K 317 32 Zum 50. Todestag von Bertolt Brecht Wir dokumentieren die Rede, die Gen. Corell auf der Feier in Nürnberg anlässlich des 75. Geburtstags von Hanne Hiob-Brecht gehalten hat „Frühling wurd’s im deutschen Land. Über Asch’ und Trümmerwand flog ein erstes Birkengrün Probweis’, delikat und kühn! (Bertolt Brecht, Der Anachronistische Zug oder Freihit und Democracy) Liebe Hanne, liebe Freunde, der Arafat bringt’s auf den Punkt: Umarmen möchte man Dich und ganz fest drücken. Und es soll ein stürmischer Dank sein an diese kleine, zierliche, eher zerbrechlich wirkende Frau, in der so große, ungehobelte und eiserne Unversöhnlichkeit ist, Unversöhnlichkeit gegen alles Reaktionäre, gegen alles, was sich in dieser Republik aufgestaut hat an Nationalismus und Chauvinismus, an rassistischem Dünkel und spießbürgerlicher Feigheit und Brutalität, Unversöhnlichkeit gegen die Dumpfheit, die wieder bereit ist, sich nach dem Anschluss der DDR, wie entfesselt über Europa und seine Völker zu ergießen. Aus Stuttgart, von einem Stuttgarter Dichter, habe ich Dir einen besonderen Gruß mitgebracht: „Und wo es noch Tyrannen gibt, die laßt uns keck erfassen; wir haben lang genug geliebt und wollen endlich hassen. Die ihr der Freiheit noch verbliebt, singt durch die deutschen Straßen: Ihr habet lang genug geliebt, o lernet endlich hassen.“ (Georg Herwegh, Das Lied vom Hasse – 1841) Hanne Hiob und Yassir Arafat. Tunis 9.1.1988 Wir lernten hassen, als sich nach Berufsverbot, Terrorgesetzen und einigen noch immer ungeklärten Vorfällen in Stammheim, die Reaktion 1979 anschickte, einen SA-Kassierer zum Bundespräsidenten zu machen und ein Offizier für wehrgeistige Führung zum Kanzlerkandidaten gekürt wurde. Die BRD begann einmal mehr ihre Vergangenheit zu „bewältigen“, der Anachronistische Zug war in Bewegung gesetzt. Und Hanne brachte mit uns das gleichnamige Gedicht von Brecht auf die Straße. Hanne exponierte sich und kübelweise Unflat ergoß sich über diese Frau. „Jetzt auch Tote gegen Strauß“ war in der bürgerlichen Presse zu lesen. Sie hätte den Brecht missbraucht und sich selbst durch Kommunisten missbrauchen lassen, war eine der vornehmeren Kritiken. Kritik an dieser Frau, die sich ihren Brecht erkämpfen musste, obwohl oder gerade weil er ihr Vater war, über sie, die der Brecht zwar in die Wiege gelegt hatte, aber der ihr nicht unbedingt in die Wiege gelegt war. Immerhin, Strauß wurde nicht Kanzler und wir hatten einen Beitrag geleistet. Aber hat es denn etwas genutzt? Der Milliardenkredit an die DDR kam, ein Vorbote für die Vorbereitung des Anschlusses. Wir setzten den Herrenburger Bericht dagegen, die Vorstellung eines anderen Deutschland statt des gewalttätigen, des imperialen, des größenwahnsinnigen. „Aber das Neue muss Altes bezwingen. Anders sind immer die Wellen im Rhein. Und wir werden ein Deutschland erringen Und es wird neu und ein anderes sein.“ Die Atomraketen wurden aufgestellt. Gegen das Gerede von der deutschen Bananenrepublik von US-Imperialismus Gnaden zeigten wir mit der Legende vom toten Soldaten die militaristische Tradition des deutschen Imperialismus auf und traten gegen die Rehabilitierung deutscher Soldateska auf, wie sie über den Gräbern von Verdun und Bitburg zelebriert wurde. Gegen die von amtlichen Stellen geschürte und auf die Dumpfheit vieler Mitbürger berechnete Ausländerhetze stellten wir die „Menschenlandschaften“, das Poem des großen türkischen Dichter Nazim Hikmet, als Manifest der Völkerfreundschaft und Solidarität der Ausgebeuteten, Entrechteten und Beleidigten. Und so weiter und so fort: Warnen und Mahnen, ein lausiges Geschäft, wenn das wovor gewarnt wird, einen schon beim Aussprechen einholt. Warnen und Mahnen – wieviel lieber hätten wir ein anfeuerndes französisches Revolutionslied wie „Ca ira“ oder das Brecht’sche Aufbaulied „Und heraus gegen uns, wer sich traut!“ auf deutsche Straßen gebracht. Statt dessen: Einverleibung der DDR, die Hoffnung auf ein anderes Deutschland, auf ein antifaschistisches und antiimperialistisches Deutschland, zuschanden geritten: Asylrechts- K 317 änderung, deutsche Soldaten in Jugoslawien und die offene Drohung von Herrn Schäuble, die Neuordnung Europas in traditionell-deutscher Weise zu lösen. Sie fühlen sich wohl ziemlich sicher, sogar den Brecht lassen sie feiern. Zeitlos, zahnlos, eingedeutscht hätten sie ihn gerne. Größe, Größe auf das mickerige Maß von Großdeutschland zurechtgestutzt. Brecht im Prokrustes-Bett mit Ernst Jünger. Ein guter Brecht, ein toter Brecht. Welche Versöhnung! Seht her Deutschland schlägt ein neues Kapitel in seiner Geschichte auf, die Irrungen und Wirrungen von gestern sind untergepflügt. Aus den Flammen der Goebbelsschen Bücherverbrennung steige St. Bertolt auf als Schutzpatron des Standorts Deutschlands? Er segne deutsche Panzer in Jugoslawien, brennende Häuser schutzloser Einwanderer, unsere armen braunen Kameraden in der Bundeswehr? Er schütze unseren Kanzler, der doch auch nur auf das Wohl des Vaterlandes geschworen hat und möge auch Daimler Benz in seine Gebete einschließen, Elche von dort fernhalten, damit unsere Arbeitsplätze sicher bleiben. Ein kluger Mann schrieb einmal: „Die großen Revolutionäre wurden zu Lebzeiten von den unterdrückenden Klassen ständig verfolgt, die ihrer Lehre mit wildestem Ingrimm und wütendstem Haß begegneten, mit zügellosen Lügen und Verleumdungen gegen sie zu Felde zogen. Nach ihrem Tode versucht man, sie in harmlose Götzen zu verwandeln, sie sozusagen heiligzusprechen, man gesteht ihrem Namen einen gewissen Ruhm zu zur ,Tröstung’ und Betörung der unterdrückten Klassen, wobei man ihre revolutionäre Lehre des Inhalts beraubt, ihr die revolutionäre Spitze abbricht, sie vulgarisiert.“ (W.I. Lenin, Staat und Revolution, LW 25, S.397) Und noch funktioniert es: „Der Feind aber steht stärker da denn jemals. Seine Kräfte scheinen gewachsen. Er hat ein unbesiegliches Aussehen angenommen. Wir aber haben Fehler gemacht, es ist nicht zu leugnen. Unsere Zahl schwindet hin. Unsere Parolen sind in Unordnung. Ein Teil unserer Wörter Hat der Feind verdreht bis zur Unkenntlichkeit.“ schrieb Brecht aus Svendborg „An den Schwankenden“. Hat also alles nichts gebracht? Mit Hanne zu arbeiten hat viel Vergnügen gebracht, war erstklassige Unterhaltung, wie sie auch der alte Brecht geliebt hat. In der Tat „Wir haben eine freche Fotze geführt.“ Und was gibt es an schönerer Unterhaltung, wenn die Staatsmacht, die Autoritäten sich entkleiden müssen und in ihrer Nacktheit ihre Jämmerlichkeit, ihre Kleinheit und Schäbigkeit sichtbar wird, wenn hinter die Charaktermasken geleuchtet wird und das Menschlein hervorkommt. Aber es wäre etwas wenig, wenn es nur um unsere Unterhaltung gegangen wäre. Und ich be- 33 haupte einmal gänzlich unbescheiden und vermessen: Unsere Aktionen des Widerstands sind eine Form, die das Potenzial des Menschen zum aufrechten Gang zum Vorschein bringen. Das was sich in den täglichen Verbückungen und Verkrümmungen so leicht verliert, wird im Fest der Unbotmäßigkeit wiedergewonnen und wird zum Zeichen, zum Vorboten für das große Aufstehen. Diese Aktionen sind Kitzeln an den Füßen des gefesselten und schlafenden Riesen, und dieser Riese ist nichts anderes als der im Namen von Profit und Markt geschundene Teil der Menschheit. Daran mit Hanne Hiob mitwirken zu dürfen, war und ist jede Anstrengung und Opfer wert. Und noch zwei Worte vom armen Bertolt Brecht. Hört bitte das Gedicht „Gegen die Objektiven“ aus dem Jahr 1933: 1 „Wenn die Bekämpfer des Unrechts Ihre verwundeten Gesichter zeigen Ist die Ungeduld derer, die in Sicherheit waren Groß 2 Warum beschwert ihr euch, fragen sie Ihr habt das Unrecht bekämpft! Jetzt hat es euch besiegt: schweigt also! 3 Wer kämpft, sagen sie, muß verlieren können Wer Streit sucht, begibt sich in Gefahr Wer mit Gewalt vorgeht Darf die Gewalt nicht beschuldigen. 4 Ach, Freunde, die ihr gesichert seid Warum so feindlich? Sind wir Eure Feinde, die wir Feinde des Unrechts sind? Wenn die Kämpfer gegen das Unrecht besiegt sind Hat das Unrecht doch nicht recht!! 5 Unsere Niederlagen nämlich beweisen nichts, als daß wir zu Wenige sind Die gegen die Gemeinheit kämpfen Und von den Zuschauern erwarten wir Daß sie wenigstens beschämt sind. (B. Brecht, Gegen die Objektiven, GW 9, S. 492) Schließen möchte ich mit einem schaurigen Witz des Schwejk. Und damit nicht bald wieder Witze in der folgenden Art erzählt werden müssen, müssen manche Zuschauer wieder von den Rängen herunter und in die Arena. „Kennens den: von der Karlsbrückn aus hert ein Tschech einen deitschen Hilfeschrei aus der Moldau. Er hat sich nur ieber die Bristung gehängt und hinuntergerufn: „Schrei nicht, hettst schwimmen gelernt statt deitsch!“ (Schweyk im zweiten Weltkrieg) Unbeugsamkeit und langen Atem – das wünsche ich Dir – mit uns und denen, die wieder in die Arena kommen.
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