Stottern - Gesundheitsgespräch - Bayern 2

Gesundheitsgespräch
Wenn die Sprache klemmt – was hilft gegen Stottern?
Sendedatum: 10.12.2016
Experte:
Georg Thum, akademischer Sprachtherapeut an der Ludwig-MaximiliansUniversität München
Autor: Klaus Schneider
Etwa ein Prozent der Bevölkerung hierzulande ist vom Stottern betroffen. Bei
einem Großteil der Betroffenen beginnt es bereits im Alter zwischen zwei und
vier Jahren. Bei den meisten Kindern, die stottern, geht es von alleine wieder
weg (= Remission). Jedoch sollte man sich darauf auf keinen Fall verlassen,
sondern rechtzeitig entgegenwirken. Denn mit beginnendem Schulalter schließt
sich das Zeitfenster der Remission. Je früher man also dem Stottern
gegensteuert, desto größer ist die Chance, stotterfrei zu werden. Und auch bei
älteren Kindern und Erwachsenen gilt: Eine frühe Intervention ist wichtig, um
Begleiterscheinungen zu verhindern.
Dem Text liegt ein Interview mit Georg Thum, akademischer Sprachtherapeut
an der Ludwig-Maximilians-Universität München, zugrunde.
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Symptome – was genau passiert beim Stottern?
Man weiß inzwischen sehr genau, was beim Stottern passiert. Man muss
zwischen einem Kernsymptom und Begleitsymptomen unterscheiden.
Beispiel: Jemand will sagen: "Ich sitze am Tisch." Dieser Satz ist in der
Satzplanung bereits fertig und abrufbereit. Was beim Stottern nun folgt, ist eine
Übertragungslücke, eine Art Übertragungsfehler. Beim Menschen, der stottert,
funktioniert die Übertragung nicht so, wie beim Nicht-Stotternden. Dadurch
erleidet er einen Kontrollverlust bei einem bestimmten Wort.
Das Kernsymptom kann sich in unserem Beispiel über drei Möglichkeiten
äußern:
•
Blockierung:
Zwischen zwei Wörtern entsteht eine lange Pause: "Ich sitze am (lange
Pause) Tisch."
• Dehnung:
Hängenbleiben an einem Laut: "Ich sssssssssssssssssssitze am Tisch."
• Wiederholung:
"Ich sitze am T-t-t-t-t-t-isch."
Problemhürde Silben-Nukleus
Viele – auch Betroffene – glauben oft, beim Stottern würde man am Wortanfang
hängenbleiben, im Beispiel also beim "T" von Tisch. Interessant ist jedoch, dass
sich bei genauer Betrachtung herausstellt, dass das so nicht stimmt. Stotternde
bleiben immer am Silben-Nukleus hängen. Oder anders gesagt: am Übergang
vom Konsonanten zum Vokal. Ausnahme: Beginnt ein Wort direkt mit einem
Vokal (z.B. Apfel), kann man gleich am Wortanfang hängenbleiben.
Begleitsymptome: Sprechängste, Rückzugsverhalten
Menschen, die stottern, sind nicht krank. Aber man könnte gewissermaßen von
einer Behinderung sprechen. Allerdings erschrecken viele, wenn sie den Begriff
"Behinderung" im Zusammenhang mit Stottern hören.
"Ich sage dann immer: Genauso, wie ich als Brillenträger auch behindert bin,
nämlich seh-behindert. Man muss jedoch auch klar sehen: Stotternde
Menschen können als Folgereaktion in ihrer Lebensqualität sehr stark
beeinträchtigt sein – zum Beispiel durch Sprechängste oder
Rückzugsverhalten." Georg Thum, akademischer Sprachtherapeut
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Ursachen – warum beginnen Menschen zu stottern?
Es gibt einige hirnorganische Auffälligkeiten, die man bei erwachsenen
stotternden Patienten festgestellt hat. Bei Kindern weiß man allerdings aufgrund
mangelnder Untersuchungsmöglichkeiten noch zu wenig.
Mithilfe von PET-Scans (Positronen-Emissions-Tomographie, ein bestimmtes
bildgebendes Verfahren) hat man genau untersucht, was im Gehirn passiert,
wenn jemand stottert. Hier traten mehrere Auffälligkeiten zutage.
Eine Auffälligkeit ist, dass zusätzlich zur linken Gehirnhälfte, die normalerweise
für die Sprachsteuerung zuständig ist, bei Stotternden auch die rechte
Gehirnhälfte aktiv ist. Hier stellt sich die Frage: Behindern sich die Hirnhälften
gegenseitig und führen dadurch zum Stottern, oder kompensiert die rechte
Hirnhälfte Mängel der linken? Anders gefragt: Ist die Aktivität der rechten
Gehirnhälfte Grund für das Stottern oder eine Folge davon?
Man nimmt inzwischen letzteres an, also dass die rechtsseitige Aktivität eher
Folge ist. Ganz sicher ist sich die Wissenschaft in diesem Punkt aber noch
nicht.
Stottern: ein Problem der "Durchlässigkeit"
Eine weitere Auffälligkeit, die man vor kurzem festgestellt hat: Der Bereich des
Motorcortex – also die Region im Gehirn, die für feinmotorische Prozesse und
Artikulation zuständig ist – ist bei stotternden Erwachsenen weniger
durchlässig. Bildhaft ausgedrückt:
"Sie möchten einen Film streamen. Der Server (also das Gehirn) hat bereits alle
Informationen auf seiner Festplatte liegen. Die Datenleitung (das entspricht den
grauen Zellen) ist nicht durchlässig genug, der Film fängt an zu ruckeln. Das
Problem liegt aber nicht am Server, sondern an der Leitung." Georg Thum,
akademischer Sprachtherapeut
Stottern: ein psychisches Phänomen?
Man weiß außerdem, dass Stottern variabel ist. Wäre Stottern immer nur eine
Frage der Übertragung, müsste der Defekt ständig reproduzierbar sein und
immer wieder auftreten. Das tut er jedoch nicht. Viele Menschen, die stottern
und auch Angehörige berichten, dass das Stottern in angespannten Situationen
stärker ist.
"Früher hat man hier einfach den Schluss gezogen: Der Mensch ist aufgeregt,
er stottert – also muss Stottern etwas Psychisches sein. Nein! Zwar ist die
Beobachtung richtig, dass Stottern situativ abhängig ist. Allerdings verändert
jeder Mensch in einer Stresssituation seine Sprache hörbar und spürbar. Bei
einem stotternden Menschen ist die Anspannung genau gleich, jedoch liegt die
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"Sollbruchstelle" an einer anderen Stelle." Georg Thum, akademischer
Sprachtherapeut
Anders gesagt: Stottern hat keine psychische Ursache!
ABER: Wenn ein Kind erlebt, dass andere lachen; wenn es also abwertende
Reaktionen erfährt, können sich tatsächlich Ängste und Schamgefühle
aufbauen. Auf psychosozialer Ebene können dann tatsächlich weitere
Symptome entstehen.
Auslöser des Stotterns – genetische Disposition oder soziales Umfeld?
Warum also fangen manche Kinder an zu stottern, andere nicht? Gibt es so
etwas wie ein Stotter-Gen oder liegt es am sozialen Umfeld, dass Kinder
auffällig über Worte stolpern? Sind sie vielleicht traumatisiert?
Tatsächlich gibt es eine genetische Disposition zum Stottern. Der Anteil liegt mit
70 Prozent sogar sehr hoch. Wenn nahe Angehörige – zum Beispiel die Eltern
oder die Großeltern – stottern oder gestottert haben, ist das Risiko für ein Kind,
ebenfalls zu stottern, durchaus erhöht.
Gibt es bestimmte Auslöser?
Man hört immer wieder, dass das Stottern auftrete, wenn ein bestimmtes
traumatisierendes Ereignis eintritt – sei es, dass ein Geschwister geboren wird
oder dass das Kind beim Klettern vom Baum fällt oder in einen rostigen Nagel
tritt, dann ins Krankenhaus muss und seitdem stottert.
Viele Ereignisse oder auch das soziale Umfeld lassen einen zunächst
vermuten, dass ein Zusammenhang bestehe, zumal er auch zeitlich sehr klar
zu beobachten ist.
Vorsicht, Trugschluss!
"Würden alle Kinder, die vom Apfelbaum stürzen, oder die beim PokémonSpielen gegen einen Laternenpfahl stoßen, zu stottern beginnen, würden sehr
viel mehr Kinder stottern." Georg Thum, akademischer Sprachtherapeut
Die zeitlichen Zusammenhänge, die viele erkennen, muss man also
hinterfragen: Kann es vielleicht Zufall sein? Kann es vielleicht am Lebensumfeld
liegen? Eltern, die ein zweites Kind bekommen, tun dies häufig zwei bis drei
Jahre nach dem ersten Kind. Das ist jedoch genau das Alter, in dem 75 bis 80
Prozent aller stotternden Kinder eben damit beginnen.
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Auslöser "unglückliche Kindheit"?
"Ich kann mir vorstellen, dass es in jeder Familie zu Krisen oder zu
Spannungen kommt, die Kinder miterleben, auch in jungen Jahren – daher ist
meine Antwort eher, dass der vermutete Zusammenhang zu einem Ereignis
oftmals verwendet wird, um eine Erklärung zu finden, die aber nicht in einem
kausalen Zusammenhang steht." Georg Thum, akademischer Sprachtherapeut
Entwarnung: Eltern sind nicht schuld!
Im Umkehrschluss bedeutet das: Eltern müssen sich keine Vorwürfe machen,
sie hätten etwas falsch gemacht, wenn ihr Kind stottert.
"Dieser Punkt ist mir besonders wichtig. Deshalb erkläre ich das immer in aller
Ausführlichkeit in Beratungsgesprächen mit Eltern: Sie haben keine Schuld
daran. Das finde ich einen wichtigen Satz. Ich habe schon zig-fach erlebt, dass
Eltern in Tränen ausbrechen und sagen: 'Oh Gott, und ich mache mir seit
Jahren Sorgen darüber.'" Georg Thum, akademischer Sprachtherapeut
Allerdings weiß man durchaus, dass besonders belastende Situationen
(Traumata) Stottern auslösen können. Ob es jedoch diesen auslösenden
Moment gab oder ob das Stottern zufällig mit einem anderen biographischen
Ereignis zusammenfällt, kann niemand im Nachhinein herausfinden.
Remission des Stotterns – viele Kinder hören von alleine wieder auf
Im Zeitraum zwischen zwei und vier Jahren fangen 75 bis 80 Prozent aller
Kinder, die stottern, damit an. Es kann aber bis zum zwölften Lebensjahr
passieren und eher selten bei älteren Kindern, Jugendlichen oder
Erwachsenen. Bei den meisten dieser Kinder hört das Stottern im Vorschulalter
auch von selbst wieder auf. Bei einem Fünftel jedoch nicht.
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind im Vorschulalter das Stottern wieder
verliert, ist also relativ hoch. Doch sollte man sich darauf nicht verlassen und
schon gar nicht einfach abwarten. Dennoch sprechen manche Ärzte noch
immer vom "Entwicklungsstottern."
"Dieser Begriff ist jedoch falsch. Es gibt ihn nicht. Wer von
'Entwicklungsstottern' spricht, meint das Phänomen, dass 80 Prozent der
stotternden Kinder im Vorschulalter das Stottern wieder verlieren, das Stottern
gehöre also zur Entwicklung dazu. Dieser Satz ist jedoch fatal, denn er
impliziert: Stottern ist ganz normal, da muss man nichts tun. Das hat oft dazu
geführt, dass Eltern beruhigt wurden und zu lange gewartet haben und dadurch
wichtige Therapieschritte gerade in jungen Jahren verpasst haben." Georg
Thum, akademischer Sprachtherapeut
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Wie lange kann/soll man abwarten?
Wenn das Stottern erstmalig auftritt und das Kind keinen Leidensdruck hat,
und/oder auch die Eltern keinen Leidensdruck haben, sollten Eltern nach drei
Monaten zu einem Beratungsgespräch kommen. In jungen Jahren kann man
getrost bis zu sechs Monate abwarten. Manche Studien sagen sogar, dass man
bis zu zwölf Monate abwarten könne. Allerdings können sich in diesen zwölf
Monaten bei stark stotternden Kindern Folgesymptome zeigen (innere
Belastung, hoher Kraftaufwand beim Versuch, über die Sprechblockade zu
kommen). In diesem Fall ist eine frühere Kontrolle angebracht.
Therapiemöglichkeiten – Stottern heilen
Man kann Stottern im Kindesalter heilen, nicht zuletzt aufgrund der hohen
Remission. Man vermutet, dass eine frühzeitige Therapie die Remission noch
verstärken kann.
Man weiß beispielsweise, dass die sogenannte Lidcombe-Therapie eine hohe
Wirksamkeit hat. In diesem Sinne kann man von einer "Heilung" sprechen,
denn das Stottern ist dann komplett weg und tritt auch nicht mehr auf.
Therapie mit Kindern
Für Kinder im Vorschulalter gibt es verschiedene Programme:
•
Lidcombe
Ein sehr systematisches Therapieprogramm im Train-the-Trainer-Prinzip.
Eltern werden angeleitet, wie sie mit dem Kind interagieren und spielen
können, um flüssiges Sprechen zu erzielen. Dieses flüssige Sprechen
soll dann systematisch gelobt werden. Ein verhaltenstherapeutischer
Ansatz mit hohem Wirksamkeitsnachweis durch viele Studien.
•
Modifikationsansatz nach Van Riper
Hier wird direkt am Stottern gearbeitet, indem Sprechtechniken vermittelt
werden, wie man beispielsweise das Stottern vereinfachen kann (man
eliminiert also nicht das Stottern an sich, sondern erlernt Techniken,
damit besser umzugehen). Ein weiteres Element dieses Ansatzes ist, die
erworbenen Begleitsymptome sowie die psychosoziale Belastung
abzubauen.
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•
Fluency-Shaping-Methode
Hier wird die ganze Sprechweise so verändert, dass das Stottern nicht
mehr auffällt (beispielsweise durch verlangsamtes, weiches und
gebundenes Sprechen).
•
Methoden-kombinierte Ansätze
Hier werden Methoden aus Fluency-Shaping und Modifikation
kombiniert.
Erfolge
Die Lidcombe-Methode hat einen guten Wirksamkeitsnachweis, allerdings liegt
das auch an der guten Studienlage. Auch beim Fluency-Shaping gibt es
Erfolgsnachweise.
Beim in Deutschland (und auch weltweit) am weitesten verbreiteten Ansatz,
nämlich dem Modifikationsansatz nach Van Riper, ist die Datenlage schlechter.
Wichtig bei der Therapieentscheidung ist zudem, dass für den Einzelfall eine
passende Therapieform gefunden wird.
Therapie mit Jugendlichen
Mit dem Schulalter bis hin zum beginnenden Jugendlichenalter schließt sich
das Fenster der Heilung. Zwar gibt es einzelne Berichte, dass das Stottern
auch im Erwachsenenalter weggegangen sei. Aber es handelt sich
tatsächlich um wenige Einzelfälle. In der Regel hat sich das Stottern bei
Erwachsenen bereits chronifiziert.
Fangen Erwachsene noch an zu stottern oder ist Stottern etwas, das nur
im Kindesalter beginnt?
Hier muss man zwischen mehreren Arten von Stottern unterscheiden:
• originäres (früher: „ideopathisches“) Stottern: wird in der Kindheit
erworben, trifft auf die meisten Menschen, die stottern, zu
• psychogenes Stottern: Aufgrund von psychischen Erkrankungen kann
Stottern auch im Erwachsenenalter entstehen
• neurologisch bedingtes Stottern: Stottern im Erwachsenenalter aufgrund
von neurologischen Erkrankungen
Was umgangssprachlich als Stottern bezeichnet wird, meint immer das
originäre Stottern, das bereits im Kindesalter auftritt.
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Tabuthema Stottern – Problem ansprechen oder lieber nicht?
Das ist eine Frage, die sich auch viele Eltern stellen - gerade dann, wenn das
Kind mit drei oder vier Jahren zu stottern beginnt. Manche Eltern sprechen es
lieber nicht an, aus Angst, das könnte das Stottern vielleicht noch verstärken.
Georg Thum hält es für die beste Lösung, ein Tabu gar nicht erst aufkommen
zu lassen. Man sollte immer versuchen, möglichst offen mit dem Thema
umzugehen, möglichst ohne ein Drama daraus zu machen. Untersuchungen
belegen, dass selbst sehr kleine Kinder mit zweieinhalb, drei Jahren ihr Stottern
bemerken und wahrnehmen.
"Es gibt einen Mythos, der leider noch immer weit verbreitet wird, dass Kinder
das in diesem Alter nicht wahrnehmen würden. Das stimmt nicht. Es gibt
Untersuchungen, die genau das Gegenteil belegen." Georg Thum,
akademischer Sprachberater
Zu spüren, dass sie stottern, ist für die Kinder belastend.
Besser: das Stottern thematisieren!
"Ich erkläre den Eltern immer: Wenn Sie auf der Parkbank sitzen und Ihr Kind
beim Spielen beobachten, das Kind stolpert, hat eine Schramme am Knie, fängt
an zu weinen. Was machen Sie? Natürlich gehen Sie hin, sprechen das an,
nehmen das Kind vielleicht in den Arm, pusten, trösten es, kleben vielleicht ein
Pflaster drauf und ermutigen es dann, weiter zu spielen." Georg Thum,
akademischer Sprachberater
Eltern gehen in so einem Fall also auf das Problem ein, bieten eine
Konfliktlösung an, spenden Trost und zeigen auch einen Weg auf, wie es
weitergehen kann. Das alles ist wichtig für die Frustrationstoleranz, auch um
das Selbstbewusstsein des Kindes zu stärken.
"Gleiches wäre beim Stottern wünschenswert. Wer das Stottern ignoriert, würde
übertragen auf obiges Beispiel statt Trost zu spenden, nachdem das Kind
gestürzt ist, weiter in die Zeitung schauen und versuchen, den Sturz zu
ignorieren, aus Angst, das Kind könnte sich dann erst recht in den Sturz
hineinsteigern." Georg Thum, akademischer Sprachberater
Was also wäre eine richtige Vorgehensweise?
"Genauso zu reagieren, wie bei einem Sturz: Das Stottern ansprechen. 'Ach
Mensch, da bleiben die Wörter hängen, Du kriegst das Wort nicht raus.' Auch
Erklärungsversuche können helfen: 'Das passiert manchmal, mir ist das auch
schon mal passiert. Andere Kinder haben das auch.' Auch positive Worte
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können unterstützen: 'Ich finde es toll, wie viel Du mir erzählst.'" Georg Thum,
akademischer Sprachberater
Wie verhält man sich gegenüber stotternden Erwachsenen?
"So, wie man sich anderen gegenüber auch verhält. Hier kann man gar keinen
speziellen Tipp abgeben." Georg Thum, akademischer Sprachtherapeut
Denn, um es mit Paul Watzlawick zu sagen: "Man kann nicht nicht
kommunizieren." Wenn jemand das Stottern ignoriert oder so tut, als würde er
es nicht merken, wird der Stotternde das auch bemerken. Manchmal ist auch zu
hören, man solle Stotternde nicht anschauen. Das ist falsch. Denn das
erschwert die Kommunikation zusätzlich und führt zu unnötigen Peinlichkeiten.
"Wenn ich mit jemandem spreche, der stottert, würde ich zunächst auf den
Inhalt hören, würde genauso den Blickkontakt halten, würde abwarten, bis der
Satz zu Ende ist, würde nicht unterbrechen, würde auch nicht den Satz
vervollständigen, auch wenn eine Vermutung naheliegt, wie er weitergehen
könnte. Das würde man auch bei nicht-stotternden Menschen als unhöflichen
Akt empfinden." Georg Thum, akademischer Sprachtherapeut
Bei besonders starkem Stottern
"Wenn ich mit jemandem spreche, der extrem starke Symptomatik zeigt, der –
was selten vorkommt – bis zu 30 Sekunden oder länger an einem Block hängen
bleibt, kann man nachfragen, ob es dem Stotternden helfe, wenn man selbst
das Wort sagt. Manche werden sagen ja, manche werden sagen nein." Georg
Thum, akademischer Sprachtherapeut
Also offen ansprechen und beispielsweise sagen: "Das Stottern ist gerade sehr
stark," und nachfragen: "Was würde Ihnen helfen?".
Hilfe beim Stottern - Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen
Betroffene, ob Eltern von stotternden Kindern oder auch stotternde Jugendliche
oder Erwachsene, können sich Hilfe holen oder auch mit anderen austauschen.
Hier finden Sie einige Anlaufstellen.
Stotterberatungsstelle der LMU München
Telefon: 089 – 2180 5230 (AB, Sie werden zurückgerufen)
Mail: [email protected]
http://www.edu.lmu.de/shp/stotterberatungsstelle/index.html
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Bundesvereinigung Stottern und Selbsthilfe e.V. (BVSS)
Bundesweites Netzwerk mit Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen
Telefon: 0221 – 139 1106
Mail: [email protected]
http://www.bvss.de
Spezielles Angebot für Jugendliche und junge Erwachsene: Flow
In Deutschland bilden sich derzeit gerade sogenannte Flow-Gruppen. Das sind
Selbsthilfegruppen für Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 16 und 29
Jahren.
http://www.flow-sprechgruppe.de
Darüberhinaus bekommt man Beratungen auch bei Ärzten oder
niedergelassenen Sprachtherapeuten, die sich mit Stottern auskennen.
AWMF-Leitlinien
http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/049-013.html
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