EW Medien und Kongresse GmbH: www.ew-online.de PDF (Nr. 7116) aus Jg.111 (2012), Heft 20-21, S. 50-53 Kundenwert als zentraler Hebel Definition, Abgrenzung und Bewertung verschiedener Kundenwertarten Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen Nicht erst seit der Energiewende herrscht in der Energiebranche ein hoher Wettbewerbs- und Kostendruck, der eine substanzielle Steigerung von Umsatz und Rentabilität erfordert. Die vor allem in letzter Zeit auftretenden Gewinneinbrüche bei den vier großen Energieversorgern dokumentieren diese Entwicklung. In diesem Kontext rückt der Kundenwert als ein zentrales Steuerungstool für die Ressourcenallokation in den Mittelpunkt. Er ist ausschlaggebend für eine optimale Ausschöpfung des Kundenpotenzials. S eit der Liberalisierung des Energiemarkts 1998 änderte sich das Kundenverständnis sukzessive: Aus ehemals reinen Abnehmern wurden zwischenzeitlich ernstzunehmende Kunden. Wettbewerbsintensität, Preiskampf, Kostendruck, Anstieg von Endkundenpreisen und Wechselquoten zwingen Energieversorger dazu, ihre Kunden zufriedenzustellen und langfristig zu binden. In Zeiten steigender Beschaffungspreise müssen Vertriebs-, Marketing- und Kundenserviceaktivitäten daher so ausgerichtet werden, dass effizienter als bisher gearbeitet werden kann. Nur so lassen sich Umsatz und Rentabilität steigern. Dies kann durch die Verwendung des Kundenwerts als zentrale Kennzahl und zentralem Steuerungstool unterstützt werden. Der Kundenwert aus Sicht des Unternehmens wird in diesem Aufsatz definiert als »[…] der vom Anbieter wahrgenommene, bewertete Beitrag eines Kunden bzw. des gesamten Kundenstamms zur Erreichung der monetären und nichtmonetären Ziele des Anbieters […]« [1]. Der erste Schritt für eine kundenwertorientierte Steuerung ist die Definition des Kundenwerts. Eine Möglichkeit zur Strukturierung der Kunden ist anhand der Dimensionen objektbezogen, sachlich und zeitlich. Die Objektdimension spiegelt die Aggregationsstufe wider. Der Kundenwert kann kundenindividuell, kundensegmentbezogen oder auf den gesamten Kundenstamm ausgerichtet ermittelt werden. Die sachliche Dimension definiert den inhaltlichen Schwerpunkt, der monetär (z. B. Umsatz) oder nichtmonetär (z. B. Kundenzufriedenheit) sein kann. Mehrdimensionale Ansätze kombinieren monetäre und nichtmonetäre Erfolgsbeiträge der Kunden. In zeitlicher Dimension werden vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsbezogene Ansätze unterschieden. Diese können periodenbezogen und -übergreifend bestimmt werden [2]. Aus den verschiedenen Dimensionen lassen sich unterschiedlich viele Kombina- Komponenten aktueller Kundenwert quantitative Größe Kundendeckungsbeitrag Kundenbonität potenzieller Kundenwert Customer Lifetime Value Kundenbeziehungsdauer qualitative Größe dynamische Größe Cross- und Up-selling-Potenzial Informationspotenzial Kapitalwert 41759.1 Jens Raschke, Head of Utilities Germany, Silke Jäckle, Senior Business Consultant, Bearing Point GmbH, Düsseldorf. 50 Bild 1. Komponenten des Customer Lifetime Value SONDERDRUCK PDF 7116 aus ew Jg.111 (2012), Heft 20-21, S. 50-53 tionen – Kundenwertarten – bilden. Aus Praktikabilitäts- wie auch Komplexitätsgründen empfiehlt sich eine Begrenzung. Der Aufsatz konzentriert sich auf die nähere Betrachtung und Analyse der beiden Kundenwertarten Kundendeckungsbeitrag und Customer Lifetime Value.1) Berechnungsformel Kubi CLV = ∑ t=0 Kundenbindung (Kubi) durchschnittliche Vertragsdauer Kundendeckungsbeitrag Der Kundendeckungsbeitrag stellt einen monetären, gegenwarts- und vergangenheitsbezogenen Kundenwert dar, der kundenindividuell, je Kundensegment oder über den gesamten Kundenstamm ermittelt werden kann. Ausgehend vom Bruttoumsatz des individuellen Kunden bzw. Kundensegments werden Mehrwert-, Stromsteuer, EEG- und KWK-Umlage abgezogen. Um anschließend den Kundendeckungsbeitrag I zu erhalten, erfolgt die Subtraktion von Strombezugskosten, Netznutzungsgebühren, Konzessionsabgaben sowie Messstellenbetriebskosten. Zur Ermittlung des Kundendeckungsbeitrags II werden die dem Kunden direkt zurechenbaren Vertriebs- und Marketingkosten, z. B. für Außendienst, Werbung, abgezogen. Eine Berücksichtigung der indirekt zurechenbaren Vertriebskosten, z. B. für den Vertriebsinnendienst, führt zum Kundendeckungsbeitrag III. Customer Lifetime Value Steht der Lebenszyklus des Kunden bei der Kundenbewertung im Vordergrund, so bietet sich der Customer Lifetime Value an. Wie in Bild 1 veranschaulicht, bezieht dieser nicht nur gegenwarts- und vergangenheitsbezogene quantitative Größen wie Kundendeckungsbeitrag und -bonität mit ein. Er berücksichtigt auch das künftige Potenzial des Kunden sowie die Kundenbindungsdauer (prospektiver Kundenwert). In Abhängigkeit von den Parametern zur Ermittlung der qualitativen Größe lassen sich verschiedene Be1) Darüber hinaus gibt es in Theorie und Praxis eine Vielzahl weiterer kundenwertbezogener Begriffe, z. B. Supplier Value, Customer Equity, Value of the Customer oder Customer Value. Der Kundendeckungsbeitrag wurde ausgewählt, da er mit den, Energieversorgern vorliegenden Daten recht einfach zu berechnen ist. Der Customer Lifetime Value ist ein in anderen Branchen gängiger Kundenwert. KDB W (1 + r)t Kundendeckungsbeitrag (KDB) Quelle: Generierung aus IS-U bzw. Abrechnungssystem durch Business Intelligence und Vertrieb Quelle: Berechnung durch Business Intelligence anhand von Daten aus Controlling, Vertrieb, Marketing und Kundenservice Kalkulationszinssatz (r) Wachstum (W) Quelle: Vorgabe durch Controlling/ Management Quelle: Annahmen aus Vertrieb und Marketing aufgrund von Änderungen bei Preis, Bezugskosten und/oder Durchleitungskosten 41759.2 Bild 2. Berechnungsformel Customer Lifetime Value rechnungsformeln unterscheiden. In Bild 2 sind eine gängige Berechnungsformel sowie die Datenquellen, aus denen die Informationen zur Berechnung stammen, dargestellt. Bewertung der beiden Kundenwertarten Der Kundendeckungsbeitrag lässt sich – vorhandene Kundendaten und entsprechende Analysen vorausgesetzt – vom Energieversorger meist recht unkompliziert berechnen. Er stellt eine gute Ausgangsbasis für die Steuerung von Vertrieb, Marketing und Kundenservice dar und hat sich in anderen Branchen, z. B. der Telekommunikation, bereits bewährt. Nachteilig ist die fehlende Zukunftsperspektive. Entwicklungsmöglichkeiten des Kunden im Laufe der Kundenbeziehung werden nicht miteinbezogen. Ausgaben für Kundenbindung oder Akquise werden auf der Kostenseite bei der Berechnung als Vertriebs- und Marketingkosten berücksichtigt, ihre positiven Wirkungen wie Verlängerung der Kundenbeziehung oder die Möglichkeit der Amortisation über Upoder Cross-selling-Maßnahmen fließen in die Bewertung nicht mit ein. Diesen Einschränkungen begegnet der Customer Lifetime Value über die Einbeziehung qualitativer Parameter und die Kundenbezie- Quelle: [2] hungsdauer. Herausforderungen bei seiner Berechnung stellen hier die Datenlage des Energieversorgers, der komplexere Berechnungsprozess sowie die Schwierigkeit der Prognose künftiger Entwicklungen dar. Implementierung des Kundenwerts und der Anwendungsfelder Im Anschluss an die Definition muss der Kundenwert in Strategie, Organisation, Prozesse und IT-Systeme implementiert werden. Die als wertvoll identifizierten Kunden müssen mit Vertriebs- und Marketingmaßnahmen ausgebaut werden. Wertvernichtende Kunden sollten entweder aufgegeben oder in ein profitables Beziehungsverhältnis überführt werden. Entscheidend ist dabei die IT-Unterstützung. Um den Kundenwert für Vertriebs-, Marketing- und Kundenserviceaktivitäten zu nutzen, muss er in die entsprechenden CRM-, Abrechnungs- und Kampagnensysteme integriert werden und zur weiteren Verarbeitung bereitstehen. Begleitet wird der Implementierungsprozess von einem Change-Management, durch das die Mitarbeiter mit dem Steuerungstool Kundenwert vertraut gemacht werden. Bild 3 zeigt mögliche Anwendungsfelder des Kundenwerts in Vertrieb, Marketing und Kundenservice SONDERDRUCK PDF 7116 aus ew Jg.111 (2012), Heft 20-21, S. 50-53 51 Mögliche anwendungsfelder Identifikation der Kunden, deren Kundenwert durch das Angebot von Produkten mit höherer Marge gesteigert Up-selling werden kann Produktangebote anderer Sparten nur profitablen Kunden anbieten Crossselling personalisierte Kundenbindungsmaßnahmen nur ab bestimmtem Kundenwert Kundenbindung BeschwerdeKundenwert management Kundenservicemitarbeiter sieht Kundenwert bei Kundenanruf und kann entsprechend reagieren, z. B. mit Vergabe von Beschwerdeboni Kundenrückgewinnung Rückgewinnungsmaßnahmen nur für profitable Kunden 41759.3 Bild 3. Anwendungsfelder des Kundenwerts in Vertrieb, Marketing und Kundenservice Kundenwertampel Kunde mit niedrigem Kundenwert: kein alternativangebot Kunde mit mittlerem Kundenwert: alternativangebot Kunde mit hohem Kundenwert: aussetzen der Preiserhöhung 41759.4 Bild 4. Kundenwertampel mit Handlungsempfehlungen im Überblick. Da Preiserhöhungen Energieversorger immer wieder vor die Herausforderung stellen, das finanzielle Gleichgewicht zwischen Kunden, die trotz Preiserhöhung bleiben und potenziellen Kündigern zu halten, sind hier effiziente Kundenbindungsmaßnahmen wichtig. Ziel sollte dabei sein, mit dem Steuerungstool Kundenwert die wertvollen Kunden zu identifizieren und zu binden. Bei Kunden mit geringerem Kundenwert kann das kaufmännische Risiko, sie im Zuge von Preismaßnahmen zu verlieren, eher hingenommen werden. Bei Preisanpassungen im Sondertarif- 52 bereich empfiehlt sich eine Segmentierung und Behandlung der Kunden anhand des Kundenwerts. Kunden mit niedrigem Kundenwert bekommen weder mit dem Preiserhöhungsschreiben noch bei Beschwerden ein alternatives Angebot. Kunden im Segment mit mittlerem Kundenwert erhalten ein Alternativangebot, z. B. ein Produkt mit höherem Ökostromanteil als ihr bisheriges Produkt im gleichen (angepassten) Preisniveau. Bei besonders wertvollen Kunden kann zusätzlich bei Kontaktaufnahme mit dem Kundenservice und einer möglichen Beschwerde gege- SONDERDRUCK PDF 7116 aus ew Jg.111 (2012), Heft 20-21, S. 50-53 benenfalls die Preiserhöhung zurückgenommen werden. Das bestehende Preisniveau kann beibehalten werden. Zur unkomplizierten Betreuung der Kunden sollte im KundenserviceFrontend ein Ampelsystem integriert werden, das den Kundenbetreuern einen schnellen Überblick über das Kundenwertegment und die daraus abgeleitete Handlungsempfehlung bietet (Bild 4). Erfolgsfaktoren bei der Implementierung des Kundenwerts als Steuerungstool Der identifizierte Kundenwert muss von den Mitarbeitern des Energieversorgers »gelebt« werden. Damit dies gelingt, müssen grundlegende Herausforderungen in den Bereichen Strategie und Unternehmenskultur, Organisation und Prozesse sowie IT-Systeme und Daten bewältigt werden. Kundenwert muss gelebt werden Ist die Bedeutung des Kundenwerts als Steuerungstool nicht auf oberster Managementebene verankert, fehlt die Durchsetzungsfähigkeit notwendiger Maßnahmen prozessualer, organisatorischer und IT-technischer Art. Zudem muss über ein effektives Changemanagement der Wandel zur kundenwertorientierten Unternehmenskultur unterstützt werden. Alle Mitarbeiter sollten entlang der gesamten Kundenkontaktkette ihr Denken und Handeln am Kundenwert ausrichten. Gemeinsam zur Effizienzsteigerung Da Konzeption, Ermittlung und Implementierung des Kundenwerts neben dem Vertrieb auch die Abteilungen Marketing, Kundenservice, Controlling, Business Intelligence und IT betreffen, bedarf es einer abteilungsübergreifenden Abstimmung der Prozesse. Hier ist eine kla- re Definition der Rollen und Verantwortlichkeiten notwendig. Business Intelligence berechnet den Kundenwert, die IT sorgt für die Umsetzung in den Systemen und im Marketing, Vertrieb und Kundenservice findet eine Integration in Vermarktungs- und Akquiseaktivitäten statt. Ein weiterer Brennpunkt ist die effiziente Erfolgskontrolle. Eine erfolgreiche Steuerung mit dem Kundenwert erfordert die kontinuierliche Überprüfung des entwickelten Modells sowie seiner Umsetzung zur Identifikation eines notwendigen Anpassungsbedarfs. Information per Mausklick erfolgsfaktoren • Toplevel Commitment • Schaffung einer kundenwertorientierten Unternehmenskultur • gemeinsame Entwicklung Strategie und Abstimmung eines und UnternehmensKundenwertmodells kultur • klare Rollen und Verantwortlichkeiten bei abteilungsübergreifenden Prozessen • Anpassung der Prozesse Organiund Definition von sation Standards und Prozesse • Erfolgskontrolle des erfolgsModells und der Prozesse faktoren • Sicherstellung der schnellen Verfügbarkeit der Kundenwertkennzahlen in den Abteilungen • Lieferung stets aktueller Kundenwertkennzahlen • Gewährleistung der Validität der Daten IT-Systeme und Daten • Identifikation, Selektion und Nutzung der möglichen Datenquellen (intern/extern) • Nutzung eines Data Warehouse zur zentralen Verfügbarkeit der Input-Daten • automatisierte Berechnung 41759.5 Bild 5. Erfolgsfaktoren für die Implementierung einer Kundenwertanalyse Die Technologie stellt neben der konzeptionellen Entwicklung des Kundenwerts die Grundlage für die Implementierung in Vertriebs-, Marketing- und Kundenserviceprozessen dar. Der Kundenwert muss leicht abrufbar und aktuell zur Verfügung stehen. Dazu ist ein Data Warehouse notwendig, in dem die Kundendaten zusammengeführt und nutzbar gemacht werden sowie eine Automatisierung der Berechnung stattfindet. Zwei elementare Faktoren prägen Qualität des Kundenwerts Zwei elementare Faktoren prägen die Qualität des Kundenwerts: zum einen die Qualität des Rechenmodells mit seinen Annahmen, zum anderen die Qualität der Inputdaten. Ohne entsprechende Kundendaten lässt sich der Kundenwert nicht ermitteln bzw. existiert keine valide Ausgangsbasis. Oft ist den Energieversorgern nicht bewusst, welche Kundendaten in ihren Datenbanken vorhanden sind oder Investitionen die notwendig sind, um Datenlücken durch Zukauf oder gezielte Abfrage beim Kunden zu schließen, erscheinen zu hoch. Bild 5 fasst die Erfolgsfaktoren für die Implementierung des Kundenwerts als Steuerungstool zusammen. Fazit Im Zuge der steigenden Wettbewerbsintensität und immer häufiger auftretender Ergebnislücken bei Energieversorgern empfiehlt sich eine wertorientierte Steuerung der Vertriebs-, Marketing- und Kundenserviceaktivitäten. Zwei praxisbewährte Steuerungstools sind der gegenwartsbezogene Kundendeckungsbeitrag sowie der zukunftsorientierte Customer Lifetime Value. Beide Modelle unterscheiden sich neben der zeitlichen Betrachtungsperspektive vor allem in Umfang und Komplexität bei der Ermittlung. In Abhängigkeit vom Reifegrad der Vertriebs-, Marketing- und Kundenserviceorganisation sowie der Datenlage des Energieversorgers muss sich in Zukunft eines der Tools als feste Steuerungsgröße etablieren und richtungsweisende Impulse in der Kundenbearbeitung geben. Da der Kundendeckungsbeitrag Teil des Customer Lifetime Values ist, bietet es sich für Energieversorger an, beim Aufbau eines Steuerungs- systems anhand der Kennzahl Kundenwert zunächst den Kundendeckungsbeitrag zu definieren und zu berechnen. Anschließend kann sukzessive die Datenlage zur Entwicklung einer individuellen CustomerLifetime-Value-Formel ausgebaut werden. Literatur [1]Cornelsen, J.: Kundenwertanalysen im Beziehungsmarketing, 2000. [2]Schneider, N. C.: Kundenwertbasierte Effizienzmessung, 2007. [2]Homburg, Ch.; Schäfer, H.; Schneider, J.: Sales Excellence. Vertriebsmanagement mit System, 2007. (41759) [email protected] [email protected] www.bearingpoint.com SONDERDRUCK PDF 7116 aus ew Jg.111 (2012), Heft 20-21, S. 50-53 53
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