Langsamkeit entdeckt die Stadt

Langsamkeit entdeckt die Stadt
t hom a s oe h l e r
Maja Bagat
(links) und
Anouk
Gyssler, Foto:
Gian Suhner
Der Verein Flaneure bietet szenisch-literarische
Stadtspaziergänge an.
Kennen Sie Basel? Natürlich kennen Sie Ihren Arbeitsweg,
haben Ihre Lieblingsplätze am Rhein, Ihre bevorzugten Cafés
und Restaurants. Aber beachten Sie den Weg dahin? Zwei
Frauen wollen zeigen, wie sich die Stadt neu erschliessen
lässt. Anouk Gyssler und Maja Bagat verstehen Städte als lebendige, sich stets verändernde Wesen, die voller Geschichten
stecken. Man müsse sich auf die Stadt einlassen, damit sie
diese preisgibt. Das gehe nicht mit Hast. Besser könne man
das beim langsameren und viel aufmerksameren Spazieren. So haben die beiden Frauen den Verein der Flaneure
gegründet und lancieren nun ihren ersten Rundgang.
In einer offenen Ausschreibung sammelten sie Textbeiträge
zum Stichwort ‹Einbruch›. Mitmachen konnte, wer wollte.
Einzige Bedingung: Der Text hat etwas mit Basel zu tun.
Stuben-Poesie
j u l i a voe ge l i n
Sofa-Lesungen und mehr.
Das Chaos in der Küche ist beseitigt, die Stube
wieder mal nass aufgenommen und der Müllsack vor die Tür gestellt. Die kulinarischen Köstlichkeiten sind vorbereitet, damit die Gäste nicht
nur geistig-kulturelle, sondern auch leibliche
Nahrung zu sich nehmen können. Wenn WGs –
oder auch andere Private – zu Lesungen einladen, dann richtig. Dieses Engagement wird nun
mit einem Fest gewürdigt. Aber der Reihe nach.
Das Literaturhaus hat im letzten Jahr eine neue
Lesereihe ins Leben gerufen, bei der die zuhö18 | ProgrammZeitung | Juni 2015
Die Beiträge wurden anonymisiert und innerhalb einer
Jury besprochen. Eine Auswahl wird nun szenisch umgesetzt, in Form von Theaterminiaturen mit Profis und Laien.
Das Besondere daran: Die Szenen werden an versteckten
oder unscheinbaren Orten im Matthäusquartier gezeigt, in
Hinterhöfen, Sackgassen oder auf Dachterrassen. Und dorthin spaziert man eben.
Spontane Interaktionen. Wieso ausgerechnet das Matthäusquartier? Gyssler und Bagat haben viele Gründe; das
Viertel steckt voller Brüche. Kaum anderswo in der Stadt
treffen so verschiedene Menschen aufeinander, Eingewanderte auf Alteingesessene, Studierende auf Kulturschaffende, Familien auf Partyvolk. Ausserdem lässt sich dieser
Stadtteil gut zu Fuss begehen. Und nicht zuletzt ist das
Kleinbasler Rheinufer die hiesige Flaniermeile schlechthin.
Dabei ist 4057 nur der Anfang, weitere Stadtspaziergänge
sind geplant für andere Teile Basels und ihre jeweiligen
Geschichten.
Die Stadt als Theaterkulisse? Die Menschen in ihr als (unfreiwillige) Statistinnen und Statisten? Nein! Vielmehr soll
das spazierende Publikum selber Teil der Inszenierung werden. Denn wenn eine Gruppe von Leuten beispielsweise in
einen Hinterhof kommt, wird sie höchstwahrscheinlich von
denen, die an diesem Hof wohnen, begutachtet. Das führt
– mit Glück – zu ungeplanten Interaktionen. Gyssler und
Bagat hoffen, dass die Vorführungen selber Thema im Viertel werden, dass man sich an sie erinnert. Die Geschichten
der Stadt erfahren heisst so letztlich auch Teil von ihnen zu
werden.
‹Geschichten aus der Stadt: Einbruch›. Mit Robert Baranowski, Heidi Schild,
Norwin Tharayil und Kathrin Veith: Mi 3. bis So 7.6, 19.30, Treffpunkt:
Telefonkabine Erasmusplatz. Anmeldung über info@vereinderflaneure,
Infos: www.vereinderflaneure.ch
Ausserdem: René Regenass, ‹Lob der Langsamkeit›. Kurztexte im Rahmen
des gleichnamigen Projekts des Vereins Zwischenzeit (Hg.). Poetische
Reflexionen über Zeit und Erinnerung. Mit histor. Fotos aus der Sammlung
T. Richter. Verlag Johannes Petri, Basel, 2015. 64 S., 10 s/w Abb., gb., CHF 23
Lesung und Gespräch zum 80. Geb. des Autors: Fr 29.5., 19 h, Haus
Zwischenzeit, Spalenvorstadt 33. Musik: Marianne Schroeder
renden und lesenden Gäste in einem privaten
Wohnzimmer Platz nehmen. Wenn die Jungen
nicht ins Literaturhaus kämen, dann komme es
eben zu ihnen, liess Leiterin Katrin Eckert verlauten. Sofa-Lesungen nennt sich diese Idee. Seit
November haben sechs solche Abende in verschiedenen Basler Stuben stattgefunden. Zu
Gast waren u.a. der Berner Matto Kämpf und die
Baslerin Simone Lappert.
Jetzt, am Saisonende, wird die erfolgreiche Reihe mit einem Fest über den Dächern Basels abgerundet. Dabei tritt das Schweizer Künstlerduo
Fitzgerald & Rimini auf. Ihr Werk lässt sich nicht
mit einem Begriff beschreiben, geschweige denn
einem Genre zuordnen. Die beiden jonglieren
mit Wörtern und Tönen, verweben elektronischexperimentelle Musik mit gesprochener Literatur in verschiedenen Sprachen. Ihre geistreiche,
musikalische Spoken Word-Performance präsentieren sie in ihrem neuen Programm ‹Grand
Tour›: mit Songs über ferne Fluchtorte, gestrichene Flüge und masslosen Massentourismus.
Auch wenn diese Sause der Schlusspunkt der
Sofa-Lesungen ist, so liegt dahinter doch ein
neuer Anfang; eine zweite Staffel ist bereits in
Vorbereitung.
Sofa-Sommer-Sause mit Fitzgerald & Rimini: Sa 27.6.,
20 h, Nachthafen, Warteck, Burgweg 15, Eintritt frei