Das Ganze und die Summe der Teile Arbeiten auf Papier von Susanne Piotter Einführung zur Ausstellung im Kunst.Raum.Steglitz 01.09.2015 ! Dr. Barbara Borek Teile eines Gartenzaunes lagern über- und ineinander, der Zaun ist auseinandergerissen, liegt in einer kargen Landschaft. Ein Teppich schwebt über dunklem Grund, Fensterrahmen in unterschiedlichen Größen fliegen durch die Luft. Der Leuchter wirft seinen mächtigen Schatten auf eine geheimnisvolle Bodenfläche, tritt aus der Bildfläche heraus. Die Berliner Künstlerin Susanne Piotter bearbeitet in ihren Werken scheinbar vertraute Räume, setzt Mobiliar in Bewegung, löst auf und fügt wieder zusammen, verschiebt die Dimensionen und führt uns in neue. Ihre Arbeiten sind Rauminstallationen auf Papier und eine Einladung an uns, den Dingen auf ihrem Weg zu folgen. Diese Gegenstände verdichten sich zu Ansammlungen - des menschlichen Miteinander, des Alltags und der Erinnerungen. Sie erzählen Geschichten, die teilweise alleine von ihren Besitzern verstanden werden. Die genannten Werke gehören zu der Grafikserie EIN HAUS VERSCHWINDET. Entstanden in den Jahren 2013 bis 2014, zeigt Susanne Piotter heute hier sechs Blätter. Wie auf einer Bühne bewegen sich die Objekte in den Arrangements. Die Künstlerin präsentiert uns das Haus, unsere Wohnstätte, unseren privaten Rückzugsort als einen nicht mehr verlässlichen Platz. Der Ort, den wir nach persönlichen Vorlieben gestalten können, an dem wir uns aufhalten, an dem wir Familienangehörigen, Mitbewohnern und Gästen begegnen, an dem wir Schutz und Zuflucht finden dieser Ort ist fragil geworden. Der vertraute Raum löst sich in seine Bestandteile auf, er gerät aus den Fugen. Vielleicht haben die Bewohner das Haus verlassen, sind auf der Flucht, verstorben oder haben sich ein neues Zuhause gesucht. Aus Gründen, die wir nicht kennen. Seiner Schutzfunktion enthoben, löst sich das Haus nun nach und nach auf, es zerlegt sich selbst in seine Einzelteile. Unsicherheit macht sich breit, auch die Umgebung löst Irritationen aus, lässt Zweifel aufkommen. Es ist dunkel rund um die Hauselemente in Susanne Piotters Arbeiten, Menschen sind nicht zu sehen. Fast wirkt die Szenerie ein wenig gespenstisch, außer Kontrolle geraten. Wo steht das Haus, wo ist es verortet, wo sind seine Bewohner, die Nachbarn, die Besucher? EIN HAUS VERSCHWINDET. Doch was genau verschwindet hier eigentlich? Das Gebäude als ganzer Komplex? Seine einzelnen Räume, die Treppen, Fenster und Türen? Seine Funktionen, das Betreten, das Bewohnen, das Nutzen, das Verlassen? Wir blicken auf das Dach, sehen einen Schornstein, Farben ziehen über die Bildfläche, auch sie verlassen das Haus. Es wirft seine Schatten auf eine Fläche, vielleicht eine Wiese, abgemähtes oder verbranntes Gras. Alles schwebt auf einem schwarzen Grund, dem Universum? Hier setzen unbekannte Kräfte alles in Bewegung. Eine Kraft kann definitiv benannt werden: Es ist die Software, mit der Susanne Piotter ihre Entwürfe am Computer bearbeitet. Das 3D-Programm, welches auch von Architekten verwendet wird, ermöglicht es der Künstlerin, die Dynamiken innerhalb der Bilder zu gestalten, die Blickrichtung zu wechseln, die Elemente zu manipulieren. Auch wenn es manchmal so erscheint, Fotografien sind nicht die Basis der Arbeiten dieser Serie, hier wäre diese Veränderung nicht möglich, der Blickwinkel vielmehr vorgegeben. Auf dem Bildschirm dreht Susanne Piotter das Gebäude, fährt mit einer imaginären Kamera hindurch, zerlegt es, baut es in einem nächsten Arbeitsschritt wieder neu zusammen. Sie zeichnet mit dem Programm, gibt dem Haus so neue, IHRE Konturen. Sobald die Künstlerin die von ihr gewählte Einstellung gefunden hat, wird das Bild als 2D-Grafik exportiert und Ebene für Ebene für den Siebdruck vorbereitet. Was folgt ist Handwerk: Durch das malerische Übereinanderlegen dünner Gouache-Schichten entwickeln sich nach und nach strukturierte Oberflächen. Susanne Piotter spielt mit Farbverläufen, mit Quellen von Helligkeit und Dunkel. Diese tauchen die Objekte auf ihren Werken in ein ganz besonderes Licht, geben den Dingen Schärfe und Klarheit. Auch im oberen Raum der Galerie sind es DINGE, die Susanne Piotter auf ihren Blättern festhält, Gegenstände des täglichen Bedarfs, die in einem poetischen Dialog stehen. Eine erste, wichtige Arbeit mit dem Titel "Teeglas aus dem Zusammenhang gerissen" sehen Sie hier neben der Treppe. Aufgetragen auf gepresste Kartonagen in unterschiedlicher Stärke erhält das Glasobjekt eine haptische Struktur, ist in Auflösung begriffen. Digitale und malerische Elemente mäandern zwischen Ordnung und Veränderung, die Realität - Stück für Stück verpixelt, befindet sich in einem Transformationsprozess. Im oberen Raum können Sie auch von hieraus schon zwei weitere Arbeiten der Reihe erkennen: Die Werke „Flüchtende Ornamente“ und „Memory in a box“, beides Siebdrucke aus den Jahren 2012 bzw. 2013, setzen sich ebenfalls mit konkreten Gegenständen auseinander. Susanne Piotter druckt auch diese kleineren Arbeiten per Hand. Wieder spielt sie mit den Bildebenen, gibt den Badezimmerfliesen beispielsweise eine erhabene grafische Struktur, setzt sie in Bewegung, der Boden löst sich auf. Auch die Bildflächen verlassen den gewohnten Rahmen. Der zweiteilige "Zyklus der Vasen", in diesem Jahr entstanden, ist ebenfalls eine erzählerische Komposition. Drei Glasvasen fotografierte Susanne Piotter, verbindet sie über ein Animationsprogramm zum Kreis, um sie dann wieder, Schritt für Schritt, aufzulösen. Auch hier führt uns die Künstlerin durch dynamische Bildebenen, lässt uns an dem von ihr entwickelten Arrangement von Farbmustern, Licht und Schatten teilhaben. Susanne Piotter leitet uns mit ihren Arbeiten in irritierende Räume. Das Auge sucht Orientierung, Sicherheit, Gewohntes und Vertrautes. Es findet bei Susanne Piotter, ngewohnte Perspektiven, haltlose Dynamiken, Unbeständigkeit, doch auch Neuordnung und eine starke Energie. "Das Ganze und die Summe der Teile", der Titel der Ausstellung ist Frage und Antwort zugleich. Wird das Ganze in seine Einzelkomponenten zerlegt oder fügen sich die Teile zu einem Ganzen zusammen? Susanne Piotter führt uns mit ihren Arbeiten in spannende Kulissen. Susanne Piotter macht uns in ihren Arbeiten aufmerksam auf die Fragilität und Verletzbarkeit unserer Welt. Susanne Piotter zeigt uns die Fülle der Möglichkeiten, diese Welt zu sehen und zu denken. Nehmen wir das Angebot an, lassen wir unsere Augen und unseren Geist den Bewegungen folgen. Ich wünsche Ihnen einen anregenden Kunst-Abend. Vielen Dank. !
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