AUF ACHSE GOA / SÜDINDIEN LIVING COLOURS GOA / SÜDINDIEN Jahrhundertealte Steintempel, Frauen in bunten Saris, grüne Reisfelder und die traumhaften, palmengesäumten Strände Goas: Das sind die lebendigen Farben Südindiens – musikalisch untermalt vom urigen Sound der Royal Enfield. TEXT UND BILDER: BRIGITTE BURRI Oben: Landarbeiterinnen bei der Ernte auf dem Hochplateau von Dekkan. Grosses Bild: Der erste Fahrtag führt uns an Goas Küste entlang nach Norden. UNSERE REISENDE BRIGITTE BURRI Indien? Nie im Leben, dachte sich Brigitte, unsere Auf-Achse-Redaktorin, aber als sie dann bei Ernst und Roli im Fahrsicherheitskurs war und diese von ihrem Kunden-Event in Südindien schwärmten, war es um sie geschehen. «Das machen wir!», und flugs wurde Ehemann Martin eingepackt, um den Süden des Subkontinents zu explorieren. «Es war das Beste, was wir je auf Motorrädern gemacht haben», gaben die beiden nach ihrer beeindruckenden Reise zu Protokoll: «Absolut süchtigmachend – auch ohne Ganjarausch!» Nr. 5/2016 — www.motosport.ch 38 39 Nr. 5/2016 — www.motosport.ch AUF ACHSE RUTH HEBT AB. Die Satteltaschen ihrer Enfield schletzen hoch, dann knickt ihr Eisenross vorne tief ein und verwirft sein Heck, als sei es von einer Wespe gestochen worden. Ich folge dicht dahinter und habe keine Chance, abzubremsen, bereits setze auch ich mit meiner Bullet zum Sprung an und werde rüde über die Asphaltschwelle katapultiert, die wie aus dem Nichts vor uns aufgetaucht ist. Beim Überholen eines dieselrauchenden Lastwagens haben wir ihn nicht sehen können, den hinterlistigen Speedbraker, eine indische Verkehrsberuhigungsmassnahme, deren es hier Tausende gibt. Aber es ist nichts passiert, die robusten Enfield, von den Indern zusammen mit der Eisenbahn als einzig gute Hinterlassenschaft der Briten bezeichnet, stecken solch harsche Hindernisse ebenso gleichmütig weg wie lange, staubige Schotterfahrten oder Offroad-Einlagen auf Gras und Sand. Ich schliesse zu Ruth auf, und wir brechen in frenetisches Gekicher aus. Was für ein Sprung! Was für geniale Motorräder! Was für ein Land! Töfffahren in Indien hat so gar nichts mit einer Fahrt im überregulierten Europa gemein. Hier, in dieser Exotik, in Gegenden, wo noch wie zu biblischen Zeiten die Äcker mit Ochsen bestellt werden, fühlt man sich als Pionier, erlebt unverfälschtes Biker-Feeling. Obwohl uns in der kalten Schweiz der Gedanke an den indischen Verkehr den Schweiss auf die Stirn getrieben hat, schlängeln wir uns am nunmehr vierten Tag unserer Tropical India Tour wie alte Hasen durch den wuselnden Verkehr. Martin, unser Tourguide, hat unsere 14-köpfige eidgenössische Truppe zu Beginn sorgfältig gebrieft und uns alle bekannten Verkehrsregeln aus dem Kopf geklopft – zum grossen Entsetzen der drei Fahrlehrer Ernst, Roli und Amo, die mit von der Partie sind. Es gibt nur noch eine Regel: hupen, hupen, hupen! Und obwohl wir Linksverkehr haben, ist auch das nicht in Stein gemeisselt, der indische Zweiradfahrer sucht sich stets das Loch und fährt da durch, seine Absicht lautstark mit dem Horn unterstreichend. Alles fliesst, sagt die Religion, und das gilt auch auf der Strasse. Bloss nie Anhalten wegen einer Kuh, DER INDIENFAHRER PETER PAULO DOS SANTOS Himmelsfeuer: Sonnen aufgang in Malwan. eines Menschen, eines Hundes oder eines Affen. Auf wundersame Weise wissen die zwei- und vierbeinigen Fussgänger genau, wie sie mit dem Verkehr umzugehen haben. Die Unterregulierung hat das Verantwortungsbewusstsein der Verkehrsteilnehmer vergrössert: Man passt aufeinander auf, ist geduldig und stets freundlich. Unsere heutige Etappe von Badami nach Hampi ist rund 170 km. lang. Das ist nicht viel, aber schnell sind wir auch nicht unterwegs, die Reisegeschwindigkeit beträgt gemütliche 40 bis 60 km/h, was den indischen Gegebenheiten angepasst ist und dank der Power unserer Einzylinder gut reicht, stinkende Lkw und teils mörderisch dahinbrausende Busse Nr. 5/2016 — www.motosport.ch Ganz oben: Fahrt zu den Tempelanla gen von Hampi in betörender Kulisse. Mitte: Liebe Bauern, so farbenroh kann man seinen Traktor schmücken. Oben: Der überreich verzierte Ein gangstempelturm von Hampi. Links: Auf Indiens Strassen gilt sie noch was: die Freundlichkeit. 40 41 Nr. 5/2016 — www.motosport.ch Gründer und Inhaber von Peter’s ClassicBike-Adventure-Tours ist der Deutsche Peter Paulo Dos Santos (Bild), der seit 1989 in Indien lebt. Nach Jahren im Rock’n’RollGeschäft als Tour-Manager, Reiseleiter und Motorrad-Vermieter auf Zypern folgte Peter (Jg. 1959) der Einladung eines Freundes, die tropischen Strände und Royal Enfield in Goa zu geniessen – und blieb. Seit 27 Jahren organisiert Peter mit seiner Crew von über 20 Mitarbeitenden das ganze Jahr über Töff-Touren auf dem Subkontinent, im Himalaya, Goa, Südindien, Bhutan, Nepal und Tibet. Die Firma verfügt über 35 perfekt gewartete Royal Enfield Bullet 500 (Werkstatt und mehrere Mechaniker) in Goa, Delhi und im Himalaya. Über 3000 Gäste waren in mehr als 400 Touren bereits mit Peters Unternehmen unterwegs. Sehr lesenswert sind seine Interviews auf www.classic-bike-india.de unter Presse, Interview RC Peter I und II. AUF ACHSE DIE CLASSIC BIKES ROYAL ENFIELD BULLET 500 Peters Mietmotorräder sind Royal Enfield Bullet 500 Vergasermaschinen mit gewohnter Linksschaltung. Die Ursprünge der Bullet gehen zurück bis 1948, als in Redditch (GB) die 350 cm3 G2 Bullet vom Stapel gelassen wurde. Royal Enfield Motorcycles baute dann 1955 eine Fabrik in Madras, Südindien. Vorerst wurden die Motorräder vorwiegend für die indische Armee und die Polizei gebaut. Die bis heute nahezu unverändert produzierten 500er Bullets in Peters Fuhrpark sind vollausgerüstet inklusive grosser Ledersatteltaschen und Doppelhorn. Die Bikes fahren sich sehr einfach, und man kommt auf Anhieb mit ihnen zurecht. Während die Enfield hierzulande als untermotorisiert bezeichnet wird, ist sie dies in Indien keinesfalls. Hier ist ihr natürliches Habitat, hier ist die Bullet dank ihrer Robustheit und ihres authentischen Aussehens mit dem Sound und Spirit des goldenen Brit-BikeZeitalters die Königin der Landstrasse schlechthin. Oben: Geordnetes Chaos = indischer Verkehr. Links: Plattfuss? No Problem, das Rad ist in fünf Minuten gewechselt. Rechts: Klassenfahrt: ein Besuch in Hampi ist für indische ABC-Schützen Pflicht. Unten: Inderinnen bei der Chili-Ernte und für immer: der Traumstrand von Agonda. mit dickem Speedpolster zu überholen. So bleibt uns auch Zeit, die Landschaft zu geniessen, wo sich das zu Beginn tropische Bild der palmengesäumten Strände Goas bis heute, wo wir auf einem Hochplateau mit horizontfüllenden Zuckerrohr-, Baumwoll- und Chili-Plantagen fahren, kontinuierlich geändert hat. In Assagao starteten wir unsere Tour und fuhren am ersten Tag der Küste lang nach Norden bis Malwan, einem Fischerdorf. Hier liegen – wie überall in Indien – Armut und Reichtum nah beieinander. Infolge der weitestgehend fehlenden Kanalisation verrichten Menschen wie Tiere ihre Morgentoilette im Meer – ein Umstand, den wir entdeckten, als wir uns früh aufmachten, den Sonnenaufgang zu bewundern. Rein fahrerisch war die Etappe des zweiten Tags über den Amboli-Pass hinauf auf das fast 1000 m ü. M. liegende Dekkan-Plateau einer der Höhepunkte. In dichtem Dschungel und etlichen Kehren führt die Strasse derart den Berg hinauf, dass man sich an den Flanken des Splügen oder Umbrail wähnt. Auf der Passhöhe warteten dann Affen. Richtige Affen, die sich flugs über unsere Töff hermachten und die Satteltaschen nach Essbarem durchsuchten. Die schöne Tempelstadt Badami erreichten wir über lange Schotterstrecken am dritten Tag. Staubig und dreckig bezogen wir unsere Hotelzimmer, um dann frisch geduscht per Tuktuk zu den vier in Sandstein gehauenen Tempelhöhlen aus dem 6. Jh. zu fahren, die Shiva und den Jaina-Heiligen gewidmet sind. «Magisch» hört man in Hampi, das wir am heutigen vierten Fahrtag erreichen, unentwegt. Und zu Recht, denn die Landschaft rund um den geschichtsträchtigen Ort präsentiert sich wie im Traum: Zwischen Palmenhainen windet sich silbern der Tungabhadra-Fluss, und in alle Himmelsrichtun- gen ragen von Granitbrocken übersäte Hügel. Manche liegen wie Meteoriten herum, andere haben sich zu kleinen Gebirgen verkeilt, wieder andere ragen übereinandergestapelt als kühne Türme in die Luft. Als hätte ein Riesenkind vergessen, seine Bauklötze aufzuräumen. Dutzende von Tempelruinen aus dem 9. Jh. stehen in diesem Kindergarten der Natur. Sie sind Reste des 1565 untergegangenen Vijayanagar-Königreichs, verteilt auf 23 km2 – das grösste Ruinenfeld Indiens. Von unserem Hotel aus, dem Kishkinda-Resort, fahren wir mit unseren Enfield die knapp 6 km zum Virupaksha-Tempel. Über einen See, an dessen Ufern Inderinnen die Seifenlauge aus ihrer bunten Wäsche prügeln, erreichen wir per Boot die heilige Stätte. Der Anblick raubt uns den Atem: aus dem Dunst erheben sich überreich geschmückte Tempeltürme, als habe sich ein kunstsinniges Termitenvolk ein Denkmal gesetzt. Kommt man näher, offenbaren sich am über 50 m hohen Eingangsturm eine irrwitzige Vielzahl von fein gemeisselten Götterskulpturen an Säulen und Wänden wie ein opulentes Comic: Tempeltänzerinnen mit Ballonbrüsten und üppigen Schenkeln prangen im Stein, Krieger, sich aufbäumende Elefanten und immer wieder der tanzende Gott Shiva. Einen ganzen Tag nehmen wir uns für die weit auseinanderliegenden Tempelanlagen Zeit. Die versunkene Königsstadt Hampi ist auch der Wendepunkt unserer Tour, es geht zurück nach Goa. Dazwischen legen wir eine zweitätige Station im Dschungel ein, wo wir in den feucht-fröhlichen Genuss eines River-Raftings kommen. Später zeigt uns Martin wildlebende Krokodile – nur ein paar Kilometer weiter den Fluss runter, den wir eben per Schlauchboot befahren hatten. Indisches Roulette! Als wir in die heisse Schwüle Goas kommen, sind wir froh, die letzten beiden Tage Beach-Life pur auf dem Programm zu haben: untergebracht in kleinen, aber überaus zweckmässigen Bambushütten direkt am Strand erholen wir uns von den Strapazen der Tour im Liegestuhl und baden im fast 30 ° warmen Meer. Blutrote Sonnenuntergänge sind uns in diesem Garten Eden beschieden, und wehmütig erkennen wir, dass wir noch deren drei vor uns haben, bevor die lange Reise zurück in den kalten Schweizer Winter ansteht. Die lebendigen Farben Indiens haben unser aller Horizont um ein Vielfaches erweitert, und das unverwüstliche, treue indische Eisenross hat bei allen einen dicken Stein im Brett. Statt auf der Alp und liebevoll umsorgt liegen die (heiligen) Kühe hier am Strand und managen ihr Leben selbst. Der Lotos Mahal im weitläufigen Tempeldistrikt von Hampi. Nr. 5/2016 — www.motosport.ch 42 43 Nr. 5/2016 — www.motosport.ch AUF ACHSE REISEINFO: GOA/SÜDINDIEN Goa ist der kleinste indische Bundesstaat und wartet mit wunderschönen, oft noch unberührten und von Kokospalmen gesäumten Traumstränden auf. Es liegt an der mittleren Westküste Indiens und war rund 450 Jahre lang (bis 1961) portugiesische Kolonie. Noch heute ist der Staat davon kulturell nachhaltig geprägt, und indische wie auch portugiesische Traditionen bieten eine interessante Kombination. Wir haben auf unserer Tour ab Goa Teile der Bun- ANZEIGE 1/1 SEITE YAMAHA KOLEKTIV ROUTE/DISTANZ desstaaten Maharashtra und Karnataka befahren. Nach Passieren der Western Ghats über den Ambolipass (Bild), der ca. 1000 m ü. M. liegt, schliesst sich die Hochebene des Dekkan an, wo ein deutlich trockeneres Klima vorherrscht und wo Landwirtschaft betrieben wird. In Teilen Karnatakas zeigt sich die Natur dann wieder üppig mit dichten Urwäldern und grossen Flüssen. Dank unserer Motorräder konnten wir Einblicke in ein unberührtes, von Touristen wenig besuchtes Indien erhalten, wo die Zeit scheinbar stehen geblieben ist. Assagao (Goa) – Malwan – Ambolipass – Belgaum – Badami – Hampi – Dandeli – Agonda-Beach (Goa) – Assagao (Goa). Total ca. 1500 km, darin eingeschlossen 240 km von zwei Tagestouren ab Assagao zu den nördlichen Stränden von Goa. Reisezeit/Klima: In Goa/Südindien herrscht tropisches Klima. Die Reisezeit beschränkt sich auf die Monate November bis März mit durchschnittlichen Höchsttemperaturen von 30 Grad. Von Juni bis September herrscht Monsun. Unsere Reise fand im Januar statt. Formalitäten/Impfungen: Schweizer brauchen für Indien ein Visum (Info www.eda.admin.ch, ca. CHF 150.–) sowie verschiedene Impfungen (Info: www.swisstph.ch, Reisemed. Zentrum). Verkehr/Strassen: In Indien wird links gefahren, und es gibt keine ersichtlichen Verkehrsregeln – es herrscht das Gesetz des Stärkeren. Und: hupen, hupen, hupen! Mehrheitlich gute Asphaltstrassen, teilweise mit Löchern durchsetzt, manchmal auch lange Schotterfahrten, dort, wo die Strassen neu gemacht werden oder auf Abstechern tiefer ins Landesinnere. Insgesamt mittlerer Schwierigkeitsgrad, man sollte einen Töff auf der Strasse und im leichten Gelände gut bewegen können. Vorsicht vor den extrem ruppigen Speedbrakern (Asphaltschwellen zur Verlangsamung des Verkehrs). Nr. 5/2016 — www.motosport.ch 44 Organisation/Buchung: Unsere Reise nach Goa/Südindien wurde als Kunden-Event von training-reisen.ch (Inhaber Ernst Bühler und Roli von Moos) in Zusammenarbeit mit Peter’s Classic- Bike-Adventure-Tours Ltd. durchgeführt. Training-reisen.ch führt 2017 zwei weitere exklusive Kundenreisen nach Südindien durch. Info: www. training-reisen.ch Die beschriebene Reise ist aus dem Programm von Peter’s Classic-Bike-Adventure-Tours Ltd., House No. 425, Assagao 403 507, Goa (India), www.classic-bike-india.de. Peter ist in Indien klar die Nr. 1 der Branche. Die penible Organisation bis ins kleinste Detail garantierte uns eine überaus angenehme Reise, wir konnten uns voll aufs Motorradfahren, Land und Leute konzentrieren. Reiseführer/Literatur: «Indien, der Süden», Nelles Verlag, CHF 22.90 «Shiva Moon» von Helge Timmerberg, Rowohlt Taschenbuch, CHF 12.90 «Tiger fressen keine Yogis» von Helge Timmerberg, CHF 14.90 (alle über www.buch.ch) 45 Nr. 5/2016 — www.motosport.ch
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