Wiedergeburt christlich

Pia Maria Hirsiger, lic.theol.
www.mehrwertundsinn.com
10. Januar 2016
Titus 2,11-14; 3, 4-7; Lk 3,15-16.21-22 Taufe des Herrn
Wiedergeburt christlich
Wenn ein Kind zur Welt kommt in einer Umgebung, die voller Gewalt ist, kriminell, wo Vater und Mutter
lügen, schreien, schlagen, das Kind missbrauchen für ihre Zwecke, es zum Stehlen wegschicken und
zusammenhauen, wenn es nichts nach Hause bringt, wenn das Töten von Menschen normal ist in seiner
Familie, wenn es gedemütigt und zum Nichts gemacht wird – dann findet das Kind das normal.
Es kennt nichts anderes. Wenn in diesem Umfeld derjenige ein Held ist, der sich mit Gewalt am Besten
zu behaupten weiss, dann will es eben auch ein Held werden und fängt an, sich dieses Verhalten
anzueignen. Es übernimmt das Weltbild und das Menschenbild seiner Umgebung.
Die psychologische Forschung hat etwas Erstaunliches herausgefunden:
Selbst wenn das Kind von seinen Eltern zum Nichts gemacht, also in seiner Würde zerstört wird, hängt es
an ihnen. Es liebt sie. Weil seine Eltern die Grundlage seines Lebens sind, weil sie der Wurzelgrund
seiner Existenz sind. Und niemand kann den Boden hassen, in dem er seine Wurzeln hat. Später kann
dann Verachtung oder Hass hinzukommen.
So funktionieren wir als Menschen.
Wenn nun ein solches Kind z.B. in seiner Nachbarschaft erlebt, dass ein anderes Kind eine zärtliche,
liebevolle Mutter hat, die ihm zuhört, die es liebevoll umsorgt und tröstet in seinem Kummer, dass der
Vater sich mit seinem Kind abgibt, sich für es einsetzt, mit ihm etwas unternimmt, es beschützt, seine
Sorgen und Kümmernisse ernst nimmt – dann kann es sein, dass in diesem schwer misshandelten Kind
eine tief verschüttetet Sehnsucht wach wird, auch einen solchen Vater und eine solche Mutter zu haben.
Es könnte passieren, dass dieses Kind sich entscheidet, eines Tages auch ein solcher Vater zu werden,
eine solche Mutter. Es würde begreifen, dass es noch eine ganz andere Art von Leben, ein anderes Weltund Menschenbild gibt. Und es würde in kleinen Schritten sich innerlich distanzieren von dem, was in
seiner Umwelt als normal gilt. Es würde sich ein anderes Verhalten aneignen – unter grossen
Widerständen und enormer Einsamkeit.
Nun erzählt uns die Heilige Schrift eine ähnliche Geschichte über uns Menschen:
Gott wollte uns Menschen die ganze Schöpfung voller Köstlichkeit und Herrlichkeit anvertrauen. Er hat
uns schöpferische Freiheit und eine Aufgabe gegeben. Wir sollen mitwirken an dem, was Gott mit allem
vorhat. Durch die Nähe zu Gott hätten wir eine Vorstellung, was Liebe, Zärtlichkeit, Mitgefühl,
Fürsorglichkeit, schöpferische Liebe und Entwicklung im Licht der Liebe Gottes wäre. Wir hätten das
ganze Potential als Söhne und Töchter Gottes entwickeln können und hätten uns begeistert dazu
entschieden, „wie Gott“ zu werden“, heilig wie er, sein Bild. So wie Kinder werden wollen wie Papa oder
Mama.
Wir wissen nicht, wie das geschichtlich geschehen ist, oder in welcher Dimension das passiert ist, aber
es gab in der Geschichte der Welt eine Art Filmriss. Wir sind jetzt in einem andern Film als der Mensch,
von dem uns die Schöpfungsgeschichte erzählt. Jesus selber bestätigt, dass es diese Realität des
Paradieses gab. Als nämlich die Pharisäer ihn fragten, ob es erlaubt sei für den Mann, einen Scheidebrief
für die Frau auszustellen, sagte er: Im Anfang war es mit Mann und Frau nicht so! (vgl. Mt 19,8). Und
Christus verstand sein Kommen in diese Welt als einen Kampf um den Menschen und seinen Gegner hat
er als Satan bezeichnet. (vgl.z.B. Joh 14,30 oder 12,31)
Wenn wir ohne Gott in dieser Welt leben, sind wir wie die Kinder, die im kriminellen Milieu aufwachsen:
Wir finden normal, was uns umgibt. Wir finden normal, wie man uns behandelt: als ein Rädchen im
System; als Arbeitstier, als Konsument; wir finden normal, was uns die Medien vorbeten und uns als
Paradies vorstellen: Das Paradies auf der Insel. Leben wie Gott in Frankreich. Ein Leben möglichst ohne
Anstrengung - lassen sie ihr Geld arbeiten. Werden sie selber ein kleiner Gott, dem alles gehört und dem
die ganze Welt gehört. Profitieren Sie, lassen sie sich ihren Vorteil nicht entgehen - alles gratis! Für Sie.
Bezahlen tun es die Wehrlosen und die Schwächsten.
Vor vierzig Jahren galt Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit im Geschäftsleben noch als vorteilhaft und
erstrebenswert. Heute heisst es: Geiz ist geil. Ich bin doch nicht dumm!
Wir treiben unsere Kinder an, das zu leisten, was die Wirtschaftswelt fordert. In Deutschland muss fast
jedes 20. Kind Ritalin schlucken, weil es nicht ins Schulsystem passt.
Wir leben so, dass wir keine Zeit haben, die Dinge selber zu durchdenken in ihrer letzten Konsequenz
und deshalb sind wir verführbar.
Die Heilige Schrift erzählt uns nun die grosse Story, wie Gott selber in das kriminelle Milieu der Welt
einsteigt. Er lebt mittendrin, allem ausgesetzt und schafft damit eine ungeheure Spannung. Nun wird
plötzlich erkennbar, dass auch ein anderes Leben möglich ist als das, was normal scheint.
Er lebt ein anderes Verhalten vor, macht einen andern Geist erfahrbar, verwirklicht andere Ziele und
Werte, erzählt von ganz anderen Möglichkeiten und hilft, sie zu verwirklichen.
Einige Leute lassen sich von ihm inspirieren und fangen dieses andere Leben an. Andere wollen nichts
davon wissen, es lässt sie kalt oder die Mafia fängt an, diesen Störenfried zu hassen, weil er ihr das
Geschäft kaputt macht, weil die Leute nicht mehr kuschen, weil sie den Mut haben, das Schutzgeld nicht
mehr zu bezahlen oder sich nicht mehr ihrer Machtausübung zu unterordnen. Deshalb bringen sie ihn
um.
Doch dieser Gott ändert sein Konzept nicht. Er bleibt bei der Liebe und nach seinem Tod geht es erst
recht los. Er hat eine neue Form seiner Gegenwart geschaffen. Er wohnt nun mit seiner ganzen
Lebensfülle im Innern eines jeden Menschen, der ihn aufnimmt. Er führt jeden Menschen heraus aus der
inneren und äusseren Sklaverei dieser Welt, aus allem, was noch unerlöst ist. Und er baut in denen, die
es zulassen, eine Vollmacht auf, eine Vollmacht des Lebens und Liebens.
Gott stellt in Christus all das wieder her, was er in diesem geheimnisvollen „Anfang“ von dem in der
Heiligen Schrift die Rede ist, mit der Schöpfung und dem Menschen gemeint hat. Er gibt uns ein neues
Welt- und Menschenbild, die Mittel zum Werden, Raum und Schutz, Verständnis und Erbarmen, und mit
all dem kann sich unsere seelische Prägung aus unserer „kriminellen Vergangenheit“ verwandeln, wir
können uns prachtvoll entwickeln als seine Söhne und Töchter. Das ist die Story der Heiligen Schrift, die
Story des heutigen Festes. Das meint Taufe als Wiedergeburt aus dem Wasser, Rettung aus dem Tod,
Erneuerung im Heiligen Geist.