbarer Verbotsirrtum), aber auch bei Sachverhalten, aufgrund derer der Vordermann gerechtfertigt bzw. entschuldigt handelt (Bsp.: Nötigungsnotstand). Sehr str. ist hingegen das Vorliegen mittelbarer Täterschaft, wenn eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Vordermanns gerade besteht. Um insofern eine mittelbare Täterschaft begründen zu können, sprich man vom Hintermann als einem „Täter hinter dem Täter“. Fallgruppen: Reicht Motivirrtum über „konkreten Handlungssinn“ (insbesondere auf Art und Ausmaß des bewirkten Schadens) aus? (bejahend: S/S-Heine § 25 Rn 22 f.; Kühl § 20/74 f.; LKSchünemann § 25 Rn 97 ff.; verneinend: Bottke, Täterschaft und Gestaltungsherrschaft, 1992, 71; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, 1977, 23 ff.; Jakobs 21/101; Jescheck/Weigend § 62 II 2.) Mittelbare Täterschaft durch Benutzung organisatorischer Machtapparate möglich? (bejahend: BGHSt 40, 218 [236 f.] 42, 65 ff.; 47, 100 [103]; LK-Schünemann § 25 Rn 122 ff.; verneinend: Baumann/Weber/Mitsch § 29/146; Jakobs 21/103; Jescheck/Weigend § 62 II 8; Köhler 509 ff.; Otto § 21/92.) Liegt mittelbare Täterschaft bei einem vermeidbaren Verbotsirrtum vor? (bejahend: BGHSt 35, 347 ff.; S/S-Heine § 25 Rn. 38; Herzberg Jura 1990, 16 [22 ff.]; verneinend: Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985, 347 ff.; Jakobs 21/94; Maiwald ZStW 93 [1981], 864 [892].) Literaturhinweis: Umfassend zu den möglichen Konstellationen der mittelbaren Täterschaft etwa W-Beulke Rn. 537 ff.; S/S-Heine § 25 Rn. 8 ff.; Jescheck/Weigend § 62 II; Kindhäuser LPK-StGB § 25 Rn. 9 ff.; Kühl § 20/46 ff.; Otto § 21/71 ff.; Roxin AT II § 25/45 ff. *** 3. Versuchsbeginn: Einzellösung (h.M.): Versuch des Hintermanns beginnt, sobald er das Geschehen nach seiner Einwirkung auf den (gut- oder bösgläubigen) Tatmittler dergestalt aus der Hand gegeben hat, dass es nach seiner Vorstellung unmittelbar anschließend zur Tatbestandsverwirklichung kommen soll (BGHSt 30, 363 [365]; 40, 257 [268]; BGH NStZ 1986, 547; Jescheck/Weigend § 62 IV 1; LK-Schünemann § 25 Rn 154; SK-Rudolphi § 22 Rn 20a; abw.: schon mit Einflussnahme auf den Tatmittler: Baumann/Weber/Mitsch § 29/155; Schilling, Der Verbrechensversuch des Mittäters und des mittelbaren Täters, 1975, 100 ff.; vgl. auch Puppe JuS 1989, 361 [363 f.]). 2 Gesamtlösung: Versuch beginnt für Hintermann und Tatmittler gleichzeitig, also mit dem Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung durch den Tatmittler (M-Gössel/Zipf § 48/112 ff.; Kühl § 20/91; Küper JZ 1983, 361 ff.; Küpper GA 1986, 437 [447]). Zum Problem des Stellens von Fallen Kindhäuser AT § 39/55 ff. m.w.N. *** 4. Irrtumsprobleme: a) Irrtum über die Tatherrschaft: Fall 2: Arzt A bittet die ihm gut bekannte Krankenschwester K, seiner Ehefrau E „zur Linderung der Schmerzen“ ein Pulver zu verabreichen, das er ihr übergibt. K glaubt, es handele sich um ein schmerzstillendes Mittel und verabreicht es. E stirbt, weil es sich um Gift handelt. A ist davon ausgegangen, dass K weiß, was sie verabreicht. Strafbarkeit der K: § 212 StGB oTb (+) sTb (–), kein Vorsatz § 222 StGB Erfolg, Handlung, Kausalität (+) Sorgfaltspflichtverletzung (–) Strafbarkeit des A: I. §§ 212, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB 1. oTb: Erfolg, Handlung, Kausalität (+) mT: kein volldeliktisch handelndes Werkzeug (+) 2. Vorsatz (–), da sich A über seine Tatherrschaft irrt, § 16 StGB (LK-Schünemann § 25 Rn 143) II. §§ 212, 26 StGB 1. oTb (–), da keine Haupttat III. §§ 212, 30 Abs. 1 StGB Versuch der Anstiftung zu einem Verbrechen. Ergebnis bei der Fehlvorstellung über eine Tatherrschaft des Vordermannes: Nimmt der Hintermann irrig an, der von ihm veranlasste Vordermann handele mit Tatherrschaft, scheidet eine mittelbare Täterschaft aufgrund fehlenden Vorsatzes gem. § 16 Abs. 1 StGB aus. Übrig bleibt eine (vollendete) Anstiftung, sofern das Defizit des Tatmittlers im Bereich der Schuld liegt, da dann die von § 26 StGB geforderte vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat vorliegt (Grundsatz der limitierten Akzessorität, vgl. § 38 III 1). Liegt das Defizit hingegen im Tatbestands- od. Rechtwidrigkeitsbereich, kommt mangels notwendiger Haupttat allein eine versuchte Anstiftung in Betracht, die nach § 30 StGB strafbar ist. *** 3 Fall 3: Um den schwerverletzt in das Krankenhaus eingelieferten missliebigen Freund seiner Ehefrau zu töten, übergibt der Stationsarzt A der vermeintlich arglosen Krankenschwester K eine Spritze mit einer Giftampulle. K durchschaut alles, lässt sich aber nichts anmerken und verabreicht F die angeordnete tödlich wirkende Injektion Strafbarkeit der K: §§ 212, 211 (Heimtücke) StGB (+) Strafbarkeit des A: I. §§ 212, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB (i.S. der Tatherrschaftslehre) 1. oTb? Erfolg, Handlung, Kausalität, aber objektiv keine Tatherrschaft (–) II. §§ 212, 211, 22 f., 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB (Versuch) A nahm subjektiv seine Tatherrschaft an (+) Beachte: Folgt man der Rechtsprechung i.S. einer streng subjektiven Theorie, die allein auf den „Täterwillen“ einer Person abstellt, ist hier mittelbare Täterschaft des A als vollendetes Delikt möglich! III. §§ 212, 211, 26 StGB 1. oTb: o Haupttat (+) o Bestimmen (+) 2. sTb: o Vorsatz bzgl. vorsätzlicher Haupttat (–); A wollte gerade mittelbarer Täter und nicht „nur“ Anstifter sein. Konsequenz? h.M.: vollendete Anstiftung, da der Vorsatz des mittelbaren Täters als Plus gegenüber dem Anstiftervorsatz diesen umfasse (W-Beulke Rn 549; S/S-Heine Vor § 25 Rn 79; Jescheck/Weigend § 62 III 1; Kühl § 20/87). MM: nur versuchte mittelbare Täterschaft, da diese ein aliud gegenüber Anstiftung sei (Gropp § 10/77; M-Gössel/Zipf § 48/39 ff.; Kretschmer Jura 2003, 535 [536 ff.]; Kudlich JuS 2003, 755 [758] mit Übungsfall). MM: vollendete Anstiftung und versuchte mittelbare Täterschaft in Tateinheit (LKSchünemann § 25 Rn 146 f.). 3./4. RW/Schuld (+) Ergebnis nach h.M.: §§ 212, 211, 26 StGB (+) M.M.: versuchte mT (wie II.) Ergebnis bei der Unkenntnis über die Tatherrschaft des Vordermannes: Eine mittelbare Täterschaft des Hintermannes scheidet bereits objektiv wegen der hierzu notwendigen, fehlenden Tatherrschaft aus. Sieht man den Anstiftervorsatz als Minus zum Vorsatz der mittelbaren Täters, liegt jedoch eine vollendete Anstiftung vor; die mitverwirklichte versuchte mittelbare Tatbegehung tritt entweder zurück (so die h.M.) od. aber steht zu dieser in Tateinheit. Nimmt man hingegen an, dass sich der Vorsatz vom Anstifter und mittelbarem Täter qualitativ unterscheiden, bleibt nur eine versuchte mittelbare Täterschaft übrig. *** b) Objektverwechslung beim Tatmittler der mittelbaren Täterschaft: 4 Fall 4: Um den X zu töten, beauftragt der Arzt A die Krankenschwester K, bei dem Patienten in Nr. 5 eine Injektion vorzunehmen. Die der ahnungslosen K übergebene Spritze enthält ein schwer nachweisbares Gift. K gibt die tödliche Spritze jedoch dem in Nr. 5 neu eingelieferten Y. X wurde, was A nicht wusste, nach Zimmer Nr. 8 verlegt. K: § 212 StGB 1. oTb: Erfolg, Kausalität, Handlung (+) 2. sTb: kein Tötungsvorsatz daher allenfalls § 222 StGB (hier: ?) A: §§ 212, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB 1. oTb: Erfolg, Kausalität, Handlung (+), mT: kein volldeliktisch handelndes Werkzeug (+) 2. sTB: nur Tötungsvorsatz hinsichtlich X, getroffen wurde aber Y. Liegt ein wesentlicher Irrtum über den Kausalverlauf vor? o (noch) vorherrschende Lehre: (+), Fall der aberratio ictus: kein Unterschied, ob sich der Hintermann bei der Verfehlung seines Ziels eines mechanischen oder eines menschlichen Werkzeugs bediene (Baumann/Weber/Mitsch § 21/15; Jescheck/Weigend § 62 III 2; LKSchünemann § 25 Rn 149; SK-Rudolphi/Stein § 16 Rn 32). Daher: Versuch hinsichtlich X, ggf. fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) gegenüber Y. o Gegenansicht: Differenzierung erforderlich (mit Unterschieden im Detail: W-Beulke Rn 550; S/S-Heine § 25 Rn 52 f.; Jakobs 21/106; Lubig Jura 2006, 655 [658]; Stratenwerth Baumann-FS 57 [65]; abw. [stets error in persona des Hintermanns] Gropp § 10/79): überlässt der Hintermann dem Werkzeug die Konkretisierung des Ziels: nur unwesentliche Abweichung, also vorsätzliche Vollendung gibt der Hintermann dem Werkzeug ein bereits individualisiertes Ziel vor: wesentliche Abweichung, Ergebnis wie h.M. 5
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