23.11.2015 Vorlesung Obligationenrecht Besonderer Teil Rechtsanwalt Prof. Dr. Arnold F. Rusch LL.M. Universität Zürich, Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA), 23. November 2015 Arten der GoA Echte GoA im Interesse des Geschäftsherrn • berechtigt: geboten dringlich und kein gültiges Einmischungsverbot • unberechtigt: nicht geboten nicht dringlich oder gültiges Einmischungsverbot Unechte GoA im eigenen Interesse • gutgläubig Geschäftseinmischung • bösgläubig Geschäftsanmassung Definition GoA (OR 419 ff.) Geschäftsführer führt ein Geschäft für einen anderen (Geschäftsherrn), ohne von diesem dazu aufgefordert gewesen zu sein bzw. ohne dass dieser davon wusste Geschäftsführer handelt eigenmächtig: Es besteht keine vertragliche Grundlage und auch sonst keine Einigung. Was bedeutet «fremdes Geschäft»? Es geht um einen fremden Rechts- oder Interessenkreis, in dem Tat- oder Rechtshandlungen vorgenommen werden. Fremdheit fällt nicht weg, wenn der Geschäftsführer auch ein Eigeninteresse an der Geschäftsführung hat. A will sein Haus renovieren. Da dies dem Mieter B und sogar C, dem er das Haus testamentarisch vermacht hat, zugute kommt, will er von ihnen Ersatz für die Aufwendungen. Geht das? 1 23.11.2015 Was bedeutet «im Interesse des Geschäftsherrn»? Die Vorteile des Geschäfts sollen dem Geschäftsherrn zukommen: Der Geschäftsführer muss das Bewusstsein und den Willen haben, im Interesse des Geschäftsherrn tätig zu werden (vgl. OR 422 I). Welche Ansprüche entstehen bei der echten, berechtigten GoA für den Geschäftsführer? • Ersatz für Verwendungen • Befreiung von Verbindlichkeiten • Schadenersatz nach richterlichem Ermessen (OR 422 I) Was bedeutet «geboten»? Hilfsbedürftigkeit, gewisse Dringlichkeit: Die Handlung ist richtig und angezeigt; vielleicht nicht unerlässlich, aber nicht bloss nützlich. Wenn der Geschäftsführer den Geschäftsherrn zuerst fragen kann, muss er dies tun (vgl. OR 422 I). Welche Ansprüche entstehen bei der echten, berechtigten GoA für den Geschäftsherrn? • Ablieferungs-, Auskunfts- und Rechenschaftspflicht (OR 400 f. analog) • Schadenersatz (OR 420 I, gemildert in OR 420 II) Welche Ansprüche entstehen bei der echten, unberechtigten GoA für den Geschäftsführer? Welche Ansprüche entstehen bei der unechten, gutgläubigen GoA für den Geschäftsführer? • Deliktshaftung (OR 41) • Ungerechtfertigte Bereicherung (OR 62 ff.) • Deliktshaftung (OR 41) • Ungerechtfertigte Bereicherung (OR 62 ff.) Welche Ansprüche entstehen bei der echten, unberechtigten GoA für den Geschäftsherrn? Welche Ansprüche entstehen bei der unechten, gutgläubigen GoA für den Geschäftsherrn? • Delikt/Kondiktion: OR 41, 62 • Bei Einmischungsverbot: OR 420 III • Deliktshaftung (OR 41) • Ungerechtfertigte Bereicherung (OR 62 ff.) 2 23.11.2015 Welche Ansprüche entstehen bei der unechten, bösgläubigen GoA für den Geschäftsführer? • OR 41 • OR 423 II Welche Ansprüche entstehen bei der unechten, bösgläubigen GoA für den Geschäftsherrn? Genehmigung der auftragslosen Geschäftsführung • • • • OR 424 Einseitiger Rechtsakt Führt zur Anwendung des Auftragsrechts Achtung, OR 394 III: Geschäftsführung ist nicht entgeltlich, auch durch Genehmigung nicht Lohn für Geschäftsführung? • OR 423 I Was ist, wenn eine Rettungssanitäterin hilft? 3 Ansätze: • Negatives Interesse: Verdienstausfall • OR 394 III analog • Konkludent geschlossener Auftrag? Hans sieht, dass das Haus seines Nachbarn Gustav brennt. Er weiss, dass Gustav in Spanien in den Ferien weilt. Sofort verwendet er seinen Feuerlöscher (Wert der Füllung: Fr. 250) und erstickt das Feuer. Dabei erleidet er Rauchvergiftungen, die er mit einem Spitalaufenthalt für Fr. 10’000 auskurieren muss. Während der Hilfeleistung fällt Hans der schwere Feuerlöscher auf Gustavs Fahrzeug, was einen Schaden von Fr. 5’000 verursacht. Zusätzlich will Daniel, den Hans zur Hilfe beim Löschen angeheuert hat, von ihm den Lohn für die halbe Stunde Arbeit. Hans sieht, dass auf seinem Parkplatz ein fremdes Fahrzeug steht. Sofort bestellt er den Abschleppdienst des Beat, der das Fahrzeug abschleppt (Kosten: Fr. 450) und auf dem Gelände des Abschleppdienstes abstellt. Gibt es GoA-Ansprüche? Kann Beat den Wagen zurückhalten, bis der Fahrzeugeigentümer Fr. 450 bezahlt hat? 3 23.11.2015 Beat ist Mieter und vermietet seine Wohnung auf AirBnB für Fr. 700 in der Woche. Sein eigener Mietzins, den er Vermieter Viktor schuldet, beträgt Fr. 1’200 im Monat. Viktor erfährt dies zufällig, als ihm jemand die Wohnung auf der Internetseite zeigt. Welche Ansprüche hat Viktor gegenüber Beat? Armin besichtigt bei Beat ein Kalb, dass er vielleicht kaufen möchte. Er ist sich unschlüssig. Beat bittet daraufhin Armin, ihm bei der Versetzung eines Rundholzes behilflich zu sein, wenn er schon da sei. Armin steigt auf einer Leiter zum Rundholz. Er fällt von der Leiter und verletzt sich. Variante: Beat bittet Armin, das Holz mit seinem eigenen Holz wegzutransportieren. Dabei fällt das Holz vom Wagen und taugt nicht mehr als Bauholz. Rechtsbindungswille; BGE 137 III 539 ff., 541 f.: „Ob Vertrag oder Gefälligkeit vorliegt, entscheidet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere der Art der Leistung, ihrem Grund und Zweck, ihrer rechtlichen und wirtschaftlichen Bedeutung, den Umständen, unter denen sie erbracht wird und der Interessenlage der Parteien. Für einen Bindungswillen spricht ein eigenes, rechtliches oder wirtschaftliches Interesse der Person, welche die Leistung erbringt, oder ein erkennbares Interesse des Begünstigten an fachkundiger Beratung oder Unterstützung (...).“ 4 23.11.2015 Haftung des Gefälligkeitsempfängers Haftung des gefälligen Helfers: Sorgfaltsmassstab BGE 137 III 539 ff., 545 («Glatt»-Fall) BGE 129 III 181, 184 f. E. 4.1 («Menzi-MuckRundholzfall): «Insoweit rechtfertigt sich auch die analoge Anwendung von Art. 422 Abs. 1 OR auf die Fälle von Gefälligkeitshandlungen ohne Rechtsbindungswillen. Die Haftung greift aller-dings nur dann, wenn sich das der gefährlichen Tätigkeit immanente Risiko verwirklicht. Nicht davon erfasst werden so genannte Zufallsschäden. Deshalb ist eine Haftung zu verneinen, falls sich nicht das besondere Tätigkeitsrisiko, sondern das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht hat […].» «Bei Gefälligkeiten ist mithin grundsätzlich von einer verminderten Sorgfaltspflicht auszugehen […]. Es muss in der Regel genügen, dass der Gefällige jene Sorgfalt aufwendet, die er auch in eigenen Angelegenheiten beachtet (sog. eigenübliche Sorgfalt oder diligentia quam in suis). Denn wer im vertragsfreien Raum um eine Gefälligkeit bittet, kann vom Gefälligen nicht verlangen, eine höhere Sorgfalt als die eigenübliche aufzuwenden.» 5
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