1 Was doch in eine einzige Woche reinpasst… „Helfen Sie mit

Was doch in eine einzige Woche reinpasst…
„Helfen Sie mit, unsere Deutsche Schule Belgrad (DSB) geistlich einzuweihen?“, hatte der Schulleiter gefragt. „Wir sollten es ökumenisch machen. Gibt es hier einen katholischen Priester, der Deutsch
kann? – Mit dem serbisch-orthodoxen Patriarchat bin ich bereits im Gespräch.“ – Mit Freude hatte
ich zugesagt. Ich wusste ein wenig, wie schwierig es gewesen war, bis die Deutsche Schule ein geeignetes Gebäude hatte anmieten können; wie zäh die Gespräche mit serbischen Behörden verliefen;
welche Mühen es machte, einigermaßen Rechtssicherheit herzustellen, bevor man mit dem teuren
Umbau beginnen konnte. – Jetzt ist Einweihungstag. Hohe Prominenz von Stadt und Staat, von Auslandsvertretungen, allen voran die Deutsche Botschaft Belgrad, von der deutschen Auslandsschulverwaltung und dem örtlichen Trägerverein der DSB sind gekommen. Kinder, Eltern, Angehörige füllen erwartungsvoll die zum Festsaal umgestaltete Turnhalle. Vom Kindergarten mit Vorschule bis zur
Oberstufe reicht das Angebot der traditionsreichen Belgrader Schule – 1854 vom damaligen deutschen evangelischen Pfarrer in Belgrad gegründet. Man begann mit 23 Schülern. Zu Beginn der der
deutschen Besatzung 1941 waren es 1000 Schülerinnen und Schüler. 1944 wurde die Schule von den
Alliierten zur Hälfte ausgebombt. Der Schulbetrieb unter deutscher Leitung endet, die Donauschwaben müssen fliehen. In den Siebzigerjahren als kleine Schule in der Botschaft der BRD wiedergegründet, - war es 2012 wieder erreicht: das erste Abitur nach 71 Jahren konnte gefeiert werden! Etwa die
Hälfte der 230 Kinder und Jugendlichen an der Schule sind aus serbischen Familien; - das deutsche
Abitur an einer vom serbischen Bildungsministerium akkreditierten Schule steht hierzulande hoch im
Kurs.
DSB – festlich geschmückt
Schülerinnen beim Tanz
Die deutsche Schulsprecherin und der serbische Schulsprecher bilden im Außenbereich ein formvollendetes Empfangs- und Lotsenkomitee für ankommende Gäste. Im Festsaal fröhlich-vielsprachiges
Stimmengeschnatter. Tanzdarbietung der Grundschulkinder, Schülerband, Festrede, Grußworte,
Freude und Anerkennung von allen Seiten. Die deutsche und serbische Nationalflagge werden als
Schulfahnen überreicht – und durch die Europaflagge verbunden: sinnvolles Hoffnungsbild hinsichtlich der laufenden EU-Beitrittsverhandlungen Serbiens. Gegen Ende die Kirchenvertreter: Gemeinsam
vorgetragenes Fürbittengebet aus der orthodoxen Liturgie. Mit „orthodoxem“ Weihwasser spendet
der katholische Erzbischof in bestem Deutsch den Segen, nachdem der evangelische Pfarrer eine
eigens entworfene „Schulkerze“ entzündet hatte: Licht der Erkenntnis und Licht der Liebe – beides
zusammen bilden einen jungen Menschen zur Persönlichkeit heran. „Danket dem Herrn! Wir danken
dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich“ (Psalm 118, 1) – der Lehrerchor
gibt dem Ausdruck, was manche der postsozialistisch-unreligiösen Gäste vielleicht empfinden mögen,
ohne Worte dafür zu haben. – Die Schule ist heute noch deutlicher angekommen in unserer Stadt,
empfinde ich, als ich durch das Festgeschehen mit Buffet und Darbietungen in den Schulräumen
schlendre.
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Beifall für den…
…Lehrerchor
„Helfen Sie mit, die Flüchtlinge am Bahnhof zu versorgen?“, hatte ich gefragt, als ich die Kollekte im
Gottesdienst ankündigte. Mit dem Geld fuhr ein Gemeindeglied gleich auf den Markt und brachte ein
halbes Auto voll Obst und anderen Lebensmitteln zur Verteilstation. Ein paar Tage danach mischte
ich mich unter die vielen Flüchtlinge, die in Lagerschuppen an der Sava sich mit dem Notwendigsten
versorgen können. Eindrücklich die koordinierte Hilfe verschiedener serbischer und internationaler
Initiativen an diesem Ort; immer neu bewegend für mich die Warmherzigkeit und Hilfsbereitschaft
serbischer Privatpersonen. – Liegt es daran, dass die Menschen hier noch wissen, wie weh Flüchten
tut? frage ich mich. Und denke mit innerer Reue daran: Vor zwanzig Jahren mussten 200000 Serben
aus der Krajina und anderen Gegenden fliehen, vertrieben durch die kroatische „Operation Sturm“.
Ich hatte damals, wenn überhaupt, das wechselseitige Unrecht auf dem Balkan nur einseitig wahrgenommen. Was es für ein Siebenmillionen-Volk bedeutet haben musste, unter internationalem Boykott die Flüchtlinge durchzufüttern, war mir nicht klar. Man habe in Belgrad gehungert 1995, erzählen mir manche.
Gemeindemitglieder reichen Getränke
An der Kindersachen-Ausgabe
Am Kaffestand bei der Solar-Ladestation für Handys schenken Frauen unserer Gemeinde Getränke
aus. Ich komme mit ein paar jungen Männern ins Gespräch. Aus Afghanistan stamme der eine. Berufsausbildung? - noch keine. Er habe zuletzt im Iran gelebt und sich über die Türkei auf den Weg
nach Europa gemacht. Etwa fünfzehn Tage sei er jetzt unterwegs, mit Bussen, zu Fuß. Das sechs Meter lange Schlauchboot sei mit 47 Menschen beladen gewesen bei der Überfahrt zur Insel Lesbos. Da
habe er recht Angst gehabt bei dem Wellengang. Nach Schweden wolle er – und fragt mich, ob ich
Alternativrouten wisse, wenn die Ungarn demnächst die Grenze dicht machen. Ein anderer, etwas
Älterer, kommt dazu: er sei Ingenieur, wolle in Deutschland leben und Arbeit suchen. - Das wichtigste
ist, ihr lernt mit aller Kraft die Sprache eures Gastlandes, ermutige ich. Und weise auf die kulturelle
Anpassungsarbeit hin, die jungen „Machos“ bevorsteht: Bei uns sind die meisten Sprachlehrerinnen
Frauen. Ihr habt zu hören, was die euch sagen. Ihr müsst das umsetzen, „gehorchen“, wenn ihr mit
dem Lernen Erfolg haben wollt – so sieht die europäische Freiheit aus, nach der ihr strebt, sag‘ ich
augenzwinkernd…
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Nachricht von zuhause?
Wo die Kinder wohl aufwachsen werden?
Ein paar hundert Meter weiter beim Busbahnhof: im Park Zelte, Dixieklos, wartende Gruppen, Tankwagen mit Trinkwasser. Vom Gras unter den Bäumen keine Spur mehr. Vor einem offenen Großzelt
sitzen Kinder und malen Bilderbücher aus, bekommen Anregungen zum Ausschneiden oder Basteln.
Eine Mitarbeiterin am Erziehungsministerium erläutert mir: Geld habe man keines in Serbien. Deshalb hätten sich reihum Belgrader Kindergärten verpflichtet, den Flüchtlingskindern Spiele anzubieten. Die Stifte, Malbücher usw. seien jeweils von den Eltern gespendet. – Im Weitergehen spreche ich
eine Frau an mit einem Säugling auf dem Arm. Das andere Kind liegt schlafend auf ein paar Anoraks
im offenen Zelt. Woher sie kommen, will ich wissen. Kopfschütteln. Der Mann kommt dazu. Englisch?
Eine andere mir zugängliche Sprache? Stummes Schulterzucken. – Welche Not, in fremdem Land
ohne Verständigung unterwegs zu sein und Hilfe zu brauchen! – „God bless you!“, verabschiede ich
mich. – ER versteht alle Sprachen, insbesondere das tonlose Ängsten und Flehen der Herzen.
„Helfen Sie mit, den deutschen evangelischen Friedhof zu restaurieren?“ hatte die Bürgermeisterin
von Pećinci an die Deutsche Botschaft geschrieben. Der neue Kulturattaché Christian Reißmüller hat
mich gefragt, ob ich ihn bei der Eröffnung dieser kommunalen Aktion begleiten wolle und als Pfarrer
den „ersten Spatenstich“ mit begehen. Im Rathaus des Städtchens in Syrmien/Srem werden wir
freundlich empfangen und gleich mit dem örtlichen Hobby-Historiker bekannt. Er arbeitet die Geschichte der Deutschen von Obresch/Obrež (ein Dorf nahe der Sava) auf, das inzwischen nach Pećinci
eingemeindet ist. Warum die serbische Kommunalverwaltung dies auch finanziell unterstützt? – Nun,
die Obrescher hätten damals mehrheitlich nicht mit der SS kooperiert, sondern im Gegenteil viele
Serben versteckt oder bei der Flucht unterstützt. Dafür sei man heute noch dankbar – und wolle das
mit dieser Aktion ausdrücken.
Kulturattaché und Pfarrer „im Busch“
Grabmal für Michael Albert (1895-1925)
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Im Autokonvoi nähern wir uns einem „Urwald“. Holzarbeiter sind bereits mit ihren Sägen am Roden.
Was die Natur sich doch in siebzig Jahren alles zurückholt… Weit ins Gestrüpp müssen wir hinein, um
ein paar Grabsteine zu finden. Vorsicht! werde ich gewarnt, damit ich nicht in eine Grabkammer hinabstürze. Können wir etwas identifizieren? Jung in den Neunzehnhundertzwanzigerjahren gestorben
der Mann, dessen Name einigermaßen zu entziffern ist. – Ob ich auch Gräber finde von Deutschen,
die durch Partisanenüberfälle 1942-1944 umkamen? Unsere Gesprächspartner waren auf diese Seite
der deutsch-serbischen Geschichtsaufarbeitung nicht eingegangen. Nein, kein steinerner Hinweis.
Man hatte in der notvollen Zeit, als in Obrež die deutsche Zivilbevölkerung terrorisiert wurde, wohl
keine Kraft oder Zeit mehr, steinerne Grabmale zu setzen… - Ich bitte die Arbeiter, ihre Motorsägen
kurz abzustellen. Ein Vaterunser auf Deutsch und Serbisch, Gedenken und Segensbitte: Gott möge
die äußere Wiederherstellung des Friedhofs zum Impuls werden lassen für Versöhnung und Frieden. Heute leben keine Deutschen mehr in Obrež. Aber die Firma Bosch beschäftigt in Pećinci 600 Arbeiter, und Dr. Oetker wird demnächst 250 Arbeitsplätze schaffen. Ebenso hofft man, durch behutsame
Erschließung der Obedska bara, einem einmaligen Naturreservat für Vögel und Wassertiere im
Sumpf- und Überflutungsbereich der Sava, einen sanften Tourismus als ergänzenden Wirtschaftsfaktor entwickeln zu können. – Weltweit das zweite Brotmuseum sei in Pećinci – neben dem Deutschen
Brotmuseum in Ulm. Das schwingt nach, und mir fällt beim Heimfahren Martin Luther ein. Der legt
die Vaterunser-Bitte um das tägliche Brot – wie für heute gesagt - so aus: man solle damit auch für
eine gute, Gott und Mensch verantwortliche Regierung beten und sorgen. „Denn wo Unfried, Hader
und Krieg ist, da ist das täglich Brot schon genommen.“
Erkundungsfahrt durch die Obedska bara
Hans-Frieder Rabus
www.belgradevangelisch.de
„Täglich Brot“ – und nicht zu knapp…
Unsere kommunalen Gastgeber von Pećinci
25. September 2015
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