Nicht auf den Mund gefallen Bad Cannstatt: Anja Frey stottert und geht selbstbewusst mit ihrer Sprechstörung um – Heute ist Welttag des Stotterns Mehr als 800 000 Menschen in Deutschland stottern. Ein Sprechfehler, der jedoch nichts über den Charakter oder die Intelligenz der Betroffenen aussagt. Auch die 39-jährige Anja Frey stottert, seit sie fünf Jahre alt ist – und ist dabei doch nicht auf den Mund gefallen. Von Nathalie Beier Beim Gleis 13 wird Anja Frey nervös. Schon eine zehntel Sekunde, bevor sie den Mund aufmacht, weiß sie, ob das Wort flüssig heraussprudelt oder klemmt. „Ich habe dann zwei Möglichkeiten: entweder, ich nehme ein anderes Wort, oder ich stottere es heraus.“ Für die Zahl 13 gibt es allerdings kein anderes Wort. Wenn die 39-Jährige in ihrem Job bei der Deutschen Bahn Reisenden auf der Suche nach der nächsten Zugverbindung weiterhilft, hat sie keine andere Wahl. „Und das ist auch gut so. Für mich ist es wichtig, offen mit dem Stottern umzugehen.“ Und warum auch nicht? Schließlich ist es keine Krankheit, „ich rede eben einfach nur ein wenig anders“. Angefangen hat das „Andersreden“, als Anja Frey fünf Jahre alt war. „Da hat mein Mund einfach nicht mehr das getan, was ich wollte“, erinnert sich Zur Entspannung geht Anja Frey gerne ein paar Runden im Cannstatter Kurpark spazieren. Foto: Beier die gebürtige Berlinerin. Sie ging in einen Kindergarten für sprechbehinderte Kinder. „Damals war es wirklich schlimm“, aber mit den Jahren „ist es immer besser geworden“. Wer sich mit Anja Frey unterhält, merkt schnell, dass das Stottern nur ab und an anfängt. Stuttgart, stottern, dreizehn – „Das sind die Worte, die mir Probleme machen.“ Im Gespräch merkt die 39-Jährige schnell, wie ihr Gegenüber reagiert. „Dann erkläre ich, dass ich stottere. Aber immer muss ich mich nicht erklären.“ Eine blöde Bemerkung oder ähnliches „habe ich noch nicht erlebt“. Da sie aber auch offen damit umgehe, komme es erst gar nicht dazu. Als sie bei der Deutschen Bahn anfing, „musste ich auch im Zug Fahrkarten kontrollieren. Das war oft sehr hart, aber mir hat die Arbeit sehr geholfen, mich zu überwinden“. Mit jedem Fahrgast mehr, den sie ansprach, verschwand die Angst. Bei all dem Selbstbewusstsein kennt sie aber auch ihre Grenzen. „Die fangen am Lautsprecher an.“ Wenn sie beispielsweise mit ihren Kindern Essen bestellen möchte, „dann nur am Tresen. Wenn ich meinem Gegenüber beim Sprechen nicht in die Augen sehen kann, funktioniert das nicht“. Weil sie es geschafft hat, so locker mit ihrer Sprechstörung umzugehen, engagiert sie sich seit fünf Jahren bei der Gruppe Stottern & Selbsthilfe Stuttgart. Heute, am Welttag des Stotterns, hat die Gruppe Aktionen geplant, um mit Vorurteilen aufzuräumen und Betroffenen Mut zu machen. Gegen 12 Uhr fliegt ein Flugzeug mit Banner über die Königstraße, an Infoscreens an den Stadt- und S-Bahnhaltestellen wird ein Filmclip gezeigt und auf Höhe der Königstraße 5 kann man sich von 12 bis 19 Uhr über die Sprechstörung informieren. Weitere Infos: www.stottern-stuttgart.de. Infos übers stottern Was es genau mit dem Stottern auf sich hat, wissen viele nicht. Sprechtherapeutin Ariane Willikonsky vom Fon Institut Stuttgart erklärt die Hintergründe: „Stottern ist erblich. Wenn die Eltern stottern, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Kind auch betroffen ist. Die Gründe dafür hat die Forschung noch nicht herausgefunden. Fest steht nur, dass es nicht heilbar ist. Bei Nervosität oder Anspannung verkrampft der Betroffene regelrecht: Hals, Brust, Lippen oder auch die Mimik. Durch entspannende Übungen lockert sich die Muskulatur wieder. Eine Sprechtherapie kann dabei helfen.
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