Harald Prokosch, Platz 3 Meine sehr verehrten Damen und Herren

Harald Prokosch, Platz 3
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
als ich neulich an meinem Schreibtisch saß, und darüber nachdachte, mit
welchen Gedanken und Aussagen ich heute zu Ihnen spreche, da lag vor mir
ein Notizblock, und ich kritzelte während des Nachdenkens einige Stichworte
auf das Blatt Papier.
Wie Sie alle habe auch ich natürlich in den vergangenen Monaten viel gelesen
über die Vertrauenskrise in die Manager insgesamt, über Selbstbedienungsmentalität und Gehälterdiskussion, über Spitzelaffären und Bankenkrise - die
herausragenden Negativ-Beispiele haben wir ja alle noch vor Augen.
Ich schrieb einige Namen auf das Papier, und dachte darüber nach, was den
einen oder anderen bewogen haben mag, sich so zu verhalten, wie er es
getan hat – womit er schließlich nicht nur seinen eigenen Ruf, sondern den
eines ganzen Berufsstandes beschädigt hat. Karrieren sind darüber
zerbrochen, Vertrauen ist verloren gegangen, persönlicher Respekt und auch
die Achtung vor so manchem.
Ich notierte „Achtung“ – und schaute immer wieder auf diesen Begriff. Dann
sah ich plötzlich ein anderes Wort – sozusagen ein Wort hinter dem Wort –
und dafür musste ich nur zwei kleine Pünktchen über dem A setzen – aus
Achtung wurde Ächtung.
Eine winzige Manipulation, und schon verkehren sich Respekt und
Bewunderung ins komplette Gegenteil.
Meine Frage an Sie alle: Was ist schief gelaufen bei uns – und vor allem: wie
bekommen wir das wieder hin?
Ich will Sie wirklich nicht mit Zahlen langweilen. Es ist eigentlich auch egal,
wo Sie nachschlagen – wenn es um Befragungen geht, in denen die
schwindende Reputation der Wirtschaft evaluiert wird, sind die Ergebnisse
verheerend.
War es früher so, dass die Bundesbürger der Politik das geringste Vertrauen
entgegenbrachten, so rangieren nach neuesten Untersuchungen die großen
Wirtschaftsunternehmen sogar deutlich dahinter.
Viel interessanter dürfte allerdings sein, welche Ursachen diesen NegativTrend in den vergangenen Monaten derart beschleunigt haben. Ist es wirklich
nur die mediale Negativberichterstattung, die Beißlust der Reporter, die nicht
mehr loslassen, wenn sie erstmal ein geeignetes Opfer gefunden haben?
Mir scheint, es gibt noch andere Ursachen – und die müssen wir selbstkritisch
bei uns suchen.
Wir interpretieren und bilanzieren mit großer Sorgfalt zwar unsere Bücher,
unseren geschäftlichen Erfolg oder Misserfolg – aber tun wir dies auch mit
den Umständen und dem Umfeld, das unsere unternehmerischen Aktivitäten
umgibt?
Wir reden hier über das Thema Vertrauensverlust. Vertrauen aber muss
wachsen, und das wiederum hat mit Zeit zu tun - mit Geduld und
Langfristigkeit. Tugenden, die heute leider eher niedrig im Kurs stehen. Dabei
wissen wir alle: gesundes Wachstum kommt ohne Geduld und Langfristigkeit
nicht aus.
Gerade in einer Epoche der permanenten Beschleunigung gilt:
Wer der Schnellste sein will, muss sich viel Zeit nehmen, es zu werden.
Machen wir es uns also nicht zu einfach, wenn unsere Sicht lediglich auf
Helden und Versager fixiert ist? Die Hauptrolle in dem Stück, das sich
gegenwärtig in der Wirtschaft abspielt, wird doch letztlich nicht von Personen
besetzt, sondern von einem Konzept, das sich allmählich zu einer Doktrin mit
fast totalitärem Charakter ausgewachsen hat. Ich spreche von dem nahezu
isolierten Blick auf den Shareholder-Value.
Leitmotiv für globale Kapitalmärkte, Anfeuerungsruf für Firmenlenker,
Lockruf für Geldmanager und Anleger – der Shareholder-Value!
Manch Topmanager empfindet dieses Konzept vielleicht bis heute als Diktat,
dem er sich irgendwie widerstrebend unterordnet. Indes – nahezu alle tun
es. In jedem Fall hat der Shareholder-Value dazu geführt, dass die Energien
vieler Wirtschaftsführer leider fast ausschließlich auf die materielle
Wertsteigerung gerichtet sind, und andere Werte darüber zum bloßen
Beiwerk einer Wachstumsstrategie degradiert wurden.
So manchem Unternehmen hat man seine durchaus gut gemeinten Corporate
Responsibility-Aktivitäten bisweilen als „Strategische Philanthropie“ um die
Ohren gehauen. Können und wollen wir uns das weiterhin leisten?
Falls Sie sich wundern, solche Worte aus dem Mund des scheidenden BDIPräsidenten zu hören, möchte ich Sie gerne ermuntern, genau hinzuhören.
Mein Plädoyer ist keines gegen den Shareholder-Value, sondern gegen die
Einseitigkeit der Zielformulierung. Ein modernes Unternehmen zu steuern, ist
eine Aufgabe mit vielen Facetten. Shareholder-Value, der den Firmen
ursprünglich stabile und langfristige Wertsteigerungen ermöglichen sollte, ist
als Modell von den Aktienmärkten dankbar aufgegriffen worden, gemäß ihren
Spielregeln kurzfristig interpretiert und immer weiter reduziert worden. Übrig
blieben der Quartalsbericht und das Urteil junger, oft praxis-unerfahrener
Analysten.
Als Unternehmenslenker, Mitarbeiter oder Anleger bekommen wir nun die
Quittung für diese Vereinfachungen.
Ich stelle noch einmal die Frage: Bei allem, was schief gelaufen sein mag –
wie bekommen wir das wieder hin?
Vertrauen entwickeln heißt zunächst einmal, ideologische oder systemische
Fehlentwicklungen zu erkennen und zu kontern.
Wir müssen uns kritisch fragen, ob das einseitige und kurzfristig auf
materiellen Wertzuwachs ausgerichtete Denken des vergangenen Jahrzehnts
nicht ein überholtes Modell ist. Zum zweiten müssen wir uns darauf
besinnen, dass immaterielle Werte wie Transparenz, Integrität und
Verlässlichkeit, Qualität, soziale Verantwortung und Nachhaltigkeit gerade im
öffentlichen Urteil ein immer größeres Gewicht bekommen. Die Kollegen in
Unternehmen wie BMW oder Siemens haben das in den vergangenen
Monaten ja schmerzlich lernen müssen, und ich hoffe sehr, dass diese
Lektionen, einmal gelernt, für alle ausreichen.
Wir sollten versuchen, in der Unternehmensführung zu einer Balance von
materiellen und immateriellen Werten zu kommen. Unter dem Begriff
"Wertegeleitete Führungskultur“ sind solche Modelle seit langem bekannt.
Der eine oder andere von Ihnen mag das Thema auf Kongressen oder
Workshops auch bereits kennengelernt haben – für viele ist es Neuland.
Ich blicke wieder auf meinen Notizblock. Neben dem Wort Achtung steht da
der Begriff Vertrauen – und dazwischen ein Gleichheitszeichen. In der
formalen Logik wie in der Mathematik stehen die beiden Strichlein für zwei in
ihrem Wert identische Ausdrücke.
Sie können zwar Aufmerksamkeit kaufen - Kontakte können sie kaufen PR-Berater können Sie kaufen. Aber Vertrauen können Sie niemals kaufen.
Vertrauen müssen Sie sich erarbeiten - durch anhaltende Leistung, durch ein
solides Management, durch fortwährende Innovation, durch beharrliche
Bemühungen um Produktivitätssteigerungen bei gleichzeitig besserer Qualität
- nicht zuletzt aber durch die sorgsame und respektvolle Gestaltung von
Beziehungen.
Und das braucht Zeit – wie eingangs schon erwähnt. Geduld und
Langfristigkeit. Vertrauen basiert auf Glaubwürdigkeit. Worte und Taten
müssen einander entsprechen. Natürlich gehört Moral in die Kostenrechnung
eines Unternehmens. Wer diese Dinge wirklich Ernst nimmt, integriert sie
mittels entsprechender Kriterien in seine Steuerungs- und
Controllingsysteme. Sagen Sie nicht: wie soll das gehen? Sorgen Sie als
Führungskräfte dafür, dass es geschieht!
Ein Zweites: Bilanzen sagen viel über ein Unternehmen. Doch wer Anspruch
und Realität in Übereinstimmung bringen will, muss sich einen genauen,
prüfenden Blick gefallen lassen.
Wie schneidet das Unternehmen im Wettbewerb um Innovation, Qualität oder
Corporate Citizenship ab? Neben den Bilanzzahlen muss ein Unternehmen
auch nachweisen, dass es mit einem ausgewogenen Verständnis von
Strategie und Erfolg gesteuert wird. In der Seefahrt vertrauen die Passagiere
auch nur den Steuermännern, die mit Erfahrung und Können navigieren.
Ich habe von einer aktuellen Untersuchung einer Frankfurter
Kommunikationswissenschaftlerin gelesen. Sie hat sich mit der Frage
beschäftigt, was Manager vereinzelt so gierig oder sogar gewissenlos werden
lässt, dass mitunter sogar die Grenze zur Wirtschaftskriminalität
überschritten wird.
Das Ergebnis macht Staunen: Von den fünf unterschiedlichen Tätertypen, die
die Wissenschaftlerin skizziert hat, erfüllen drei all jene Kriterien, die auch als
unverzichtbare Eigenschaften für Führungskräfte gelten: Ehrgeiz und der
unbändige Wille, etwas zu bewegen, gepaart mit großem Selbstbewusstsein
und geringer Neigung zur Selbstkritik. Die beiden anderen Typen handeln der
Untersuchung zufolge auf Veranlassung durch diejenigen, von denen sie
emotional oder beruflich abhängig sind – also klassische Mitläufertypen. Der
Täter selbst hat nach den Ergebnissen dieser Untersuchung Qualitäten und
Talente wie ein Manager.
Natürlich können Sie jetzt abwehren und sagen, das käme ja nun einer
Pauschalverurteilung aller Führungskräfte in der Wirtschaft gleich. Diesen
Eindruck will ich selbstverständlich nicht erwecken, aber zumindest gibt es
doch Anlass zur kritischen Reflexion, wie weit wir es mit unserem Ehrgeiz
mitunter treiben – oder aber wie weit falsch entwickelter Ehrgeiz uns treiben
kann.
Zuletzt ein Wort aus meiner persönlichen Perspektive des Mittelständlers, der
in den vergangenen Jahren einem Industrieverband mit großen, mittleren
und kleinen Mitgliedsunternehmen dienen durfte.
Es besorgt mich, dass offenbar ein deutlich nachweisbarer Zusammenhang
zwischen dem Vertrauensverlust gegenüber großen Unternehmen und der
Bewertung von Wirtschaftsführern existiert. Die Ludwig-MaximiliansUniversität in München hat herausgefunden, dass das Vertrauen vieler Bürger
in den Mittelstand deutlich höher ausgeprägt ist als das in die großen
Wirtschaftsunternehmen. Vertrauen in "die Wirtschaft insgesamt“ hängt
offenbar stark davon ab, wer als Repräsentant derselben angesehen wird.
In dieser nachdenklich machenden Untersuchung steckt allerdings auch ein
positiver Kern:
Es existiert wohl keine Vertrauenskrise der Wirtschaft im Allgemeinen, wie
dies beispielsweise gegenüber der Politik der Fall ist. Vielmehr konzentriert
sich die Skepsis vieler Bürger auf große Wirtschaftsunternehmen.
Dies zeigt, wo wir ansetzen müssen.
Ich wollte Ihnen, meine Damen und Herren, heute gerne einige Denkanstöße
zu einem Thema geben, das zugegebenermaßen unbequem und manchmal
auch unerfreulich ist, aber gerade deswegen unserer besonderen
Aufmerksamkeit bedarf.
Als Entscheider und Macher haben wir Führungskräfte der Wirtschaft ein
großes Einflußpotenzial – aber Macht bedeutet eben Verantwortung.
Zwischen Achtung und Ächtung liegen nur zwei kleine Pünktchen - und
manchmal braucht es auch kaum mehr vom Erfolg zur Niederlage.
Der französische Schriftsteller Flaubert meinte:
Um sich Achtung zu verschaffen, muss man seine hässlichsten Seiten
hervorkehren.
Nun, wer tut das schon gerne freiwillig? Vielleicht muss man seine
hässlichsten Seiten auch nicht unbedingt hervorkehren. Zumindest aber
sollte man sie kennen und wissen, wie man dagegen angeht.
Das erfordert Selbstdisziplin und Mut – vielleicht sogar die höchste Form von
Mut – nämlich Demut.
Etwas mehr davon täte uns allen gut.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!