Zum 50. Todestag von Bertolt Brecht

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Zum 50. Todestag von Bertolt Brecht
Wir dokumentieren die Rede, die Gen. Corell auf der Feier in Nürnberg anlässlich des
75. Geburtstags von Hanne Hiob-Brecht
gehalten hat
„Frühling wurd’s im deutschen Land.
Über Asch’ und Trümmerwand
flog ein erstes Birkengrün
Probweis’, delikat und kühn!
(Bertolt Brecht, Der Anachronistische Zug
oder Freihit und Democracy)
Liebe Hanne, liebe Freunde,
der Arafat bringt’s auf den Punkt: Umarmen
möchte man Dich und ganz fest drücken.
Und es soll ein stürmischer Dank sein an diese
kleine, zierliche, eher zerbrechlich wirkende
Frau, in der so große, ungehobelte und eiserne Unversöhnlichkeit ist, Unversöhnlichkeit gegen alles Reaktionäre, gegen alles, was sich in dieser Republik aufgestaut hat an Nationalismus und Chauvinismus, an rassistischem Dünkel und spießbürgerlicher Feigheit und Brutalität, Unversöhnlichkeit gegen die Dumpfheit, die wieder bereit ist,
sich nach dem Anschluss der DDR, wie entfesselt
über Europa und seine Völker zu ergießen.
Aus Stuttgart, von einem Stuttgarter Dichter,
habe ich Dir einen besonderen Gruß mitgebracht:
„Und wo es noch Tyrannen gibt, die laßt uns
keck erfassen;
wir haben lang genug geliebt und wollen endlich hassen.
Die ihr der Freiheit noch verbliebt, singt durch
die deutschen Straßen:
Ihr habet lang genug geliebt, o lernet endlich
hassen.“
(Georg Herwegh, Das Lied vom Hasse – 1841)
Hanne Hiob und Yassir
Arafat. Tunis 9.1.1988
Wir lernten hassen, als sich nach Berufsverbot,
Terrorgesetzen und einigen noch immer ungeklärten Vorfällen in Stammheim, die Reaktion 1979
anschickte, einen SA-Kassierer zum Bundespräsidenten zu machen und ein Offizier für wehrgeistige Führung zum Kanzlerkandidaten gekürt
wurde.
Die BRD begann einmal mehr ihre Vergangenheit zu „bewältigen“, der Anachronistische Zug
war in Bewegung gesetzt. Und Hanne brachte mit
uns das gleichnamige Gedicht von Brecht auf die
Straße. Hanne exponierte sich und kübelweise
Unflat ergoß sich über diese Frau. „Jetzt auch Tote
gegen Strauß“ war in der bürgerlichen Presse zu
lesen. Sie hätte den Brecht missbraucht und sich
selbst durch Kommunisten missbrauchen lassen,
war eine der vornehmeren Kritiken. Kritik an dieser Frau, die sich ihren Brecht erkämpfen musste,
obwohl oder gerade weil er ihr Vater war, über
sie, die der Brecht zwar in die Wiege gelegt hatte,
aber der ihr nicht unbedingt in die Wiege gelegt
war.
Immerhin, Strauß wurde nicht Kanzler und wir
hatten einen Beitrag geleistet.
Aber hat es denn etwas genutzt?
Der Milliardenkredit an die DDR kam, ein
Vorbote für die Vorbereitung des Anschlusses.
Wir setzten den Herrenburger Bericht dagegen,
die Vorstellung eines anderen Deutschland statt
des gewalttätigen, des imperialen, des größenwahnsinnigen.
„Aber das Neue muss Altes bezwingen.
Anders sind immer die Wellen im Rhein.
Und wir werden ein Deutschland erringen
Und es wird neu und ein anderes sein.“
Die Atomraketen wurden aufgestellt. Gegen
das Gerede von der deutschen Bananenrepublik
von US-Imperialismus Gnaden zeigten wir mit der
Legende vom toten Soldaten die militaristische
Tradition des deutschen Imperialismus auf und
traten gegen die Rehabilitierung deutscher Soldateska auf, wie sie über den Gräbern von Verdun
und Bitburg zelebriert wurde.
Gegen die von amtlichen Stellen geschürte und
auf die Dumpfheit vieler Mitbürger berechnete
Ausländerhetze stellten wir die „Menschenlandschaften“, das Poem des großen türkischen Dichter Nazim Hikmet, als Manifest der Völkerfreundschaft und Solidarität der Ausgebeuteten, Entrechteten und Beleidigten.
Und so weiter und so fort: Warnen und Mahnen, ein lausiges Geschäft, wenn das wovor gewarnt wird, einen schon beim Aussprechen einholt.
Warnen und Mahnen – wieviel lieber hätten wir
ein anfeuerndes französisches Revolutionslied
wie „Ca ira“ oder das Brecht’sche Aufbaulied
„Und heraus gegen uns, wer sich traut!“ auf deutsche Straßen gebracht.
Statt dessen: Einverleibung der DDR, die
Hoffnung auf ein anderes Deutschland, auf ein
antifaschistisches und antiimperialistisches
Deutschland, zuschanden geritten: Asylrechts-
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änderung, deutsche Soldaten in Jugoslawien und
die offene Drohung von Herrn Schäuble, die
Neuordnung Europas in traditionell-deutscher
Weise zu lösen.
Sie fühlen sich wohl ziemlich sicher, sogar den
Brecht lassen sie feiern. Zeitlos, zahnlos, eingedeutscht hätten sie ihn gerne. Größe, Größe auf
das mickerige Maß von Großdeutschland zurechtgestutzt. Brecht im Prokrustes-Bett mit Ernst
Jünger. Ein guter Brecht, ein toter Brecht. Welche Versöhnung! Seht her Deutschland schlägt
ein neues Kapitel in seiner Geschichte auf, die
Irrungen und Wirrungen von gestern sind untergepflügt.
Aus den Flammen der Goebbelsschen Bücherverbrennung steige St. Bertolt auf als Schutzpatron
des Standorts Deutschlands? Er segne deutsche
Panzer in Jugoslawien, brennende Häuser schutzloser Einwanderer, unsere armen braunen Kameraden in der Bundeswehr? Er schütze unseren
Kanzler, der doch auch nur auf das Wohl des Vaterlandes geschworen hat und möge auch Daimler Benz in seine Gebete einschließen, Elche von
dort fernhalten, damit unsere Arbeitsplätze sicher
bleiben.
Ein kluger Mann schrieb einmal:
„Die großen Revolutionäre wurden zu Lebzeiten von den unterdrückenden Klassen ständig verfolgt, die ihrer Lehre mit wildestem Ingrimm und
wütendstem Haß begegneten, mit zügellosen Lügen und Verleumdungen gegen sie zu Felde zogen.
Nach ihrem Tode versucht man, sie in harmlose
Götzen zu verwandeln, sie sozusagen heiligzusprechen, man gesteht ihrem Namen einen gewissen Ruhm zu zur ,Tröstung’ und Betörung der unterdrückten Klassen, wobei man ihre revolutionäre
Lehre des Inhalts beraubt, ihr die revolutionäre
Spitze abbricht, sie vulgarisiert.“ (W.I. Lenin, Staat
und Revolution, LW 25, S.397)
Und noch funktioniert es:
„Der Feind aber steht stärker da denn jemals.
Seine Kräfte scheinen gewachsen. Er hat ein unbesiegliches
Aussehen angenommen.
Wir aber haben Fehler gemacht, es ist nicht zu
leugnen.
Unsere Zahl schwindet hin.
Unsere Parolen sind in Unordnung. Ein Teil
unserer
Wörter
Hat der Feind verdreht bis zur Unkenntlichkeit.“
schrieb Brecht aus Svendborg „An den
Schwankenden“.
Hat also alles nichts gebracht?
Mit Hanne zu arbeiten hat viel Vergnügen gebracht, war erstklassige Unterhaltung, wie sie auch
der alte Brecht geliebt hat. In der Tat „Wir haben
eine freche Fotze geführt.“
Und was gibt es an schönerer Unterhaltung,
wenn die Staatsmacht, die Autoritäten sich entkleiden müssen und in ihrer Nacktheit ihre Jämmerlichkeit, ihre Kleinheit und Schäbigkeit sichtbar
wird, wenn hinter die Charaktermasken geleuchtet wird und das Menschlein hervorkommt.
Aber es wäre etwas wenig, wenn es nur um
unsere Unterhaltung gegangen wäre. Und ich be-
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haupte einmal gänzlich unbescheiden und vermessen: Unsere Aktionen des Widerstands sind eine
Form, die das Potenzial des Menschen zum aufrechten Gang zum Vorschein bringen. Das was
sich in den täglichen Verbückungen und Verkrümmungen so leicht verliert, wird im Fest der Unbotmäßigkeit wiedergewonnen und wird zum Zeichen, zum Vorboten für das große Aufstehen. Diese Aktionen sind Kitzeln an den Füßen des gefesselten und schlafenden Riesen, und dieser Riese ist
nichts anderes als der im Namen von Profit und
Markt geschundene Teil der Menschheit.
Daran mit Hanne Hiob mitwirken zu dürfen,
war und ist jede Anstrengung und Opfer wert.
Und noch zwei Worte vom armen Bertolt
Brecht.
Hört bitte das Gedicht „Gegen die Objektiven“
aus dem Jahr 1933:
1
„Wenn die Bekämpfer des Unrechts
Ihre verwundeten Gesichter zeigen
Ist die Ungeduld derer, die in Sicherheit waren
Groß
2
Warum beschwert ihr euch, fragen sie
Ihr habt das Unrecht bekämpft! Jetzt
hat es euch besiegt: schweigt also!
3
Wer kämpft, sagen sie, muß verlieren können
Wer Streit sucht, begibt sich in Gefahr
Wer mit Gewalt vorgeht
Darf die Gewalt nicht beschuldigen.
4
Ach, Freunde, die ihr gesichert seid
Warum so feindlich? Sind wir
Eure Feinde, die wir Feinde des Unrechts sind?
Wenn die Kämpfer gegen das Unrecht besiegt
sind
Hat das Unrecht doch nicht recht!!
5
Unsere Niederlagen nämlich beweisen nichts,
als daß wir zu
Wenige sind
Die gegen die Gemeinheit kämpfen
Und von den Zuschauern erwarten wir
Daß sie wenigstens beschämt sind.
(B. Brecht, Gegen die Objektiven, GW 9, S. 492)
Schließen möchte ich mit einem schaurigen
Witz des Schwejk.
Und damit nicht bald wieder Witze in der folgenden Art erzählt werden müssen, müssen manche Zuschauer wieder von den Rängen herunter
und in die Arena.
„Kennens den: von der Karlsbrückn aus hert ein
Tschech einen deitschen Hilfeschrei aus der
Moldau. Er hat sich nur ieber die Bristung gehängt und hinuntergerufn: „Schrei nicht, hettst
schwimmen gelernt statt deitsch!“
(Schweyk im zweiten Weltkrieg)
Unbeugsamkeit und langen Atem – das wünsche
ich Dir – mit uns und denen, die wieder in die
Arena kommen.