Zu einer Ästhetik der Langsamkeit

Zu einer Ästhetik der Langsamkeit Mai, 2016 Björn Pötters „Sten Nadolny: Die Entdeckung der Langsamkeit Langsamkeit ist nicht Stillstand. Aber wie schnell ist dann Langsamkeit? Wo hört sie auf? Wo fängt sie an? Und kann man dann immer noch erfrischenden Fahrtwind spüren? Fragen über Fragen, von denen man seit fast zwanzig Jahren glaubt, daß in diesem Buch gründlich darüber nachgedacht wird.“ * * http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/rezension‐
belletristik‐sten‐nadolny‐die‐entdeckung‐der‐langsamkeit‐152302.html Fern so nah Hochgeschwindigkeitstourismus geht um die Welt, als müssten wir wie Ilija Trojanow Welten sammeln. Doch Phantasieprodukte sind out, Fernsehen in weite Welten reicht oft nicht aus ‐ zu groß scheint der Druck, über den Tellerrand hinausblicken zu müssen. Auf der anderen Seite steht das portionierte Erlebnis, das vermarktet wird, als könnte man kleine Teile unserer Erde aufsaugen und sie bis in alle Ewigkeit im Bewusstsein speichern: Tauchen am roten Meer und Wandern in Neuseeland – das Jahresprogramm einer fiktionalen Familie aus dem Mittelstand. Was hat das denn mit Ästhetik und Langsamkeit zu tun? Anschluss Rüdiger Safranskis „Zeit“ zufolge und der „Zeit des Menschen“ von Raimar Zons bewegen wir uns auf dünnem Eis, wenn wir annehmen, Zeit sei einfach nur physikalisch. Im 13. Monat von David Mitchell wird das mögliche Ausmaß der Langeweile deutlich, dem wir unterworfen sind, wenn wir uns nicht zu beschäftigen wissen: Ich habe kein Geld, ich habe Zeit. Zeit mit Spaßterror totzuschlagen, wie es die postmoderne Medienlandschaft anbietet, ist sicher nicht der goldene Weg, seine Schäfchen an die Muttermilch anzuschließen, wie es damals schon in der Globalisierungsfalle angekündigt wurde. „Trash‐TV für die Unterschicht“? Das bemängelt schon die hiesige Obdachlosenzeitschrift. Mehr ist mehr Zum Besitzstreben wäre es nach Rousseau nicht gekommen, wenn der Mensch in sich ruhen könnte. Computerspiele schaffen diese Ruhe neuerdings interaktiv und kommunikativ. Manch einer braucht aber auch da immer mehr und mehr. Die Gaming‐Industrie boomt. Auch sind schnelle Spiele seit jeher angesagt. Das Play‐by‐E‐Mail im rundenbasierten Civilization ist eher die langsame Ausnahmeerscheinung. Wer plant schon eine halbe Ewigkeit? Beschleunigung raubt Zukunft Wer sich sorgt, der sorgt vor und für. Wofür und wovor denn eigentlich? Wäre es nicht vielleicht angebracht, in einem Status Quo zu verharren, in dieser Rousseau‘schen Ruhe und erst einmal darüber nachzudenken, wie es denn nun weitergeht? Sollten wir nicht einfach ein paar Gänge runterschalten, weniger sorgen und mehr sprechen über die Übel unserer ganzen Welt, wie Krieg, Vertreibung, Fanatismus und was nicht alles. Reden über Brennpunkte und über eine Gesellschaft, die sich so rasant verändert, dass das Ausmaß eben dieser Veränderung nicht im Ansatz zu greifen scheint. Die beschwingende Zeit des Anfangens Könnte ein Postkapitalismus Abhilfe schaffen? Und wie darf und kann er aussehen? Was wollen die Roboter? Glück ohne Ende bis zum individuellen Desaster? Wo hört der Spaß auf und fängt der Ernst an…müssen wir uns überhaupt so ernst nehmen? Können wir nicht langsam statt schnell wachsen und ein wenig mehr im Sinne des Altruismus in die Breite gehen, statt immer egoistisch so hoch hinaus? Fragen über Fragen…und nun? Ist Langsamkeit nicht etwas Wunderschönes? Sind alte Menschen nicht langsam viel schöner als wenn sie im Rentenalter noch durch die Gegend hetzen. Wäre die Abschaffung des Bargeldes eine Möglichkeit, neu anzufangen?1 Die Ästhetik Die schnelle Welt der Waren‐ und Medienwirtschaft mag viele dazu anheizen, einen erfrischenden Fahrtwind spüren zu wollen. Doch liegt das Spannende unserer Erde nicht im Elementaren mit ihrer Unschärfe zu anderen Teilchen? Wenn dann Physiker den Urknall simuliert haben – können wir Abstand nehmen vom Ursprung und der Vergangenheit? Am Anfang war der Sound, doch ist aller Anfang im Wort nicht sinnvoller, besinnlicher und beim Gedankenkreisen eine bessere Alternative zu Nietzsche? Fröhliche Wissenschaft darf sein – aber vor allem ethisch und moralisch muss es zugehen. Auch für Wissenschaftler gilt, dass es immer etwas über ihnen gibt. Religionswissenschaft ist auch eine ästhetische Wissenschaft: In den schnellen Zeiten mit ihren Ellenbogen und Atheisten lobt man die transzendentalen Genies, die in sich ruhen können und gerne dazu beitragen, den Kapitalismus mit all seinen Eigenarten und Konsequenzen zu entschleunigen und Werte wie Nächstenliebe aufleben zu lassen. Die Sehnsucht nach Ewigkeit und Unsterblichkeit kann nicht auf ein Individuum projiziert werden, wohl aber auf Kunst und Sprache. Krösus hingegen sollte vielleicht lieber ein wenig langsamer durchs Leben schreiten – auch in Langsamkeit liegt Kraft. 1
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