Malinowski, Bronislaw: Ein Tagebuch im strikten Sinn des Wortes. Neuguinea 1914 – 1918 Frankfurt am Main 1985 [= A Diary in the strict Sense of the Term. New York 1967] 1 Gesundheit/Krankheit Ich fühlte mich miserabel. Ich saß und schrieb, von Depressionen überwältigt. Ich war leicht seekrank. Ich darf keine Romane lesen, außer wenn ich krank oder im Zustand tiefer Depression bin. Moralisch geht es mir gut. Ich hatte keine Kraft, das Tagebuch zu beenden. Kehrte in überreiztem Zustand zurück. Ich war sehr tatkräftig und fühlte mich gut in Form – meine ethnographische Arbeit ist schwer. Ich war müde – Augen und Nerven – und zog mich zurück. Um 5 Uhr sehr müde, am tiefsten Punkt des Bewußtseins, intellektuelles Fluidum ganz ausgetrocknet. Das wichtigste wäre, völlige Herrschaft über die Dinge zu haben. Tod, den hohläugigen Gast, bin ich bereit zu treffen. Arsen ist unentbehrlich, aber ich darf es mit Chinin nicht übertreiben. Fünfzehn Gran alle 9 Tage sollten genügen. Ich spritze mir Arsen und versuchte, etwas Ruhe zu finden. Ich nahm 10 Gran Chinin und gegen morgen fühlte ich mich ganz furchtbar. Das Arsen wirkt prima. Die Arbeit die ich verrichte, ist mehr Opiat als schöpferischer Ausdruck. 2 Forschung Ich fragte nach dem Namen der Bäume und der Lagune und beschloß, die Sprache systematisch zu erlernen, ein Vokabular zu erstellen. Ich machte etwas Linguistik. Ich ging im Dorf umher, trieb Informanten auf. Eine sehr armselige Gruppe. Die beiden alten Männer vielleicht am besten. Versuchte, alte Männer zusammenzubringen, die Motu sprächen. Beim Aufschreiben von Informationen habe ich ein pedantisches Gefühl, daß ich ein gewisses Maß schaffen sollte – 3 Seiten, 2 Stunden ... ein starkes Verlangen, mich zu drücken. Überprüfte Verwandtschaftsbezeichnungen. Das Haus selbst betritt man durch ein Loch im Boden. Rost aus getrockneten Bananenblättern, Stöcke und Trägern als Kopfstützen. Die Frauen kochen Essen in Petroleumbüchsen. Im Boot zum Friedhof. Plattform, Bündel von Knochen, gebleichte Schädel auf den Steinen. An einem hing eine Nase – sehr eindrucksvoll. Bestattungsbräuchen. Ich erkundigte mich nach Links in der Ferne bewegte sich eine Tanzprozession am Strand entlang. Das einzige, was man hörte, war der ziemlich komplizierte Rhythmus der Trommeln und der Gesang. Ich sah mir die Prozession aus der Nähe an. 3 Heimweh Sehnsucht nach eleganten, gut gekleideten Frauen. Ich phantasierte Begegnungen mit verschiedenen polnischen Männern und Frauen. Es überwältigte mich die Sehnsucht nach London. Ich sehnte mich danach, im Hyde Park zu sein, in Bloomsbury. Sehnte mich nach Musik, nach Tristan und Isolde. 4 Begegnungen Von Zeit zu Zeit widme ich mich wieder der Tanzkunst. Versuche Miss Ashton den Tango in Herz und Sinn einzutrichtern. Auf dem Rückweg kam ich an Eingeborenen vorbei, die ein Känguruh erlegten. Ich tanzte Tango und Walzer mit Mrs. McGrath. Zuweilen befiel mich die schwärzeste Depression. Mir liegt nicht viel daran, bei dem Missionar zu wohnen ... dieser Mann widert mich an in seiner weißen Überlegenheit. Wieder war ich wütend auf die Eingeborenen.
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