96 | MM36, 31.8.2015 | LEBEN Was der Experte zum Thema Stottern sagt. Migrosmagazin.ch Interview «Zuwarten kann fatal sein» Wenn Kinder stottern, ist eine schnelle Intervention wichtig, sagt Alexander Zimmermann (60). Der leitende Logopäde am Inselspital in Bern therapiert Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Im Interview auf Migrosmagazin.ch erzählt der Facharzt von einer hohen Zahl von Spontanerholungen bei stotternden Kindern, die Gefahr von Verfestigung sei aber ebenfalls gross. Erstaunliches weiss der Logopäde aus seiner therapeutischen Erfahrung: Bereits ein zweijähriges Kind merke, wenn es stottere. Auch zur medikamentösen Behandlungvon Stotternden in den USA hat Alexander Zimmermann eine dezidierte Meinung. Lesen Sie das Gespräch auf Migrosmagazin.ch. Alexander Zimmermann (60) ist Logopäde am Inselspital Bern. Familie Wenn die Worte steckenbleiben Wer das Stottern und Sprechhemmungen als Kind nicht wegbringt, hat es schwer. Über die Gründe dieses Phänomens ist man sich bis heute nicht einig. Immerhin: Mit einigen Therapieformen lassen sich gute Erfolge erzielen. Text: Claudia Langenegger Bild: Vera Hartmann V on klein auf habe ich gestottert», erzählt Kay (19). Er stottert, wenn er sich unter Druck fühlt, aufgeregt oder nervös ist. Das passiert relativ schnell. Zum Beispiel, wenn er seinen eigenen Namen nennen muss. Oder bei Präsentationen in der Schule. Oder wenn man in einer Gruppe reihum etwas sagen oder vorlesen muss: Dann läuft in Kay ein Countdown, die Anspannung steigt von Sekunde zu Sekunde. «Und dann stottere ich ganz bestimmt, wenn ich an der Reihe bin», sagt der junge Amriswiler. Kay hatte Glück, er wurde als Bub nicht gehänselt Wenigstens läuft die Sprache flüssig, wenn er mit Freunden und Kollegen redet und telefoniert. Kay hatte auch von klein auf Glück mit seinem Umfeld. Er wurde als Bub weder ausgegrenzt noch von Mitschülern gehänselt. Und seine um ein Jahr ältere Schwester war ein guter Schutzschild. «Sie redete immer so viel, dass es nicht auffiel, wenn ich nicht so oft sprach», sagt Kay mit einem Lachen im Gesicht. Natürlich hat er sich aber immer gewünscht, dass das mit dem Stottern aufhört. In der Schule streckte er oft die Hand nicht auf, obwohl er die richtige Antwort wusste. Vorlesen war ein Gräuel. Nur Vorträge brachte er gut hinter sich: «Da konnte ich zu Hause üben.» Warum Kinder stottern, weiss man nicht. «Es sind meist die Eltern, die nach einem Grund suchen. Sie leiden oft stark, sogar noch mehr als die Kinder», weiss Beat Meichtry (61), Geschäftsführer der Vereinigung für Stotternde und ihre Angehörigen (Versta). «Ohne dass sie wollen, projizieren Eltern oft ihren Druck auf das Kind.» Und dieses stottert umso mehr, wenn es die Anspannung der Eltern spürt. Die Wissenschaft kennt verschiedene Theorien zu den Ursachen der sogenannten Sprechunflüssigkeit. Keine erklärt jedoch das Phänomen ausreichend: Beim psychodynamischen Ansatz etwa geht man davon aus, dass unbewusste Konflikte zum Stottern führen; die genetische Theorie besagt, dass Stottern vererbbar ist; der neuropsychologische Ansatz besagt, dass bestimmte Gehirnregionen anders reagieren. Meist wird das Stottern – vereinfachend gesagt – als Durcheinander des Sprachflusses gedeutet, wenn die Wörter zu schnell und durcheinander aus dem Mund herauspurzeln wollen. Stottern beginnt oft im Alter von zweieinhalb bis fünf Jahren, wenn der Wortschatz wächst und die Sätze komplexer werden. Dies ist aber ebenfalls die Phase wichtiger emotionaler Entwicklungsschritte bei jungen Kindern: Es ist die Zeit von Autonomie und des Ich-Sagens sowie von Trotz und des Nein- Sagens. Beim Stottern kommen zwei widersprüchliche Dinge zusammen: sich ausdrücken zu wollen und sich zurückhalten zu müssen. Dieses Aufbegehren und die Reaktionen der Eltern können sich auf den Sprechfluss der Kinder auswirken. «Je früher man ein Kind therapeutisch begleiten kann, umso besser», sagt Alexander Zimmermann (60), leitender Logopäde an der Stimmund Sprachabteilung des Berner Inselspitals. Seit über 20 Jahren arbeitet er mit stotternden Kindern und Erwachsenen. Auch wenn die Meinung verbreitet ist: Stottern verwächst sich in der Regel nicht. Es ist auch keine normale Phase der Sprachentwicklung, wie man dies immer wieder liest. Bei jungen Kindern hilft oft eine Therapiephase von drei bis sechs Monaten. Manchmal auch nur eine einzige Sitzung. Das Wichtige dabei: «Ich beziehe die Eltern in die Therapie mit ein. Klärt man die Beziehung zwischen Eltern und Kind, verflüssigt sich auch die Sprache.» Mit ihrem psychosomatischen Ansatz, der Stottern als Symptom LEBEN | MM36, 31.8.2015 | 97 Bald erscheint ihre 150 . Kolumne. Haben Sie eine Frage an Bettina Leinenbach? Schicken Sie sie an: onlineredaktion@ migrosmedien.ch E Mamma Mia Nachts am Strand Es ist stockdunkel. Um diese Zeit liegen Zweijährige meist im Bett. Doch das Mädchen auf dem Foto schläft nicht. Es ist gerade am Strand von Kos angekommen. Seine Mutter scheint sanft auf es einzureden, während sie ihm die orangefarbene Kinderschwimmweste auszieht. Der Vater durchwühlt einen Plastiksack und greift nach einer kleinen Winterjacke. Die Eltern streifen dem Kind trockene Kleider über. Dann steht es da, nachts und mitten im August am Strand von Kos – im Anorak. Kay stottert, wenn er unter Druck steht. Flüssig spricht er mit Freunden oder am Telefon. Ein Fotojournalist hat die Szene e ingefangen. Meine Töchter starren gebannt auf die Aufnahmen auf meinem Computerbildschirm. Dann kommen die Fragen. Es sind viele. Ich nehme mir Zeit und antworte. Es wird ein gutes Gespräch. «Hoffentlich hat das Kind nun wieder ein Bettchen», sagt Eva mitfühlend. «Und gell, Mami, jetzt muss es auch keine Angst mehr haben», hofft Ida. Ich nicke, obwohl ich mir nicht so sicher bin. Bettina Leinenbach (38) ist Journalistin und zweifache Mutter. LEBEN | MM36, 31.8.2015 | 99 e iner Störung sieht, stellen sich die Fachleute des Berner Inselspitals gegen den gängigen Trend. «Es ist nie einfach, wenn man die Beziehung zwischen Eltern und Kindern hinterfragt, nach Ungeklärtheiten und Schwierigkeiten fragt», erklärt Alexander Zimmermann. «Bei den Eltern kommen Schuldgefühle auf.» Kay bestellt immer Fanta statt Coca-Cola – da er bei Fanta nicht stottert Doch der Berner Logopäde reitet nicht auf Problemen herum. Er therapiert die Kinder auf spielerische Weise und weiss, dass für Eltern oft einfach das Gespräch mit einer Fachperson wichtig ist, um unbewusste Blockaden zu lösen. «Für Eltern ist es eine enorme Erleichterung, wenn sie ihre Schuldgefühle äussern und endlich auch abladen können», weiss er. Prinzipiell anders ist der Umgang mit stotternden Erwachsenen. «Da geht es hauptsächlich darum, das Sprechen zu verflüssigen.» Kay stottert bei harten Konso- nanten wie etwa Pa, Ka, Te, Ti, Go. Unzählige Silben erweisen sich als Stolpersteine. Er greift zur Vermeidungstaktik : «Ich stelle die Sätze um, brauche Synonyme oder lasse Wörter weg.» So sagt er immer «laufen» statt gehen und bestellt immer Fanta, obwohl er lieber Coca-Cola hat. «Bei Fanta stottere ich nicht, bei Coca-Cola ist die Gefahr zu gross, dass ich es nicht flüssig sagen kann.» Kay hat mittlerweile zwei Intensivseminare von Versta besucht und weiss nun, wie er seinen Vornamen auch in Aufregung problemlos sagen kann: «Wenn ich mit der Hand dazu eine Acht forme.» Während seine Hand wellenförmig durch die Luft gleitet, kommt das Wort «Kay» fliessend aus seinem Mund. Beat Meichtry, der diese Kurse leitet, hat selbst sein halbes Leben lang gestottert. Auch er stolperte früher über seinen Vornamen. Das ist typisch: «Dem eigenen Namen kann man nicht ausweichen. Da ist der Druck besonders gross, nicht zu s tottern.» MM Tipps Das können Eltern für ihre Kinder tun •Kinder ausreden lassen. Auf Inhalt und Gefühlsausdruck achten, nicht auf die Art des Redens. •Beim Zuhören das Kind anschauen, nicht drängen. •Auf mögliche Drucksituationen und Belastungen schauen. •Möglichst rasch das Gespräch mit Fachpersonen suchen: Vereinigung für Stotternde und A ngehörige (Versta), www.versta.ch, [email protected], Telefon 033 733 07 31 Inselspital Bern, Abteilung für Phoniatrie, [email protected], 031 632 33 49 Austausch- und Informations veranstaltung für Betroffene: Die Vereinigung Versta lädt am 6. September in Brugg AG F amilien mit Bezug zum Stottern zu einem Treffen ein. Infos und A nmeldung: www.versta.ch Anzeige AKTION 30% 17.35 statt 24.80 Superhelden Freundinnen 30% 20.85 statt 29.80 Verspukt Geisterzauber Puppen 30% 15.95 statt 22.80 Mix und Match Prinzessinnen AUF ALLE BARBIE UND MONSTER HIGH PRODUKTE, ANGEBOTE GELTEN NUR VOM 01.09. BIS 14.09.2015, SOLANGE VORRAT Barbie und Monster High gibts in Ihrer Migros
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