PREDIGT in der Christmette in Püttlingen, St. Sebastian, am Heiligabend 2015 Schriftlesungen der Heiligen Nacht Liebe Schwestern und Brüder! weil in der Herberge kein Platz für sie war … Diesen Halbsatz aus dem Weihnachtsevangelium kann man in diesem Jahr nicht übergehen. Denn wie könnte jemand in diesem Jahr die Weihnachtsbotschaft hören, ohne zugleich an die unzähligen Menschen zu denken, die gezwungen sind, aufgrund von Terror, Krieg und Zerstörung ihre Heimat zu verlassen, ohne zu wissen, ob sie „Herberge“, das heißt Aufnahme finden in den Ländern, in die sie fliehen. Menschen verlassen ihre Heimat, ohne zu wissen, ob sie dort, wo sie ankommen, überhaupt willkommen sind, oder ob ihnen dort die Botschaft entgegenschallt: Wegen Überfüllung geschlossen! Vor einigen Jahren konnten wir es uns noch leisten, die näheren Umstände der Geburt Jesu, so wie sie der Evangelist Lukas schildert, als bloß geschichtliche Notiz oder sogar als legendenhafte Beschreibung zu verstehen. Heute können wir uns Weihnachtsdarstellungen gar nicht anschauen, ohne dass sich die aktuellen Bilder von Familien, die auf der Flucht sind, darüber legen. Wir brauchen vor den Krippen nur einen Moment die Augen zu schließen, und wir sehen die Bilder von Familien mit kleinen Kindern, erschöpft und zugleich voller Erwartung auf Hilfe. Es sind ja längst nicht mehr bloß junge Männer, die aus ihrer Heimat fliehen und zu uns kommen. weil in der Herberge kein Platz für sie war … Für die heilige Familie ist die fehlende Unterkunft in der Heiligen Nacht nur der Auftakt für das, was noch kommen wird: Der Evangelist Matthäus berichtet davon: König Herodes sieht durch das Neugeborene seine Macht bedroht. Er trachtet dem Kind nach dem Leben. Deshalb flieht Josef mit der Familie nach Ägypten (Mt 2), um dort auszuharren, bis sich die Situation wieder ändert. Damals wie heute sind Menschen auf der Flucht vor Diktatoren und Fanatikern. Liebe Schwestern und Brüder, ist es nicht erstaunlich und erschreckend zugleich, wie nahe die Weihnachtserzählung an der heutigen Realität ist? Und das trotz aller gefühlsseligen Übermalungen, die diese Geschichte immer wieder von neuem erfährt, trotz all des Kitschs, der sich an Weihnachten angelagert hat, all der Verniedlichungen … Aber wenn wir nur ein wenig mit wachem Herzen auf die Geschichte schauen, dann fällt der Kitsch sehr schnell ab, und wir sind mittendrin in der ungeschminkten Realität. Und noch etwas kommt hinzu: Ist es nicht irgendwie auch bestürzend, dass gerade die Regionen unserer Welt, in denen die Wurzeln des biblischen Glaubens liegen, bis heute und wieder derart von Hass, Zerstörung, Not und Verzweiflung betroffen sind: Der Irak: das Heimatland des Abraham und das Land des babylonischen Exils; Syrien: das Land, in dem die junge Kirche besonders gewachsen ist; und natürlich das Heilige Land selbst, das nach wie vor Brennpunkt blutiger Konflikte ist trotz der Sehnsucht nach Frieden. Aber, liebe Schwestern und Brüder, auch wenn uns die schmerzliche Realitätsnähe des Weihnachtsevangeliums in die Augen springt, so will das Evangelium selbst doch keine Problemgeschichte sein. Es will zuerst und vor allem das sein, was sein Name sagt: Evangelium, Frohbotschaft, eine Geschichte des Gelingens. Der Engel erscheint nicht, um den Hirten ein neues Problem zu verkünden, sondern eine große Freude. Worin besteht diese Freude? Der Engel sagt: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr.“ (Lk 2,11) Doch was bedeutet das? Wie können wir das verstehen? Mit seiner Botschaft will der Engel den Hirten sagen: Gott macht seine Verheißung wahr. Er ist der Immanuel, der Gott mit uns. Er kommt selbst in diese Welt. Gott ist nicht misstrauisch auf sich selbst bedacht. Er wacht nicht argwöhnisch darüber, dass die Grenzen zwischen Gott und Mensch nur ja nicht verwischt werden. Im Gegenteil: Gott, der selbst der Grenzenlose ist, überschreitet die Grenze zum Menschen, indem er selbst Mensch wird. Das ist der Grund für die weihnachtliche Freude. Aber zu ihr gehört zugleich die Freude darüber, dass Gott Menschen findet, die seinem Plan, seinem Kommen zustimmen: allen voran Maria, aber auch Josef, ihr Mann, der zu ihr steht. Maria und Josef sind bereit, Gott aufzunehmen, ihm und seinem Wirken in ihrem Leben Raum zu geben, nicht allgemein und abstrakt, sondern sehr konkret, so konkret, dass Gott ein Mensch wird aus Fleisch und Blut und einem unverwechselbaren Gesicht, dem Gesicht des Jesus von Nazaret. Wenn man das bedenkt, liebe Schwestern und Brüder, dann erscheint die Herbergssuche von Josef und Maria wie eine Nebensache. Die Hauptsache ist: Gott hat Herberge und Aufnahme gefunden im Menschen. Das ist die Hauptsache. Das ist die Freude der Heiligen Nacht: Gott kommt, und er steht nicht vor verschlossener Tür. Er klopft nicht umsonst an dieser Welt an. Als er kommt, ist diese Welt nicht vollkommen verschlossen und abgeschottet, sind ihre Grenzen nicht vollkommen dichtgemacht. Nein, da gibt es die offene Tür, die offenen Herzen von Maria und Josef. Sie sind bereit, Gott Einlass zu gewähren und ihn aufzunehmen. Und das Großartige ist: Dabei bleibt es nicht. Die Offenheit von Maria und Josef zieht Kreise: Es kommen die Hirten. Es kommen die Könige. Auf den Ruf Jesu hin werden die zwölf Apostel kommen, werden Menschen kommen, die Jesu Botschaft hören und ihm folgen. Und diese Bewegung geht nach der Auferstehung Jesu weiter. Dann erst recht. Sie wird sich durch die Kirche in die ganze Welt hinein fortsetzen. So ist sie bis zu uns gelangt. Was in einem Menschenherz begonnen hat, setzt sich in ungezählten fort. 2 Und diejenigen, die sich Gott öffnen, die seine Botschaft aufnehmen, dürfen die wunderbare Erfahrung machen: Nicht nur ich bin es, der Gott einen Platz in seinem Leben gewährt. Vielmehr noch ist er es, der mir Platz bei sich gibt. Ich darf mich bei ihm auf- und angenommen fühlen. Die große Kirchenlehrerin Hildegard von Bingen hat es in das berühmte Wort gefasst: „Gott wurde Mensch, damit der Mensch Heimat habe in Gott.“ Das ist das Geschenk der Weihnacht. Das ist der wunderbare Tausch, von dem die frühen Christen gesprochen haben: Wir meinen, dass vor allem wir es sind, die Gott einen Platz in ihrem Herzen geben, aber wir können es nur, weil wir schon längst einen Platz in seinem Herzen haben! Liebe Schwestern und Brüder! Wer das erfährt, wer das glauben kann, dessen Lebensgefühl verändert sich. Denn er weiß sich in einer Weise aufgehoben und getragen, die wir Menschen uns einander nicht geben können. Wer weiß, dass er Heimat hat in Gott, einen unverlierbaren Platz hat bei ihm, der braucht nicht dauernd ängstlich um sich selbst zu kreisen, der braucht sich nicht misstrauisch gegenüber anderen abzugrenzen aus Angst, sich selbst zu verlieren. Wer sich in Gott beheimatet weiß, der kann anderen mit einer ungeahnten Freiheit und Großzügigkeit begegnen. Weil in der Herberge kein Platz für sie war, deshalb bringt Maria das Kind in einem Stall zur Welt und legt es in eine Krippe. Ob Maria und Josef sehr darunter gelitten haben, dass alle Unterkünfte in Bethlehem ausgebucht waren? Vielleicht konnten sie es sogar mit einer gewissen Gelassenheit nehmen, weil sie um den Platz wussten, den sie längst bei Gott hatten? Jedenfalls geschieht in dieser Nacht das ganz und gar Erstaunliche: Der Stall wird zum Anziehungspunkt für viele. Er wird zur wahren Herberge, zum Haus, das Gott selbst uns Menschen bereitet. Dieses Haus steht offen für alle. Es ist das Haus, in dem wir uns alle als Kinder des einen Vaters, als Schwestern und Brüder verstehen dürfen. Amen. 3
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