Geduld, Fingerspitzen- gefühl und klare Ansprache

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BEHINDERTENSCHWIMMEN
zengefühl. „Klare Ansprache mit Signalwörtern,
immer wieder die gleichen Ansagen, Inhalte in
kleinen Schritten und ohne Überforderung vermitteln sowie eine gewisse Ritualisierung in den
Abläufen – das gibt den Sportlern die Sicherheit,
die sie brauchen.“
Auch ganz einfache Tätigkeiten
müssen geübt werden
(v.l.) Katharina Ganz und Janina Breuer.
Geduld, Fingerspitzengefühl und
klare Ansprache
„Viele Dinge muss man einfach üben, üben,
üben“, erklärt Maik Zeh, „irgendwann sitzt das
schon, was man erreichen möchte“. Zeh ist Trainer beim Berliner Schwimmteam und hat dort unter anderem Janina Breuer in seiner Trainingsgruppe. Die 17-Jährige startet in der Klasse S14,
und damit in der Klasse für Schwimmerinnen und
Schwimmer mit geistiger Behinderung. Als geistig
behindert gelten diejenigen mit einem IQ-Wert
von 75 oder geringer und die Einschränkungen
des sozial-adaptiven Verhaltens aufweisen, wobei die Behinderung vor dem 18. Lebensjahr eingetreten sein muss.
Maik Zeh kann gut damit umgehen. „Wichtig
ist, dass man ruhig bleibt und viel Geduld sowie
Verständnis aufbringt. Manches muss man eben
zwei- oder dreimal erklären. Es ist ja nicht so,
dass die Athleten es absichtlich nicht verstehen“, weiß der Coach. Janina Breuer jedenfalls
sei bestens in die Trainingsgruppe in Berlin integriert – und hat sich zuletzt sogar so gut entwickelt, dass sie sich auch Hoffnungen auf eine
Teilnahme an den Paralympischen Spielen in Rio
de Janeiro machen darf. Der Traum von Rio war
auch der Grund, weswegen sie ihre Heimat
Karlsruhe (Durlacher SV / SGRK), wo sie bereits
unter guten Bedingungen trainiert hatte, Richtung Berlin verlassen hat.
2014 gehörte Janina Breuer bereits dem deutschen Team bei den Europameisterschaften an,
musste nach einigen „Seuchenmonaten“ allerdings auf die WM in diesem Jahr verzichten. Ob
es für Rio tatsächlich reichen könnte, ist noch offen. Sie besucht eine Eliteschule des Sports, wird
dort schulisch speziell gefördert und trainiert unter Top-Bedingungen – eine gute Struktur, um
sich optimal zu verbessern. Allerdings: „Die
Startklasse S14 entwickelt sich extrem schnell“,
sagt Zeh.
Fotos (2): D. Paschke
Startklasse für Menschen mit
geistiger Behinderung seit
London wieder paralympisch
Doch auch abgesehen vom Sport ist eine intensive Begleitung erforderlich. „Man muss auch die
Abläufe bei Wettkämpfen einüben“, sagt Marquardt. „Auch ganz einfache Tätigkeiten, beispielsweise, wie komme ich in ungewohnter Umgebung von A nach B, wann nehme ich Essen und
Trinken zu mir, wann gehe ich zum Einschwimmen, wo lege ich meine Sachen ab.“ Und dabei
stets aufpassen, dass die Athleten die Konzentration auf den Wettkampf nicht verlieren.
So ist der Aufwand, der geleistet werden muss,
nicht unerheblich, doch vor allem lohnenswert –
trotz Rückschlägen. „Ich finde es auch gut und
wichtig, wenn Sportler mit geistiger Behinderung gemeinsam mit anderen trainieren und
voneinander profitieren“, sagt Birgit Marquardt.
Und Maik Zeh vom Berliner Schwimmteam findet: „Wenn man sich an manches gewöhnt hat,
ist die Zusammenarbeit eigentlich recht entspannt.“ Und vielleicht hat er ja mit Janina Breuer sogar eine Athletin bei den Paralympics in Rio
dabei.
Kevin Müller
Die Startklasse für Menschen mit geistiger Behinderung gehört erst seit London 2012 wieder zum
paralympischen Programm. Für das deutsche
Team war damals André Lehmann mit im Aufgebot. „Er hat sich danach etwas zurückgezogen.
Vielleicht ist ihm der ganze Rummel etwas zu viel
geworden“, vermutet Birgit
Marquardt, die seit 2010
als Sonderpädagogin zum
erweiterten Kreis der Nationalmannschaft zählt. Solche Entscheidungen und
auch Rückschläge gehörten
dazu, wenn man mit Menschen mit intellektueller
Beeinträchtigung zusammen arbeite, weiß Marquardt, die auf nationaler
Ebene Klassifiziererin für
diese Startklasse ist und an
der Sportschule in Potsdam
als Sonderpädagogin tätig
ist.
Aus ihren langjährigen Erfahrungen weiß sie: Je
nach Ausprägung der geistigen Behinderung übernimmt der Trainer eine
ganz spezielle Rolle und ist
manchmal auch rund um
die Uhr im Einsatz. „Ohne
eine besondere Betreuung
geht es in der Regel nicht.
Denn wenn die Athleten
nicht wissen, was genau
sie machen sollen, dann
können sie sportlich auch
nicht viel erreichen“, sagt
Marquardt. Das erfordere Birgit Marquardt (re. hinten) mit Athleten
Geduld und viel Fingerspit- beim Nachwuchslehrgang.
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Team heraus. Das ist toll zu verfolgen und macht
großen Spaß.“ Neben insgesamt 25 Kilometern
im Wasser, die zurückgelegt wurden, und einigen
leistungsdiagnostischen Tests gab es zum Abschluss die Teilnahme an einem Wettkampf in der
Erfurter Schwimmhalle. Das Ergebnis konnte sich
sehen lassen: Trotz des harten Trainings sind noch
einige neue Bestzeiten herausgesprungen. So
ging es platt und müde, aber dennoch richtig zufrieden und stolz zurück nach Hause.
Zwischen „Familienfest“
und Rio-Vorbereitung
Das Lehrgangsteam in Erfurt.
Ein Team mit
großem Potenzial
Viel geschlafen haben die 13 Nachwuchsschwimmer beim Lehrgang in Erfurt nicht. „Wir haben
teilweise schon um 6 Uhr morgens mit dem Training begonnen“, berichtet Lukas Niedenzu, Nachwuchsbeauftragter der Abteilung Schwimmen im
Deutschen Behindertensportverband. Doch war es
ja auch nicht das Ziel, möglichst viel Zeit im Bett
zu verbringen. Vielmehr ging es um die Entwick-
Foto: L. Niedenzu
lung der 12- bis 17-jährigen Talente. Und die kann
sich sehen lassen. „Die Leistungen werden immer
besser, die Trainingsumfänge größer. Anhand der
Tests können wir sehen, dass wir uns auf einem
guten Weg befinden“, betont Niedenzu. Es habe
sich ein Kern an Schwimmerinnen und Schwimmern herauskristallisiert. „Die haben wirklich Potenzial und können es vielleicht mal schaffen, an
internationalen Wettkämpfen teilzunehmen“, so
Niedenzu, der die Gruppe beim Lehrgang in Erfurt
gemeinsam mit Annett Juvier betreute.
Doch nicht nur die individuelle Entwicklung
verläuft gut. „Es bildet sich auch ein richtiges
Weniger als zehn Monate vor den Paralympischen
Spielen in Rio de Janeiro finden in Remscheid
(NRW) vom 20. bis 22. November 2015 die Deutschen Kurzbahnmeisterschaften unter Schirmherrschaft von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft statt. Einerseits ist es der traditionelle
Saisonauftakt und das Treffen der großen
Schwimm-Familie, andererseits trifft der Nachwuchs auf seine Idole. Und für die Athleten der
Nationalmannschaft ist es ein erster Prüfstein,
wie es um die Form steht, nachdem in den vergangenen Wochen und Monaten vor allem
Grundlagen gelegt wurden. So sind die DKM, die
von der SG Remscheid ausgerichtet werden, eine
besondere Veranstaltung, vereinen sie doch sowohl den Breitensport als auch den paralympischen Spitzensport.
Kevin Müller
SPORTLER AUF
AUGENHOHE.
Torben und André zeigen, was Inklusion ist:
eine Selbstverständlichkeit.