Begrüßungsrede anlässlich der „Fachtagung zum Aufbau eines regionalen Netzwerkes zur Versorgung von traumatisierten Flüchtlingen in Ostholstein“ gehalten von Eberhard Jänsch-Sauerland, Kreisarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände Ostholstein, am 16. Oktober 2015 im Gewerbezentrum in Oldenburg i. H.. Zunächst möchte ich besonders Frau Gschwind-Wiese vom Büro Cornelia Möhring, Mitglied des Bundetages, Herrn Schmidt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, sowie Herrn Bürgermeister der Stadt Oldenburg Voigt begrüßen. Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Bürgermeister, ich freue mich sehr darüber, dass die heutige Fachtagung eine so große Resonanz gefunden hat und dass heute ein so breites Spektrum der verschiedenen Professionen anwesend ist. Ich möchte Sie alle im Namen des Landesverbandes des PARITÄTISCHEN und der Kreisarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände Ostholstein aufs Herzlichste begrüßen. Gestatten Sie mir, dass ich ein paar Gedanken zum Eingang vortrage. Das Thema, das uns heute beschäftigen wird, nämlich, wie können traumatisierte Flüchtlinge versorgt werden, ist keines, das ursächlich an uns von außen herangetragen wird. Nach meinem Verständnis dürfen unsere Bemühungen zu helfen nicht nur von einem mildtätigen Engagement bestimmt sein, das uns in die Nähe aufopfernder Wohltäter rückt, sondern muss einem tiefen humanitären Verantwortungsgefühl entspringen im Wissen darum, dass wir, d. h. die westlichen Nationen, mit am Elend in anderen Teilen der Welt beteiligt sind. Dabei müssen wir ein historisches Bewusstsein entwickeln. Insbesondere das Verhältnis zum Nahen Osten, aber auch zu anderen Regionen der Welt ist empfindlich gestört oder gar zerrüttet durch westliches wirtschaftliches und militärisches Engagement in den Regionen ausschließlich zum eigenen Nutzen. Gern sehen wir die Ursachen der Probleme in der Wesensart des Islam. Aber es gibt Gründe für das gestörte bzw. zerrüttete Verhältnis (ich zitiere die deutsche Ausgabe vom April 2015 von „Le Monde diplomatique“): „...die Kreuzzüge(ein wirtschaftliches, soziales und geopolitisches Abenteuer des Westens), den Imperialismus, den Kolonialismus, die westliche Kontrolle über die Energievorräte im Nahen Osten, die Installierung prowestlicher Diktaturen, die endlosen politischen und militärischen Interventionen des Westens, neu gezogene Grenzen, ... die amerikanischen Kriege und Invasionen Amerikas... und so weiter. All das hat nichts mit dem Islam zu tun.“ Stets rechtfertigen wir unser Handeln mit höchster moralischer Begrifflichkeit. Das geschah auch schon bei den christlichen Kreuzfahrern und durch den Kommunismus, der sein Handeln mit dem Kampf für das Proletariat rechtfertigte. Natürlich geben islamistische Hasstiraden Anlass zur Sorge. Dennoch lügen wir uns selbst in die Tasche, wenn wir das Übel ausschließlich im fundamentalistisch geprägten Islam suchen und letztlich religiös definieren. Dass jetzt die Probleme aus den Krisengebieten in Person der vielen Flüchtlinge bei uns Einzug gehalten haben, ist kein Zufall und war nur eine Frage der Zeit. Deshalb ist es höchste Zeit umzudenken, neue Wege zu beschreiten und die Probleme ursächlich zu bekämpfen. Da hilft es nicht, die Grenzen dicht zu machen, das Ausländerrecht zu verschärfen, die Schiffe von Schlepperbanden zu versenken und Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Wenn wir uns heute mit dem Thema Flucht und Trauma beschäftigen, dann müssen wir uns vergegenwärtigen, dass das „Trauma“ der betroffenen Flüchtlinge eine historische Dimension über viele Generationen hinweg hat. Das zuvor Gesagte ändert natürlich nichts daran, dass wir bei der Versorgung der traumatisierten Flüchtlinge, bzw. beim Aufbau des regionalen Netzwerkes pragmatisch vorgehen müssen mit all der uns zur Verfügung stehenden fachlichen Kompetenz. Noch ein weiterer Gedanke liegt mir am Herzen. In fremdenfeindlichen Kreisen unserer Gesellschaft, zuweilen auch bei Politikern, scheint Mitgefühl keine Rolle mehr zu spielen. In erschreckend herzloser Weise wird über Menschen hergezogen und hergefallen, die zum größten Teil unendliches Leid erfahren haben. Jeder, der mit traumatisierten Menschen therapeutisch arbeitet, kennt die leidvollen individuellen Schicksale der Menschen, die unfreiwillig um den halben Erdball irrten. Diese Geschichten beindrucken mich immer wieder tief in meiner Arbeit. Neulich erzählte mir ein junger Somali, dass er die Flucht aus seiner Heimat mit fünf Freunden angetreten habe. Lediglich zwei haben dieses „Abenteuer“ überlebt. Die anderen sind in der Wüste in der Hand von Rebellen verdurstet und verhungert. Er selbst ist knapp dem Tode entronnen, musste seine Freunde mit eigenen Händen begraben und war zusätzlich noch Zeuge, wie eine Frau mit einem Felsstück erschlagen wurde, weil sie sich einer Vergewaltigung widersetzte. Das ist nur eine von vielen Geschichten. Ich frage mich, wo bei manchen Menschen -auch Politikern- das Mitleid bleibt. Ja, ich weiß, dass Mitleid bei uns Fachleuten im therapeutischen und psychosozialen Bereich verpönt ist. Ich meine es aber an dieser Stelle in einem tieferen Sinne. Ich möchte hier an die Mitleidsethik von Arthur Schopenhauer erinnern. Schopenhauer sagt: „Grenzenloses Mitleid mit allen lebenden Wesen (- und damit schloss er auch das Tier ein -) ist der festeste und sicherste Bürge für sittliches Wohlverhalten... Mitleid selbst aber ist eine unleugbare Tatsache des menschlichen Bewusstseins, ist diesem wesentlich eigen, beruht nicht auf... Begriffen, Religionen, Dogmen, Mythen, Erziehung und Bildung; sondern ist ursprünglich und unmittelbar, liegt in der menschlichen Natur selbst.“ Weiter sagt Schopenhauer: „Mitleid ist ein alltägliches Phänomen“. Er meint damit die ganz unmittelbare Teilnahme am Leiden eines anderen Wesens. Wir leiden mit ihm, also in ihm. Hierdurch wird die vorher unüberwindbare Mauer zwischen dem „Ich“ und dem „Du“ mehr und mehr abgebaut. Diese positive Sicht der menschlichen Natur sollte uns ermutigen, dort wo Mitleid verschüttet ist, es wieder zu befreien und das geht nicht mit Mitteln der Gewalt. D. h. wir müssen uns bemühen, Gewalt nicht mit Gewalt zu beantworten, sondern müssen der Gewalt eine menschenfreundliche Gesinnung in Worten und Werken entgegensetzen, selbst dann, wenn Zorn in uns aufsteigt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Tagungsteilnehmerinnen und Tagungsteilnehmer. Meine Hoffnung ist, dass es uns gemeinsam gelingt, hier in Ostholstein ein Netzwerk aufzubauen. Dabei mögen wir von Fachkompetenz, Menschenliebe und -freundlichkeit geleitet sein. Danken möchte ich allen, die dazu beigetragen haben, dass diese Fachtagung stattfinden kann, sowohl den Ideengebern, Uwe Wille vom Kreis Ostholstein und Horst Martin von der Kreisarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände Ostholstein, als auch den kompetenten Kolleginnen und Kollegen vom Landesverband des PARITÄTISCHEN, mit denen ich mit Freude zusammenarbeiten durfte. Ich wünsche unserer Tagung einen guten Verlauf!
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