Mein täglicher Marathonlauf durch die Kulturen von Rahel Pfäffli Kurz vor acht die Treppen in den zweiten Stock hinaufkletternd richte ich meinen Blick auf den kleinen Monitor mit den KSR-Nachrichten, in der Hoffnung auf möglichst viele abwesende Lehrpersonen. Schön wär’s, offenbar sind alle bei bester Gesundheit! Während ich mich fieberhaft an den Stoff der letzten Unterrichtsstunde zu erinnern versuche, spurte ich mit letzter Kraft, völlig ausser Puste ins Klassenzimmer. Seufzend werfe ich die Tasche neben meine chinesische Mitschülerin, die nach drei Jahren fließender Deutsch spricht als ich Französisch. Um mich ein bisschen seriöser auf die folgende Lektion einzustimmen, halte ich im Zimmer Ausschau nach jemandem, der mir sagen könnte, welche Hausaufgaben wir gehabt hätten. „Keine Ahnung, frag Eli“, meint meine Pultnachbarin desinteressiert. Diese scheint mir mit ihrem frischen, mit Zucker vollgestopften Schokoladenbrötli aus der Mensa äußerst beschäftigt und da ich sie nicht verhungern lassen will, lasse ich meinen Blick durch das Schulzimmer schweifen auf der Suche nach organisierten Klassenkameraden. Sollte ich die beiden heftig diskutierenden Italienerinnen fragen? Oder besser die Mitschülerin mit eritreischen Wurzeln? Anderseits hätten wir da auch noch die Serbin, den Deutschen, unsere Miss America und noch einige weitere Lernende aus Kroatien, Bali, Deutschland, Ägypten, Brasilien, Kosovo. Angesichts dieser Qual der Wahl erinnere ich mich an meine alte Klasse. Dort fühlte ich mich als einzige Schweizerin schnell mal missverstanden und alleine, vom Tibet, aus Serbien, Frankreich, Spanien, Italien, Japan bis zur Türkei war dort nämlich wirklich alles dabei. Des Weiteren wurden meiner Ansicht nach die SchülerInnen mit deutscher Muttersprache bei Aufsätzen jedes Mal strenger benotet als unsere ausländischen Kolleginnen und Kollegen. Also bot ich meinen Eltern großzügig an, mit mir in ein Land ihrer Wahl auszuwandern, jedoch wurde mein selbstloses Angebot überraschenderweise vom Familienrat überstimmt... Doch wie meine Klassenkameradinnen und ich zu sagen pflegen: „Schweiss drauf, ein echter Streber gibt niemals auf“, so gab auch ich nicht so schnell nach. Meine nächste Idee: Ich wechsle einfach die Schule! Gesagt, getan: Drei Monate verbrachte ich an der Kantonsschule Alpenquai, gerade mal ein Sechstel der Klasse verfügte über ausländische Wurzeln und trotz der vielen SchweizerInnen fühlte ich mich nicht wohl. Bin ich vielleicht zur ausländischen Schweizerin geworden? Auf jeden Fall war meine Sehnsucht nach der KSR so groß, dass nicht einmal der Prorektor der KSA mich an einem unverzüglichen Rückwechsel hindern konnte. Dieses Hin- und Herwechseln war, so absurd es auch klingen mag, meine beste Erfahrung in meiner bisherigen Schulkarriere. Beispielsweise mag ich Unterricht bei unserer russischen Mathelehrerin, denn einerseits kann sie den Stoff nicht nur um einiges besser als manch andere Mathematiklehrpersonen vermitteln, sondern motiviert mich schon nur durch ihr Auftreten jedes Mal aufs Neue: Eine völlig andere Sprache zu sprechen fiel ihr anfangs sicher nicht einfach, doch sie hat nicht aufgegeben. Plötzlich reist mich die Schulklingel aus meinen Tagträumen. Vor lauter Denken scheint der Unterricht an mir vorbeigerast zu sein, denn nun steht die fünfzehnminütige Pause an. Niederländer, Inderinnen, Dänen, Griechen – von allen Seiten strömen sie an mir vorbei. Wir sind zwar nicht besonders viele Lernende hier an der KSR, trotzdem fühle ich mich, von den zahlreichen verschiedenen Kulturen umgeben, wie in einer Großstadt, gleichzeitig aber auch wie zu Hause.
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