Seite 1 Dokument 1 von 1 Die Welt Mittwoch 11. November 2015 Keynes gut, alles gut? AUTOR: Dirk Meyer RUBRIK: FORUM; Gastkommentar; S. 6 Ausg. 263 LÄNGE: 625 Wörter Die Flüchtlingskrise eint die Forschungsinstitute: Das arbeitgeberfinanzierte Institut der deutschen Wirtschaft (IW), das DGB-nahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) sowie das regierungsberatende Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sehen die Ausgaben als ein kleines keynesianisches Konjunkturprogramm. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) schätzt den Effekt für dieses Jahr auf 0,2 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP): Ausgaben pro Flüchtling von 13 Tsd. Euro/Jahr ergeben bei 800.000 Zuwanderern Mehrausgaben von zehn Mrd. Euro. Soweit die Theorie. Allerdings verschweigen die Institute wesentliche Dinge. Zunächst: Ein Wachstum von 0,2 % bei einem Anstieg der Bevölkerung von einem Prozent bedeutet sinkenden Wohlstand pro Kopf. Außerdem trifft die Annahme freier Kapazitäten vielfach nicht zu. Container, Wohnraum, Sprachlehrer, Sicherheitspersonal und Catering sind sehr knapp geworden. Die Ausgaben verpuffen in Preissteigerungen oder schlechterer Versorgungsqualität. Gerade Wohnraum für sozial Schwache und Studierende wird noch teurer. Statt Auslastung von Wohnungsleerständen kommt es zu Zwangsrekrutierungen von Wohnraum durch neu geschaffenes Enteignungsrecht. Auch dank der Gesundheitskarte für Flüchtlinge ergeben sich Engpässe in Klinken und bei Ärzten. Eine schlechtere Qualität dürfte mittelfristig die Versorgung in Schulen und Kitas betreffen. Fehlinvestitionen durch Billigbauten, deren Konzentration zu sozialen Brennpunkten führt, stellen langfristige Gefahren dar. Ebenso drohen hier wie auch bei der Lehrerausbildung sogenannte Schweinezyklen mit der Folge von künftigen Überangeboten und Kapitalfehllenkungen. Die Schaffung von Wohnraum, Investitionen in die mehrheitlich schulisch und ausbildungsmäßig unterversorgten jungen Flüchtlinge sowie die Errichtung neuer Arbeitsplätze haben zudem einen immensen Kapitalbedarf als Voraussetzung. Das wird der Bevölkerung fehlen. Der Stau an öffentlichen Infrastrukturinvestitionen wird fortbestehen und die Modernisierung unserer Volkswirtschaft auf die lange Bank geschoben. Zudem steht die ökonomisch-gesellschaftliche Rentabilität der Verausgabungen bei Mindestlohn und hoher sozialer Unterstützung der Migranten infrage. Vielmehr dürfte es zu einer Umverteilung zulasten der vorhandenen Bevölkerung kommen. Das BIP dürfte zwar tatsächlich steigen, das Einkommen pro Kopf jedoch sinken. Da Flüchtlinge langfristig unterdurchschnittlich zum BIP beitragen werden, wird eine ökonomische Win-win-Situation daher eher unwahrscheinlich. Selbst der Mythos, die Migranten würden die demografische Lücke füllen können, dürfte sich als falsch erweisen. Eine selbsttragende Rente setzt im Regelfall 45 Beitragsjahre voraus. Die kurzfristige Diskussion um konjunkturelle Effekte blendet die langfristige Finanzierung aus. Derzeit wird der Eindruck vermittelt, die zehn Mrd. Euro "seien über". Zum einen dürften die Belastungen angesichts des Kapitalbedarfes für die Versorgung der Flüchtlinge langfristig stark unterschätzt sein. Zum anderen läuft die Seite 2 Keynes gut, alles gut? Die Welt Mittwoch 11. November 2015 Konjunktur in Deutschland derzeit gut. Die Überschüsse könnten sich demnächst in Defizite verwandeln. Will man die Schuldenbremse nicht lösen, bleiben nur Haushaltsumschichtungen oder ein Flüchtlingssoli. Da letztere Finanzierungen die Kosten offensichtlich werden lassen, dürfte die Aufgabe der Schuldenbremse einvernehmlich beschlossen werden. Eine Einladung auf Kredit, aber ohne demokratische Legitimation und rechtliche Grundlage kann auch nicht durch fragwürdige ökonomische Prognosen geschönt werden. Der Autor arbeitet am Lehrstuhl für Ordnungsökonomik des Instituts für Volkswirtschaftslehre der Helmut-Schmidt-Universität (Bundeswehr) Hamburg UPDATE: 11. November 2015 SPRACHE: GERMAN; DEUTSCH GRAFIK: HSU PUBLICATION-TYPE: Zeitung ZEITUNGS-CODE: WE Copyright 2015 Axel Springer AG Alle Rechte vorbehalten
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